XI. Allgemeine Bemerkungen über die Vereinigung der fünf Sinne.

[180] Mit dem Nahrungsbedürfniss soll unsere Statue der Gegenstand vielfacher Beobachtung werden; allein ehe wir auf alle die Umstände näher eingehen, die dazu Veranlassung geben, müssen wir erwägen, was der Vereinigung jedes einzelnen Sinnes mit dem Tastsinn gemeinsam ist.

1. Wenn sie sich zugleich des Getastes und Geruchs erfreut, so achtet sie auf die. Eigenschaften der Körper nach den Beziehungen, die sie zu diesen beiden Sinnen haben, und bildet sich die allgemeinen Vorstellungen von zweierlei Empfindungen: von Tast- und Geruchsempfindungen; denn Eindrücke auf so verschiedene Organe kann sie alsdann nicht in eine einzige Klasse zusammenfliessen lassen.

Ebenso ist es, wenn wir zu diesen beiden Sinnen Gehör, Gesicht und Geschmack fügen. Sie kennt also im Ganzen fünferlei Empfindungen.

Wenn wir nun annehmen, dass sie an die Körper nach einander denkt und dabei ihre Eigenschaften ohne Rücksicht auf die fünf verschiedenen Arten, wie sie auf ihre Organe wirken, betrachtet, so wird sie den allgemeinen Begriff »Empfindung« bekommen, d.h. aus allen Eindrücken, welche die Körper auf sie machen, nur eine Klasse bilden; und diese Vorstellung ist allgemeiner, wenn sie drei Sinne hat, als wenn sie auf zwei beschränkt ist, wenn sie vier hat, als wenn sie auf drei beschränkt ist, etc.

2. Als sie des Tastsinnes entbehrte, war sie unvermögend, einen der anderen Sinne aus eigenem Antriebe in Thätigkeit zu setzen, und konnte sich den Genuss eines Duftes, eines Tons, einer Farbe und eines Geschmackes nur dann verschaffen, wenn ihre Einbildungskraft mit einer Stärke wirkte, welche sie ihr zu vergegenwärtigen vermochte. Jetzt aber ist die Kenntniss der duftenden, tönenden, greifbaren und schmeckenden Körper und die Leichtigkeit, mit der sie ihrer habhaft werden kann, ein so bequemes Mittel, zu erlangen, was sie begehrt, dass ihre[181] Einbildungskraft nicht nöthig hat, gleiche Anstrengungen zu machen. Je leichter ihr folglich diese Körper erreichbar sein werden, desto weniger wird ihre Einbildungskraft sich bezüglich der Empfindungen üben, mit welchen sie diese bekannt gemacht haben. Sie wird also an Thätigkeit verlieren; allein da Geruch, Gehör, Gesicht und Geschmack um so mehr geübt werden, so erwerben sie eine schärfere und weiter reichende Unterscheidungsgabe. Was diese Sinne durch ihre Vereinigung mit dem Tastsinn gewinnen, das entschädigt somit die Statue reichlich für das, was sie auf Seiten der Einbildungskraft verloren hat.

3. Nachdem ihre Empfindungen für ihre Auffassung zu Beschaffenheiten der Dinge selbst geworden sind, so kann sie sich ihrer nicht erinnern, sie nicht denken oder erfahren, ohne sich Körper vorzustellen. Darum gehen sie alle in Zusammenstellungen ein, welche sie nach Anweisung des Getastes macht, werden Eigenschaften der Ausdehnung, verknüpfen sich vermöge derselben Grundvorstellung, wie die Tastempfindungen, mit der Kette der Erkenntnisse, und Gedächtniss und Einbildungskraft werden dadurch reicher, als da sie noch nicht den Gebrauch aller ihrer Sinne hatte.

4. Wir haben, als wir Geruch, Gehör, Gesicht und Geschmack einzeln betrachteten, bemerkt, dass unsere Statue in Bezug auf die Eindrücke, die diese ihr übermitteln, ganz passiv war. Aber jetzt kann sie in dieser Hinsicht in vielen Fällen aktiv sein; denn sie besitzt die Mittel, sich dem Eindruck der Körper hinzugeben oder zu entziehen.

5. Ebenso haben wir bemerkt, dass das Begehren nur in der Thätigkeit der Seelenkräfte bestand, die sich auf einen Duft richteten, von dem noch Erinnerung vorhanden war. Aber seit der Vereinigung des Geruchs mit dem Tastsinn kann es auch die Thätigkeit aller der Kräfte in sich fassen, die geeignet sind, ihr den Genuss eines duftenden Körpers zu verschaffen. So geht, wenn sie eine Blume begehrt, die Bewegung von dem Geruchsorgan in alle Körpertheile über, und ihr Begehren wird zur Thätigkeit aller Kräfte, welche ihr zu Gebote stehen.[182]

Dasselbe gilt von den anderen Sinnen. Denn hat der Tastsinn sie unterwiesen, so ist er auch weiterhin so oft mit ihnen thätig, als er ihnen behülflich sein kann. Er nimmt an Allem, was sie interessirt, Antheil, lehrt sie, alle unter einander sich zu helfen, und ihm verdanken alle unsere Organe, alle unsere Kräfte die Gewöhnung, sich auf die zu unserer Erhaltung geeigneten Dinge zu richten.[183]

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 180-184.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Abhandlung über die Empfindungen
Abhandlungen über die Empfindungen.