§ 29. Hobbes' Physik

[94] Da die Vorstellungen und Bilder in dem Empfindenden nicht immer dieselben sind, sondern neue von Zeit zu Zeit entstehen, die alten aber vergehen, je nachdem die Organe der Empfindung bald auf dieses, bald auf jenes Objekt gerichtet sind, so sind sie eine Veränderung des Empfindenden. Jede Veränderung ist aber eine Bewegung in den innern Teilen des Veränderten; die Empfindung kann daher nichts anderes sein als eine Bewegung der innern Teile des Empfindenden. Da aber die Bewegung nur von einem Bewegten und Berührenden erzeugt wird, so liegt die unmittelbare Ursache der Empfindung in dem, was das Organ derselben berührt und drückt. Die Empfindung ist also eine innere, von der Bewegung der innern Teile eines Objekts in dem Empfindenden erzeugte und durch die Mittelteile bis zum innersten Teile des Organs fortgepflanzte Bewegung. Gegen diese vom Objekt erzeugte und vermittelst der Nerven und Häute bis zum Gehirn und von da bis zum Herzen, welches der Ursprung aller Empfindung ist, fortgepflanzte Bewegung erhebt sich aber ein Widerstand und Gegendruck oder ein Streben des Herzens, sich vom Eindrucke des Objekts zu befreien durch eine nach außen dringende Bewegung, die eben deswegen als etwas Äußerliches erscheint. Bei jeder Empfindung finden also zwei sich entgegengesetzte Bewegungen statt, das Eindrücken oder Einwirken des Objekts und die Rückwirkung oder Reaktion des Organs, und erst aus dieser eine Zeitlang anhaltenden Reaktion entsteht das Bild oder die sinnliche Vorstellung. (»Phys.«, c. 25, § 1, 2, 3, 10, et »Leviath.«, c. 1)

Unter der Empfindung oder sinnlichen Wahrnehmung versteht man gewöhnlich zugleich eine Beurteilung der Objekte durch die Bilder, nämlich durch die Vergleichung und Unterscheidung derselben. Mit der Empfindung in diesem Sinne, in dem sie auch hier genommen wird, ist notwendig Gedächtnis verbunden, um das Frühere mit dem Spätern vergleichen und eins vom andern unterscheiden zu können. Zur Empfindung wird daher auch erfordert eine Mannigfaltigkeit von Bildern, um eines vom andern unterscheiden zu können. Ein Mensch z.B., der keinen andern Sinn als den des Sehens hätte und immer nur ein und dasselbe Objekt ohne alle Verschiedenheit[94] und Mannigfaltigkeit der Gestalt und Farbe ansähe, würde wohl klotzen und stieren, aber nicht sehen oder anschauen. Denn es ist eins, ob ich immer dasselbe empfinde oder gar nicht empfinde.54 (»Phys.«, l. c., § 5)

Da das Wesen der Empfindung in der Bewegung besteht, so können die Empfindungsorgane nicht zugleich von zwei Objekten so bewegt werden, daß zwei Bilder von beiden Objekten entstünden. In einer und derselben Zeit kann nur ein einziges Objekt wahrgenommen werden. (§ 6)

Die Bewegung des Organs, aus welcher das Bild entspringt, heißt, solange das Objekt gegenwärtig ist, Empfindung, ist es aber abwesend, jedoch das Bild noch da, Phantasie oder Einbildung. Die Einbildung ist daher eine wegen der Entfernung des Objekts geschwächte und abgemattete Empfindung. (§ 7)

Das Subjekt der Empfindung ist das Empfindende selbst, nämlich das Lebendige, und richtiger sagt man daher: Das Tier oder Lebendige sieht, als: Das Auge sieht. Das Objekt ist das, was empfunden wird. Daher sehen wir nicht eigentlich das Licht, sondern die Sonne, denn Licht, Farbe, Ton, Wärme und die übrigen sinnlichen Qualitäten sind nicht Objekte, sondern Vorstellungen oder Bilder des Empfindenden. Die sogenannten sinnlichen Qualitäten sind im Objekte selbst weiter nichts als eine Bewegung der Materie, wodurch das Objekt auf die Empfindungsorgane auf verschiedene Weise einwirkt, und ebenso in uns nur verschiedene Bewegungen; denn die Bewegung erzeugt nur Bewegung, und die Erscheinungen oder Qualitäten sind sowohl im Schlafen als im Wachen bloße Bilder, Akzidenzen des Empfindenden, nicht des Objektes. Wie der Druck auf das Tastorgan die Vorstellung der Reibung, der Druck auf das Auge die des Leuchtenden und der Druck auf das Ohr den Ton hervorruft, so erzeugen auch die Objekte, die wir sehen oder hören, die Vorstellung durch den Druck, aber einen unbemerkbaren. Denn wenn die Farben und Töne in den Objekten selbst wären, so könnten sie von ihnen nicht getrennt werden, was doch wirklich der Fall ist bei der Reflexion[95] der sichtbaren Objekte durch Spiegel und der hörbaren durch gebirgige Orte. Die sichtbaren Objekte erscheinen oft an Orten, wo sie, wie wir bestimmt wissen, nicht sind, verschiedenen in verschiedener Farbe und oft auch zugleich an mehreren Orten. (§ 9 und 10)

Die Entstehung nun der Qualitäten, z.B. des Lichtes, geschieht folgendermaßen. Der Sonnenkörper stößt durch seine Bewegung den ihn umgebenden Äther von sich weg, so daß dadurch die der Sonne zunächst liegenden Teile des Äthers von ihr selbst bewegt, von diesen aber dann wieder die entfernteren Teile solange fortgetrieben und gestoßen werden, bis endlich diese Bewegung das vordere oder äußere Auge berührt und drückt und von da sich bis zum Herzen, dem innersten Lebenspunkte, fortpflanzt. Die widerstrebende Bewegung des Herzens geht nun auf demselben Wege, wie die eindringende Bewegung hereinkam, wieder zurück und endigt in der nach außen strebenden Bewegung der Netz- oder Nervenhaut. Und diese Bewegung nach außen ist eben das Licht oder die Vorstellung des Leuchtenden. (c. 27, § 2)

54

Mehrere solcher trefflichen Gedanken und Bemerkungen finden sich bei Hobbes hesonders in seiner Physik und empirischen Psychologie. Vortrefflich sind das elfte bis vierzehnte Kapitel »De Homine«.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 94-96.
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