§ 43. Jakob Böhms Leben

[135] Jakob Böhm wurde 1575 zu Alt-Seidenburg, einem ehemaligen Marktflecken unweit Görlitz in der Oberlausitz, geboren. Seine Eltern waren arme und geringe Bauersleute. In seinen jüngern Jahren hatte er, so erzählt man es wenigstens, ein paar mysteriöse Erscheinungen. So soll er einst, um nur eine anzuführen, als er sich von den übrigen Dorfjungen, mit denen er gewöhnlich das Vieh auf dem Felde hütete, entfernte und allein einen nahegelegenen Berg bestiegen hatte,[135] auf dessen Gipfel einen Eingang in ihn gefunden und beim Hineintreten ein großes Gefäß voll Geld erblickt haben, über dessen Anblick ihn aber ein solches Grausen angekommen, daß er eiligst davongesprungen sei. Nachmals soll er jedoch nie mehr diesen Eingang offen gefunden haben. Nachdem er in der Dorfschule lesen und notdürftig schreiben gelernt hatte, wurde er zu einem Schuhmacher in die Lehre geschickt, und nachdem er sein Handwerk ausgelernt und von seinen Wanderungen zurückgekehrt war, wurde er 1594 Meister und Ehemann zugleich.

J. B. ging fleißig zur Kirche und las eifrig in der Bibel. Daß er aber auch noch andere sowohl religiöse als alchymistische oder naturphilosophische Werke, wie namentlich den Paracelsus76, gelesen, später auch durch den Umgang mit Gelehrten sich gebildet hat beweisen deutlich seine Schriften, bestätigen selbst unmittelbare Aussagen von ihm. So sagt er schon in seiner »Aurora« (cap. 10, § 27): »Ich habe viel hoher Meister Schriften gelesen.« Die seine Seele beunruhigenden religiösen Streitigkeiten seiner Zeit, ein äußerlicher Vorfall, der plötzlich von seiner lebhaften Phantasie zu einer Geisteserregung gesteigerte Anblick eines glänzenden, zinnernen Gefäßes, und eine spätere, durch keine äußere Veranlassung bedingte Gemütserregung, vor allem aber sein eigener Geist, sein Genie bestimmten ihn, die Feder zum Blitzableiter seines überladenen und bewegten Gemüts zu machen. Die erste Frucht seines Geistes oder, in seiner Sprache zu reden, seiner Erleuchtungen war die »Aurora«, im Jahre 1612 verfaßt, die übrigens fälschlich für die beste Schrift von manchen gehalten wird, da sie vielmehr von seinen spätern Schriften an Klarheit, Sicherheit und Bestimmtheit, soweit diese Eigenschaften überhaupt in J. B. zu finden sind, bei weitem übertroffen wird77, aber allerdings gerade als das erste, rohste, unmittelbarste, kritikloseste[136] Erzeugnis seines Geistes eine seiner interessantesten und wichtigsten Schriften ist. J. B. hatte die »Aurora« nur für sich selbst niedergeschrieben. Durch einen »Wohlbekannten vom Adel« aber, der J. B. besuchte, das Manuskript sah und sich ausbat und dann in aller Eile, weil es ihn interessierte, kopieren ließ, wurde es bekannt, unter andern auch dem Oberpfarrer in Görlitz, Gregorius Richter, der es öffentlich von der Kanzel herunter verdammte und selbst die Person des Autors lästerte. J. B., der übrigens die größte Sanftmut und Würde bei diesem pöbelhaften Angriff geistlicher Borniertheit und Bosheit bewies, wurde das Bücherschreiben untersagt und er selbst aus der Stadt auf einige Zeit verwiesen, übrigens bald hernach wieder feierlich zurückgeführt. Sieben oder sechs78 Jahre lang erfüllte nun J. B. den Befehl des Magistrats, nichts zu schreiben, aber endlich respektierte er doch, überdies noch durch seine Freunde dazu ermuntert, das Gebot des Geistes mehr als das Verbot des Magistrats und wurde ein bis an sein Lebensende hin tätiger Schriftsteller. Er ließ sogar in seinen spätern Jahren sein Handwerk liegen, »in steter Übung mit Schreiben«. (»Theosophische Sendbriefe«, Nr. 34)

Im Jahre 1624 fiel er auf einer Reise in ein hitziges Fieber und wurde krank in sein Haus nach Görlitz zurückgebracht. Er starb noch in demselben Jahre im November. Einige Stunden vor seinem Tode fragte er seinen Sohn Tobias, ob er auch die schöne Musik höre? Als er es verneinte, hieß er ihn die Türe öffnen, um besser den Gesang hören zu können. Dann fragte er nach der Uhr. Auf die Antwort, es habe zwei geschlagen, erwiderte er: Das ist noch nicht meine Zeit, nach drei Stunden ist meine Zeit. Kaum war es 6 Uhr, so verschied er, nachdem er noch mit den Worten: »Nun fahre ich hin ins Paradies«, von den Seinigen Abschied genommen.

J. B.s Leben beschrieb ein schlesischer Edelmann, Abraham von Frankenberg. Derselbe schildert J. B.s Individualität also: »Seine äußere Leibesgestalt war verfallen und von schlechtem Ansehen, kleiner Statur, niedriger Stirne, erhobener Schläfe, etwas gekrümmter Nase, grau und fast himmelbläulich[137] glänzender Augen, sonst wie die Fenster am Tempel Salomonis, kurz dünnen Bartes, klein lautender Stimme, doch holdseliger Rede, züchtig in Gebärden, bescheidentlich in Worten, demütig im Wandel, geduldig im Leiden, sanftmütig von Herzen.« Von seinen Schriften erschienen mehrere Ausgaben: 1675, 1682, 1715, 1730, die neueste (Leipzig, siebenter Bd., 1847) von Schiebler. Ein »Kernhafter Auszug aller... Schriften J. B.s« nebst einer »Clavicula seiner ungewohnten Redensarten« erschien 1718 in Amsterdam. Ausführliche Angabe der Literatur über J. B. und seine Lehre enthält: Hamberger, »Die Lehre des deutschen Philosophen J. B.«, München 1844.

76

Vergl. hierüber Arnolds »Kirchen- und Ketzerhistorie«, T. II, Bd. XVII, c. XIX, § 17 u. 59.

77

J. B. sagt dies selbst von seiner »Aurora«: »Gott hat so viel Gnade gegeben, daß wir in andern Büchern, so gemachet worden, viel klärer haben geschrieben als im ersten.« »Es stehet an etlichen Orten noch fast im magischen Verstande.« (»Erste Apologie wider B. Tilken«, Vorrede, § 44, 59)

78

Vergl. J. B.s »Apologie wider Gr. Richter«, Dritter Teil des Pasquills.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 135-138.
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