§ 60. Übergang zu dem objektiven Erkenntnisprinzip

[203] Der Geist hat nun wohl ein gewisses Wissen von sich und seiner Realität und in dieser Gewißheit ein Erkenntnisprinzip, ein Maß, an dem er erkennt, was gewiß ist, nämlich daß alles wahr ist was er ebenso klar und deutlich einsieht als sich selbst, seine Existenz, d. i., was er in demselben klaren Lichte schaut, in dem er sich selbst sieht, in der Einheit mit sich selbst erkennt, was nicht seine Selbstgewißheit stört, den Geist nicht von sich selbst entfremdet, nicht ein andres, ein Fremdes ist.

Aber dieses Maß oder diese Regel ist nur ein Prinzip der Gewißheit, nicht der Erkenntnis und Wahrheit und daher für sich nicht hinreichend, um dem Geiste die Gewißheit zu geben, daß das, was er klar und deutlich einsieht, auch wirklich wahr ist, die Gewißheit nämlich von der Wahrheit anderer Erkenntnisse, als die unmittelbar eins sind mit der Selbstgewißheit des Geistes, und von der Realität ihrer Objekte. Geist und Körper oder Sinnliches sind dem Wesen nach unterschieden, stehen miteinander im Gegensatze, aber,[203] wie bereits gezeigt, nicht so, wie irgend zwei andere Gegenstände oder Dinge, wovon ein jedes gleichberechtigt ist, gleiche Realität hat, sondern so, daß der Geist, weil er dem Körper entgegengesetzt, von ihm unterschieden ist, das Gewisse, Positive, Reelle, der Körper aber, weil er dem Geiste entgegengesetzt, das Bezweifelbare, Ungewisse (zunächst von dem Standpunkt des Geistes für sich aus), Unreelle ist. Der Geist kann daher als ein Entgegengesetztes, und zwar als ein solches, das im Zweifel an der Realität des andern den Triumph seiner eignen Selbständigkeit und Realität feiert, aus sich (d. i. aus der Gewißheit von sich selbst) nicht von der Realität desselben gewiß werden; er kann es nur in der Gewißheit von der Realität des absolut reellen und positiven, des unendlichen Wesens, das nicht innerhalb des Unterschieds und Gegensatzes steht, vor dem beide als Entgegengesetzte in die gemeinschaftliche Gattung endlicher Substanzen zusammenfallen und vor dessen Dazwischenkunft beide wie zwei kleinere Staaten bei der Invention eines größeren und mächtigeren, wo nicht ihren Unterschied und Gegensatz, doch ihren Kampf auf Tod und Leben beilegen.

C. drückt wieder nicht nur höchst unphilosophisch in populären, theologischen Vorstellungen diese Idee von der Vermittelung der Selbstgewißheit mit der objektiven Gewißheit durch die Überzeugung von der Realität der Idee Gottes aus, sondern er geht auch auf eine bequeme und unphilosophische Weise von dem Selbstbewußtsein zum Bewußtsein von Gott und dessen Existenz über. Denn statt zu entwickeln und zu zeigen, wie denn das Denken, das nur Selbstgewißheit ist, nur die Beziehung des Geistes auf sich ausdrückt, zum gegenständlichen Denken wird, zu Unterschieden in sich, zur Idee Gottes und überhaupt zu Ideen, zu diesen verschiedenen Weisen des Denkens (»modos cogitationis«, Medit. III) kommt, inwiefern sie nämlich nicht nur in der Identität mit dem Denken, sondern zugleich Unterschiede in ihm sind, stellt er sich auf den Standpunkt des Vorfindens und Wahrnehmens und Endet denn auch die Idee Gottes unter der Klasse der eingebornen Ideen vor; denn er teilt (Medit. III) die Ideen ein in gemachte (factas), in aus den Sinnen entsprungene oder gekommene (adventitias) und in eingeborne, ursprüngliche (innatas). Insofern ist allerdings[204] C. hierin zu entschuldigen, ja gerechtfertigt, als er nichts weiter überhaupt wollte und suchte als ein zuverlässiges Prinzip der Gewißheit und es daher ihm außer dem Wege lag, eine solche Schwierigkeit wie die Genesis der Ideen aus dem selbstgewissen Denken zu lösen. Unverzeihlich ist aber diese Inkonsequenz und Nachlässigkeit von ihm, daß er in diesem Teile seiner Philosophie auf den Geist, dessen Sein unmittelbar eins ist mit seinem Denken, die Vorstellung der Erschaffung anwendet, von bei der Erschaffung ihm eingedrückten und eingepflanzten, von angebornen Ideen spricht und dem Zweifel, der anfangs eins mit der Selbstgewißheit des Geistes, der Ausdruck selbst seiner Wesenhaftigkeit und Selbständigkeit ist, die triviale Bedeutung eines Beweises, daß er ein abhängiges und unvollständiges Wesen sei (Medit. IV), unterlegt, kurz, den Geist oder das Selbst als Geist mit dem empirischen, einzelnen, sinnlichen Individuum oder Subjekte identifiziert. Die Art und Weise nun, wie C. von der Idee Gottes zur Gewißheit von der Existenz desselben übergeht, ist folgende.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 203-205.
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