Dem Leser unter der Rose!

[115] Die drey ersten Abhandlungen in gegenwärtiger Sammlung haben sich schon die unverdiente Schande erschlichen, daß sie in den wöchentlichen Königsbergischen Frag- und Anzeigungs-Nachrichten des 1760sten Jahrganges eingerückt, prangern – – Das zweyte Buch der Makkabäer führt einen Aristobulum, des Königs Ptolomäi Philometors Schulmeister an, der vom priesterlichen Stamme war – Mehr weiß ich von diesem apokryphischen Patrone nichts; weil ich kein Theolog bin, wie die meisten Kinder unsers schriftstellerischen, gleissnerischen, unzüchtigen Geschlechts: sondern (mit Gunst zu melden!) ein Kühhirte, der wilde Feigen1 ablieset – –

Eins oder zwey ausgenommen, haben alle übrigen Stücke gleichfalls schon die Probe des Drucks und das Fegfeuer – ausgehalten. Was die Bekanntmachung des Projects besonders betrift, so gehört selbige zu den kleinen Versuchen unsers deutschen Thespis2 – – –

Diesem trübsinnigen Verfasser eines Nach- oder vielmehr Vorspiels soll eine fremde unbekannte Hand (vermuthlich statt einer Kritick darüber) die durch zwo Uebersetzungen sattsam gepriesene Welfencur, den Polypum des guten Verstandes einzupfropfen, überschickt – und ihr französisches Geschenk mit folgendem Billet doux begleitet haben:


»Vt vos admoniti – – Virgil.«


»Nimm hin, du sterbliches Gerippe Apollens! nimm hin dieses Buch, und wage dich nie wieder yber den Rubicon der Narrheit.«


– So viel ist genug, zum Leitzeug unsers Extraktes, um wenigstens das Motto aus dem Lucan verständlich zu machen. – –

»Es ist wohl wahr«, sagt der Herr von Alembert in seinen stattlichen Betrachtungen über die Person und die Werke des Abts Terrasson, »es ist wohl wahr, unsere Erde ist von dem Planeten Saturn hinunter nur ein Punct; allein es setzt sich nicht ein jeder dahin, wer da will« – Mit diesem höchsten3 Planeten Saturn und seinem Ringe[115] verglich Marsilius Ficinus4 zu seiner Zeit das Genie des Sokrates – – Um auch unserer neuern sokratischen Muse die Nativität zu stellen, so könnte man dichten, daß selbige in den Sternbildern des Scorpions oder Widders zur Miethe gewohnt, und daselbst vielleicht von den Einflüssen des glühenden Mars beschwängert worden, wie ehmals die vestalische Mutter des kanonisirten Brudermörders, Quirini! – – Endlich hab ich noch vermittelst geomantischer Spiegel, (mit syllogistischen Mittelbegriffen von gleichem Stoffe!) gefunden, daß dieses Bändchen, (welches ich die Ehre habe Dir, geneigter Leser! in die Tasche zu spielen) nicht Beängstigungen, sondern Kreuzzüge des Philologen heißen sollte; denn, wie Eugen,


– – schlägt er die heuchelnden Trommeln

Hier und dort bricht er ein – – – Siechbett


»Die hellenistischen Briefe«, (werden sie sagen, die nichts verstehen, weil sie sich bey sich selbst messen und allein von sich selbst halten) »sind schwer und stark, aber die Gegenwärtigkeit der Person ist schwach und die Rede verächtlich.« – Handlung5, sagte Demosthenes, ist die Seele der Beredsamkeit, und auch der Schreibart. Ein Autor, der Handlung liebt, muß daher keinem Kunstrichter noch Zeitungsschreiber ins Wort fallen, und die Spielleute nicht irren, wenn er in seinen Handlungen ungestört bleiben will; doch einem Schriftsteller, der ins Gras beissen muß, ist der Mund gestopft genug – –


ille mihi ante alios fortunatusque laborum

egregiusque animi, qui, nequid tale videret,

procubuit moriens et humum semel ore momordit.


Virgil. Aeneid. XI. 416 ect.


Das Commissbrodt, was die Bürger zu Gibeon mit sich nahmen, war hart und schimmlicht6 – – Also ist Kabbala; und damit holla!


ישפנ עוננל הנאם

7:יחםל יורכ הםה
[116]

Blitz, Donner und Hagel, und wie die verzweifelte Worte weiter lauten, womit sich Balacin vernehmen ließ, als er von einem Hügel bey Anbruch des Tages die grosse und prächtige Stadt Pegu übersehen konnte; – noch der epische Roman, den ein ehrwürdiger Pfaff intonirt8 – kommen in einige Vergleichung mit dem lächerlichen Unfuge, der uns droht, daß jeglicher Sergeant ehstens seine Canapee- und Campangengedichte, und jeglicher Träumer im bunten Rock9 ehstens seine Exercitiums zum allgemeinen Besten gemeinnützig machen wird – – –

Den Nachtrab schließt ein kindliches Denkmal – Dem Verfasser desselben werden zärtlich gestimmte Gemüther mit mir wünschen, daß er getröstet werden möge, – wie jener Erzvater (der seinen Namen zwar vom Lachen empfing, dessen herrschende Leidenschaft aber Furcht scheint gewesen zu seyn) über seiner Mutter getröstet wurde10. – – Doch falls der Holzschnitt des Titelblatts den Philologen in effigie oder seine schöne Natur etwa vorstellen soll; – dann muß er sich bey den Antipoden seine Maintenon aussuchen, die mit gleicher Innbrunst eine komische Misgeburt und den allerchristlichsten Eulenspiegel zu lieben im stande ist – – – –

Man überwindet leicht das doppelte Herzeleid, von seinen Zeitverwandten nicht verstanden, und dafür gemishandelt zu werden, durch den Geschmack an den Kräften einer besseren Nachwelt. – Glücklich ist der Autor, welcher sagen darf: Wenn ich schwach bin, so bin ich stark! – aber noch seeliger ist der Mensch, dessen Ziel und Laufbahn sich in die Wolke jener Zeugen verliert, – der die Welt nicht werth war.

Lesern, die an solcher Denkungsart einigen Theil nehmen; – wie auch allen denjenigen, die an der Zueignungsschrift oder Vorrede schon genug gelesen haben, empfielt sich bestens

der Herausgeber.

1

Die Frucht des syrischen Baums, Ficus fatua genannt, ist unter den Namen von Pharaonsfeigen, des ägyptischen (Sycomeri) von Adamsfeigen bekannt. Wem mit Gründlichkeit und Gelehrsamkeit gedient ist, der muß die Ausleger und Zeichendeuter, vornemlich die botanischen, über Amos VII, 14. zu Rathe ziehen.

2

Siehe die hamburgische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, im sieben und funfzigsten Blatte des 1761sten Jahres. (Tribus Anticyris caput insanabile!)

3

Altissimo orbe. Tac. Hist. V. 4.

4

Marsilii Ficini Argumentum Apologiae in Platonis operibus: Si quaeras: qualis Socratis Daemon fuerit? respondebitur – – Saturnius, quoniam intentionem mentis quotidie mirum in modum abstrahebat à corpore – Non prouocabat vnquam, quia non Martius; sed saepe ab actionibus reuocabat, quia Saturnius.

5

Υποκρισις.

6

Jos. IX.

7

Hiob VI, 7.

8

Siehe lyrische, elegische und epische Poesien etc. Halle 1759. Diesem dicken Bande ist es wie einem Ölbaum ergangen, den man so kahl klopft, daß kaum zwey, drey Beeren auf dem Wipfel, oder vier, fünf Beeren an den Ästen, die sehr voll hiengen, übrig bleiben. Weil summum ius summa iniuria ist; sollte ein anakreontischer Bidermann billig an das Sprüchwort denken, wenn man nämlich Most in einer Traube findt und spricht: Verderbe es nicht! denn es ist ein Seegen darinnen! Jes. LXV, 8. XVII, 6.

9

םיםפ תנתכ I. Buch Mos. XXXVII, 3. 19.

10

I. Buch Mos. XXIV, 67. XXI, 6. XXXI, 42.

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 117.
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