4. Die psychische Innerlichkeit des Reflexvorganges

[377] Der Begriff des Reflexes kann im engeren und im weiteren Sinne genommen werden; ersteren Falls bedeutet er das unmittelbare Ueberspringen eines Empfindungsreizes auf den im nämlichen Centrum mündenden Bewegungsnerven, letzteren Falls bedeutet er jede Reaction eines Centrums auf einen von irgend woher zugeführten Reiz. Wir sahen schon oben, dass auch der anscheinend einfache Reflex eines Rückenmarkscentrums eine complicirte Erscheinung ist, welche sich aus Einzelactionen von mehreren Ganglienzellen der Hinter- und Vorderhörner zusammensetzt, deren jede nur noch unter den Begriff des Reflexes im weiteren Sinne zu subsumiren ist. Ebenso geht aber auch der anscheinend unmittelbare Reflex stufenweis in immer verwickeltere Formen über, wie ich bereits oben im Abschn. A Cap. V gezeigt habe, so dass die gesammten Geistesfunctionen des Menschen unter den Begriff des Reflexes im weiteren Sinne fallen. Denn letzterer besagt weiter nichts, als dass keine Ganglienzelle fungirt ohne einen Reiz; er sagt aber nichts aus über die Art des Reizes oder über die Art der Function. Wie der auf[377] einen sensiblen Nerven wirkende Reiz von einer mechanischen, chemischen, thermischen oder elektrischen Quelle herrühren kann, so kann der eine Ganglienzelle zur Function sollicitirende Reiz von einer sensiblen Nervenfaser, von einer benachbarten Ganglienzelle, von einer Leitungsfaser nach einem neben-, über- oder untergeordneten Centrum, oder vielleicht gar von einer motorischen Nervenfaser20 herrühren, und die Reaction braucht keineswegs sofort eine Innervation eines motorischen Nerven zu sein, sondern kann in einem Weitergeben des activ modificirten Reizes an Nachbarzellen oder an Leitungsfasern, die zu neben-, über- oder untergeordneten Centren führen, bestehen. Es wäre dann z.B. jede Function einer Gehirnzelle, welche subjectiv als abstracte Vorstellung erscheint, ein Reflex auf einen von einer andern Zelle oder von einem Sinnesnerven empfangenen Reiz, was sich subjectiv als Erregung der Vorstellung durch Ideenassociation oder durch Sinneswahrnehmungen darstellen würde.

Bleibt man andrerseits dabei stehen, unter »Reflex« die ganze Gruppe von Einzelreactionen zusammenzufassen, welche zwischen der Reizung sensibler Nerven als Anfangsglied und der Function motorischer Nerven als Endglied in der Mitte liegen, so entgeht man auch hierdurch nicht der Thatsache, dass die höchsten Geistesfunctionen unter den Begriff des Reflexes fallen. Denn wenn der Reiz überhaupt über der Reflex-Schwelle liegt, d.h. wenn er nicht auf seinem Wege in den Centralorganen durch den Leitungswiderstand absorbirt und ausgelöscht wird, so muss er auch unter allen Umständen schliesslich einmal zu motorischer Reaction führen, wie lange er auch in der Zwischenzeit innerhalb der Centralorgane von einer Ganglienzelle zur andern herumwandern mag, oder psychologisch ausgedrückt, wie viel Reflexionen und Begehrungsconflicte sich auch zwischen Wahrnehmung und Willensentschluss einschalten mögen. Es handelt sich also auch bei dieser Auffassung nur um einen graduellen Unterschied in der Zahl der Bindeglieder zwischen Empfindungsreiz und Bewegungsreaction, und diese Zahl steigt stufenweise von den einfachsten Reflexzuckungen bis zu den[378] complicirtesten Maassregeln zur Beherrschung und Leitung der Aussenwelt.

»Denn mässige Reizung einer beschränkten Hautstelle zieht bei einem gewissen mittleren Grad der Erregbarkeit eine Reflexzuckung nur in derjenigen Muskelgruppe nach sich, welche von motorischen Wurzeln versorgt wird, die in der gleichen Höhe und auf derselben Seite wie die gereizten sensiblen Fasern entspringen. Steigert sich der Reiz oder die Reizbarkeit, so geht zunächst die Erregung auch auf die in gleicher Höhe abgehenden motorischen Wurzelfasern der andern Körperhälfte über; endlich bei noch weiterer Steigerung verbreitet sie sich mit wachsender Intensität zuerst nach oben und dann nach unten« (ersteres auf den sensiblen, letzteres auf den motorischen Leitungsbahnen des Rückenmarks), »so dass schliesslich die Muskulatur aller Körpertheile, die aus dem Rückenmark und verlängerten Mark ihre Nerven beziehen, in Mitleidenschaft gezogen wird. Jede sensible Faser steht demnach durch eine Zweigleitung erster Ordnung mit den gleichseitig und in gleicher Höhe entspringenden motorischen Fasern durch eine solche zweiter Ordnung mit den auf der entgegengesetzten Seite in gleicher Höhe austretenden, durch Zweigleitungen dritter Ordnung mit den höher oben abgehenden Fasern, und endlich durch solche vierter Ordnung auch mit den weiter unten entspringenden in Verbindung« (Wundt 116-117). Indem mit steigender Reizstärke grössere Widerstände überwunden (oder bei steigender Reizbarkeit alle Widerstände herabgesetzt) werden, müssen die Zweigleitungen der höheren Ordnungen Schritt vor Schritt mit ergriffen werden, und in demselben Verhältniss wächst auch die Zahl der bei der gesammten motorischen Reaction betheiligten centralen Zwischenglieder. Dieses Wachsen vollzieht sich nun in noch weit schnellerer Progression wenn man vom Rückenmark zu der Mitwirkung der höheren Centra hinaufsteigt; die Reflexe nehmen dann an Complication in rascher Progression zu, ohne deshalb ihren reflectorischen Charakter einzubüssen.

Wie man also auch die Sache betrachten mag, es ist nicht dagegen anzukämpfen, dass alle Functionen des centralen Nervensystems, und damit alle unsre Lebensäusserungen und Geistesthätigkeit, unter den Begriff des Reflexes fallen. Wir müssen uns diesen Gedanken nur völlig zu eigen machen, dann verliert er alles Paradoxe. Er besagt am Ende doch nichts weiter, als der Satz vom zureichendem Grunde in der Metaphysik; übersetzt man letzteren in[379] die Sprache der Nervenphysiologie, so lautet er: »keine Ganglienzelle functionirt ohne einen zureichenden Grund, welcher Reiz genannt wird«, und in die Sprache der Psychologie übertragen lautet er: »kein Wollen ohne Motiv«. Beides sind altbekannte, als selbstverständlich geltende Wahrheiten, die aber vielleicht eine fruchtbare Perspective eröffnen, wenn wir sie mit Hilfe des Begriffes »Reflex« unter dem Gesichtspunkt der physiologischen Psychologie in Verbindung setzen. Wir haben nämlich die Aufgabe vor uns, die innere Erfahrung durch die äussere, und umgekehrt, verständlicher zu machen.

Der Physiolog lässt seinen geköpften und vergifteten Frosch zucken und gewinnt dabei die zweifellose Anschauung, dass die beobachtete verhältnissmässig einfache Reflexaction auf einem Mechanismus beruht; der Psycholog erkennt den Motivationsact als Reflex, und gewinnt die ebenso zweifellose Ueberzeugung, dass der Reflex ein psychischer Vorgang ist, in welchem auf eine Empfindung aus der innersten Natur des Charakters heraus ein gesetzmässiges Wollen folgt; der physiologische Psycholog, sobald er erkennt, dass das Wesen des Reflexes in beiden Vorgängen gleichartig sein muss, hat zu der Schlussfolgerung fortzugehen: »also ist die Reflexzuckung ein durch Empfindung in dem betreffenden Centrum ausgelöstes Wollen, und die Genesis des Wollens ist ein gesetzmässiger Mechanismus.« Zur letzten Hälfte dieses Schlusses lassen sich die materialistischen Physiologen nicht lange nöthigen, aber desto mehr zur ersten, obwohl sie doch einsehen müssten, dass sie logischer Weise nur entweder beide oder keinen von beiden machen dürfen. Uebrigens hat die Psychologie schon lange bevor man an eine »physiologische Psychologie« gedacht hat, von einer Statik und Dynamik der Begehrungen und Vorstellungen gesprochen, und durch die Anerkennung der Mechanik des Reflexes wird am Ende nichts ausgeschlossen, als der längst als unhaltbar erkannte Indeterminismus des Willens. Räumt man einmal ein, dass die subjectiv-psychischen Acte objectiv materiellen Functionen correspondiren, so muss selbstverständlich der subjectiven Mechanik der Begehrungen und Vorstellungen auch eine objective Mechanik der Molecularbewegungen im Nervensystem entsprechen und umgekehrt. Um so wunderlicher muss es aber erscheinen, wenn die Physiologen, welche dies von Neuem constatiren, die psychologische Kehrseite ihrer anscheinend materialistischen Medaille nicht sehen wollen, dass nämlich jeder, auch der einfachste Reflexact, ein Wollen ist, das von[380] einer Empfindung motivirt wird. Die Empfindung ist nur, indem sie bewusst wird (aber freilich nur für die betreffende Ganglienzelle oder das fragliche Centrum bewusst wird); das Wollen steht an und für sich jenseits alles Bewusstseins, und ob es im besonderen Falle formell als intensives Innervationsgefühl oder inhaltlich als qualitative Bewegungsanschauung in's Bewusstsein hineinscheint, ist von den Umständen abhängig, und für einfachere Reflexe in untergeordneten Centren jedenfalls höchst unwahrscheinlich.

Wundt hat sich diese Einsicht sowohl durch sein oben erwähntes Vorurtheil in Betreff des Bewusstseins, wie auch durch seine schiefe Auffassung des Willens versperrt. Richtig ist seine Bemerkung: »Will man also bestimmen, wo der Mechanismus aufhört und wo der Wille anfängt, so ist die Frage überhaupt falsch gestellt. Denn man setzt hier Begriffe einander gegenüber, die gar keine Gegensätze sind« (822). Aber er zieht hieraus nicht den unabweislichen Schluss, dass man alsdann entweder Empfindung und Willen der inneren Erfahrung zum Hohn selbst in den höchsten Geistesfunctionen leugnen, oder dass man sie auch in den niedersten Reflexvorgängen anerkennen muss, weil beide Seiten sich wie Inneres und Aeusseres zu einander verhalten. Wären diese Begriffe im letzteren Falle »eine blosse Fiction« (ebd.), so müssten sie es auch im ersteren sein; wäre jene innere, psychische Seite des Vorgangs und die ihn tragende metaphysische Substanz einer »unbewussten Seele« nach dem Zugeständniss des äusseren Mechanismus im einfachen Reflex »eine überflüssige und nichtssagende Zuthat« (ebd.), so wäre sie es auch bei den Leistungen des Genies und Heroen.

Maudsley steht der Wahrheit ganz nahe, und sie scheint ihm als Engländer nur zu paradox, um sie mit fester Hand zu ergreifen. Er sagt: »Wo immer ein zuführender Nerv zu einer Ganglienzelle oder einer Gruppe von Ganglienzellen in den grauen Rindenschichten der Grosshirnhemisphären tritt, und aus dieser Zelle oder Zellengruppe wieder ein abführender Nerv austritt, befindet sich das mögliche oder wirkliche Centrum für einen einzelnen Willensact... Ebenso könnte man auch die coordinirte Thätigkeit des Rückenmarks oder der Medulla oblongata als deren Willen bezeichnen« (S. 163). Man »könnte« dies nicht bloss, sondern man »muss« es unweigerlich, wenn man physiologischer Psycholog im rechten Sinne des Worts sein und sich durch solche Zaghaftigkeit des Schliessens nicht auch das Recht zu Schlüssen in umgekehrter[381] Richtung, nämlich von der physiologischen auf die psychologische Seite der Erscheinungen, von der materiellen auf die psychische Mechanik, zerstören will. Maudsley hätte um so weniger Grund, sich der Anerkennung eines Willens in den niederen Centren zu entziehen, als er sogar die Notwendigkeit der Perception des Reizes in denselben einräumt (S. 102), welche doch schon die Entstehung eines Bewusstseins verlangt, was der Wille nicht thut. Andrerseits wird der ungewohnte Sehritt ihm dadurch erschwert, dass erstens die englische Sprache nicht wie die deutsche zwei verschiedene Bezeichnungen für Wille und Willkür hat, und dass er zweitens als echter englischer Empirist eine fast abergläubische Furcht hegt, mit dem abstracten Begriff des Willens in eine ideale Entität, d.h. in's metaphysische Gebiet zu gerathen. (152).21

Auch bei dieser Frage gilt es, sich für das Verständniss der complicirten Vorgänge im menschlichen Nervensystem eine sichere Grundlage der Beurtheilung an den einfachen Verhältnissen in niederen Thieren zu gewinnen. Hierüber äussert Maudsley selbst sich folgendermaassen: »Der einfachste Modus von Nerventhätigkeit, dem vergleichbar, wie er bei den niedersten Thieren, die ein Nervensystem besitzen, auftritt, wird beim Menschen durch die zerstreuten Ganglien des Sympathicus vollzogen, die gewissen organischen Processen vorstehen. Die Herzbewegung z.B. ist an die durch die Substanz der Herzwände zerstreuten gangliösen Organe gebunden. Meissner hat jüngst gezeigt, dass die Bewegungen des Darms von eigenen in der Darmwand zerstreuten Ganglienzellen abhängen, und Lister hält es für wahrscheinlich, dass auch in den andern Geweben Zellen zerstreut sind, die den Contractionen der Arterien vorstehen und auch die merkwürdige Diffusion von Pigmentkörnern aus den sternförmigen Pigmentzellen der Froschhaut veranlassen. Die verschiedenen Gewebselemente werden durch die Nervenzellen coordinirt, und diese Coordinationscentren stehen dann wiederum unter[382] der Controle der Cerebrospiralcentren. Im Rückenmark sind all' diese gangliösen Apparate mit einander verbunden und so vereinigt, dass sie zu unabhängigen Centren für combinirte Bewegungen werden, die durch äussere Reize ausgelöst werden. Diese Entwickelung entspricht dem Gesammtnervensystem derjenigen Thiere, bei denen wir noch keine Sinnesorgane vorfinden« (S. 52-53).

Nur diejenigen, welche »ihre subjectiven Missdeutungen der complicirten Erscheinungen beim Menschen auf die niederen Thiere anwenden« (M. S. 65), werden bestreiten wollen, dass diese niederen Thiere Empfindung und Willen haben; denn der gewöhnliche Einwand, dass bei diesen Organismen alle Lebensäusserungen nur Reflexe sind, verfängt nicht mehr, seit wir dasselbe von den höchsten menschlichen Geistesfunctionen erkannt haben. Im Gegentheil sind grade die niedersten Thiere geeignet, uns gleichsam ad oculos zu demonstriren, dass jeder Reflex auch der einfachsten Ganglienzelle ebensowohl eine subjective, psychische, wie eine objective, physische Seite hat, und dass die erstere wieder in einen bewussten und einen unbewusst-psychischen Theil zerfällt. Der Reiz oder das Motiv muss als Empfindung in der Ganglienzelle bewusst werden, wenn er oberhalb der Schwelle liegt; die Willensreaction oder das Resultat des von innen gesehenen Reflexvorganges wird erst auf höheren Stufen der Intelligenz durch vergleichende Reflexion bewusst; die Ueberleitung vom Reiz zur Reaction, vom Motiv zum Willen, der eigentliche springende Punkt im Reflex, bleibt ewig dem Lichte des Bewusstseins verhüllt. Und doch liegt in ihm grade das räthselhafte Problem; denn warum wirkt diese Empfindung als Motiv zu solchem Wollen?

Die materialistische Auffassung macht sich die Antwort sehr leicht, indem sie den Grund einfach in der objectiven physischen Mechanik der Bewegungen sucht. Das heisst aber die Doppelseitigkeit eines psychischen und physischen Charakters nur dem Anfangs- und Endglied des Processes zugestehen, und ihn der Mitte, dem überspringenden Funken von einem zum andern versagen; das heisst mit andern Worten das psychische Moment im Reflex zur todten Passivität einer blossen Wiederspiegelung gewisser Glieder des alsdann allein wirklichen äusserlichen Processes degradiren, oder das Psychische aus seiner coordinirten und superioren Stellung zum Physischen zu einem gleichsam zufälligen Appendix des äusserlichen Geschehens herabdrücken, das in gewissen Momenten desselben in unerklärlicher Weise auftaucht.[383]

Einer solchen äusserlichen Auffassung gegenüber ist daran zu erinnern, dass das objective materielle Geschehen doch ebenso wie die inneren Vorgänge des Bewusstseins nur zwei parallele und polar entgegengesetzte Erscheinungsformen eines in beiden sich offenbarenden Wesens sind, das immer noch durchsichtiger für den Anblick von der subjectiven als für den von der objectiven Seite her daliegt, weil ersterer Anblick wenigstens ein unmittelbarer, letzterer aber ein erst durch die subjective Erscheinung der objectiven Erscheinung vermittelter ist. Ob es einen objectiv-realen physischen Process abgesehen von einem ihn auffassenden Bewusstsein gibt, ist mindestens eine Streitfrage, welche sogar vom erkenntnisstheoretischen Idealismus verneint wird; wenn aber auch der sie bejahende Realismus im Rechte ist, so ist er es doch nur auf Grund der für Idealisten wie Realisten gleich unbestreitbaren inneren subjectiv-phänomena len Erfahrung. Letzterer kommt mithin ein für allemal die höhere Gewissheit zu; nur auf sie kann der realistische Glaube an eine äussere materielle Wirklichkeit sich stützen, und jede Schlussfolgerung des letzteren, welche zu einer Verneinung der Gewissheit der unmittelbaren inneren Erfahrung führt, entzieht sich selbst den Boden, auf dem sie steht. Darum muss die psychologische Erfahrung für immer der unverrückbar feste Maassstab bleiben, an dem die vermeintliche äussere Erfahrung und die Schlussfolgerungen aus derselben sich zu bewähren haben.

Das der Erscheinung zu Grunde liegende Wesen beginnt für das innere psychologische Geschehen genau da, wo das Bewusstsein aufhört, und die unbewusst-psychische Grundlage des Bewusstwerdens der Empfindung ist selbst das Nämliche, was gegen andere seines gleichen gerichtet die objective Erscheinung constituirt. Diese unbewusst-psychische Grundlage des Reflexvorganges in der Ganglienzelle ist aber am schärfsten zu definiren als ein Wille, der solchem Gesetz unterworfen ist, dass solches Motiv ihn zu solchem Wollen bestimmt. (Es bleibt hierbei zunächst ganz dahingestellt, ob dieser Wille ein Combinationsresultat bloss aus den Molecularwillen der Zelle ist, oder ob in ihn ausserdem noch andere Willensmomente eingehen.) Keinenfalls ist es gerechtfertigt, diese unbewusst-psychische Grundlage zu ignoriren, und die subjective Innerlichkeit als zufälligen Appendix gewissen Momenten des äusserlichen physischen Processes aufzuheften, der selbst nur objective Erscheinung ist. Das Wollen ist ein psychischer Act nicht bloss in seinem bewussten oder unbewussten Dasein (als Resultat materieller[384] Mechanik, wie der Materialismus meint), sondern auch in der ganzen Geschichte seines Entstehens aus dem psychischen Motiv und dem Gesetz seiner psychischen Reaction.

20

für den Fall nämlich, dass die directen Empfindungen der Muskelbewegungen (welche nicht durch Tastempfindungen der benachbarten Gewebe vermittelt sind) von den motorischen Nerven selbst zu den Centralorganen geleitet werden sollten, was jedenfalls eine nicht unbedenkliche Hypothese ist.

21

Ich möchte nur wissen, was ein solcher Empirist sich eigentlich unter »Erklärung« und »Erklärungsprincipien« denkt, und ob er sich einbildet, ohne das Hinaufsteigen zu »allgemeinen Principien« irgend welche, und sei es auch nur die Erklärung der einfachsten physikalischen Erscheinung geben zu können. Concrete Realität hat natürlich nur die Anziehung des Atoms A und des Atoms B; wenn aber Newton die gleiche Gespensterfurcht vor dem »abstracten Begriff« der Anziehung gehabt hatte, wie Maudsley vor dem des Willens, so hätte er niemals die Gravitation als allgemeines Princip der Materie aufstellen können.

Quelle:
Eduard Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Band 1, Leipzig 10[o.J.], S. 377-385.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Philosophie des Unbewußten
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (8); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Eduard Von Hartmann's Ausgewahlte Werke (7); Philosophie Des Unbewussten. 10. Erweiterte Aufl
Philosophie des Unbewussten: 2
Philosophie des Unbewussten: 3

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon