Erster Abschnitt.

Arabische Philosophie

[514] Indem jetzt im Abendlande die germanischen Völker sich in den Besitz dessen gesetzt hatten, was bis dahin Römisches Reich war, und ihre Eroberungen Festigkeit und Gestalt erhielten, brach dagegen im Morgenlande eine andere Religion hervor, die Mohammedanische. Das Morgenland reinigte sich von allem Besonderen und Bestimmten, während das Abendland in die Tiefe und Gegenwärtigkeit des Geistes niederstieg. Im Mohammedanismus nämlich, der schnell seine Vollendung sowohl nach äußerlicher Macht und Herrschaft als nach der Blüte des Geistes erlangte, blühte neben den verschiedensten Künsten auch die Philosophie gar sehr, ungeachtet sie hier nichts Eigentümliches ist. Die Philosophie wird bei den Arabern gehegt und aufgenommen. So schnell sie mit ihrem Fanatismus sich über östliche und westliche Welt verbreiteten, so schnell haben sie auch die Stufen der Bildung durchlaufen und sind in kurzem in der Bildung viel weiter gewesen als das Abendland.

Die Philosophie der Araber ist daher in der Geschichte der Philosophie zu erwähnen. Sie haben sich, wie gesagt, bald um Künste, Wissenschaften und Philosophie bekümmert. Was wir zu sagen haben, betrifft mehr äußerliche Erhaltung und Fortpflanzung der Philosophie. Die Araber wurden nämlich insbesondere durch die Syrer (Vorderasien), die unter ihre Botmäßigkeit kamen, mit der griechischen Philosophie bekannt. Die Syrer waren nämlich griechisch gebildet und bildeten ein griechisches Reich. In Syrien, zu Antiochien, besonders in Berytus und Edessa, waren große gelehrte Anstalten. Die Syrer machten den Verknüpfungspunkt aus zwischen der griechischen Philosophie und den Arabern. Die syrische Sprache war selbst in Bagdad Volkssprache.[514] Moses Maimonides, ein gelehrter Jude, spricht näher in seinem Doctor perplexorum historisch folgendergestalt von diesem Übergang der Philosophie zu den Arabern:

»Alles, was die Ismaeliten39 von der Einheit Gottes und anderen philosophischen Dingen geschrieben haben« – er nennt besonders eine Sekte unter den Ismaeliten, Muatzali ([...], Separati): »Von diesen fing es unter den Ismaeliten an«, sie nahmen zuerst Interesse an der abstrakt gedachten Erkenntnis solcher Gegenstände; »später entstand die Sekte Assaria ([...]) –, ist auf die Gründe und Sätze gebaut, die aus den Büchern der Griechen und Aramäer (Syrer) genommen sind, welche sich bemühten, die Lehren der Philosophen zu widerlegen und zu vernichten. Die Ursache hiervon ist nämlich diese. Als das Volk der Christen auch jene Völker (die Griechen und Syrer) in sich faßte und die Christen viele Dogmen verteidigten (die den philosophischen Sätzen entgegen waren), unter diesen Völkern aber die Lehren der Philosophen sehr gemein und ausgebreitet waren (denn von ihnen hat die Philosophie ihren Ursprung) und Könige aufstanden, die die christliche Religion annahmen, so haben die christlichen, griechischen und aramäischen Gelehrten, da sie sahen, daß ihre Lehren so deutlich und augenscheinlich von den Philosophen widerlegt seien, eine eigene Weisheit, die Weisheit der Worte (Devarim), ausgedacht, und sie selbst heißen daher die Redenden (Medabberim, [...]). Sie stellten Prinzipien auf, welche dazu dienten, sowohl ihren Glauben zu befestigen, als die entgegengesetzten Lehren der Philosophen zu widerlegen. Als nachher die Ismaeliten folgten und zur Herrschaft gelangten und die Bücher der Philosophen selbst zu ihnen kamen und mit ihnen auch die Antworten, welche die christlichen Griechen und Aramäer gegen die Bücher der Philosophen geschrieben hatten, wie die Schriften des Johannes Grammaticus, Aben Adi und anderer, so haben sie[515] mit beiden Händen zugegriffen und alles aufgenommen.« Die Christen haben sich um Philosophie bemühen müssen, um ihre eigenen Behauptungen zu verteidigen. Dasselbe Bedürfnis ist auch bei den Ismaeliten gewesen; diese haben sich vornehmlich zur Befestigung ihres Glaubens gleichfalls um solche Erkenntnis bemüht, indem es das nächste Bedürfnis war, den Mohammedanismus gegen das Christentum zu verteidigen, zu dem ein großer Teil der unterworfenen Völker gehörte.

Der äußerliche Gang ist der, daß syrische Übersetzungen griechischer Werke vorhanden waren und diese nun von den Arabern weiter ins Arabische übersetzt worden sind; oder es wurde unmittelbar aus dem Griechischen ins Arabische übersetzt. Unter Harun al-Raschid werden mehrere Syrer genannt, die in Bagdad gelebt und vom Kalifen aufgefordert diese Werke ins Arabische übersetzten. Sie waren die ersten Lehrer der Wissenschaften unter den Arabern, besonders Ärzte; sie übersetzten medizinische Werke. Johannes Mesue aus Damaskus lebte unter Al-Raschid († 786 n. Chr.), Al-Mamun († 833) und Al-Motawackel († 847); 862 wurden die Türken mächtig. Er wurde Hospitalaufseher in Bagdad. Al-Raschid stellte ihn an zur Übersetzung aus dem Syrischen ins Arabische; er eröffnete eine öffentliche Schule für Arzneiwissenschaft und alle alten Wissenschaften. Hunain war gleichfalls ein Christ, wie sein Lehrer Johannes, aus dem Stamme der Araber Ebadi; er lernte selbst Griechisch und hat besonders viel ins Arabische übersetzt, auch ins Syrische: Nikolaos, De summa philosophiae Aristotelicae, Ptolemaios, Hippokrates, Galenus. Ein anderer ist Ebn Adda, ein großer Dialektiker, von Abulfa raius angeführt. Von den philosophischen Werken der Griechen waren es dann fast ausschließlich die Aristotelischen Werke, welche von[516] diesen Syrern übersetzt wurden, ingleichen die späteren Kommentatoren derselben; also nicht die Araber selber übersetzten jene Schriften. Wie sie die Griechen hatten, so nahmen sie die Wissenschaften auf.

In der arabischen Philosophie, die freie, glänzende, tiefe Einbildungskraft zeigt, nahm im allgemeinen die Philosophie die Wendung, die sie früher genommen, wie Platon mit seinen Ideen, Allgemeinheiten den Anfang der selbständigen Intellektualwelt machte und das absolute Wesen als ein Wesen, das schlechthin in der Weise des Denkens ist, setzte und Aristoteles das Reich des Gedankens ausbildete, erfüllte und bevölkerte, so, nachdem die neuplatonische Philosophie die intelligible Welt als Idee des in sich selbständigen Wesens, des Geistes, gewonnen hatte, so ging diese erste Idee, wie schon bei Proklos gesehen, in eben die aristotelische Ausbildung und Erfüllung über. Der arabischen sowie der scholastischen Philosophie und allem, was in der christlichen geschehen, liegt als das Wesen die alexandrinische oder neuplatonische Idee zugrunde; auf ihr ist es, daß die Bestimmungen des Begriffs sich bemühen, umhertummeln. Eine besondere Beschreibung der arabischen Philosophie hat teils wenig Interesse, teils hat sie mit der scholastischen Philosophie die Hauptsache gemeinschaftlich. Diese ebensowohl erlaubt die Zeit nicht, und wenn sie es auch erlaubte, die Natur der Sache nicht, in ihren einzelnen Systemen oder Erscheinungen auseinanderzulegen, sondern nur eine Charakterisierung und die Hauptangabe der Momente, die sie im Gedanken wirklich genommen hat. Sie ist nicht durch ihren Inhalt interessant, bei diesem kann man nicht stehenbleiben; es ist keine Philosophie, sondern eigentliche Manier.

39

Dies sind hier wohl Araber überhaupt, nicht die eigentlichen Ismaeliten, unter denen nachher die Assassinen.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 514-517.
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