b. Walter von Montagne

[572] Walter von Montagne († 1174) ging auf Vereinigung des Einzelnen und Allgemeinen: das Allgemeine muß individuell[572] sein, die Universalien müssen mit den Individuen dem Wesen nach vereinigt sein. – Später waren die beiden Parteien als Thomisten, vom Dominikaner Thomas von Aquino, und Scotisten, vom Franziskaner Johann Duns Scotus, berühmt.

Doch erlitt die Bestimmung, ob die allgemeinen Begriffe Realität haben und inwiefern, sehr mannigfaltige Modifikationen, und die Parteien [bekamen] sehr verschiedene Namen. Der krasse Nominalismus erklärte also die allgemeinen Begriffe für bloße Namen und schrieb allein den Individuen Realität zu: das Allgemeine (die Universalien) hat nur in der Sprache Realität. Umgekehrt der Realismus: daß in dem individuellen Dinge keine Realität ist, sondern die Universalien allein Realität haben und das sie Unterscheidende nur ein Akzidenz oder eine reine Differenz ist. Sie kommen nicht recht von dem einen zum anderen. Es waren unter ihnen, welche den richtigen Gedanken faßten, daß die Einschränkung des Allgemeinen, und zwar des Allgemeinsten, des Seins, der Entität, die Individuation eine Negation ist. Andere: daß dies Einschränkende selbst etwas Positives ist aber nicht durch eine Zusammensetzung eins mit ihm sei, sondern in einer metaphysischen Verbindung mit ihm stehe, d.h. eine Verbindung, wie der Gedanke sich mit dem Gedanken verbindet. Wohin auch dies gehört, daß das Individuelle nur ein deutlicherer Ausdruck dessen ist, was schon im allgemeinen Begriffe enthalten ist; so daß die Begriff, ungeachtet ihrer Teilung und an ihnen gesetzten Differenz, doch einfach bleiben. Übrigens ist Sein, Entität schlechthin ein Begriff.

Thomas, Realist, setzte die allgemeine Idee als unbestimmt die Individuation in der bezeichneten Materie (materia signata), der Materie in ihren Dimensionen, d.h. Bestimmungen.[573] Das Urprinzip ist allgemeine Idee, – die Form kann für sich sein, actus purus (Aristoteles); die Identität von Materie und Form, die Formen der Materie als solcher sind entfernter vom Urprinzip, – die denkenden Substanzen bloße Formen. – Scotus ist das Allgemeine vielmehr das individuelle Eins. Eins kann auch in anderen vorkommen, die unbestimmte Materie wird durch einen inneren positiven Zusatz individuell; das Wesen der Dinge sind ihre substantiellen Formen. Er hat viel darüber sich den Kopf zerbrochen. Die Formalisten gestanden den Universalien nur die ideale Realität in dem beschauenden göttlichen und menschlichen Verstande zu. – Nahe damit zusammen hängt der Gedanke, den wir bei den Scholastikern erst finden, nämlich sogenannte Beweise vom Dasein Gottes zu suchen und zu geben (s. S 555 ff.).


c. William Occam

Der Gegensatz zwischen Idealisten und Realisten ist zwar schon früh aufgekommen, aber erst später ausgebildet und aufs Äußerste getrieben, besonders durch den Franziskaner Wilhelm Occam aus dem Dorfe Occam in der Grafschaft Surrey in England, mit dem Beinamen Doctor invincibilis, dessen Blüte in den Anfang des 14. Jahrhunderts fällt. Seit Occam erregte der Streit allgemeines Interesse. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Er ist höchst berühmt durch die Gewandtheit, die logischen Waffen zu handhaben: scharfsinnig in Unterscheidungen, fruchtbar, Gründe und Gegengründe zu erfinden usf. Er hat nun nach Abaelard wieder diese Frage zur Tagesordnung gebracht, war ein Hauptverfechter des Nominalismus, der bisher nur einzelne Freunde[574] (Roscelin, Abaelard) gehabt. Seine Schüler hießen Occamisten, die Franziskaner waren Occamisten und die Dominikaner, nach Thomas von Aquino, Thomisten. Das Verhältnis der Orden und der Politik schlich sich ein. Occam (und sein Orden) hat die Ansprüche der Fürsten, des Königs von Frankreich und des Kaisers von Deutschland Ludwig von Bayern, 1322 auf einem Konvent seines Ordens und sonst, gegen die Anmaßungen des Papstes auf das stärkste verteidigt. Wilhelm sagte unter anderem zum Kaiser: Tu me defendas gladio, ego te defendam calamo. Daher ist der Gegensatz jenes Ordens mit den Dominikanern auch in politischer Rücksicht von hoher Wichtigkeit. Er wurde 1328 in den Bann getan und starb 1343 zu München.

Es fragte sich nämlich (in einer Schrift von Occam), »ob, was unmittelbar und zunächst durch das Allgemeine und Gleichnamige bezeichnet wird, eine wahre Sache außer der Seele, ein, dem es gemeinschaftlich und gleichnamig, Innerliches und Essentiales ist, realiter von ihm unterschieden.« Die Bestimmung der Realisten, welche dies behaupteten, wird so angegeben: »Es ist eine Meinung«, sagt Occam, »daß jegliches Allgemeine, Gleichnamige eine realiter außer der Seele existierende Sache ist im Jeglichen und Einzelnen und daß das Sein (Essenz) eines jeglichen Einzelnen real unterschieden ist von jedem Einzelnen« (von seiner Individualität) »und von jedem Allgemeinen; so daß der allgemeine Mensch eine wahre Sache ist außer der Seele, die realiter in jeglichem Menschen existiert, unterschieden von Jeglichem, vom allgemeinen Lebendigen und von der all gemeinen Substanz und so von allen Gattungen und Arten, sowohl den subalternen als den nicht subalternen.« Das Gleichnamige sei nicht mit dem Selbst, dem letzten Punkt der Subjektivität identisch. Der Mensch ist, ist Lebendiges usw.; Menschheit, Vernunft, Sein, Leben sind Prädikate, Allgemeine. Alle diese werden vorgestellt als für sich im Individuum existierend:[575] die Gattungen sowohl als die Arten, subalternen und nicht; jene sind z.B. Farbe usw., diese Essenz usw. »So viel allgemeine Prädikabilien« (z.B. Qualität), »so viele sind im einzelnen Dinge real verschiedene Sachen, deren jede realiter von der anderen und von jenem Einzelnen unterschieden ist«, und doch bleibt jede univocum; »alle jene Sachen werden in sich keineswegs vervielfacht, sosehr auch die Einzelnen vervielfältigt werden, die in jedem Individuum derselben Art sind.« Das ist die härteste Vorstellung der Selbständigkeit, Absonderung jeder allgemeinen Bestimmung.

Occam widerlegt dies. Gedanken, Vorstellungen, Begriffe, alles ist res. Occam sagt ferner: »Die reale Wissenschaft unterscheidet sich von der rationalen nicht darin, daß jene auf die Dinge gehe, so daß die Dinge selbst die erkannten Sätze oder deren Teile wären, diese nicht so auf die Dinge gehe; sondern darin, daß die Teile oder Termini der erkannten Sätze in der realen Wissenschaft an die Stelle der Dinge, in der rationalen aber an die Stelle anderer Termini treten.«

Nach Scotus »existiert in der außer der Seele seienden Sache dieselbe Natur realiter mit der zu einem bestimmten Individuum einschränkenden Differenz, nur formal unterschieden und an sich weder allgemein noch individuell, sondern unvollständig allgemein in der Sache und vollständig allgemein im Verstande«

Occam stellt andere Meinungen entgegen, entscheidet sich nicht gerade, doch bringt er am meisten für die Meinung vor, »daß das Allgemeine nicht etwas Reales ist, das ein subjektives Sein für sich weder in der Seele noch im Dinge habe. Es ist ein Gebildetes, das aber doch objektive Realität in der Seele hat«; es entspreche demselben aber doch keine Gegenständlichkeit. »Der Verstand, der eine Sache außerhalb der Seele wahrnimmt, bildet sich ähnliche Sache im[576] Geiste nach, so daß, wenn er produktive Kraft hätte, er sie als numerisches Eins heraussetzen würde. – Wem das nicht gefällt, daß diese Vorstellung gemacht genannt werde, so kann man sagen, die Vorstellung sei ein Konzept, das in dem Geiste existiere als Zeichen eines Dinges außerhalb der Seele.« – Das Prinzip der Individuation, das den Scholastikern soviel zu schaffen macht, wurde dabei auf die Seite geschoben. – Dies ist die Hauptfrage bei den Scholastikern, die für sich wichtig genug ist.

Die Bestimmung des Allgemeinen, die von den Scholastikern herkomme, ist höchst wichtig, bezeichnend für die Bildung der neueren Welt. Das Allgemeine ist das Eine, aber nicht abstrakt, sondern vorgestellt, gedacht als alles in sich befassend. Aristoteles stellte den Schluß auf: was dem A zukommt (katêgoreitai) usf., und die Kategorien (ha katêgoreitai tôn ontôn); Plotin, besonders Proklos das unmitteilbare Eine; es wird erkannt aus seinen Ordnungen (taxeôn). »Von dem, was von ihnen abhängt (exêmmenôn, von exaptomai), werden die Götter genannt; deswegen ihre Hypostasen, die ihre Bestimmtheit ausmachen, die unerkennbar sind (agnôstoi), ist es möglich, aus diesem (exêmmenôn) zu erkennen. Denn unaussprechbar ist für sich alles Göttliche und unerkennbar, als dem unaussprechbaren Einen eingewachsen (tô heni tô arrhêtô symphyes). Aus den Teilhabenden aber, aus der Veränderung geschieht es, derselben Eigentümlichkeiten zu erkennen. Daher sind Gedachte (noêtoi), die das wahrhaft Seiende (to ontôs on) herausstrahlen. Deswegen ist das wahrhaft Seiende das gedachte Göttliche (noêton theion) und ist das Unmitteilbare (amethekton), vor dem nous Verwirklichte.«

Die christliche Religion ist die offenbare Gott ist das Dreieinige, also das Offenbare, nicht die Triaden und das Eine unterschieden; sondern eben das Eine ist das Dreifache selbst, d.h. für Anderes seiend, in[577] sich relativ. Das Allgemeine ist das proteron, pro, proagein, bei Platon und Aristoteles das Ganze, holon, pan, das panta hen.

Occam fand viele Anhänger. Der Streit zwischen Nominalisten und Realisten entbrannte auf das heftigste; und man zeigt noch ein Katheder, das von dem Platze des Opponenten durch eine Bretterwand geschieden war, damit sich die Disputierenden nicht in die Haare geraten möchten. – Von nun an wurde die Theologie in zwei Gestalten gelehrt (theologia scholastica secundum utramque partem).


d. Buridan

Buridan, ein Nominalist, neigt auf die Seite der Deterministen, daß der Wille durch die Umstände bestimmt würde. Gegen ihn wird der Esel angeführt, der zwischen zwei gleichen Bündeln Heu umkommen müßte.

Die Eifersucht der Orden, der Franziskaner, welche Occamisten, und der Dominikaner, welche besonders Thomisten waren, kam in den Streit beider Parteien. Verbote der Pariser Universität, päpstliche Bullen wurden gegen Occam erlassen. Die Pariser Universität verbot, die Lehre des Occam vorzutragen und den Occam zu zitieren. Namentlich wurde 1340 verboten: »Kein Lehrer soll sich erkühnen, einen bekannten Satz eines Schriftstellers, über den er liest, schlechthin oder dem Sprachgebrauch nach für falsch zu erklären; sondern ihn entweder zugeben oder den wahren und falschen Sinn unterscheiden, weil sonst die gefährliche Folge zu besorgen, daß die Wahrheiten der Bibel auf gleiche Weise verworfen würden. Kein Lehrer soll behaupten, daß kein Satz zu unterscheiden oder näher zu bestimmen wäre.« Die Parteien wurden politisch durch die innerlichen Kriege Frankreichs. Ludwig XI. ließ 1473 die Bücher der Nominalisten[578] wegnehmen und an Ketten legen; im Jahre 1481 wurden sie wieder losgelassen. In der theologischen und philosophischen Fakultät sollte Aristoteles, seine Ausleger Averroes, Albertus Magnus, Thomas von Aquino, erklärt und studiert werden.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 572-579.
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