Anmerkung 3
Noch andere mit der qualitativen Größenbestimmtheit zusammenhängende Formen

[358] Das Unendlichkleine der Differentialrechnung ist in seinem affirmativen Sinn als die qualitative Größenbestimmtheit, und von dieser [ist] näher aufgezeigt worden, daß sie in diesem Kalkül als Potenzenbestimmtheit nicht nur überhaupt, sondern als die besondere des Verhältnisses einer Potenzenfunktion zu der Entwicklungspotenz vorhanden ist. Die qualitative Bestimmtheit ist aber auch noch in weiterer, sozusagen schwächerer Form vorhanden, und diese, wie auch der damit zusammenhängende Gebrauch des Unendlichkleinen und dessen Sinn in diesem Gebrauche, soll noch in dieser Anmerkung betrachtet werden.

Es ist, indem wir vom Vorhergehenden ausgehen, in dieser Rücksicht zuerst daran zu erinnern, daß die unterschiedenen Potenzenbestimmungen von der analytischen Seite zunächst so hervortreten, daß sie nur formell und ganz homogen darin sind, daß sie Zahlengrößen bedeuten, die als solche jene qualitative Verschiedenheit gegeneinander nicht haben. Aber in der Anwendung auf räumliche Gegenstände zeigt sich das analytische Verhältnis ganz in seiner qualitativen[358] Bestimmtheit als das Übergehen von linearen zu Flä chenbestimmungen, von geradlinigen zu krummlinigen usf. Diese Anwendung bringt es ferner mit sich, daß die räumlichen, ihrer Natur nach in Form von kontinuierlichen Größen gegebenen Gegenstände in diskreter Weise gefaßt werden, die Fläche also als eine Menge von Linien, die Linie als eine Menge von Punkten usf. Diese Auflösung hat das einzige Interesse, die Punkte, in welche die Linie, die Linien, in welche die Fläche usf. aufgelöst ist, selbst zu bestimmen, um von solcher Bestimmung aus analytisch, d.h. eigentlich arithmetisch fortgehen zu können; diese Ausgangspunkte sind für die zu findenden Größenbestimmungen die Elemente, aus welchen die Funktion und Gleichung für das Konkrete, die kontinuierliche Größe, abgeleitet werden soll. Für die Probleme, wo sich vornehmlich das Interesse zeigt, dies Verfahren zu gebrauchen, wird im Elemente für den Ausgang ein für sich selbst Bestimmtes verlangt, gegen den Gang, der indirekt ist, indem er im Gegenteil nur mit Grenzen beginnen kann, zwischen welchen das Fürsichbestimmte liege, auf das als sein Ziel er losgehe. Das Resultat läuft in beiden Methoden dann auf dasselbe hinaus, wenn sich nur das Gesetz des weiteren Fortbestimmens finden läßt, ohne die geforderte vollkommene, d.h. sogenannte endliche Bestimmung erlangen zu können. Kepler wird die Ehre zugeschrieben, zuerst den Gedanken jener Umkehrung des Ganges gehabt und das Diskrete zum Ausgangspunkt gemacht zu haben. Seine Erklärung, wie er den ersten Satz in Archimeds Kreismessung verstehe, drückt dies auf einfache Weise aus. Der erste Satz Archimeds ist bekanntlich, daß der Kreis einem rechtwinkligen Dreieck gleich ist, dessen eine Kathete dem Halbmesser, die andere dem Umfange des Kreises gleich ist. Indem Kepler den Sinn dieses Satzes so nimmt, daß die Peripherie des Kreises ebensoviele Teile als Punkte, d. i. unendlich viele habe, deren jeder als die Grundlinie eines gleichschenkligen Dreiecks betrachtet werden könne usf., so spricht er die Auflösung des Kontinuierlichen[359] in die Form des Diskreten aus. Der Ausdruck des Unendlichen, der hierbei vorkommt, ist noch weit entfernt von der Bestimmung, die er in dem Differentialkalkül haben soll. – Wenn nun für solche Diskrete eine Bestimmtheit, Funktion gefunden ist, so sollen sie ferner zusammengefaßt werden, wesentlich als Elemente des Kontinuierlichen sein. Da aber eine Summe von Punkten keine Linie, eine Summe von Linien keine Fläche gibt, werden die Punkte schon sogleich als lineare genommen, wie die Linien als flächenhafte. Weil jedoch zugleich jene Lineare noch keine Linien sein sollen, was sie sein würden, wenn sie als Quantum genommen würden, so werden sie als unendlich klein vorgestellt. Das Diskrete ist nur eines äußerlichen Zusammenfassens fähig, in welchem die Momente den Sinn von diskretem Eins behalten; der analytische Übergang von denselben geschieht nur zu ihrer Summe, er ist nicht zugleich der geometrische von dem Punkte in die Linie oder von der Linie in die Fläche usf.; dem Elemente, das als Punkt oder als Linie seine Bestimmung hat, wird daher zugleich auch mit jenem die lineare, dieser die Flächenqualität gegeben, damit die Summe als von kleinen Linien eine Linie, als von kleinen Flächen eine Fläche werde.

Das Bedürfnis, dies Moment des qualitativen Übergangs zu erhalten und dafür zu dem Unendlichkleinen die Zuflucht zu nehmen, muß als die Quelle aller der Vorstellungen angesehen werden, welche, indem sie jene Schwierigkeit ausgleichen sollen, an ihnen selbst die größte Schwierigkeit sind. Diese Nothilfe entbehrlich zu machen, müßte gezeigt werden können, daß in dem analytischen Verfahren selbst, welches als ein bloßes Summieren erscheint, in der Tat schon ein Multiplizieren enthalten ist. Aber in dieser Rücksicht tritt eine neue Annahme, welche die Grundlage in dieser Anwendung arithmetischer Verhältnisse auf geometrische Figurationen ausmacht, ein; nämlich daß das arithmetische Multiplizieren auch für die geometrische Bestimmung ein Übergang in eine höhere Dimension, – die arithmetische Multiplikation[360] von Größen, die ihren räumlichen Bestimmungen nach Linien sind, zugleich eine Produktion des Linearen zur Flächenbestimmung sei; 3 mal 4 lineare Fuße gibt 12 lineare Fuße, aber 3 lineare Fuße mal 4 lineare Fuße gibt 12 Flächenfuße, und zwar Quadratfuße, indem die Einheit in beiden als diskreten Größen dieselbe ist. Die Multiplikation von Linien mit Linien bietet sich zunächst als etwas Widersinniges dar, insofern die Multiplikation überhaupt Zahlen betrifft, d. i. eine Veränderung von solchen ist, welche mit dem, in das sie übergehen, mit dem Produkte ganz homogen sind und nur die Größe verändern. Dagegen ist das, was Multiplizieren der Linie als solcher mit Linie hieße – es ist ductus lineae in lineam wie plani in planum genannt worden, es ist auch ductus puncti in lineam –, eine Veränderung nicht bloß der Größe, sondern ihrer als qualitativer Bestimmung der Räumlichkeit, als einer Dimension; das Übergehen der Linie in Fläche ist als Außersichkommen derselben zu fassen, wie das Außersichkommen des Punktes die Linie, der Fläche ein ganzer Raum ist. Es ist dies dasselbe, was so vorgestellt wird, daß die Bewegung des Punktes die Linie usf. sei; aber die Bewegung schließt die Zeitbestimmung ein und erscheint so in jener Vorstellung mehr nur als eine zufällige, äußerliche Veränderung des Zustandes; es ist aber die Begriffsbestimmtheit, die als Außersichkommen ausgedrückt worden, zu nehmen, – die qualitative Veränderung, und welche arithmetisch ein Multiplizieren der Einheit (als des Punktes usf.) in die Anzahl (in die Linie usf.) ist. – Es kann hierzu noch bemerkt werden, daß bei dem Außersichkommen der Fläche, was als ein Multiplizieren von Fläche in Fläche erscheinen würde, sich der Schein eines Unterschiedes des arithmetischen und geometrischen Produzierens so ergibt, daß das Außersichkommen der Fläche als ductus plani in planum arithmetisch eine Multiplikation der zweiten Dimensionsbestimmung mit solcher, hiermit ein Produkt von vier Dimensionen gäbe, das aber durch die geometrische Bestimmung auf drei herabgesetzt wird. Wenn auf der einen[361] Seite die Zahl darum, weil sie das Eins zu ihrem Prinzip hat, die feste Bestimmung für das äußerliche Quantitative gibt, so sehr ist [andererseits] ihr Produzieren formell; 3·3, als Zahlbestimmung genommen, sich selbst produzierend ist 3·3 ×3·3; aber dieselbe Größe als Flächenbestimmung sich produzierend wird bei 3·3·3 zurückgehalten, weil der Raum als ein Hinausgehen vom Punkte, der nur abstrakten Grenze aus vorgestellt seine wahrhafte Grenze als konkrete Bestimmtheit von der Linie aus in der dritten Dimension hat. Der angeführte Unterschied könnte sich in Rücksicht der freien Bewegung, worin die eine, die räumliche Seite unter der geometrischen Bestimmung (im Keplerschen Gesetze s3 : t2), die andere, die zeitliche Seite unter der arithmetischen steht, von Wirksamkeit zeigen.

Wie das Qualitative, das hier betrachtet wird, von dem Gegenstande der vorigen Anmerkung verschieden ist, kann nun ohne weitere Bemerkung von selbst erhellen. In dieser lag das Qualitative in der Potenzenbestimmtheit; hier ist dasselbe wie das Unendlichkleine, nur als Faktor arithmetisch gegen das Produkt oder als Punkt gegen die Linie, Linie gegen Fläche usf. Der qualitative Übergang nun, der von dem Diskreten, als in welches die kontinuierliche Größe aufgelöst vorgestellt wird, zu dem Kontinuierlichen zu machen ist, wird als ein Summieren bewerkstelligt.

Daß aber die angebliche bloße Summation in der Tat eine Multiplikation, also den Übergang von der linearen in die Flächenbestimmung in sich selbst enthält, erscheint am einfachsten in der Art, wie zum Beispiel gezeigt wird, daß der Flächeninhalt eines Trapezes gleich sei dem Produkt der Summe der beiden gegenüberstehenden parallelen Linien in die halbe Höhe. Diese Höhe wird nur als die Anzahl von einer Menge diskreter Größen vorgestellt, welche summiert werden sollen. Diese Größen sind Linien, die parallel zwischen jenen zwei begrenzenden Parallelen liegen; es sind deren unendlich viele, denn sie sollen die Fläche ausmachen, sind aber Linien, welche also, um ein Flächenhaftes zu sein,[362] zugleich mit der Negation gesetzt werden müssen. Um der Schwierigkeit zu entgehen, daß eine Summe von Linien eine Fläche geben sollte, werden Linien sogleich als Flächen, aber gleichfalls als unendlich dünne angenommen, denn ihre Determination haben sie allein in dem Linearen der parallelen Grenzen des Trapezes. Als parallel und durch das andere Paar der geradlinigen Seiten des Trapezes begrenzt, können sie als die Glieder einer arithmetischen Progression vorgestellt werden, deren Differenz dieselbe überhaupt ist, aber nicht bestimmt zu werden braucht, und deren erstes und letztes Glied jene beiden Parallelen sind; die Summe solcher Reihe ist bekanntlich das Produkt jener Parallelen in die halbe Anzahl der Glieder. Dies letzte Quantum ist nur ganz relativ auf die Vorstellung von den unendlich vielen Linien Anzahl genannt; es ist die Größenbestimmtheit überhaupt eines Kontinuierlichen, – der Höhe. Es ist deutlich, daß, was Summe heißt, zugleich ein ductus lineae in lineam, Multiplizieren von Linearem mit Linearem, nach obiger Bestimmung ein Hervorgehen von Flächenhaftem ist. In dem einfachsten Falle nun eines Rektangels überhaupt, ab, ist jeder der beiden Faktoren eine einfache Größe; aber schon in dem weiteren selbst elementarischen Beispiele vom Trapez ist nur der eine Faktor das Einfache der halben Höhe, der andere dagegen wird durch eine Progression bestimmt; er ist gleich falls ein Lineares, dessen Größenbestimmtheit aber verwickelter ist; insofern sie nur durch eine Reihe ausgedrückt werden kann, so heißt analytisch, d.h. arithmetisch das Interesse, sie zu summieren; das geometrische Moment darin aber ist die Multiplikation, das Qualitative des Übergangs aus der Dimension der Linie in die Fläche; der eine Faktor ist diskret nur für die arithmetische Bestimmung des anderen genommen worden und ist für sich, wie dieser, die Größe eines Linearen.

Das Verfahren, Flächen als Summen von Linien vorzustellen, wird aber auch häufig gebraucht, wo nicht eine Multiplikation als solche zum Behufe des Resultates statthat. Dies[363] geschieht, wo es nicht darum zu tun ist, die Größe in der Gleichung als Quantum anzugeben, sondern in einer Proportion. Es ist z.B. eine bekannte Art zu zeigen, daß eine Kreisfläche sich zur Fläche einer Ellipse, deren große Achse der Diameter jenes Kreises ist, verhalte wie die große zur kleinen Achse, indem jede dieser Flächen als die Summe der ihr zugehörigen Ordinaten genommen wird; jede Ordinate der Ellipse verhält sich zu der entsprechenden des Kreises wie die kleine zur großen Achse; also, wird geschlossen, verhalten [sich] auch die Summen der Ordinaten, d. i. die Flachen ebenso. Diejenigen, welche dabei die Vorstellung der Fläche als einer Summe von Linien vermeiden wollen, ma chen die Ordinaten mit der gewöhnlichen, ganz überflüssigen Aushilfe zu Trapezen von unendlich kleiner Breite; da die Gleichung nur eine Proportion ist, kommt nur das eine der zwei linearen Elemente der Fläche in Vergleichung. Das andere, die Abszissenachse, ist in Ellipse und Kreis als gleich, als Faktor arithmetischer Größenbestimmung, also gleich 1 angenommen und die Proportion daher ganz nur von dem Verhältnis des einen bestimmenden Moments abhängig. Zur Vorstellung der Fläche sind die zwei Dimensionen notwendig; aber die Größenbestimmung, wie sie in jener Proportion angegeben werden soll, geht nur auf das eine Moment allein; der Vorstellung damit nachgeben oder aufhelfen, daß die Vorstellung von Summe zu diesem einen Momente hinzugefügt wird, ist eigentlich eine Verkennung dessen, worauf es hier für die mathematische Bestimmtheit ankommt. Was hier auseinandergesetzt worden, enthält auch das Kriterium für die früher erwähnte Methode der Unteilbaren des Cavalieri, die damit ebenso gerechtfertigt ist und der Zuflucht zu dem Unendlichkleinen nicht bedarf. Diese Unteilbaren sind Linien, indem er eine Fläche, oder Quadrate, Kreisflächen, indem er eine Pyramide oder Konus usf. betrachtet; die als bestimmt angenommene Grundlinie, Grundfläche nennt er die Regel, es ist die Konstante, in Beziehung auf eine Reihe das erste oder letzte Glied derselben; mit ihr[364] werden jene Unteilbaren parallel, also in gleicher Bestimmung in Rücksicht der Figur betrachtet. Der allgemeine Grundsatz Cavalieris ist nun (Exercitationes geometricae, VI – das spätere Werk – Exerc. I, p. 6), »daß alle sowohl ebenen als körperlichen Figuren im Verhältnisse aller ihrer Indivisibilien sind, diese kollektiv und, wenn etwa ein gemeinschaftliches Verhältnis in solchen stattfindet, distributiv miteinander vergleichen «. – Er vergleicht zu diesem Behufe in den Figuren, von gleicher Grundlinie und Höhe gemacht, die Verhältnisse von den Linien, die parallel mit jener und in gleicher Entfernung mit ihr gezogen werden; alle solchen Linien einer Figur haben eine und dieselbe Bestimmung und machen deren ganzen Inhalt aus. Auf solche Weise beweist Cavalieri z.B. auch den elementarischen Satz, daß Parallelogramme von gleicher Höhe im Verhältnisse ihrer Grundlinie sind; Jede zwei Linien, in gleicher Entfernung von der Grundlinie und mit ihr parallel, in beiden Figuren gezogen, sind in demselben Verhältnisse der Grundlinien, also die ganzen Figuren. In der Tat machen die Linien nicht den Inhalt der Figur als kontinuierlicher aus, aber den Inhalt, insofern er arithmetisch bestimmt werden soll; das Lineare ist sein Element, durch welches allein die Bestimmtheit desselben gefaßt werden muß.

Wir werden hierbei darauf geführt, auf den Unter schied zu reflektieren, der in Ansehung dessen stattfindet, worein die Bestimmtheit einer Figur fällt; nämlich entweder ist sie beschaffen wie hier die Höhe der Figur, oder sie ist äußere Grenze. Insofern sie als äußere Grenze ist, gibt man zu, daß der Gleichheit oder dem Verhältnisse der Grenze die Kontinuität der Figur sozusagen folgt, z.B. die Gleichheit der Figuren, die sich decken, beruht darauf, daß die begrenzenden Linien sich decken. Bei Parallelogrammen aber von gleicher Höhe und Grundlinie ist nur die letztere Bestimmtheit eine äußere Grenze; die Höhe, nicht die Parallelität überhaupt, auf welcher die zweite Hauptbestimmung der Figuren, ihr Verhältnis, beruht, führt ein zweites Prinzip[365] der Bestimmung zu den äußeren Grenzen herbei. Der Euklidische Beweis von der Gleichheit der Parallelogramme, die gleiche Höhe und Grundlinie haben, führt sie auf Dreiecke zurück, auf äußerlich begrenzte Kontinuierliche; in Cavalieris Beweis, zunächst über die Proportionalität von Parallelogrammen, ist die Grenze Größenbestimmtheit als solche überhaupt, welche, als an jedem Paare von Linien, die mit gleichem Abstand in beiden Figuren gezogen werden, genommen, expliziert wird. Diese gleichen oder in gleichem Verhältnis mit der Grundlinie stehenden Linien, kollektiv genommen, geben die in gleichem Verhältnisse stehenden Figuren. Die Vorstellung eines Aggregats von Linien geht gegen die Kontinuität der Figur; allein die Betrachtung der Linien erschöpft die Bestimmtheit, auf welche es ankommt, vollkommen. Cavalieri gibt häufige Antwort auf die Schwierigkeit, als ob die Vorstellung von den Unteilbaren es mit sich führe, daß der Anzahl nach unendliche Linien oder Ebenen verglichen werden sollen (Geometria, lib, II, Prop. I, Schol.); er macht den richtigen Unterschied, daß er nicht die Anzahl derselben, welche wir nicht kennen – d. i. vielmehr die, wie bemerkt worden, eine zu Hilfe genommene leere Vorstellung ist –, sondern nur die Größe, d. i. die quantitative Bestimmtheit als solche, welche dem von diesen Linien eingenommenen Räume gleich ist, vergleiche; weil dieser in Grenzen eingeschlossen ist, ist auch jene seine Größe in dieselben Grenzen eingeschlossen; das Kontinuierliche ist nichts anderes als die Unteilbaren selbst, sagt er; wäre es etwas außer diesen, so wäre es nicht vergleichbar; es würde aber ungereimt sein zu sagen, begrenzte Kontinuierliche seien nicht miteinander vergleichbar.

Man sieht, daß Cavalieri dasjenige, was zur äußerlichen Existenz des Kontinuierlichen gehört, von demjenigen unterscheiden will, worein dessen Bestimmtheit fällt und das für die Vergleichung und zum Behufe von Theoremen über dasselbe allein herauszuheben ist. Die Kategorien, die er[366] dabei gebraucht, daß das Kontinuierliche aus den Unteilbaren zusammengesetzt sei oder bestehe und dergleichen, sind freilich nicht genügend, weil dabei die Anschauung des Kontinuierlichen oder, wie vorhin gesagt, dessen äußerliche Existenz zugleich in Anspruch genommen wird; statt zu sagen, daß das Kontinuierliche nichts anderes ist als die Unteilbaren selbst, würde es richtiger und damit auch sogleich für sich klar heißen, daß die Größenbestimmtheit des Kontinuierlichen keine andere ist als die der Unteilbaren selbst. – Cavalieri macht sich nichts aus der schlechten Folgerung, daß es größere und kleinere Unendliche gebe, welche aus der Vorstellung, daß die Unteilbaren das Kontinuierliche ausmachen, von der Schule gezogen werde, und drückt weiterhin (Geometria, Lib. VII, Praef.) das bestimmtere Bewußtsein aus, daß er durch seine Beweisart keineswegs zur Vorstellung der Zusammensetzung des Kontinuierlichen aus den Unteilbaren genötigt sei; die Kontinuierlichen folgen nur der Proportion der Unteilbaren. Er habe die Aggregate der Unteilbaren nicht so genommen, wie sie in die Bestimmung der Unendlichkeit um einer unendlichen Menge von Linien oder Ebenen willen zu verfallen scheinen, sondern insofern sie eine bestimmte Beschaffenheit und Natur der Begrenztheit an ihnen haben. Um denn aber doch diesen Stein des Anstoßes zu entfernen, läßt er sich die Mühe nicht verdrießen, noch in dem eigens dafür hinzugefügten siebenten Buche die Hauptsätze seiner Geometrie auf eine Art zu beweisen, welche von der Einmischung der Unendlichkeit frei bleibe, – Diese Manier reduziert die Beweise auf die vorhin angeführte gewöhnliche Form des Deckens der Figuren, d. i., wie bemerkt worden, der Vorstellung der Bestimmtheit als äußerer Raumgrenze.

Über diese Form des Deckens kann zunächst noch diese Bemerkung gemacht werden, daß sie überhaupt eine sozusagen kindliche Hilfe für die sinnliche Anschauung ist. In den elementarischen Sätzen über die Dreiecke werden zwei solche nebeneinander vorgestellt, und indem von ihren je[367] sechs Stücken gewisse drei als gleich groß mit den entsprechenden drei des anderen Dreiecks angenommen werden, so wird gezeigt, daß solche Dreiecke einander kongruent seien, d. i. jedes auch die übrigen drei Stücke gleich groß mit denen des anderen habe, – weil sie vermöge der Gleichheit nach jenen drei ersten einander decken. Die Sache abstrakter gefaßt, so ist eben um dieser Gleichheit jeden Paars der in beiden einander entsprechenden Stücke nur ein Dreieck vorhanden; in diesem sind drei Stücke als bereits bestimmt angenommen, woraus denn die Bestimmtheit auch der drei übrigen Stücke folgt. Die Bestimmtheit wird auf diese Weise als in drei Stücken vollendet aufgezeigt; für die Bestimmtheit als solche sind somit die drei übrigen Stücke ein Überfluß, der Überfluß der sinnlichen Existenz, d. i. der Anschauung der Kontinuität. In solcher Form ausgesprochen, tritt hier die qualitative Bestimmtheit im Unterschiede von dem hervor, was in der Anschauung vorliegt, dem Ganzen als einem in sich kontinuierlichen; das Decken läßt diesen Unterschied nicht zum Bewußtsein kommen.

Mit den Parallellinien und bei den Parallelogrammen tritt, wie bemerkt worden, ein neuer Umstand, teils die Gleichheit nur der Winkel, teils die Höhe der Figuren ein, von welcher letzteren deren äußere Grenzen, die Seiten der Parallelogramme, unterschieden sind. Hierbei kommt die Zweideutigkeit zum Vorschein, inwiefern bei diesen Figuren außer der Bestimmtheit der einen Seite, der Grundlinie, welche als äußere Grenze ist, für die andere Bestimmtheit die andere äußere Grenze, nämlich die andere Seite des Parallelogramms, oder aber die Höhe zu nehmen ist. Bei zwei solchen Figuren von einerlei Grundlinie und Höhe, wovon das eine rechtwinklig ist, das andere sehr spitz, damit zu den gegenüberstehenden sehr stumpfe Winkel hat, kann der Anschauung letzteres leicht größer scheinen als das erstere, insofern sie die vorliegende große Seite desselben als bestimmend nimmt und nach der Vorstellungsweise Cavalieris die Ebenen nach einer Menge von parallelen Linien, durch welche sie[368] durchschnitten werden können, vergleicht; die größere Seite könnte als eine Möglichkeit von mehreren Linien, als die senkrechte Seite des Rechtecks gibt, angesehen werden. Solche Vorstellung gibt jedoch keinen Einwurf gegen Cavalieris Methode an die Hand; denn die In beiden Parallelogrammen für die Vergleichung vorgestellte Menge von parallelen Linien setzt die Gleichheit ihrer Entfernung voneinander oder von der Grundlinie zugleich voraus, woraus folgt, daß die Höhe – und nicht die andere Seite des Parallelogramms – das andere bestimmende Moment ist. Dies ändert sich aber ferner, wenn zwei Parallelogramme miteinander verglichen werden, die von gleicher Höhe und Grundlinie sind, aber nicht in einer Ebene liegen und zu einer dritten Ebene verschiedene Winkel machen; hier sind die parallelen Durchschnitte, die entstehen, wenn man sich die dritte Ebene durch sie gelegt und sich parallel mit sich fortbewegend vorstellt, nicht mehr gleich weit voneinander entfernt, und jene zwei Ebenen sind einander ungleich. Cavalieri macht sehr sorgfältig auf diesen Unterschied, den er als einen Unterschied von transitus rectus und transitus obliquus der Unteilbaren bestimmt (gleich in Exercitationes I, n. XII ff., wie schon in der Geometria I, II), aufmerksam und schneidet damit oberflächlichen Mißverstand ab, der nach dieser Seite entstehen könnte. Ich erinnere mich, daß Barrow in seinem oben angeführten Werke (Lectiones geometricae II, p. 21), indem er die Methode der Unteilbaren gleichfalls gebraucht – jedoch sie bereits mit der von ihm aus auf seinen Schüler Newton und die sonstigen mathematischen Zeitgenossen, darunter auch Leibniz, übergegangenen Annahme der Gleichsetzbarkeit eines krummlinigen Dreiecks, wie das sogenannte charakteristische ist, mit einem geradlinigen, insofern beide unendlich, d.h. sehr klein seien, versetzt und verunreinigt hat –, einen eben dahingehenden Einwurf Tacquets, eines damaligen in neuen Methoden[369] gleichfalls tätigen, scharfsinnigen Geometers, anführte. Die von diesem gemachte Schwierigkeit bezieht sich ebenfalls darauf, welche Linie, und zwar bei Berechnung konischer und sphärischer Oberflächen, als Grundmoment der Bestimmung für die auf Anwendung des Diskreten gestützte Betrachtung genommen werden solle. Tacquet wende gegen die Methode der Unteilbaren ein, daß, wenn die Oberfläche eines rechtwinkligen Kegels berechnet werden sollte, so werde nach jener atomistischen Methode das Dreieck des Kegels als zusammengesetzt aus den geraden, mit der Grundlinie parallelen, auf die Achse senkrechten Linien vorgestellt, welche zugleich die Radien der Kreise sind, aus denen die Oberfläche des Kegels bestehe. Wenn nun diese Oberfläche als Summe der Peripherien und diese Summe aus der Anzahl ihrer Radien, d. i. der Größe der Achse, der Höhe des Kegels, bestimmt werde, so sei solches Resultat mit der sonst von Archimed gelehrten und bewiesenen Wahrheit im Widerspruch. Barrow zeigt nun dagegen, daß für die Bestimmung der Oberfläche nicht die Achse, sondern die Seite des Dreiecks des Kegels als diejenige Linie genommen werden müsse, deren Umdrehung die Oberfläche erzeuge und welche daher, und nicht die Achse, als die Größenbestimmtheit für die Menge der Peripherien angenommen werden müsse.

Dergleichen Einwürfe oder Unsicherheiten haben ihre Quelle allein in der gebrauchten unbestimmten Vorstellung der unendlichen Menge von Punkten, aus denen die Linie, oder von Linien, aus denen die Fläche usf. bestehend angesehen wird; durch diese Vorstellung wird die wesentliche Größenbestimmtheit der Linien oder Flächen in Schatten gestellt. – Es ist die Absicht dieser Anmerkungen gewesen, die affirmativen Bestimmungen, die bei dem verschiedenen Gebrauch, der von dem Unendlichkleinen in der Mathematik gemacht wird, sozusagen im Hintergrunde bleiben, aufzuweisen und sie aus der Nebulosität hervorzuheben, in welche sie durch jene bloß negativ gehaltene Kategorie gehüllt werden. Bei der unendlichen Reihe, wie in der Archimedischen Kreismessung,[370] bedeutet das Unendliche nichts weiter, als daß das Gesetz der Fortbestimmung bekannt ist, aber der sogenannte endliche Ausdruck, d. i. der arithmetische, nicht gegeben [ist], die Zurückführung des Bogens auf die gerade Linie nicht bewerkstelligt werden kann; diese Inkommensurabilität ist die qualitative Verschiedenheit derselben. Die qualitative Verschiedenheit des Diskreten mit dem Kontinuierlichen überhaupt enthält gleichfalls eine negative Bestimmung, welche sie als inkommensurabel erscheinen läßt und das Unendliche herbeiführt, in dem Sinne, daß das als diskret zu nehmende Kontinuierliche nun kein Quantum nach seiner kontinuierlichen Bestimmtheit mehr haben soll. Das Kontinuierliche, das arithmetisch als Produkt zu nehmen ist, ist damit diskret an ihm selbst gesetzt, nämlich in die Elemente, die seine Faktoren sind, zerlegt; in diesen liegt seine Größenbestimmtheit; sie sind als eben damit, daß sie diese Faktoren oder Elemente sind, von einer niedrigeren Dimension und, insofern die Potenzenbestimmtheit eintritt, von einer niedrigeren Potenz als die Größe, deren Elemente oder Faktoren sie sind. Arithmetisch erscheint dieser Unterschied als ein bloß quantitativer – der Wurzel und der Potenz oder welcher Potenzenbestimmtheit es sei; jedoch wenn der Ausdruck nur auf das Quantitative als solches geht, z.B. a : a2 oder d·a2 = 2a:a2 oder für das Gesetz des Falles, t : at2, so gibt er die nichtssagenden Verhältnisse von 1 : a, 2 : a, 1 : at; die Seiten müßten gegen ihre bloß quantitative Bestimmung durch die unterschiedene qualitative Bedeutung auseinandergehalten werden, wie s : at2, wodurch die Große als eine Qualität ausgesprochen wird, als Funktion der Größe einer anderen Qualität. Hierbei steht dann bloß die quantitative Bestimmtheit vor dem Bewußtsein, mit der nach ihrer Art ohne Schwierigkeit operiert wird, und man kann kein Arges daran haben, die Größe einer Linie mit der Größe einer anderen Linie zu multiplizieren; aber die Multiplikation dieser selben Größen gibt zugleich die qualitative Veränderung des Übergangs von Linie in Fläche; insofern[371] tritt eine negative Bestimmung ein; sie ist es, welche die Schwierigkeit veranlaßt, die durch die Einsicht in ihre Eigentümlichkeit und in die einfache Natur der Sache gelöst, aber durch die Hilfe des Unendlichen, wodurch sie beseitigt werden soll, vielmehr nur in Verworrenheit gesetzt und ganz unaufgelöst erhalten wird.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 358-372.
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