Anmerkung 2
Der Zweck des Differentialkalküls aus seiner Anwendung abgeleitet

[322] In der vorigen Anmerkung ist teils die Begriffsbestimmtheit des Unendlichkleinen, das in dem Differentialkalkül gebraucht wird, teils die Grundlage seiner Einführung in denselben betrachtet worden; beides sind abstrakte und darum an sich auch leichte Bestimmungen; die sogenannte Anwendung aber bietet größere Schwierigkeiten sowohl als auch die interessantere Seite dar; die Elemente dieser konkreten Seite sollen der Gegenstand dieser Anmerkung sein. – Die ganze Methode der Differentialrechnung ist in dem Satze, daß dxn = nxn-1 dx oder (f(x+i)-fx)/i = P d.i. gleich dem Koeffizienten des ersten Gliedes des nach den Potenzen von dx oder i entwickelten Binomiums x + d, x + i, absolviert. Man bedarf weiter nichts zu erlernen; die Ableitung der nächsten Formen, des Differentials eines Produkts, einer Exponentialgröße usf. ergibt sich daraus mechanisch; in wenig Zeit, vielleicht in einer halben Stunde – mit dem Finden der Differentiale ist das Umgekehrte, das Finden der ursprünglichen Funktion aus jenen, die Integration gleichfalls gegeben – kann man die ganze Theorie innehaben. Was allein länger aufhält, ist die Bemühung, es einzusehen, begreiflich zu machen, daß, nachdem der eine Umstand der Aufgabe, das finden jenes Koeffizienten, auf analytische, d. i. ganz arithmetische Weise, durch die Entwicklung der Funktion der veränderlichen Größe, nachdem diese durch einen Zuwachs die Form eines Binomiums erhalten, so leicht bewerkstelligt worden, es auch mit dem anderen Umstand, nämlich mit dem Weglassen der übrigen Glieder der entstehenden Reihe außer den ersten, seine Richtigkeit habe. Wäre es der Fall, daß man jenen Koeffizienten allein nötig[322] hätte, so wäre mit der Bestimmung desselben alles, was die Theorie betrifft, wie gesagt in weniger als einer halben Stunde abgetan, und das Weglassen der weiteren Glieder der Reihe machte so wenig eine Schwierigkeit, daß vielmehr von ihnen als Gliedern der Reihe (als zweiten, dritten usf. Funktionen ist ihre Bestimmung schon mit der Bestimmung des ersten gleichfalls absolviert) gar nicht die Rede wäre, da es um sie ganz und gar nicht zu tun ist.

Es kann die Bemerkung vorangeschickt werden, daß man es der Methode des Differentialkalküls wohl sogleich ansieht, daß sie nicht für sich selbst erfunden und aufgestellt worden ist; sie ist nicht nur nicht für sich begründet als eine andere Weise analytischen Verfahrens, sondern die Gewaltsamkeit, Glieder, die sich aus Entwicklung einer Funktion ergeben, indem doch das Ganze dieser Entwicklung vollständig zur Sache zu gehören angenommen ist – weil die Sache als der Unterschied der entwickelten Funktion einer veränderlichen Größe (nachdem dieser die Gestalt eines Binomiums gegeben worden) von der ursprünglichen angesehen wird –, geradezu wegzulassen, widerspricht vielmehr durchaus allen mathematischen Grundsätzen. Das Bedürfnis solcher Verfahrungsweise, wie die ihr an ihr selbst mangelnde Berechtigung, weist sogleich darauf hin, daß anderswo der Ursprung und die Grundlage sich befinden müsse. Es geschieht auch sonst in den Wissenschaften, daß das, was als das Elementarische vornehin gestellt ist und woraus die Sätze der Wissenschaft abgeleitet werden sollen, nicht einleuchtend ist und daß es sich ausweist, vielmehr in dem Nachfolgenden seine Veranlassung und seine Begründung zu haben. Der Hergang in der Geschichte des Differentialkalküls tut dar, daß in den verschiedenen sogenannten Tangentialmethoden vornehmlich die Sache gleichsam als in Kunststücken den Anfang genommen hat; die Art des Verfahrens, nachdem es auch auf weitere Gegenstände ausgedehnt worden, ist später zum Bewußtsein und in abstrakte Formeln gebracht worden, welche nun auch zu Prinzipien zu erheben versucht wurde.[323]

Als die Begriffsbestimmtheit des sogenannten Unendlichkleinen ist die qualitative Quantitätsbe stimmtheit solcher, die zunächst als Quanta im Verhältnis zueinander gesetzt sind, aufgezeigt worden, woran sich die empirische Untersuchung knüpfte, jene Begriffsbestimmtheit in den Beschreibungen oder Definitionen nachzuweisen, die sich von dem Unendlichkleinen, insofern es als unendliche Differenz und dergleichen genommen ist, vorfinden. – Dies ist nur im Interesse der abstrakten Begriffsbestimmtheit als solcher geschehen; die weitere Frage wäre, wie von ihr der Übergang zur mathematischen Gestaltung und Anwendung beschaffen wäre. Zu dem Ende ist zuerst das Theoretische, die Begriffsbestimmtheit, noch weiter vorzunehmen, welche sich an ihr selbst nicht ganz unfruchtbar zeigen wird; alsdann ist das Verhältnis derselben zur Anwendung zu betrachten und bei beidem nachzuweisen, soweit es hier angeht, daß die allgemeinen Folgerungen zugleich demjenigen, um was es in der Differentialrechnung zu tun ist, und der Art, wie sie es bewerkstelligt, angemessen sind.

Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Form, welche die in Rede stehende Begriffsbestimmtheit im Mathematischen hat, bereits beiläufig angegeben ist. Die qualitative Bestimmtheit des Quantitativen ist zuerst im quantitativen Verhältnis überhaupt aufgewiesen; es ist aber auch schon bei der Nachweisung der unterschiedenen sogenannten Rechnungsarten (s.d. betr. Anm.) antizipiert worden, daß das nachher an seiner eigentümlichen Stelle noch zu betrachtende Potenzenverhältnis es ist, worin die Zahl durch Gleichsetzung ihrer Begriffsmomente, der Einheit und der Anzahl, als zu sich selbst zurückgekehrte gesetzt ist und damit das Moment der Unendlichkeit, des Fürsichseins, d. i. des Bestimmtseins durch sich selbst, an ihr erhält. Die ausdrückliche qualitative Größenbestimmtheit bezieht sich somit, wie gleichfalls schon erinnert, wesentlich auf Potenzenbestimmungen, und da die Differentialrechnung das Spezifische hat, mit qualitativen Größenformen zu operieren, so muß ihr eigentümlicher[324] mathematischer Gegenstand die Behandlung von Potenzenformen sein, und die sämtlichen Aufgaben und deren Auflösungen, zu deren Behuf die Differentialrechnung gebraucht wird, zeigen es, daß das Interesse allein in der Behandlung von Potenzenbestimmungen als solchen liegt.

So wichtig diese Grundlage ist und sogleich an die Spitze etwas Bestimmtes stellt, statt der bloß formellen Kategorien von veränderlichen, kontinuierlichen oder unendlichen Größen und dergleichen oder auch nur von Funktionen überhaupt, so ist sie noch zu allgemein; andere Operationen haben gleichfalls damit zu tun; schon das Erheben in die Potenz und Wurzelausziehen, dann die Behandlung der Exponentialgrößen und Logarithmen, Reihen, die Gleichungen höherer Ordnungen haben ihr Interesse und ihre Bemühung allein mit Verhältnissen, die auf Potenzen beruhen. Ohne Zweifel müssen sie zusammen ein System der Potenzenbehandlung ausmachen; aber welches unter den verschiedenen Verhältnissen, worin Potenzenbestimmungen gesetzt werden können, dasjenige sei, das der eigentliche Gegenstand und das Interesse für die Differentialrechnung ist, dies ist aus dieser selbst, d. i. aus den sogenannten Anwendungen derselben zu entnehmen. Diese sind in der Tat die Sache selbst, das wirkliche Verfahren in der mathematischen Auflösung eines gewissen Kreises von Problemen; dies Verfahren ist früher gewesen als die Theorie oder der allgemeine Teil, und Anwendung ist dasselbe später genannt worden nur in Beziehung auf die nachher erschaffene Theorie, welche die allgemeine Methode des Verfahrens teils aufstellen, teils ihr aber Prinzipien, d. i. Rechtfertigung geben wollte. Welche vergebliche Bemühung es gewesen ist, für die bisherige Auffassungsweise des Verfahrens Prinzipien aufzufinden, welche den Widerspruch, der dabei zum Vorschein kommt, wirklich lösten, statt ihn nur durch die Unbedeutendheit des nach dem mathematischen Verfahren Notwendigen, hier aber Wegzulassenden, oder durch die auf dasselbe hinauslaufende Möglichkeit der unendlichen oder beliebigen Annäherung[325] u. dgl, zu entschuldigen oder zu verstecken, ist in voriger Anmerkung gezeigt worden. Wenn aus dem wirklichen Teil der Mathematik, der die Differentialrechnung genannt wird, das Allgemeine des Verfahrens anders abstrahiert würde, als bisher geschehen ist, so würden sich jene Prinzipien und die Bemühung mit denselben auch als entbehrlich zeigen, wie sie an ihnen selbst sich als etwas Schiefes und im Widerspruche Bleibendes ausweisen.

Wenn wir diesem Eigentümlichen durch einfaches Aufnehmen des in diesem Teile der Mathematik Vorhandenen nachforschen, so finden wir als Gegenstand

α Gleichungen, in welchen eine beliebige Anzahl von Größen (wir können hier überhaupt bei zwei stehenbleiben) zu einem Ganzen der Bestimmtheit so verbunden sind, daß diese erstens ihre Bestimmtheit in empirischen Größen als festen Grenzen und dann in der Art der Verbindung mit denselben sowie ihrer Verbindung untereinander haben, wie dies überhaupt in einer Gleichung der Fall ist; indem aber nur eine Gleichung für beide Größen (und ebenso relativ wohl mehrere Gleichungen für mehrere Größen, aber immer weniger, als die Anzahl der Größen ist) vorhanden ist, gehören diese Gleichungen zu den unbestimmten, – und daß zweitens eine Seite, wie diese Größen hier ihre Bestimmtheit haben, darin liegt, daß sie (wenigstens eine derselben) in einer höheren als die erste Potenz in der Gleichung vorhanden sind.

Hierüber sind zunächst einige Bemerkungen zu machen; fürs erste, daß die Größen nach der ersten der angegebenen Bestimmungen ganz nur den Charakter solcher veränderlichen Größen haben, wie sie in den Aufgaben der unbestimmten Analysis vorkommen. Ihr Wert ist unbestimmt, aber so, daß, wenn anderswoher ein vollkommen bestimmter Wert, d. i. ein Zahlenwert für die eine kommt, auch die andere bestimmt, so die eine eine Funktion der anderen ist. Die Kategorien von veränderlichen Größen, Funktionen u. dgl. sind darum für die spezifische Größenbestimmtheit, die[326] hier in Rede steht, nur formell, wie vorhin gesagt worden ist, weil sie von einer Allgemeinheit sind, in welcher dasjenige Spezifische, worauf das ganze Interesse des Differentialkalküls geht, noch nicht enthalten ist, noch daraus durch Analyse expliziert werden kann; sie sind für sich einfache, unbedeutende, leichte Bestimmungen, die nur erst schwierig gemacht werden, insofern das in sie gelegt werden soll, damit es dann aus ihnen abgeleitet werden könne, was nicht in ihnen liegt, nämlich die spezifische Bestimmung der Differentialrechnung. – Was alsdann die sogenannte Konstante betrifft, so kann über sie bemerkt werden, daß sie zunächst als eine gleichgültige empirische Größe ist, bestimmend für die veränderlichen Größen bloß in Ansehung ihres empirischen Quantums, als Grenze ihres Minimums und Maximums; die Art der Verbindung aber der Konstanten mit den veränderlichen Größen ist selbst eines der Momente für die Natur der besonderen Funktion, welche diese Größen sind. Umgekehrt sind aber auch die Konstanten selbst Funktionen; insofern z.B. eine gerade Linie den Sinn hat, Parameter einer Parabel zu sein, so ist dieser ihr Sinn dies, daß sie die Funktion y2/x ist; wie in der Entwicklung des Binomiums überhaupt die Konstante, welche der Koeffizient des ersten Entwicklungsgliedes ist, die Summe der Wurzeln, der des zweiten die Summe der Produkte derselben zu Zwei und Zwei usf., also diese Konstanten hier überhaupt Funktionen der Wurzeln sind; wo in der Integralrechnung die Konstante aus der gegebenen Formel bestimmt wird, wird sie insofern als eine Funktion von dieser behandelt. Jene Koeffizienten werden wir dann weiter in einer anderen Bestimmung als Funktionen betrachten, deren Bedeutung im Konkreten es ist, worauf das ganze Interesse geht.

Das Eigentümliche nun aber, wodurch die Betrachtung der veränderlichen Größen sich in der Differentialrechnung von ihrer Beschaffenheit in den unbestimmten Aufgaben unterscheidet, ist in das Angegebene zu setzen, daß wenigstens eine jener Größen oder auch alle sich in einer höheren Potenz[327] als die erste befinde, wobei wieder gleichgültig ist, ob sämtliche von derselben höheren oder von ungleichen Potenzen sind; ihre spezifische Unbestimmtheit, die sie hier haben, liegt allein darin, daß sie in solchem Potenzenverhältnisse Funktionen voneinander sind. Dadurch ist die Veränderung der veränderlichen Größen qualitativ determiniert, damit kontinuierlich, und diese Kontinuität, die für sich wieder nur die formelle Kategorie überhaupt einer Identität, einer sich in der Veränderung erhaltenden, gleichbleibenden Bestimmtheit ist, hat hier ihren determinierten Sinn, und zwar allein in dem Potenzenverhältnisse, als welches kein Quantum zu seinem Exponenten hat und die nicht quantitative, bleibende Bestimmtheit des Verhältnisses der veränderlichen Größen ausmacht. Daher ist gegen einen anderen Formalismus die Bemerkung zu machen, daß die erste Potenz nur Potenz Im Verhältnis zu höheren ist; für sich ist x nur irgendein unbestimmtes Quantum. So hat es keinen Sinn, für sich die Gleichungen y = ax + b [die] der geraden Linie, oder s = ct, die der schlecht gleichförmigen Geschwindigkeit, zu differentiieren; wenn aus y = ax, oder auch aus y = ax + b, a = dy/dx, oder ds/dt = c aus s = ct wird, so ist ebensosehr a=y/x die Bestimmung der Tangente oder s/t = c die der schlechten Geschwindigkeit. Letztere wird als dy/dx exponiert im Zusammenhang dessen, was für die Entwicklung der gleichförmig beschleunigten Bewegung ausgegeben wird; aber daß ein Moment von einfacher, schlecht gleichförmiger, d. i. nicht durch die höhere Potenz eines der Momente der Bewegung bestimmter Geschwindigkeit im Systeme solcher Bewegung vorkomme, ist, wie früher bemerkt, selbst eine leere, allein in der Routine der Methode gegründete Annahme. Indem die Methode von der Vorstellung des Zuwachses, den die veränderliche Größe erleiden solle, ausgeht, so kann freilich auch eine solche, die nur eine Funktion von erster Potenz ist, auch einen Zuwachs erleiden; wenn nun hierauf, um das Differential zu finden, der Unterschied der hierdurch entstandenen zweiten Gleichung von der gegebenen[328] genommen werden soll, so zeigt sich das Leere der Operation, daß, wie bemerkt, die Gleichung vor und nach derselben für die sogenannten Zuwächse dieselbe ist als für die veränderlichen Größen selbst.

β Durch das Gesagte ist die Natur der zu behandelnden Gleichung bestimmt, und es ist nun anzugeben, auf welches Interesse sich die Behandlung derselben gerichtet findet. Diese Betrachtung kann nur bekannte Resultate, wie sie der Form nach in der Lagrangeschen Auffassung insbesondere vorhanden sind, geben; aber ich habe die Exposition so ganz elementarisch angestellt, um die damit vermischten heterogenen Bestimmungen zu entfernen, – Als die Grundlage der Behandlung der Gleichung von angegebener Art zeigt sich, daß die Potenz innerhalb ihrer selbst als ein Verhältnis, als ein System von Verhältnisbestimmungen gefaßt wird. Die Potenz ist oben als die Zahl angegeben worden, insofern sie dazu gekommen ist, daß ihre Veränderung durch sie selbst bestimmt, ihre Momente, Einheit und Anzahl identisch sind, wie früher nachgewiesen, – vollkommen zunächst im Quadrat, formeller, was hier keinen Unterschied macht, in den höheren Potenzen. Die Potenz nun, da sie als Zahl – wenn man den Ausdruck Größe als den allgemeineren vorzieht, so ist sie an sich immer die Zahl – eine Menge ist, auch als Summe dargestellt, kann zunächst innerhalb ihrer in eine beliebige Menge von Zahlen zerlegt werden, die ohne alle weitere Bestimmung gegeneinander und gegen ihre Summe sind als nur, daß sie zusammen dieser gleich sind. Aber die Potenz kann auch in eine Summe von solchen Unterschieden diszerniert werden, die durch die Form der Potenz bestimmt sind. Wird die Potenz als Summe genommen, so ist auch die Grundzahl derselben, die Wurzel, als Summe gefaßt und beliebig nach mannigfaltiger Zerlegung, welche Mannigfaltigkeit aber das gleichgültige empirische Quantitative ist. Die Summe, als welche die Wurzel sein soll, auf ihre einfädle Bestimmtheit, d. i. ihre wahrhafte Allgemeinheit zurückgeführt, ist das Binomium; alle weitere Vermehrung der Glieder[329] ist eine bloße Wiederholung derselben Bestimmung und daher etwas Leeres.13 Worauf es ankommt, ist allein die hiermit qualitative Bestimmtheit der Glieder, welche sich durch die Potenzierung der als Summe angenommenen Wurzel ergibt, welche Bestimmtheit allein in der Veränderung, die das Potenzieren ist, liegt. Diese Glieder sind somit ganz Funktionen der Potenzierung und der Potenz. Jene Darstellung nun der Zahl, als Summe einer Menge von solchen Gliedern, welche Funktionen der Potenzierung sind, alsdann das Interesse, die Form solcher Funktionen und ferner diese Summe aus der Menge solcher Glieder zu finden, insofern dieses Finden allein von jener Form abhängen muß, – dies macht bekanntlich die besondere Lehre von den Reihen aus. Aber hierbei haben wir wesentlich das fernere Interesse zu unterscheiden, nämlich das Verhältnis der zugrunde liegenden Größe selbst – deren Bestimmtheit, insofern sie ein Komplex, d, i. hier eine Gleichung ist, eine Potenz in sich schließt – zu den Funktionen ihrer Potenzierung. Dies Verhältnis, ganz abstrahiert von dem vorhin genannten Interesse der Summe, wird sich als der Gesichtspunkt zeigen, der sich als der einzige, den die Differentialrechnung sich vorsetzt, aus der wirklichen Wissenschaft ergibt.

Es ist jedoch vorher noch eine Bestimmung zu dem Gesagten hinzuzufügen oder vielmehr eine, die darin liegt, zu entfernen. Es wurde nämlich gesagt, daß die veränderliche Größe, in deren Bestimmung die Potenz eintritt, angesehen werde innerhalb ihrer selbst als Summe, und zwar als ein System von Gliedern, insofern diese Funktionen der Potenzierung sind, womit auch die Wurzel als eine Summe und in[330] der einfach bestimmten Form als Binomium betrachtet werde; xn = (y + z)n = (y + nyn-1 z + ...). Diese Darstellung ging für die Entwicklung der Potenz, d. i. für das Erlangen ihrer Potenzierungsfunktionen, von der Summe als solcher aus; es ist jedoch hier nicht um eine Summe als solche noch um die daraus entspringende Reihe zu tun, sondern von der Summe ist nur die Beziehung aufzunehmen. Die Beziehung als solche der Größen ist das, was einerseits übrigbleibt, nachdem von dem plus einer Summe als solcher abstrahiert wird, und was andererseits für das Finden der Entwicklungsfunktionen der Potenz erforderlich ist. Solche Beziehung aber ist schon darin bestimmt, daß hier der Gegenstand eine Gleichung, ym = axn auch schon ein Komplex von mehreren (veränderlichen) Größen ist, der eine Potenzenbestimmung derselben enthält. In diesem Komplex ist jede dieser Größen schlechthin als in der Beziehung auf die andere mit der Bedeutung, könnte man sagen, eines plus an ihr selbst, – als Funktion der anderen Größen gesetzt; ihr Charakter, Funktionen voneinander zu sein, gibt ihnen diese Bestimmung des plus, eben damit aber eines ganz unbestimmten, nicht eines Zuwachses, Inkrements u. dgl. Doch diesen abstrakten Gesichtspunkt konnten wir auch auf der Seite lassen; es kann ganz einfach dabei stehengeblieben werden, daß, nachdem die veränderlichen Größen in der Gleichung als Funktionen voneinander, so daß diese Bestimmtheit ein Verhältnis von Potenzen enthält, gegeben sind, nun auch die Funktionen der Potenzierung einer jeden miteinander verglichen werden, – welche zweiten Funktionen durch gar nichts anderes weiter als durch die Potenzierung selbst bestimmt sind. Es kann zunächst für ein Belieben oder eine Möglichkeit ausgegeben werden, eine Gleichung von den Potenzen ihrer veränderlichen Größen auf ein Verhältnis ihrer Entwicklungsfunktionen zu setzen; ein weiterer Zweck, Nutzen, Gebrauch hat erst das Dienliche solcher Umgestaltung davon anzugeben; durch ihre Nützlichkeit allein ist jene Umstellung veranlaßt worden. Wenn[331] vorhin von der Darstellung dieser Potenzierungsbestimmungen an einer Größe, die als Summe in sich different genommen werde, ausgegangen worden, so diente dies nur teils zur Angabe, von welcher Art solche Funktionen seien, teils liegt darin die Weise, sie zu finden.

Wir befinden uns hiermit bei der gewöhnlichen analytischen Entwicklung, die für den Zweck der Differentialrechnung so gefaßt wird, daß der veränderlichen Größe ein Zuwachs, dx, i gegeben und nun die Potenz des Binomiums durch die Gliederreihe, die ihm angehört, expliziert wird. Der sogenannte Zuwachs aber soll nicht ein Quantum, nur eine Form sein, deren ganzer Wert ist, zur Entwicklung behilflich zu sein; was man eingestandenermaßen, am bestimmtesten von Euler und Lagrange, und in der früher erwähnten Vorstellung der Grenze will, sind nur die sich ergebenden Potenzenbestimmungen der veränderlichen Größen, die sogenannten Koeffizienten zwar des Zuwachses und der Potenzen desselben, nach denen die Reihe sich ordnet und zu denen die unterschiedenen Koeffizienten gehören. Es kann hierzu etwa bemerkt werden, daß, indem nur um der Entwicklung willen ein Zuwachs angenommen ist, der ohne Quantum sei, es am geschicktesten gewesen wäre, 1 (das Eins) dafür zu nehmen, indem derselbe in der Entwicklung immer nur als Faktor vorkommt, womit eben der Faktor Eins den Zweck erfüllt, daß keine quantitative Bestimmtheit und Veränderung durch den Zuwachs gesetzt werden solle; dagegen dx mit der falschen Vorstellung von einer quantitativen Differenz und andere Zeichen, wie i, mit dem hier unnützen Scheine von Allgemeinheit behaftet, immer das Aussehen und die Prätention von einem Quantum und dessen Potenzen haben; welche Prätention dann die Mühe herbeibringt, sie dessenungeachtet wegzubringen und wegzulassen. Um die Form einer nach Potenzen entwickelten Reihe zu behalten, könnten die Exponentenbezeichnungen als indices ebensogut dem Eins angefügt werden. Aber es muß ohnehin von der Reihe und von der Bestimmung der Koeffizienten nach der Stelle, die sie in[332] der Reihe haben, abstrahiert werden; das Verhältnis zwischen allen ist dasselbe; die zweite Funktion wird ganz ebenso aus der ersten als diese aus der ursprünglichen abgeleitet, und für die als die zweite gezählte ist die erste abgeleitete wieder ursprüngliche Funktion. Wesentlich aber geht das Interesse nicht auf die Reihe, sondern ganz allein auf die sich aus der Entwicklung ergebende Potenzenbestimmung in ihrem Verhältnis zu der für sie unmittelbaren Größe. Anstatt also jene als den Koeffizienten des ersten Gliedes der Entwicklung zu bestimmen, da ein Glied als das erste in Beziehung auf die anderen in der Reihe folgenden bezeichnet wird, eine solche Potenz als eines Zuwachses aber wie die Reihe selbst hierher nicht gehören, wäre der bloße Ausdruck abgeleitete Potenzenfunktion oder, wie vorhin gesagt wurde, eine Funktion des Potenzieren; der Größe vorzuziehen, wobei als bekannt vorausgesetzt wird, auf welche Weise die Ableitung als innerhalb einer Potenz eingeschlossene Entwicklung genommen wird.

Wenn nun der eigentliche mathematische Anfang in diesem Teile der Analytik nichts weiter ist als das Finden der durch die Potenzenentwicklung bestimmten Funktion, so ist die weitere Frage, was mit dem damit erhaltenen Verhältnisse anzufangen ist, wo es eine Anwendung und Gebrauch hat, oder, in der Tat, für welchen Zweck solche Funktionen gesucht werden. Durch das Finden von Verhältnissen an konkreten Gegenständen, welche sich auf jene abstrakten analytischen zurückführen lassen, hat die Differentialrechnung ihr großes Interesse erhalten.

Über die Anwendbarkeit aber ergibt sich zunächst aus der Natur der Sache, ohne noch aus den Fällen der Anwendung selbst zu schließen, vermöge der aufgezeigten Gestalt der Potenzenmomente von selbst folgendes. Die Entwicklung der Potenzengrößen, wodurch sich die Funktionen ihrer Potenzierung ergeben, enthält, von näherer Bestimmung abstrahiert, zunächst überhaupt die Herabsetzung der Größe auf die nächst niedrigere Potenz. Die Anwendbarkeit dieser[333] Operation findet also bei solchen Gegenständen statt, bei welchen gleichfalls ein solcher Unterschied von Potenzenbestimmungen vorhanden ist. Wenn wir nun auf die Raumbestimmtheit reflektieren, so finden wir, daß sie die drei Dimensionen enthält, die wir, um sie von den abstrakten Unterschieden der Höhe, Länge und Breite zu unterscheiden, als die konkreten bezeichnen können, nämlich die Linie, die Fläche und den totalen Raum; und indem sie in ihren einfachsten Formen und in Beziehung auf Selbstbestimmung und damit auf analytische Dimensionen genommen wer den, haben wir die gerade Linie, die ebene Fläche und dieselbe als Quadrat, und den Kubus. Die gerade Linie hat ein empirisches Quantum, aber mit der Ebene tritt das Qualitative, die Potenzenbestimmung ein; nähere Modifikationen, z.B. daß dies gleich auch mit den ebenen Kurven geschieht, können wir, insofern es zunächst um den Unterschied bloß im allgemeinen zu tun ist, unerörtert lassen. Hiermit entsteht auch das Bedürfnis, von einer höheren Potenzenbestimmung zu einer niedrigeren und umgekehrt überzugehen, indem z.B. lineare Bestimmungen aus gegebenen Gleichungen der Fläche usf. oder umgekehrt abgeleitet werden sollen. – Die Bewegung ferner, als an der das Größenverhältnis des durchlaufenen Raumes und der dazugehörigen verflossenen Zeit zu betrachten ist, zeigt sich in den verschiedenen Bestimmungen einer schlecht-gleichförmigen, einer gleichförmig beschleunigten, einer abwechselnd gleichförmig beschleunigten und gleichförmig retardierten, in sich zurückkehrenden Bewegung; indem diese unterschiedenen Arten der Bewegung nach dem Größenverhältnisse ihrer Momente, des Raums und der Zeit, ausgedrückt werden, ergeben sich für sie Gleichungen aus unterschiedenen Potenzenbestimmungen, und insofern es Bedürfnis sein kann, eine Art der Bewegung oder auch der Raumgrößen, an welche eine Art gebunden ist, aus einer anderen Art derselben zu bestimmen, führt die Operation gleichfalls das Übergehen von einer Potenzenfunktion zu einer höheren oder niedrigeren herbei. – Die Beispiele dieser[334] zwei Gegenstände mögen für den Zweck, zu dem sie angeführt sind, genügen.

Der Anschein von Zufälligkeit, welchen die Differentialrechnung in ihren Anwendungen präsentiert, würde schon vereinfacht werden durch das Bewußtsein über die Natur der Gebiete, in welchem die Anwendung stattfinden kann, und über das eigentümliche Bedürfnis und die Bedingung dieser Anwendung. Nun aber kommt es weiter innerhalb dieser Gebiete selbst darauf an zu wissen, zwischen welchen Teilen der Gegenstände der mathematischen Aufgabe ein solches Verhältnis stattfinde, als durch den Differentialkalkül eigentümlich gesetzt wird. Es muß gleich vorläufig bemerkt werden, daß hierbei zweierlei Verhältnisse zu beachten sind. Die Operation des Depotenzierens einer Gleichung, sie nach den abgeleiteten Funktionen ihrer veränderlichen Größen betrachtet, gibt ein Resultat, welches an ihm selbst wahrhaft nicht mehr eine Gleichung, sondern ein Verhältnis ist; dieses Verhältnis ist der Gegenstand der eigentlichen Differentialrechnung. Eben damit auch ist zweitens das Verhältnis vorhanden von der höheren Potenzenbestimmung (der ursprünglichen Gleichung) selbst zu der niedrigeren (dem Abgeleiteten). Dies zweite Verhältnis haben wir hier zunächst beiseite zu lassen; es wird sich als der eigentümliche Gegenstand der Integralrechnung zeigen.

Betrachten wir zunächst das erste Verhältnis und nehmen zu der aus der sogenannten Anwendung zu entnehmenden Bestimmung des Moments, worin das Interesse der Operation liegt, das einfachste Beispiel an den Kurven vor, die durch eine Gleichung der zweiten Potenz bestimmt sind. Bekanntlich ist unmittelbar durch die Gleichung das Verhältnis der Koordinaten gegeben in einer Potenzenbestimmung. Folgen von der Grundbestimmung sind die Bestimmungen der mit den Koordinaten zusammenhängenden anderen geraden Linien, der Tangente, Subtangente, Normale usf. Die Gleichungen aber zwischen diesen Linien und den Koordinaten sind lineare Gleichungen; die Ganzen, als deren Teile diese[335] Linien bestimmt sind, sind rechtwinklige Dreiecke von geraden Linien. Der Übergang von der Grundgleichung, welche die Potenzenbestimmung enthält, zu jenen linearen Gleichungen enthält nun den angegebenen Übergang von der ursprünglichen Funktion, d. i. welche eine Gleichung ist, zu der abgeleiteten, welche ein Verhältnis ist, und zwar zwischen gewissen in der Kurve enthaltenen Linien. Der Zusammenhang zwischen dem Verhältnisse dieser Linien und der Gleichung der Kurve ist es, um dessen Finden es sich handelt.

Es ist nicht ohne Interesse, von dem Historischen hierüber so viel zu bemerken, daß die ersten Entdecker ihren Fund nur auf eine ganz empirische Weise anzugeben wissen, ohne eine Rechenschaft von der völlig äußerlich geblichenen Operation geben zu können. Ich begnüge mich hierüber mit der Anführung Barrows, des Lehrers Newtons. In seinen Lectiones opticae et geometricae, worin er Probleme der höheren Geometrie nach der Methode der unteilbaren behandelt, die sich zunächst von dem Eigentümlichen der Differentialrechnung unterscheidet, gibt er auch, »weil seine Freunde in ihn gedrungen« (lect. X), sein Verfahren, die Tangente zu bestimmen, an. Man muß bei ihm selbst nachlesen, wie diese Aufgabe beschaffen ist, um sich eine gehörige Vorstellung zu machen, wie das Verfahren ganz als äußerliche Regel angegeben ist, – in demselben Stile, wie vormals in den arithmetischen Schulbüchern die Regeldetri oder noch besser die sogenannte Neunerprobe der Rechnungsarten vorgetragen worden ist. Er macht die Verzeichnung der Linienchen, die man nachher die Inkremente im charakteristischen Dreieck einer Kurve genannt hat, und gibt nun die Vorschrift als eine bloße Regel, die Glieder als überflüssig wegzuwerfen, die in Folge der Entwicklung der Gleichungen als Potenzen jener Inkremente oder Produkte zum Vorschein kommen (etenim isti termini nihilum valebunt), ebenso seien[336] die Glieder, die nur aus der ursprünglichen Gleichung bestimmte Großen enthalten, wegzuwerfen (das nachherige Abziehen der ursprünglichen Gleichung von der mit den Inkrementen gebildeten) und zuletzt für das Inkrement der Ordinate die Ordinate selbst und für das Inkrement der Abszisse die Subtangente zu substituieren. Man kann, wenn es so zu reden erlaubt ist, das Verfahren nicht schulmeistermäßiger angeben; – die letztere Substitution ist die für die Tangentenbestimmung in der gewöhnlichen Differentialmethode zur Grundlage gemachte Annahme der Proportionalität der Inkremente der Ordinate und Abszisse mit der Ordinate und Subtangente; in Barrows Regel erscheint diese Annahme in ihrer ganz naiven Nacktheit. Eine einfache Weise, die Subtangente zu bestimmen, war gefunden; die Manieren Robervals und Fermats laufen auf Ähnliches hinaus, – die Methode, die größten und kleinsten Werte zu finden, von der der letztere ausging, beruht auf denselben Grundlagen und demselben Verfahren. Es war eine mathematische Sucht jener Zeiten, sogenannte Methoden, d. i. Regeln jener Art zu finden, dabei aus ihnen auch ein Geheimnis zu machen, was nicht nur leicht, sondern selbst in einer Rücksicht nötig war, aus demselben Grunde, als es leicht war, – nämlich weil die Erfinder nur eine empirische äußerliche Regel, keine Methode, d. i. nichts aus anerkannten Prinzipien Abgeleitetes, gefunden hatten. Solche sogenannten Methoden hat Leibniz von seiner Zeit und Newton ebenfalls von derselben und unmittelbar von seinem Lehrer aufgenommen, sie haben durch die Verallgemeinerung ihrer Form und Anwendbarkeit den Wissenschaften neue Bahnen gebrochen, aber damit zugleich das Bedürfnis gehabt, das Verfahren aus der Gestalt bloß äußerlicher Regeln zu reißen, und demselben die erforderliche Berechtigung zu verschaffen gesucht.

Analysieren wir die Methode näher, so ist der wahrhafte[337] Vorgang dieser. Es werden erstlich die Potenzenbestimmungen (versteht sich: der veränderlichen Größen), welche die Gleichung enthält, auf ihre ersten Funktionen herabgesetzt. Damit aber wird der Wert der Glieder der Gleichung verändert; es bleibt daher keine Gleichung mehr, sondern es ist nur ein Verhältnis entstanden zwischen der ersten Funktion der einen veränderlichen Größe zu der ersten Funktion der anderen; statt px = y2 hat man p:2y, oder statt 2ax-x2 = y2 hat man a-x:y was nachher als das Verhältnis dy/dx bezeichnet zu werden pflegte. Die Gleichung ist Gleichung der Kurve; dies Verhältnis, das ganz von derselben abhängig, aus derselben (oben nach einer bloßen Regel) abgeleitet ist, ist dagegen ein lineares, mit welchem gewisse Linien in Proportion sind; p:2y oder a-x:y sind selbst Verhältnisse aus geraden Linien der Kurve, den Koordinaten und den Parametern; aber damit weiß man noch nichts. Das Interesse ist, von anderen an der Kurve vorkommenden Linien zu wissen, daß ihnen jenes Verhältnis zukommt, die Gleichheit zweier Verhältnisse zu finden. – Es ist also zweitens die Frage, welches die geraden, durch die Natur der Kurve bestimmten Linien sind, welche in solchem Verhältnisse stehen. – Dies aber ist es, was schon früher bekannt war, daß nämlich solches auf jenem Wege erhaltene Verhältnis das Verhältnis der Ordinate zur Subtangente ist. Dies hatten die Alten auf sinnreichem geometrischen Wege gefunden; was die neueren Erfinder entdeckt haben, ist das empirische Verfahren, die Gleichung der Kurve so zuzurichten, daß jenes erste Verhältnis geliefert wird, von dem bereits bekannt war, daß es einem Verhältnisse gleich ist, welches die Linie enthält, hier die Subtangente, um deren Bestimmung es zu tun ist. Teils ist nun jene Zurichtung der Gleichung methodisch gefaßt und gemacht worden – die Differentiation –, teils aber sind die imaginären Inkremente der Koordinaten und das imaginäre, hieraus und [aus] einem ebensolchen Inkremente der Tangente gebildete charakteristische Dreieck erfunden worden, damit die Proportionalität[338] des durch die Depotenzierung der Gleichung gefundenen Verhältnisses mit dem Verhältnisse der Ordinate und der Subtangente nicht als etwas empirisch nur aus der alten Bekanntschaft Aufgenommenes, sondern als ein Erwiesenes dargestellt werde. Die alte Bekanntschaft jedoch erweist sich überhaupt und am unverkennbarsten in der angeführten Form von Regeln als die einzige Veranlassung und respektive Berechtigung der Annahme des charakteristischen Dreiecks und jener Proportionalität.

Lagrange hat nun diese Simulation verworfen und den echt wissenschaftlichen Weg eingeschlagen; seiner Methode ist die Einsicht zu verdanken, worauf es ankommt, indem sie darin besteht, die beiden Übergänge, die für die Auflösung der Aufgabe zu machen sind, zu trennen und jede dieser Seiten für sich zu behandeln und zu erweisen. Der eine Teil dieser Auflösung – indem wir für die nähere Angabe des Ganges bei dem Beispiele der elementarischen Aufgabe, die Subtangente zu finden, bleiben –, der theoretische oder allgemeine Teil, nämlich das Finden der ersten Funktion aus der gegebenen Kurvenvergleichung, wird für sich reguliert; derselbe gibt ein lineares Verhältnis, also von geraden Linien, die in dem Systeme der Kurvenbestimmung vorkommen. Der andere Teil der Auflösung ist nun die Findung derjenigen Linien an der Kurve, welche in jenem Verhältnisse stehen. Dies wird nun auf die direkte Weise (Théorie des fonctions analytiques, II, P., II. Chap.) bewerkstelligt, d. i. ohne das charakteristische Dreieck, nämlich ohne unendlichkleine Bogen, Ordinaten und Abszissen anzunehmen und diesen die Bestimmungen von dy und dx, d. i. von den Seiten jenes Verhältnisses und zugleich unmittelbar die Bedeutung der Gleichheit desselben mit der Ordinate und Subtangente selbst zu geben. Eine Linie (wie auch ein Punkt) hat allein ihre Bestimmung, insofern sie die Seite eines Dreiecks ausmacht, wie auch die Bestimmung eines Punkts nur in einem solchen liegt. Dies ist, um es im Vorbeigehen zu erwähnen, der Fundamentalsatz der analytischen Geometrie,[339] welcher die Koordinaten wie, was dasselbe ist, in der Mechanik das Parallelogramm der Kräfte herbeiführt, das eben darum der vielen Bemühung um einen Beweis ganz unbedürftig ist. – Die Subtangente wird nun als die Seite eines Dreiecks gesetzt, dessen weitere Seiten die Ordinate und die darauf sich beziehende Tangente ist. Letztere hat als gerade Linie zu ihrer Gleichung p = aq (+b hinzuzufügen ist für die Bestimmung unnütz und wird nur um der beliebten Allgemeinheit [willen] hinzugesetzt); die Determination des Verhältnisses – p/a fällt in a, den Koeffizienten von q, der die respektive erste Funktion der Gleichung ist, überhaupt aber nur als a = p/q betrachtet zu werden braucht als, wie gesagt, die wesentliche Determination der geraden Linie, die als Tangente an die Kurve appliziert ist. Indem nun ferner die erste Funktion der Kurvengleichung genommen wird, ist sie ebenso die Determination einer geraden Linie; indem ferner die eine Koordinate p der ersten geraden Linie und y, die Ordinate der Kurve, als dieselben genommen werden, daß also der Punkt, in welchem jene als Tangente angenommene erste Gerade die Kurve berührt, gleichfalls der Anfangspunkt der durch die erste Funktion der Kurve bestimmten geraden Linie ist, so kommt es darauf an zu zeigen, daß diese zweite gerade Linie mit der ersten zusammenfällt, d.h. Tangente ist; algebraisch ausgedrückt, daß, indem y = fx und p = Fq ist und nun y = p, also fx = Fq angenommen wird, auch f'x = F'q. Daß nun die als Tangente applizierte Gerade und jene aus der Gleichung durch deren erste Funktion determinierte gerade Linie zusammenfallen, daß die letztere also Tangente ist, dies wird mit Zuhilfenahme des Inkrements i der Abszisse und des durch die Entwicklung der Funktion bestimmten Inkrements der Ordinate gezeigt. Hier kommt denn also gleichfalls das berüchtigte Inkrement herein; aber wie es zu dem soeben angegebenen Behufe eingeführt wird, und die Entwicklung der Funktion nach demselben, muß von dem früher erwähnten Gebrauch des Inkrements für das Finden der Differentialgleichung und für das charakteristische[340] Dreieck wohl unterschieden werden. Der hier gemachte Gebrauch ist berechtigt und notwendig; er fällt in den Umkreis der Geometrie, indem es zur geometrischen Bestimmung einer Tangente als solcher gehört, daß zwischen ihr und der Kurve, mit der sie einen Punkt gemeinschaftlich hat, keine andere gerade Linie, die gleichfalls in diesen Punkt fiele, durchgehen könne. Denn mit dieser Bestimmung ist die Qualität der Tangente oder Nicht-Tangente auf den Größenunterschied zurückgeführt, und diejenige Linie ist die Tangente, auf welche die größere Kleinheit schlechthin in Ansehung der Determination, auf welche es ankommt, falle. Diese scheinbar nur relative Kleinheit enthält durchaus nichts Empirisches, d. i. von einem Quantum als solchem Abhängiges; sie ist qualitativ durch die Natur der Formel gesetzt, wenn der Unterschied des Moments, von dem die zu vergleichende Größe abhängt, ein Potenzenunterschied ist; indem derselbe auf i und i2 hinauskommt und i, das zuletzt doch eine Zahl bedeuten soll, dann als ein Bruch vorzustellen ist, so ist i2 an und für sich kleiner als i, so daß selbst die Vorstellung von einer beliebigen Größe, in der man i nehmen könne, hier überflüssig und sogar nicht an ihrem Orte ist. Eben damit hat der Erweis der größeren Kleinheit nichts mit einem Unendlichkleinen zu tun, das hiermit hier keineswegs hereinzukommen hat.

Wäre es auch nur um der Schönheit und des heutigentags mehr vergessenen, aber wohlverdienten Ruhmes willen, daß ich noch Descartes Tangentenme thode anführen will; sie hat übrigens auch eine Beziehung auf die Natur der Gleichungen, über welche dann noch eine fernere Bemerkung zu machen ist. Descartes trägt diese selbständige Methode, worin die geforderte lineare Bestimmung gleichfalls aus derselben abgeleiteten Funktion gefunden wird, in seiner, sonst auch so fruchtbar gewordenen Geometrie (liv. II, p, 357 sq., Oeuvres compl., ed. Cousin, Tom. V) vor, indem er in derselben die große Grundlage von der Natur der Gleichungen und deren geometrischer Konstruktion[341] und der damit so sehr erweiterten Analysis auf die Geometrie überhaupt gelehrt hat. Das Problem hat bei ihm die Form der Aufgabe, gerade Linien senkrecht auf beliebige Orte einer Kurve zu ziehen, als wodurch Subtangente usf. bestimmt wird; man begreift die Befriedigung, die er daselbst über seine Entdeckung, die einen Gegenstand von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse der damaligen Zeit betraf und die so sehr geometrisch ist und dadurch so hoch über den oben erwähnten bloßen Regelmethoden seiner Nebenbuhler stand, ausdrückt: »j'ose dire que c'est ceci le problème le plus utile et le plus général, non seulement que je sache, mais même que j'ai jamais désiré de savoir en géometrie.« – Er legt für die Auflösung die analytische Gleichung des rechtwinkligen Dreiecks zugrunde, das durch die Ordinate des Punkts der Kurve, auf welchem die im Probleme verlangte gerade Linie senkrecht sein soll, dann durch diese selbst, die Normale, und drittens durch den Teil der Achse, der durch die Ordinate und Normale abgeschnitten wird, durch die Subnormale, gebildet wird. Aus der bekannten Gleichung einer Kurve wird nun in jene Gleichung des Dreiecks der Wert, es sei der Ordinate oder der Abszisse, substituiert, so hat man eine Gleichung des zweiten Grades (und Descartes zeigt, wie auch Kurven, deren Gleichungen höhere Grade enthalten, sich hierauf zurückführen), in welcher nur noch die eine der veränderlichen Größen, und zwar im Quadrat und in der ersten Potenz vorkommt; eine quadratische Gleichung, welche zunächst als eine sogenannte unreine erscheint. Nun macht Descartes die Reflexion, daß, wenn der auf der Kurve angenommene Punkt als Durchschnittspunkt derselben und eines Kreises vorgestellt wird, dieser Kreis die Kurve noch in einem anderen Punkte schneiden wird und alsdann sich für die zwei damit entstehenden[342] und ungleichen x zwei Gleichungen mit denselben Konstanten und von derselben Form ergeben, – oder aber nur eine Gleichung mit ungleichen Werten von x. Die Gleichung wird aber nur eine, für das eine Dreieck, in welchem die Hypotenuse auf die Kurve senkrecht, Normale, ist, was so vorgestellt wird, daß man die beiden Durchschnittspunkte der Kurve durch den Kreis zusammenfallen, diesen also die Kurve berühren lasse. Damit aber fällt auch der Umstand der ungleichen Wurzeln des x oder y der quadratischen Gleichung hinweg. Bei einer quadratischen Gleichung von zwei gleichen Wurzeln nun aber ist der Koeffizient des Gliedes, das die Unbekannte in der ersten Potenz enthält, das Doppelte der nur einen Wurzel; dies nun gibt eine Gleichung, durch welche die verlangten Bestimmungen gefunden sind. Dieser Gang ist für den genialen Griff eines echt analytischen Kopfes anzusehen, wogegen die ganz assertorisch angenommene Proportionalität der Subtangente und der Ordinate mit den unendlich klein sein sollenden sogenannten Inkrementen der Abszisse und der Ordinate ganz zurücksteht.

Die auf die angegebene Weise erhaltene Endgleichung, welche den Koeffizienten des zweiten Gliedes der quadratischen Gleichung gleichsetzt der doppelten Wurzel oder Unbekannten, ist dieselbe, welche durch das Verfahren des Differentialkalküls gefunden wird, x2 – ax – b = 0 differentiiert, gibt die neue Gleichung 2x – a = 0 oder x3 – px – q = 0 gibt 3x2 – p = 0. Es bietet sich hierbei aber die Bemerkung an, daß es sich keineswegs von selbst versteht, daß solche abgeleitete Gleichung auch richtig ist. Bei einer Gleichung mit zwei veränderlichen Größen, die darum, daß sie veränderliche sind, den Charakter, unbekannte Größen zu sein, nicht verlieren, kommt, wie oben betrachtet wurde, nur ein Verhältnis heraus, aus dem angegebenen einfachen Grunde, weil durch das Substituieren der Funktionen der Potenzierung an die Stelle der Potenzen selbst der Wert der beiden Glieder der Gleichung verändert wird und es für sich selbst[343] noch unbekannt ist, ob auch zwischen ihnen bei so veränderten Werten noch eine Gleichung stattfinde. Die Gleichung dy/dx = P drückt gar nichts weiter aus, als daß P ein Verhältnis ist, und es ist dem dy/dx sonst kein reeller Sinn zuzuschreiben. Von diesem Verhältnis = P ist es aber ebenso noch unbekannt, welchem anderen Verhältnisse es gleich sei; solche Gleichung, die Proportionalität, gibt demselben erst einen Wert und Bedeutung. – Wie angegeben wurde, daß man diese Bedeutung, was die Anwendung hieß, anderswoher, empirisch aufnahm, so muß bei den hier in Rede stehenden, durch Differentiation abgeleiteten Gleichungen anderswoher gewußt werden, ob sie gleiche Wurzeln haben, um zu wissen, ob die erhaltene Gleichung noch richtig sei. Dieser Umstand wird aber in den Lehrbüchern nicht ausdrücklich bemerklich gemacht; er wird wohl dadurch beseitigt, daß eine Gleichung mit einer Unbekannten, auf Null gebracht, sogleich = y gesetzt wird, wodurch dann bei der Differentiation allerdings ein dy/dx nur ein Verhältnis herauskommt. Der Funktionenkalkül soll es allerdings mit Funktionen der Potenzierung oder die Differentialrechnung mit Differentialien zu tun haben, aber daraus folgt für sich noch keineswegs, daß die Größen, deren Differentialien oder Funktionen der Potenzierung genommen werden, selbst auch nur Funktionen anderer Größen sein sollen. In dem theoretischen Teile, der Anweisung, die Differentiale, d. i. die Funktionen der Potenzierung abzuleiten, wird ohnehin noch nicht daran gedacht, daß die Größen, die vor solcher Ableitung zu behandeln gelehrt wird, selbst Funktionen anderer Größen sein sollen.

Noch kann in Ansehung des Weglassens der Konstante bei dem Differentiieren bemerklich gemacht werden, daß dasselbe hier den Sinn hat, daß die Konstante für die Bestimmung der Wurzeln im Falle ihrer Gleichheit gleichgültig ist, als welche Bestimmung durch den Koeffizienten des zweiten Gliedes der Gleichung erschöpft ist. Wie im angeführten Beispiele[344] von Descartes die Konstante das Quadrat der Wurzeln selbst ist, also diese aus der Konstante ebenso wie aus den Koeffizienten bestimmt werden kann, indem sie überhaupt, wie die Koeffizienten, Funktion der Wurzeln der Gleichung ist. In der gewöhnlichen Darstellung erfolgt das Wegfallen der sogenannten nur durch + und – mit den übrigen Gliedern verbundenen Konstanten durch den bloßen Mechanismus des Verfahrens, daß, um das Differential eines zusammengesetzten Ausdrucks zu finden, nur den veränderlichen Größen ein Zuwachs gegeben und der hierdurch formierte Ausdruck von dem ursprünglichen abgezogen wird. Der Sinn der Konstanten und Ihres Weglassens, inwiefern sie selbst Funktionen sind und nach dieser Bestimmung dienen oder nicht, kommt nicht zur Sprache.

Mit dem Weglassen der Konstanten hängt eine ähnliche Bemerkung zusammen, die über die Namen von Differentiation und Integration gemacht werden kann, als früher über den endlichen und unendlichen Ausdruck gemacht wurde, daß nämlich in ihrer Bestimmung vielmehr das Gegenteil von dem liegt, was der Ausdruck besagt. Differentiieren bezeichnet das Setzen von Differenzen; durch das Differentiieren aber wird eine Gleichung vielmehr auf weniger Dimensionen herabgebracht, durch das Weglassen der Konstante wird ein Moment der Bestimmtheit hinweggenommen; wie bemerkt, werden die Wurzeln der veränderlichen Größe auf eine Gleichheit gesetzt, die Differenz also derselben aufgehoben. In der Integration hingegen soll die Konstante wieder hinzugesetzt werden; die Gleichung wird dadurch allerdings, aber in dem Sinne integriert, daß die vorher aufgehobene Differenz der Wurzeln wiederhergestellt, das Gleichgesetzte wieder differentiiert wird. – Der gewöhnliche Ausdruck trägt dazu bei, die -wesentliche Natur der Sache in Schatten zu setzen und alles auf den unterge ordneten,)a der Hauptsache fremdartigen Gesichtspunkt teils der unendlich kleinen Differenz, des Inkrements und dergleichen, teils der bloßen Differenz überhaupt zwischen der gegebenen und[345] der abgeleiteten Funktion, ohne deren spezifischen, d. i. den qualitativen Unterschied zu bezeichnen, zu stellen.

Ein anderes Hauptgebiet, in welchem von dem Differentialkalkül Gebrauch gemacht wird, ist die Mechanik, von den unterschiedenen Potenzenfunktionen, die sich bei den elementarischen Gleichungen ihres Gegenstandes, der Bewegung, ergeben, sind deren Bedeutungen bereits beiläufig erwähnt; ich will dieselben hier direkt aufnehmen. Die Gleichung, nämlich der mathematische Ausdruck, der schlecht-gleichförmigen Bewegung c = s/t oder s = ct, in welcher die durchlaufenen Räume den verflossenen Zeiten nach einer empirischen Einheit c, der Größe der Geschwindigkeit, proportioniert sind, bietet für die Differentiation keinen Sinn dar; der Koeffizient c ist bereits vollkommen bestimmt und bekannt, und es kann keine weitere Potenzenentwicklung stattfinden. – Wie s = at2, die Gleichung der Bewegung des Falles, analysiert wird, ist früher schon erinnert; – das erste Glied der Analyse ds/dt wird in die Sprache und resp. in die Existenz so übersetzt, es solle ein Glied einer Summe (welche Vorstellung wir längst entfernt haben) der eine Teil der Bewegung sein, und zwar solle dieser der Kraft der Trägheit, d. i. einer schlecht-gleichförmigen Geschwindigkeit so zukommen, daß in den unendlichkleinen Zeitteilen die Bewegung gleichförmig, in den endlichen Zeitteilen, d.h. in der Tat existierenden, aber ungleichförmig sei. Freilich ist fs = 2at und die Bedeutung von a und von t für sich bekannt, sowie daß hiermit die Bestimmung von gleichförmiger Geschwindigkeit einer Bewegung gesetzt ist; da a = s/t2, ist 2at = 2s/t überhaupt; damit aber weiß man im geringsten nichts weiter; nur die fälschliche Annahme, daß 2at ein Teil der Bewegung als einer Summe sei, gibt den fälschlichen Schein eines physikalischen Satzes. Der Faktor selbst, a, die empirische Einheit – ein Quantum als solches – wird der Schwere zugeschrieben; wenn die Kategorie der Kraft der Schwere gebraucht wird, so ist vielmehr zu sagen, daß eben das Ganze s = at2 die Wirkung oder besser das Gesetz der[346] Schwere ist. – Gleichmäßig ist der aus ds/dt = 2at abgeleitete Satz, daß, wenn die Schwere aufhörte zu wirken, der Körper mit der am Ende seines Falles erlangten Geschwindigkeit den doppelten Raum von dem, welchen er durchlaufen hat, in einer der Dauer seines Falles gleichen Zeit zurücklegen würde. – Es liegt hierin auch eine für sich schiefe Metaphysik; das Ende des Falles oder das Ende eines Zeitteils, in welchem der Körper gefallen, ist immer selbst noch ein Zeitteil; wäre es kein Zeitteil, so wäre Ruhe und damit keine Geschwindigkeit angenommen; die Geschwindigkeit kann nur nach dem Räume angesetzt werden, welcher in einem Zeitteil, nicht an seinem Ende, durchlaufen worden ist. Wenn nun aber vollends in anderen physikalischen Gebieten, wo gar keine Bewegung vorhanden ist, wie z.B. im Verhalten des Lichts (außer dem, was seine Fortpflanzung im Räume genannt wird) und [bei] Größenbestimmungen an den Farben, eine Anwendung der Differentialrechnung gemacht wird und die erste Funktion von einer quadratischen Funktion hier auch Geschwindigkeit genannt wird, so ist dies für einen noch unstatthafteren Formalismus der Erdichtung von Existenz anzusehen.

Die Bewegung, welche durch die Gleichung s = at2 vorgestellt wird, finden wir, sagt Lagrange, in der Erfahrung vom Falle der Körper; die einfachste Bewegung nach derselben würde die sein, deren Gleichung s = ct3 wäre, aber die Natur zeige keine Bewegung dieser Art; wir wüßten nicht, was der Koeffizient c bedeuten könnte. Wenn dem wohl so ist, so gibt es dagegen eine Bewegung, deren Gleichung s3 = at2 ist, – das Keplersche Gesetz der Bewegung der Körper des Sonnensystems; – was hier die erste abgeleitete Funktion (2at)/(3s2) usf. bedeuten soll, und die fernere direkte Behandlung dieser Gleichung durch die Differentiation, die Entwicklung der Gesetze und Bestimmungen, jener absoluten Bewegung von diesem Ausgangspunkte aus, müßte dagegen wohl als eine interessante Aufgabe erscheinen, in welcher die Analysis im würdigsten Glänze sich zeigen würde.[347]

Für sich bietet so die Anwendung des Differentialkalküls auf die elementarischen Gleichungen der Bewegung kein reelles Interesse dar; das formelle Interesse kommt von dem allgemeinen Mechanismus des Kalküls. Eine andere Bedeutung aber erhält die Zerlegung der Bewegung in Beziehung auf die Bestimmung ihrer Trajektorie; wenn dieses eine Kurve ist und ihre Gleichung höhere Potenzen enthält, bedarf es der Übergänge von geradlinigen Funktionen als Funktionen der Potenzierung zu den Potenzen selbst, und indem jene aus der ursprünglichen Gleichung der Bewegung, welche den Faktor der Zeit enthält, mit Elimination der Zeit zu gewinnen sind. Ist dieser zugleich auf die niedrigeren Entwicklungsfunktionen herabzusetzen, aus welchen jene Gleichungen linearer Bestimmungen erhalten werden können. Diese Seite führt auf das Interesse des anderen Teils der Differentialrechnung.

Das Bisherige hat den Zweck gehabt, die einfache spezifische Bestimmung des Differentialkalküls herauszuheben und festzustellen und dieselbe in einigen der elementarischen Beispiele nachzuweisen. Diese Bestimmung hat sich ergeben, darin zu bestehen, daß aus einer Gleichung von Potenzenfunktionen der Koeffizient des Entwicklungsgliedes, die sogenannte erste Funktion gefunden und das Verhältnis, welches diese ist, in Momenten des konkreten Gegenstands aufgewiesen werde, durch welche so erhaltene Gleichung zwischen den beiden Verhältnissen diese Momente selbst bestimmt sind. Es ist ebenso von dem Prinzip der Integralrechnung kurz zu betrachten, was sich aus dessen Anwendung für die spezifische konkrete Bestimmung derselben ergibt. Die Ansicht dieses Kalküls ist dadurch schon vereinfacht und richtiger bestimmt worden, daß er nicht mehr als Summationsmethode genommen wird, wie er im Gegensatz gegen das Differentiieren, wo der Zuwachs als das wesentliche Ingrediens gilt, genannt wurde und womit er in wesentlichem Zusammenhang mit der Form der Reihe erschien. – Die Aufgabe dieses Kalküls ist zunächst ebenso die[348] theoretische oder vielmehr formelle als die der Differentialrechnung, bekanntlich aber die umgekehrte von dieser; – es wird hier von einer Funktion ausgegangen, die als abgeleitete, als der Koeffizient des nächsten aus der Entwicklung einer, aber noch unbekannten Gleichung entsprungenen Gliedes betrachtet wird, und aus ihr soll die ursprüngliche Potenzenfunktion gefunden werden; die in der natürlichen Ordnung der Entwicklung als ursprünglich anzusehende wird hier abgeleitet, und die früher als abgeleitet betrachtete ist hier die gegebene oder überhaupt die anfangende. Das Formelle dieser Operation scheint nun aber bereits durch den Differentialkalkül geleistet zu sein, indem darin überhaupt der Übergang und das Verhältnis von der ursprünglichen zu der Entwicklungsfunktion festgestellt ist. Wenn hierbei, teils schon um die Funktion, von der auszugehen ist, anzusetzen, teils aber den Übergang von ihr zu der ursprünglichen zu bewerkstelligen, notwendig in vielen Fällen zu der Form der Reihe die Zuflucht genommen werden muß, so ist zunächst festzuhalten, daß diese Form als solche mit dem eigentümlichen Prinzip des Integrierens unmittelbar nichts zu tun hat.

Der andere Teil nun aber der Aufgabe des Kalküls erscheint in Rücksicht auf die formelle Operation die Anwendung derselben. Diese ist nun selbst die Aufgabe, nämlich die Bedeutung in dem oben angegebenen Sinne zu kennen, welche die ursprüngliche Funktion von der gegebenen, als ersten Funktion betrachteten eines besonderen Gegenstandes hat. An sich könnte auch diese Lehre bereits in der Differentialrechnung ganz abgetan zu sein scheinen; allein es tritt ein weiterer Umstand ein, der die Sache nicht so einfach sein läßt. Indem nämlich in diesem Kalkül sich ergeben [hat], daß durch die erste Funktion der Gleichung einer Kurve das Verhältnis, welches ein lineares ist, erhalten worden, so weiß man damit auch, daß die Integration dieses Verhältnisses die Gleichung der Kurve im Verhältnisse der Abszisse und Ordinate gibt; oder wenn die Gleichung für die Ebene einer Kurve gegeben wäre, so würde die Differentialrechnung[349] über die Bedeutung der ersten Funktion solcher Gleichung bereits gelehrt haben sollen, daß diese Funktion die Ordinate als Funktion der Abszisse, hiermit die Gleichung der Kurve darstellte.

Nun kommt es aber darauf an, welches von den Bestimmungsmomenten des Gegenstandes in der Gleichung selbst gegeben ist; denn nur von dem Gegebenen kann die analytische Behandlung den Ausgang nehmen und von da zu den übrigen Bestimmungen des Gegenstandes übergehen. Es ist z.B. nicht die Gleichung eines Flächenraums der Kurve, noch etwa des durch ihre Umdrehung entstehenden Körpers, noch auch eines Bogens derselben, sondern nur das Verhältnis der Abszisse und Ordinate in der Gleichung der Kurve selbst gegeben. Die Übergänge von jenen Bestimmungen zu dieser Gleichung selbst können daher nicht schon in der Differentialrechnung behandelt werden; es wird für die Integralrechnung aufgespart, diese Verhältnisse zu finden.

Ferner aber ist gezeigt worden, daß die Differentiierung der Gleichung von mehreren veränderlichen Größen die Entwicklungspotenz oder Differentialkoeffizienten nicht als eine Gleichung, sondern nur als ein Verhältnis gibt; die Aufgabe ist dann für dies Verhältnis, welches die abgeleitete Funktion ist, ein zweites in den Momenten des Gegenstandes anzugeben, das jenem gleich sei. Dagegen ist das Objekt der Integralrechnung das Verhältnis selbst der ursprünglichen zu der abgeleiteten, hier gegeben sein sollenden Funktion, und die Aufgabe ist, die Bedeutung der zu findenden ursprünglichen Funktion in dem Gegenstande der gegebenen ersten Funktion anzugeben oder vielmehr, indem diese Bedeutung, z.B. die Ebene einer Kurve oder die zu rektifizierende, als geradlinig vorgestellte Kurve usf., schon als das Problem ausgesprochen ist, zu zeigen, daß solche Bestimmung durch eine ursprüngliche Funktion gefunden werde und welches das Moment des Gegenstandes sei, welches hierfür zur Ausgangs– (der abgeleiteten) Funktion angenommen werden müsse.[350]

Die gewöhnliche Methode nun, welche die Vorstellung der Differenz als des Unendlichkleinen gebraucht, macht sich die Sache leicht; für die Quadratur der Kurven also nimmt sie ein unendlich kleines Rektangel, ein Produkt der Ordinate in das Element, d. i. das Unendlichkleine der Abszisse, für das Trapez, das zu einer seiner Seiten den unendlichkleinen, jenem Unendlichkleinen der Abszisse gegenüberstehenden Bogen habe; das Produkt wird nun in dem Sinne integriert, daß das Integral die Summe der un endlich vielen Trapeze, die Ebene, deren Bestimmung verlangt wird, nämlich die endliche Große jenes Elements der Ebene gebe. Ebenso formiert sie aus den Unendlichkleinen des Bogens und der dazugehörigen Ordinate und Abszisse ein rechtwinkliges Dreieck, in welchem das Quadrat jenes Bogens gleich sei der Summe der Quadrate der beiden anderen Unendlichkleinen, deren Integration den Bogen als einen endlichen gibt.

Dies Verfahren hat die allgemeine Entdeckung, welche diesem Gebiete der Analysis zugrunde liegt, zu seiner Voraussetzung, hier in der Weise, daß die quadrierte Kurve, der rektifizierte Bogen usf. zu einer gewissen, durch die Gleichung der Kurve gegebenen Funktion in dem Verhältnis der sogenannten ursprünglichen Funktion zu der abgeleiteten steht. Es handelt sich darum zu wissen, wenn ein gewisser Teil eines mathematischen Gegenstandes (z.B. einer Kurve) als die abgeleitete Funktion angenommen werde, welcher andere Teil desselben durch die entsprechende ursprüngliche Funktion ausgedrückt ist. Man weiß, daß, wenn die durch die Gleichung der Kurve gegebene Funktion der Ordinate als abgeleitete Funktion genommen wird, die relativ ursprüngliche Funktion der Größenausdruck der von dieser Ordinate abgeschnittenen Area der Kurve ist, daß, wenn eine gewisse Tangentenbestimmung als abgeleitete Funktion angesehen wird, die ursprüngliche Funktion derselben die Größe des zu dieser Tangentenbestimmung gehörigen Bogens ausdrückt usf., daß nun aber diese Verhältnisse, das eine einer ursprünglichen Funktion zu der abgeleiteten, das[351] andere von den Größen zweier Teile oder Umstände des mathematischen Gegenstandes, eine Proportion bilden, dies zu erkennen und zu beweisen erspart sich die Methode, die das Unendlichkleine und die mechanische Operation mit demselben gebraucht. Das eigentümliche Verdienst des Scharfsinns ist, aus den anderwärts her bereits bekannten Resultaten herausgefunden zu haben, daß gewisse und welche Seiten eines mathematischen Gegenstandes in dem Verhältnisse von ursprünglicher und von abgeleiteter Funktion stehen.

Von diesen beiden Funktionen ist die abgeleitete oder, wie sie bestimmt worden ist, die Funktion der Potenzierung hier in diesem Kalkül die gegebene, relativ gegen die ursprüngliche, als welche erst aus jener durch die Integration gefunden werden soll. Allein sie ist nicht unmittelbar gegeben, noch ist es für sich schon gegeben, welcher Teil oder Bestimmung des mathematischen Gegenstandes als die abgeleitete Funktion angesehen werden soll, um durch Zurückführung derselben auf die ursprüngliche den anderen Teil oder Bestimmung zu finden, deren Größe das Problem verlangt. Die gewöhnliche Methode, die, wie gesagt, sogleich gewisse Teile des Gegenstandes als unendlich klein in der Form abgeleiteter Funktionen vorstellt, welche sich aus der ursprünglich gegebenen Gleichung des Gegenstandes überhaupt durch die Differentiierung bestimmen lassen (wie für die Rektifikation einer Kurve die unendlichkleinen Abszissen und Ordinaten), nimmt dafür solche, welche sich mit dem Gegenstande des Problems (in dem Beispiele dem Bogen), der ebenso als unendlichklein vorgestellt wird, in eine Verbindung bringen lassen, die in der Elementarmathematik festgestellt ist und wodurch, wenn jene Teile bekannt sind, auch dieser bestimmt ist, dessen Größe zu finden aufgegeben ist; so werden für die Rektifikation die angegebenen drei Unendlichkleinen in die Verbindung der Gleichung des rechtwinkligen Dreiecks gebracht, für die Quadratur die Ordinate mit der unendlichkleinen Abszisse in die Verbindung eines Produkts, indem[352] eine Ebene überhaupt arithmetisch als Produkt von Linien angenommen ist. Der Übergang von solchem sogenannten Elemente der Ebene, des Bogens usf. zur Größe der Ebene, des Bogens usf. selbst gilt dann nur als das Aufsteigen von dem unendlichen Ausdruck zum endlichen oder zur Summe der unendlich vielen Elemente, aus denen die verlangte Größe bestehen soll.

Es kann daher nur oberflächlich gesagt werden, daß die Integralrechnung bloß das umgekehrte, überhaupt jedoch schwierigere Problem der Differentialrechnung sei; das reelle Interesse der Integralrechnung geht vielmehr ausschließlich auf das Verhältnis der ursprünglichen und der abgeleiteten Funktion in den konkreten Gegenständen zueinander.

Lagrange ist ebensowenig in diesem Teile des Kalküls darauf eingegangen, die Schwierigkeit der Probleme auf die glatte Weise jener direkten Annahmen abzutun. Es wird zur Erläuterung der Natur der Sache beitragen, gleichfalls das Nähere seines Verfahrens aus einigen wenigen Beispielen anzugeben. Dasselbe macht es sich eben zur Aufgabe, für sich zu beweisen, daß zwischen besonderen Bestimmungen eines mathematischen Ganzen, z.B. einer Kurve, ein Verhältnis von der ursprünglichen zu der abgeleiteten Funktion stattfinde. Dies kann nun aber in diesem Felde vermöge der Natur des Verhältnisses selbst, welches am mathematischen Gegenstande krumme mit geraden Linien, lineare Dimensionen und Funktionen derselben mit Ebenen-Flächen-Dimensionen und deren Funktion usf., also qualitativ verschiedene in Beziehung bringt, nicht auf direkte Weise bewerkstelligt werden; die Bestimmung läßt sich so nur als die Mitte zwischen einem Größeren und Kleineren auffassen. Hiermit tritt von selbst wohl wieder die Form eines Zuwachses mit Plus und Minus ein, und das rüstige développons ist an seiner Stelle; aber wie die Zu wächse hier nur arithmetische, endliche Bedeutung haben, davon ist vorhin gesprochen worden. Aus der Entwicklung jener Bedingung, daß die zu bestimmende Größe größer als die eine leicht[353] bestimmbare Grenze und kleiner als die andere sei, wird dann z.B. hergeleitet, daß die Funktion der Ordinate die abgeleitete erste Funktion zu der Funktion der Area ist.

Die Rektifikation der Kurven, wie sie von Lagrange aufgezeigt wird, indem er von dem Archimedischen Prinzip ausgeht, hat das Interesse, die Übersetzung der Archimedischen Methode in das Prinzip der neueren Analysis einzusehen, was einen Blick in das Innere und in den wahrhaften Sinn des auf die andere Art mechanisch betriebenen Geschäftes tun läßt. Die Verfahrungsweise ist der soeben angegebenen notwendig analog; das Archimedische Prinzip, daß der Bogen einer Kurve größer ist als seine Chorde und kleiner als die Summe zweier an den Endpunkten des Bogens gezogenen Tangenten, insoweit sie zwischen diesen Punkten und ihrem Durchschnittspunkt enthalten sind, gibt keine direkte Gleichung. Die Übertragung jener Archimedischen Grundbestimmung in die moderne analytische Form ist die Erfindung eines Ausdrucks, der für sich eine einfache Grundgleichung sei, während jene Form nur die Forderung aufstellt, zwischen einem zu Großen und zu Kleinen, die sich jedesmal bestimmt haben, ins Unendliche fortzugehen, welches Fortgehen wieder immer nur ein neues zu Großes und ein neues zu Kleines, jedoch in immer engeren Grenzen gibt. Vermittels des Formalismus des Unendlichkleinen wird sogleich die Gleichung dz2 = dx2 + dy2 angesetzt. Die Lagrangesche Exposition, ausgehend von der angegebenen Grundlage, zeigt hingegen auf, daß die Größe des Bogens die ursprüngliche Funktion ist zu einer abgeleiteten, von der das eigentümliche Glied selbst eine Funktion aus dem Verhältnisse einer abgeleiteten zu der ursprünglichen der Ordinate ist.

Weil in dem Archimedischen Verfahren, wie dann später in der Keplerschen Behandlung stereometrischer Gegenstände, die Vorstellung vom Unendlichkleinen vorkommt, so ist dies so oft als eine Autorität für den Gebrauch, der von dieser Vorstellung in dem Differentialkalkül gemacht wird, angeführt[354] worden, ohne daß das Eigentümliche und Unterscheidende herausgehoben worden wäre. Das Unendlichkleine bedeutet zunächst die Negation des Quantums als eines solchen, d. i. eines sogenannten endlichen Ausdrucks, der vollendeten Bestimmtheit, wie sie das Quantum als solches hat. Ebenso ist in den darauf folgenden berühmten Methoden des Valerius, Cavalieri u. a., die sich auf die Betrachtung der Verhältnisse geometrischer Gegenstände gründen, die Grundbestimmung, daß das Quantum als solches der Bestimmungen, welche nur im Verhältnisse zunächst betrachtet werden, für diesen Behuf auf die Seite gestellt und sie hiernach als ein Nicht-Großes sollen genommen werden. Aber teils ist hiermit das Affirmative überhaupt, welches hinter der bloß negativen Bestimmung liegt, nicht erkannt und herausgehoben, welches sich oben abstrakt als die qualitative Größenbestimmtheit und diese bestimmter in dem Potenzenverhältnisse liegend sich ergeben hat, – teils aber, indem dies Verhältnis selbst wieder eine Menge näher bestimmter Verhältnisse in sich begreift, wie das einer Potenz und deren Entwicklungsfunktion, so haben sie auch wieder auf die allgemeine und negative Bestimmung desselben Unendlichkleinen gegründet und daraus abgeleitet werden sollen. In der eben herausgehobenen Lagrangeschen Exposition ist das bestimmte Affirmative, das in der Archimedischen Entwicklungsweise der Aufgabe liegt, gefunden und damit dem mit einem unbegrenzten Hinausgehen behafteten Verfahren seine richtige Grenze gegeben worden. Das Große der modernen Erfindung für sich und ihre Fähigkeit, vorher intraktable Probleme zu lösen und die früher lösbaren auf eine einfache Weise zu behandeln, ist allein in die Entdeckung des Verhältnisses der ursprünglichen zu den sogenannten abgeleiteten und der Teile, welche an einem mathematischen Ganzen in einem solchen Verhältnisse stehen, zu setzen.[355]

Die gemachten Anführungen mögen für den Zweck genügen, das Eigentümliche des Verhältnisses von Größen herauszuheben, welches der Gegenstand der in Rede stehenden besondern Art des Kalküls ist. Diese Anführungen konnten sich auf einfädle Probleme und deren Auflösungsweisen beschränken; und weder wäre es für die Begriffsbestimmung, um die es hier allein zu tun war, zweckmäßig gewesen, noch hätte es in dem Vermögen des Verfassers gestanden, den gesamten Umfang der sogenannten Anwendung der Differential- und Integralrechnung vorzunehmen und die Induktion, daß das aufgezeigte Prinzip derselben zugrunde liege, durch die Zurückführung aller ihrer Probleme und deren Lösungen darauf zu vervollständigen. Das Beigebrachte hat aber hinreichend gezeigt, daß, wie jede besondere Rechnungsweise eine besondere Bestimmtheit oder Verhältnis der Größe zu ihrem Gegenstande hat und ein solches das Addieren, Multiplizieren, das Erheben in Potenzen und Ausziehen der Wurzeln, die Rechnung mit Logarithmen, Reihen usf. konstituiert, ebenso der Differential- und Integralkalkül; für das diesem Kalkül Angehörige möchte der Name des Verhältnisses einer Potenzenfunktion und der Funktion ihrer Entwicklung oder Potenzierung der passendste sein, weil er der Einsicht der Natur der Sache am nächsten liegt. Nur wie die Operationen nach den anderen Größenverhältnissen, wie Addieren usf., bei diesem Kalkül überhaupt gleichfalls gebraucht werden, werden auch die Logarithmen-, Kreis- und Reihenverhältnisse angewendet, insbesondere um Ausdrücke zum Behuf der erforderlichen Operationen des Ableitens der ursprünglichen aus den Entwicklungsfunktionen traktabler zu machen. Mit der Reihenform hat die Differential- und Integralrechnung wohl das nähere Interesse gemeinschaftlich, die Entwicklungsfunktionen, welche bei den Reihen die Koeffizienten der Glieder heißen, zu bestimmen; aber indem das Interesse jenes Kalküls nur auf das Verhältnis der ursprünglichen Funktion zu dem nächsten Koeffizienten ihrer Entwicklung geht, will die Reihe in der[356] nach Potenzen, die mit jenen Koeffizienten versehen sind, geordneten Menge von Gliedern eine Summe darstellen. Das Unendliche, das bei der unendlichen Reihe vorkommt, der unbestimmte Ausdruck des Negativen des Quantums überhaupt, hat mit der affirmativen Bestimmung, welche im Unendlichen jenes Kalküls liegt, nichts gemein. Ebenso ist das Unendlichkleine, als der Zuwachs, vermittels dessen die Entwicklung in die Form der Reihe fällt, nur ein äußeres Mittel für die Entwicklung, und seine sogenannte Unendlichkeit [ist] ohne alle andere Bedeutung als die, sonst gar keine zu haben als die jenes Mittels; die Reihe, da sie in der Tat es nicht ist, die verlangt wird, führt ein Zuviel herbei, welches wieder wegzubringen die überflüssige Mühe macht. Von dieser Mühe ist die Methode Lagranges, der die Form der Reihe vorzugsweise wieder aufgenommen hat, gleichfalls gedrückt; obgleich sie es ist, durch welche in dem, was die Anwendung genannt wird, die wahre Eigentümlichkeit sich heraushebt, indem, ohne die Formen von dx, dy usf. in die Gegenstände hineinzuzwängen, direkt derjenige Teil nachgewiesen wird, dem an ihnen die Bestimmtheit der abgeleiteten (Entwicklungs-) Funktion zukommt und es sich damit zeigt, daß die Form der Reihe hier nicht das ist, um das es sich handelt.14[357]

13

Es gehört nur zum Formalismus derjenigen Allgemeinheit, auf welche die Analysis notwendigen Anspruch macht, wenn, statt (a + b)n für die Potenzenentwicklung zu nehmen, (a + b + c + d ...)n gesagt wird wie dies auch in vielen anderen Fällen getan wird, es ist solche Form sozusagen nur für eine Koketterie des Scheins der Allgemeinheit zu halten; In dem Binomium ist die Sache erschöpft; es wird durch dessen Entwicklung das Gesetz gefunden, und das Gesetz ist die wahrhafte Allgemeinheit, nicht die äußerliche nur leere Wiederholung des Gesetzes, welche allein es ist, die durch jenes a + b + c + d ... hervorgebracht wird.

14

In der oben angeführten Kritik (Jahrbuch für wissenschaftliche Kritik, II. Bd., 1827, Nr. 155, 6) finden sich interessante Äußerungen eines gründlichen Gelehrten des Faches, Herrn Spehr, aus seinen Neuen Prinzipien des Fluentenkalküls, Braunschweig 1826, angeführt, die nämlich einen Umstand betreffen, der wesentlich zu den Dunkelheiten und dem Unwissenschaftlichen in der Differentialrechnung beitrage, und stimmen mit dem überein, was über das allgemeine Verhältnis der Theorie dieses Kalküls gesagt worden ist: »Man hat«, heißt es daselbst, »rein arithmetische Untersuchungen, welche freilich von allen ähnlichen zunächst auf die Differentialrechnung Bezug haben, nicht von der eigentlichen Differentialrechnung gesondert, ja diese Untersuchungen wohl gar, wie Lagrange, für die Sache selbst gehalten, während man diese nur als Anwendung jener ansah. Diese arithmetischen Untersuchungen begreifen die Regeln der Differentiation, die Ableitung des Taylorschen Lehrsatzes usw., ja selbst die verschiedenen Integrationsmethoden in sich. Es ist ganz umgekehrt der Fall; jene Anwendungen sind es gerade, welche den Gegenstand der eigentlichen Differentialrechnung ausmachen, und alle jene arithmetischen Entwicklungen und Operationen setzt sie aus der Analysis voraus.« – Es ist aufgezeigt worden, wie bei Lagrange die Trennung der sogenannten Anwendung von dem Verfahren des allgemeinen Teils, das von den Reihen ausgeht, eben dazu dient, die eigentümliche Sache der Differentialrechnung für sich zum Vorschein zu bringen. Aber bei der interessanten Einsicht des Herrn Verfassers, daß eben die sogenannten Anwendungen es sind, welche den Gegenstand der eigentlichen Differentialrechnung ausmachen, ist es zu verwundern, wie derselbe sich In die (ebenda angeführte) formelle Metaphysik von kontinuierlicher Größe, Werden, Fließen usf. hat einlassen und solchen Ballast noch mit neuem gar hat vermehren wollen; formell sind diese Bestimmungen, Indem sie nur allgemeine Kategorien sind, welche eben das Spezifische der Sache nicht angeben, die aus den konkreten Lehren, den Anwendungen, zu erkennen und zu abstrahieren war.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 322-358.
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Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

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Große Erzählungen der Hochromantik

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Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

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