6. Kapitel
Von dem Recht dessen, der im Staate die höchste Gewalt hat, sei es ein einzelner oder eine Versammlung

[136] 1. Vor allem ist zu beachten, was eine Menge von Menschen ist8, die freiwillig sich verbunden haben. Sie sind nämlich nicht eine Körperschaft, sondern viele Menschen, von, denen jeder seinen eigenen Willen wie sein eigenes Urteil über alles hat, was vorgebracht wird. Und obgleich durch besondere Verträge der einzelne ein eigenes Recht und ein Eigentum erlangen kann, so daß der eine das, der andere jenes sein nennt, so wird es trotzdem nichts geben, von dem die ganze Menge als eine von jedem einzelnen verschiedene Person mit Recht sagen kann, dies gehört[136] mir mehr als einem andern. Keine Handlung kann der Menge als die ihrige zugeschrieben werden; auch wenn alle oder viele eingewilligt haben, entsteht nicht eine, sondern stets so viele Handlungen als Menschen. Allerdings pflegt man bei einem, großen Aufstande gemeiniglich zu sagen, daß das Volk dieses Staats die Waffen ergriffen habe; allein in Wahrheit gilt dies nur von denen, die unter den Waffen sind oder mit ihnen zusammenhalten. Denn der Staat, als eine Person, kann die Waffen nicht gegen sich selbst ergreifen. Alles was daher die Menge verübt, gilt als verübt von jedem einzelnen, aus denen sie besteht; und der, welcher zwar in dieser Menge sich befindet, aber dem Geschehenen nicht zugestimmt und nicht mitgeholfen hat, gilt als einer, der nicht mitgetan hat. Außerdem bleibt in einer solchen Menge, die sich auf die obige Weise noch nicht zu einer Person vereint hat, jener Naturzustand, wo alles allen gehört; da ist für das Mein und Dein, was man Eigentum oder Vermögen nennt, noch kein Platz; denn es fehlt noch die Sicherheit, welche nach dem früher Dargelegten zur Beobachtung der natürlichen Gesetze unbedingt erforderlich ist.[137]

2. Es ist ferner zu beachten, daß jeder aus der Menge (damit ein Anfang mit Errichtung des Staates gemacht werde) mit den übrigen einwilligen muß, daß in allen Dingen, die von jemand in der Versammlung vorgebracht werden, das als Wille aller gelten solle, was die Mehrheit wolle. Denn sonst kann eine Menge Menschen, deren Willen und Stimmen untereinander so verschieden sind, überhaupt keinen Willen haben. Will nun einer nicht einwilligen, so können die übrigen dennoch unter sich den Staat ohne ihn errichten. Dann behält der Staat gegen den Widersprechenden sein ursprüngliches Recht, d.h. das Recht des Krieges, wie gegen einen Feind.

3. Nach Abschn. 6, Kap. 5, gehört zur Sicherheit der Menschen nicht bloß ihre Übereinstimmung, sondern auch die Unterwerfung ihrer Willen in bezug auf das zum Frieden und Schutz Nötige; in dieser Vereinigung (Union) oder Unterwerfung besteht das Wesen des Staates. Es ist also nunmehr zu erwägen, was von den Gegenständen, die in der Versammlung der Menschen, deren aller Wille in dem Willen der Mehrheit befaßt ist, vorgebracht, besprochen und beschlossen werden können, zum Frieden und gemeinsamen Schutz nötig ist. Vor allem ist nun zum Frieden nötig, daß jeder gegen Gewalttätigkeiten der übrigen so weit geschützt werde, daß er sicher leben kann, d.h. daß keiner einen vernünftigen Grund habe, andere zu fürchten, solange er ihnen kein Unrecht zufügt. Allerdings ist es unmöglich, die Menschen gänzlich vor gegenseitigen Beschädigungen zu schützen, so daß sie weder verletzt noch getötet werden können: dies fällt also nicht in die Erwägung. Dagegen kann man Vorsorge treffen, daß kein gerechter Grund zur Furcht bestehe; denn Sicherheit ist der Zweck, weshalb die Menschen sich andern unterwerfen, und wenn diese nicht erlangt werden kann, so gilt die Unterwerfung unter andere nicht als geschehen und das Recht der Selbstverteidigung nicht als verloren; denn man kann nicht annehmen, daß jemand sich eher zu etwas verpflichtet habe oder sein Recht auf alles aufgegeben habe, als bis für seine Sicherheit gesorgt ist.

4. Zur Erlangung dieser Sicherheit genügt es nicht, daß jeder der zu einem Staat sich Verbindenden mit den[138] übrigen mündlich oder schriftlich sich vereinigt, nicht zu stehlen, nicht zu töten und ähnliche Gesetze zu beobachten; denn allen haftet die Schlechtigkeit der menschlichen Gesinnung an, und die Erfahrung hat nur zu sehr gelehrt, wie wenig (ohne Furcht vor Strafe) die Menschen durch die getanen Versprechen ihre Pflichten einhalten. Für die Sicherheit muß deshalb nicht durch Verträge, sondern durch Strafen gesorgt werden; und genügend Vorsorge ist erst dann getroffen, wenn so hohe Strafen für die einzelnen Vergehen festgesetzt werden, daß aus ihrer Begehung augenscheinlich ein größeres Übel als aus ihrer Unterlassung folgt. Denn alle Menschen wählen ihrer Natur nach notwendig, was ihnen selbst als das Gute erscheint.

5. Jemand wild nur dann das Recht zu strafen erlangt haben, wenn jeder verspricht, daß er dem nicht helfen wolle, welcher zur Strafe gezogen werden soll. Dieses Recht werde ich das Schwert der Gerechtigkeit nennen. Dergleichen Verträge erfüllen aber in der Regel die Menschen gut, wenn es sich nicht um ihre eigene oder naher Freunde Strafe handelt.

6. Wenn es somit für die Sicherheit der einzelnen und mithin für den gemeinen Frieden erforderlich ist, daß das Schwert der Gerechtigkeit zur Anwendung von Strafen einem einzelnen Menschen oder einer Versammlung übertragen werde, so gilt dieser Mensch oder diese Versammlung notwendig als berechtigter Inhaber der höchsten Staatsgewalt. Denn wer Strafen nach seinem Ermessen mit Recht auferlegen kann, vermag mit Recht alle zu allem nach Belieben zu zwingen und eine größere Herrschaft kann man sich nicht denken.

7. Die Pflege des Friedens unter sich würde aber denen nichts helfen, die gegen Auswärtige sich nicht schützen können, und das ist unmöglich, wenn ihre Kräfte nicht geeint sind. Deshalb erfordert die Erhaltung der einzelnen, daß eine Versammlung oder ein Mensch das Recht habe, bei jeder Gefahr oder Gelegenheit so viel Bürger zu bewaffnen, zu sammeln und zu vereinigen, wie zur gemeinsamen Verteidigung gegen die jeweilige Zahl und Kräfte der Feinde nötig ist; auch daß er mit den Feinden, so oft er es für rätlich hält, Frieden schließen kann. Man muß[139] also annehmen, daß die einzelnen Bürger dieses Recht auf Krieg und Frieden vollständig auf einen Menschen oder eine Versammlung übertragen haben. Dieses Recht, das man das Schwert des Krieges nennen kann, muß demselben Menschen oder derselben Versammlung zustehen, der das Schwert der Gerechtigkeit gebührt. Denn nur der kann rechtlich die Bürger zu den Waffen und den Kosten des Krieges zwingen, der auch rechtlich die Ungehorsamen bestrafen kann. Sonach kommt der höchsten Staatsgewalt sowohl das Schwert des Kriegs wie der Gerechtigkeit wesentlich und nach der Verfassung des Staates selbst zu.

8. Da das Recht des Schwertes nur darin besteht, dieses Schwertes sich rechtmäßig nach seinem Ermessen zu bedienen, so folgt, daß das Urteil über dessen zulässigen Gebrauch bei ebendemselben sein muß. Denn wäre die Macht der Rechtsprechung bei dem einen und die Macht der Vollstreckung bei dem andern, so würde nichts erreicht werden. Wer sein Urteil nicht vollstrecken kann, spricht dasselbe vergeblich; und wenn er es vollstreckt durch die Macht anderer, so hat er nicht selbst das Recht des Schwerts, sondern der andere, dessen Beauftragter er nur ist. Deshalb gebührt alle Rechtsprechung im Staat dem, der das Schwert hat, d.h. der höchsten Staatsgewalt.

9. Da es außerdem für den Frieden viel wichtiger ist, den Streitigkeiten zuvorzukommen, als die entstandenen zu schlichten, da aber alle Streitigkeiten unter den Menschen aus ihren verschiedenen Meinungen über das Mein und Dein, das Rechte und Unrechte, das Nützliche und Unnütze, das Gute und Böse, das Sittliche und Unsittliche und ähnliches entstehen, wobei jeder seinem eigenen Urteil folgt, so gehört es zur höchsten Staatsgewalt, für alle Bürger gemeinsame Regeln oder Maße aufzustellen und öffentlich bekannt zu machen, aus denen jeder ersehen kann, was sein und was des andern ist, was recht und was unrecht, was sittlich und was unsittlich, was gut und was schlecht ist, d.h. mit einem Wort, was jeder bei einem gemeinsamen Leben zu tun und zu unterlassen hat. Diese Regeln oder Maße heißen allgemein die bürgerlichen oder Staatsgesetze, da sie die Gebote dessen sind, der die höchste Gewalt im Staate hat. Die bürgerlichen Gesetze[140] sind (um sie zu definieren) also die Gebote des mit der höchsten Gewalt im Staate Betrauten in bezug auf die zukünftigen Handlungen der Bürger.

10. Da weiter ein Mensch oder eine Versammlung die Staatsgeschäfte sowohl im Frieden wie auch im Krieg ohne Beamte und untergeordnete Obrigkeiten nicht verwalten kann, und da der Friede und der allgemeine Schutz verlangt, daß diejenigen ihr Amt recht verwalten, denen es obliegt, die Streitigkeiten gerecht zu entscheiden, die Pläne der Nachbarn zu durchschauen, Kriege geschickt zu führen und den Nutzen des Staates allseits klug im Auge zu haben, so entspricht es der Vernunft, daß diese Obrigkeiten von dem gewählt werden und abhängig sind, welcher die höchste Gewalt im Kriege wie im. Frieden hat.

11. Es ist auch klar, daß alle freiwilligen Handlungen vom Willen ihren Anfang nehmen und notwendigerweise abhängen. Der Wille zu handeln oder nicht zu handeln hängt aber von der Ansicht ab über das Gute und Böse, den Lohn oder die Strafe, die ein jeder als Folge seiner Tat oder Unterlassung erwartet: so sind die Handlungen aller Menschen bestimmt durch die Ansichten der einzelnen. Deshalb ergibt es sich als ein klarer und notwendiger Schluß, daß es für den Frieden höchst wichtig ist, keine Meinungen oder Lehren bei den Bürgern zuzulassen, wonach diese glauben könnten, den Gesetzen des Staats, d.h. den Geboten jenes Menschen oder jener Versammlung, die mit der höchsten Staatsgewalt betraut wurden, nicht gehorchen zu brauchen oder ihnen sich widersetzen zu dürfen, oder wonach Bürger glauben könnten, daß Gehorsam unter Umständen härter bestraft werde als Ungehorsam. Wenn etwa einer etwas bei Strafe des natürlichen Todes gebietet, ein anderer dagegen es bei Strafe des ewigen Todes verbietet, und zwar beide mit Recht, so folgt, daß nicht nur die Bürger, obgleich unschuldig, mit Recht gestraft werden können, sondern daß der Staat selbst gänzlich aufgelöst ist. Denn niemand kann zweien Herren dienen, und der, dem man bei Strafe der Verdammnis gehorchen zu müssen glaubt, ist nicht weniger, ja sogar mehr Herr als der, dem man aus Furcht vor dem zeitlichen Tode gehorcht. Also müssen[141] jener eine Mensch oder jene Versammlung, welche vom Staate die höchste Gewalt empfangen haben, auch das Recht9 haben, das Verbreiten von Meinungen und Lehren, die sie für den Frieden gefährlich halten, zu verbieten.

12. Endlich folgt aus dieser Überlegung, daß jeder Bürger seinen Willen dem Willen jenes unterworfen hat, der die höchste Staatsgewalt innehat, und er mithin sich seiner Kräfte gegen ihn nicht bedienen kann, ganz klar, daß alles, was von letzterem getan wird, straflos ist. Denn da niemand da ist, der die genügende Kraft dazu hat, ihn natürlicherweise zu strafen, so kann auch niemand, der diese Kraft nicht hat, ihn rechtlich strafen.[142]

13. Aus dem Bisherigen erhellt, daß in jedem vollkommenen Staate, d.h. wo keinem Bürger das Recht zusteht, behufs seiner Erhaltung von seinen Kräften nach seinem Ermessen Gebrauch zu machen, oder wo das Recht des Schwertes dem einzelnen Bürger nicht zusteht, einer die höchste Gewalt besitzen muß, und daß die Bürger eine höhere als diese rechtlich nicht übertragen können, daß auch ein Sterblicher keine größere Macht als diese besitzen kann. Eine solche Herrschaft, welche die größte ist, welche Menschen auf einen Menschen übertragen können, heißt absolut10. Denn wer seinen Willen so dem Willen des Staates unterworfen hat, daß dieser alles ungestraft[143] tun, Gesetze geben, Rechtsstreitigkeiten entscheiden, Strafe auferlegen und die Kräfte und das Vermögen aller nach seinem Ermessen verwerten kann, und zwar dies alles mit Recht, der hat diesem sicherlich die höchstmögliche Herrschaft eingeräumt. Dies wird bestätigt durch die Erfahrungen in allen Staaten, die bestehen oder jemals bestanden haben. Es kann wohl manchmal zweifelhaft sein, welcher Mensch oder welche Versammlung die höchste Staatsgewalt innehat; aber diese selbst besteht immer und wird ausgeübt, ausgenommen in Zeiten des Aufruhrs und des Bürgerkrieges, wo aus einer zwei höchste Staatsgewalten werden. Die Aufrührer nun, welche gegen die absolute Herrschaft kämpfen, streben nicht so sehr danach, sie aufzuheben, als sie nur auf einen andern zu übertragen: würden sie diese Macht beseitigen, würden sie auch den Staat vernichten und eine allgemeine Verwirrung würde eintreten. Zu dem unbedingten Rechte des höchsten Herrschers gehört ein solcher Gehorsam von seiten der Bürger, wie er zur Staatsleitung erforderlich ist, d.h. ein solcher, der dies gewährte Recht nicht nutzlos macht. Ein solcher Gehorsam mag vielleicht aus gewissen Gründen mitunter mit Recht verweigert werden können, da er aber jedenfalls der höchstmögliche ist, nenne ich ihn den einfachen Gehorsam. Die Verbindlichkeit zu demselben entspringt zwar nicht unmittelbar aus dem Vertrage, durch welchen der einzelne sein ganzes Recht auf den Staat übertragen hat, aber[144] mittelbar daraus, daß ohne Gehorsam das Recht der Herrschaft nutzlos sein, also überhaupt kein Staat begründet werden würde. Denn wenn ich sage: Ich gebe dir das Recht, alles zu befehlen, so ist dies nicht dasselbe, als wenn ich sage: Ich werde tun, was du befiehlst. Denn das Gebot kann auch der Art sein, daß ich mich lieber töten lasse, als es erfülle. Da nun niemand verbunden werden kann, sich töten zu lassen, so ist er noch weniger zu dem verpflichtet, was für ihn härter ist als der Tod. Wenn mir also befohlen wird, mich selbst zu töten, so bin ich nicht verpflichtet, dies zu tun. Aber durch diese meine Weigerung wird das Recht der Herrschaft nicht aufgehoben, da vielleicht andere bereit sind, das zu tun, was ich verweigere, wenn man es ihnen befiehlt; ich verweigere auch nicht, das zu tun, wozu ich mich verpflichtet habe. Ebenso verpflichtet der Herrscher durch ein Gebot, ihn zu töten, niemand, es zu tun; da man nicht annehmen kann, daß dies im Vertrage ausgemacht worden. Ebensowenig braucht man seinen Vater zu töten, mag er unschuldig oder schuldig und durch das Gesetz verurteilt sein, da andere dies auf Befehl tun werden und ein Sohn eher sterben wird, als ehrlos und gehaßt von jedermann zu leben. So gibt es noch viele andere Fälle, wo die Befehle für einzelne unsittlich sind, für andere aber nicht, wo deshalb von jenen der Gehorsam mit Recht verweigert und von diesen geleistet werden kann, unbeschadet des dem Herrscher eingeräumten unbeschränkten Rechts. Denn diesem wird in keinem Falle das Recht entzogen, die Widerspenstigen zu töten. Wenn dies von ihm geschieht, so handelt er zwar aus dem Rechte, das der andere ihm übertragen hat; allein er gebraucht es doch gegen die rechte Vernunft, und deshalb verstößt er gegen die natürlichen Gesetze, d.h. gegen Gott.

14. Auch kann niemand sich selbst etwas geben; da man annimmt, daß er das schon besitze, was er sich geben könnte. Und ebenso kann er sich nicht verpflichtet sein, denn der Verpflichtete und Berechtigte fielen dabei in eine Person zusammen, und da letzterer den erstern befreien kann, so wäre eine solche Verpflichtung ohne Wirkung; er könnte sich beliebig davon befreien, und wer dies kann, ist bereits vollständig frei. Hieraus erhellt, daß der Staat[145] durch die bürgerlichen Gesetze nicht gebunden ist; denn die bürgerlichen Gesetze sind die Gesetze des Staates, und sollten ihn diese verpflichten, so wäre er sich selbst verpflichtet. Auch kann der Staat gegen den Bürger nicht verpflichtet werden, denn er kann den Staat, wenn er will, von solcher Verbindlichkeit befreien; und er will dies, wenn der Staat es will; denn der Wille eines jeden Bürgers ist in allen Dingen in dem Willen des Staates mit befaßt; der Staat ist also frei, wenn er selbst es will, d.h. er ist in der Tat schon frei von der Verbindlichkeit. Nun ist aber der Wille einer Versammlung oder eines Menschen, dem die höchste Gewalt übertragen worden ist, auch der Wille des Staates: er befaßt also den Willen aller einzelnen Bürger. Deshalb ist der, dem die höchste Gewalt übertragen worden ist, durch die Gesetze des Staates nicht gebunden, denn er wäre sonst gegen sich selbst verpflichtet und gegen keinen Bürger.

15. Da nach dem Frühern vor der Errichtung des Staates alles allen gehört und niemand etwas sein nennen kann, was nicht ebensogut jeder andere als das Seine beanspruchen kann (denn wo alles gemeinsam ist, kann niemandem etwas zu eigen gehören), so folgt, daß das Eigentum erst mit den. Staaten begonnen hat11, und daß jedem nur das zu eigen ist, was er nach den Gesetzen und vermöge der ganzen Staatsmacht, d.h. durch den, dem die höchste Macht übertragen worden, für sich behalten kann. Daraus erhellt, daß jeder einzelne Bürger ein Eigentum besitzt, worauf keiner seiner Mitbürger ein Recht hat; denn diese sind denselben Gesetzen untertan. Dagegen hat niemand ein Eigentum, auf das der Inhaber der höchsten Gewalt nicht ein Recht hätte; denn ihm sind die Gesetze überlassen, in seinem Willen sind auch die Willen der einzelnen[146] Bürger enthalten, und er ist von den einzelnen zum höchsten Richter bestellt worden. Indes erlaubt der Staat den Bürgern mancherlei, und man kann deshalb auch mitunter gegen den Inhaber der Staatsgewalt klagen; diese Klage ist jedoch nichtbürgerlichen Rechts, sondern ruht auf der natürlichen Billigkeit. Es handelt sich dabei12 nicht um das, was der Inhaber der höchsten Gewalt rechtlich tun kann, sondern um das, was er gewollt hat; er ist deshalb selbst der Richter, gleichsam als könnte er, nachdem er die Billigkeit des Falles erkannt hat, nicht unbillig entscheiden.

16. Diebstahl, Totschlag, Ehebruch und alle Beschädigungen sind nach dem Naturrecht verboten; was aber als Diebstahl, als Totschlag, als Ehebruch und als Beschädigung an einem Bürger gelten soll, hat nicht das Naturrecht, sondern das bürgerliche Recht zu bestimmen. Denn nicht jede Wegnahme einer Sache, die ein anderer besitzt, sondern nur die einer fremden Sache ist Diebstahl, und die Frage, was mein und was nicht mein ist, entscheidet das bürgerliche Recht. Ebenso ist nicht jede Tötung eines Menschen ein Totschlag, sondern nur die, die das Gesetz verbietet. Ebenso ist auch nicht jeder Beischlaf ein Ehebruch, sondern nur der von den bürgerlichen Gesetzen verbotene. Endlich ist zwar die Verletzung eines Versprechens ein Unrecht, wenn das Versprechen rechtmäßig ist; wo aber kein Recht zu einem Vertrage bestand, da kann auch keine Übertragung stattfinden, mithin kann[147] auch keine Beschädigung des andern eintreten, wie im Kap. 2, Abschn. 17, dargelegt worden ist. Das, worüber Verträge zulässig sind und worüber nicht, hängt ganz von den Gesetzen ab. Deshalb hatte der spartanische Staat mit Recht es für straflos erklärt, wenn Knaben gewisse Sachen andern wegnähmen, sofern sie nicht dabei ertappt würden; denn damit wurde nur gesetzlich ausgesprochen, daß das so Erlangte ihr Eigentum und nicht das eines andern werden sollte. Ebenso wird überall derjenige mit Recht getötet, den man im Kriege oder in der Notwendigkeit der Selbstverteidigung tötet. Ebenso werden Verbindungen, die in dem einen Staate als Ehe angesehen werden, in dem andern als Ehebruch erklärt. Auch begründet derselbe Vertrag bei dem einen Bürger die Ehe und bei dem andern nicht, selbst innerhalb desselben Staates; denn wenn jemandem vom Staate, d.h. von dem Menschen oder der Versammlung, welche die höchste Staatsgewalt innehat, verboten ist, überhaupt ein Abkommen zu treffen, so hat er auch nicht das Recht, irgendeinen Vertrag zu schließen; jeder Vertrag, also auch die Ehe, ist deshalb bei ihm ungültig, während der, welcher nicht so beschränkt ist, Verträge schließen und die Ehe eingehen kann. Auch macht es die ungültigen Verträge nicht gültig, wenn ein Schwur oder ein Sakrament13 damit verbunden worden,[148] denn es ist bereits Kap. 2, Abschn. 22, gesagt worden, daß dergleichen die Gültigkeit der Verträge nicht ersetze. Deshalb muß aus dem bürgerlichen Gesetz, d.h. aus den Verordnungen des Inhabers der höchsten Gewalt, entnommen werden, was Diebstahl, was Totschlag, was Ehebruch und überhaupt was Unrecht ist.

17. Den meisten Menschen erscheint diese höchste Staatsgewalt und diese unbeschränkte Macht so hart, daß sie selbst die Ausdrücke dafür hassen. Dies kommt hauptsächlich von der Unkenntnis der menschlichen Natur und der natürlichen Gesetze; zum Teil aber tragen auch jene die Schuld, welche mit solcher Macht begabt worden sind und sie dann zu ihren eigenen Lüsten mißbrauchen. Um nun eine solche höchste Gewalt zu vermeiden, halten manche den Staat schon für genügend begründet, wenn die zukünftigen Bürger sich einigen über gewisse vorgeschlagene und in der Versammlung erörterte und genehmigte Bestimmungen, deren Befolgung sie verordnen und deren Verletzer bestimmte Strafen erleiden sollen. Zu dem Behufe sowie zur Verteidigung gegen äußere Feinde werden von ihnen bestimmte und beschränkte Steuern festgesetzt, mit der Bedingung, daß, wenn diese nicht genügen, eine neue Vereinbarung hierüber in einer Versammlung getroffen werden soll. Wer sieht nicht, daß in einem so eingerichteten Staate die Versammlung, welche dies bestimmt, eine absolute Gewalt innehat? Wenn daher diese Versammlung dauernd ist oder periodisch an festen Tagen und Orten wieder zusammenkommt, so hat sie dauernd die höchste Gewalt. Löst sie sich aber gänzlich auf, so wird damit entweder auch der Staat zugleich aufgelöst und es kehrt der Kriegszustand zurück, oder es bleibt irgendwo eine Macht, um die Gesetzesübertreter jedes Standes und jeder Zahl zu bestrafen. Dies ist aber ohne die unbeschränkte Gewalt nicht ausführbar; denn derjenige, welchem rechtlich so viel Gewalt eingeräumt ist, daß er die Bürger, seien es auch noch so viele, durch Strafen in Zucht halten kann, der besitzt eine so große Gewalt, wie sie größer ihm kaum von den Bürgern übertragen werden kann.

18. Es ist also klar, daß es in jedem Staate einen[149] Menschen oder eine Versammlung oder ein Kollegium gibt, welches oder welcher über die einzelnen Bürger rechtlich eine so große Gewalt besitzt, wie sie außerhalb des Staates jeder über sich selbst besitzt, d.h. die höchste und unbeschränkte, welche nur durch die Kraft und Macht des Staates, aber sonst durch nichts beschränkt werden kann. Denn zu der Beschränkung dieser Macht bedürfte es einer noch höhern Macht, weil der, welcher die Schranken setzt, eine größere Macht haben muß als der, welcher dadurch beschränkt werden soll. Deshalb ist diese beschränkende Gewalt entweder ohne Schranken, oder sie wird wieder von einer noch höhern in Schranken gehalten; und damit kommt man zuletzt zu einer Gewalt, die nur an dem höchsten Maße der Kräfte aller Bürger ihre Schranken hat. Diese heißt auch die höchste Gewalt; wird sie einer Versammlung übertragen, so heißt diese die höchste Versammlung, wird sie aber einem Menschen übertragen, so heißt dieser Mensch der höchste Gebieter des Staates oder der Souverän. Die Kennzeichen dieser Souveränität sind der Erlaß und die Aufhebung der Gesetze, die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Untersuchung und Entscheidung aller Streitigkeiten, entweder in eigener Person oder durch von ihm eingesetzte Richter, und die Ernennung aller Obrigkeiten, Beamten und Räte. Ist endlich jemand vorhanden, der rechtlich irgend etwas tun kann, was sonst keinem Bürger oder noch mehreren gemeinschaftlich gesetzlich gestattet ist, so besitzt ein solcher die höchste Staatsgewalt. Denn was rechtlich weder ein einzelner noch mehrere Bürger unternehmen dürfen, das kann nur der Staat selbst tun. Wer dies tut, der übt das Recht des Staates, d.h. die höchste Gewalt, aus.

19. Beinahe alle, die den Staat und die Bürger mit dem Menschen und seinen Gliedern vergleichen, sagen, daß der Souverän im Staate sich zu diesem wie das Haupt zu dem ganzen Menschen verhalte. Indes erhellt aus dem Vorgehenden, daß der Souverän, sei er ein Mensch oder eine Versammlung, sich zu dem Staate nicht wie das Haupt, sondern wie die Seele zum Körper verhält. Denn durch die Seele hat der Mensch einen Willen, d.h. kann er wollen oder nicht wollen. Ebenso hat auch der Staat[150] nur durch den Souverän und in keiner andern Weise einen Willen und kann entweder wollen oder nicht wollen. Mit dem Haupte kann man eher die Versammlung der Räte oder einen einzelnen Beamten vergleichen, dessen Rat (im Fall es ein einzelner ist) der Souverän in wichtigsten Angelegenheiten benutzt; denn das Haupt hat die Aufgabe, zu raten, die Seele aber die, zu gebieten.

20. Da weiter die höchste Staatsgewalt vermöge der Verträge errichtet ist, welche die einzelnen Bürger oder Untertanen miteinander eingegangen sind, da aber alle Verträge, wie sie ihre Kraft von dem Willen der Vertragschließenden erhalten, so auch durch deren Einwilligung ihre Kraft wieder verlieren und aufgelöst werden, so kann man möglicherweise folgern, daß durch die Übereinstimmung aller Untertanen die höchste Staatsgewalt völlig aufgehoben werden könne. Indes wenn dies auch richtig wäre, so sehe ich doch nicht ein, welche Gefahr rechtlich daraus den Inhabern der Staatsgewalt erwachsen könnte. Denn da man annimmt, daß jeder einzelne sich jedem andern gegenüber verpflichtet hat, so bleiben, wenn auch ein einzelner Bürger sich weigert, die übrigen, soweit sie übereingekommen sind, trotzdem gebunden. Niemand kann ohne Unrecht gegen mich das tun, was er durch einen mit mir geschlossenen Vertrag nicht zu tun sich verpflichtet hat. Nun kann man aber nicht annehmen, daß alle Bürger gleichzeitig und ohne Ausnahme sich gegen die höchste Staatsgewalt vereinigen werden. Deshalb besteht keine Gefahr für die Inhaber derselben, daß sie rechtlich ihrer Macht beraubt werden können. Gestände man indes zu, daß ihr Recht nur von dem Vertrage abhänge, den jeder einzelne Bürger mit seinen Mitbürgern eingegangen ist, so könnte es allerdings sich leicht zutragen, daß sie unter dem Schein des Rechtes ihrer Herrschaft beraubt würden; zumal man ziemlich allgemein der Ansicht ist, daß, wenn die Untertanen, sei es infolge der Zusammenberufung durch die Obrigkeit oder im Aufruhr, zusammentreten, dann die Stimmen der Mehrheit die Einwilligung aller in sich schließen. Indes ist dies unrichtig; denn die Übereinstimmung der Mehrheit gilt keineswegs naturnotwendig für die Übereinstimmung aller; schon bei Aufständen trifft das[151] nicht zu; diese Bestimmung entstammt vielmehr einer Staatseinrichtung und gilt nur dann, wenn der Mensch oder die Versammlung, welche die höchste Staatsgewalt besitzt, die Bürger zusammenberuft und wegen der großen Zahl derselben gestattet, daß Gewählte für die Wähler sprechen, und daß die Beschlüsse der Mehrheit dieser Vertreter in betreff der ihnen zur Erörterung vorgelegten Angelegenheiten für alle gelten sollen. Aber man kann nicht annehmen, daß der Inhaber der Staatsgewalt die Bürger zur Erörterung seines eigenen Rechtes zusammenberufen werde; er müßte denn aus Überdruß an der Last seines Amtes mit ausdrücklichen Worten erklären, daß er auf seine Herrschaft verzichtet und sie aufgibt. Da die meisten aus Unkenntnis nicht nur den Beschluß der Mehrheit der Bürger, sondern sogar nur einiger – vorausgesetzt, daß diese derselben Ansicht sind – für den Beschluß des ganzen Staates halten, so mag ihnen scheinen, daß die Staatsgewalt rechtlich beseitigt werden könne, sobald dies in einer großen Versammlung der Bürger durch Stimmenmehrheit beschlossen wird. Allein wenn auch die Staatsgewalt durch Verträge der einzelnen mit einzelnen begründet wird, so ist doch das Recht der Herrschaft nicht allein von diesen Verpflichtungen abhängig, sondern es tritt noch die Verpflichtung gegen den Inhaber der Staatsgewalt hinzu. Bei den Verträgen der einzelnen miteinander sagt jeder Bürger: »Ich übertrage mein Recht auf diesen, unter der Bedingung, daß du das deinige auf denselben überträgst«; dadurch wird das Recht, das vorher jeder einzelne zum Gebrauch seiner Kräfte für seinen eigenen Nutzen hatte, zum allgemeinen Besten gänzlich einem Menschen oder einer Versammlung übertragen. Da somit einmal gegenseitige Verträge vorliegen, welche die einzelnen unter sich abgeschlossen haben, und weiter eine Schenkung des Rechtes, zu deren Innehaltung jeder dem Herrscher gegenüber verpflichtet ist, so ist die Herrschaft durch eine doppelte Verbindlichkeit der Bürger gesichert; erstens durch die gegen die Mitbürger und dann durch die gegen ihren Herrscher. Deshalb können die Bürger, auch wenn es ihrer noch so viele sind, den Herrscher ohne seine Einwilligung der Herrschaft rechtlich nicht berauben.[152]

8

Die Lehre von der Gewalt eines Staates über seine Bürger hängt beinah ganz von der Erkenntnis des Unterschiedes ab, der zwischen einer regierenden Menschenmenge und einer regierten besteht. Denn es liegt in der Natur des Staates, daß die Menge oder die Ansammlung der Bürger nicht bloß befiehlt, sondern auch einem Befehlenden untergeben ist, aber beides in verschiedenem Sinne. Ich habe geglaubt, diesen Unterschied in dem obigen Abschnitt genügend dargelegt zu haben; indes ersehe ich aus den vielen gegen das Folgende erhobenen Einwürfen, daß dies nicht der Fall gewesen ist, und ich füge daher zur besseren Erläuterung noch einiges hier hinzu.

Menge, als ein Sammelwort, bezeichnet mehrere Dinge; eine Menschenmenge ist also soviel wie viele Menschen. Da das Wort in der Einzahl ist, so bezeichnet es auch ein Ding, nämlich eine Menge. Aber auf keine Weise nimmt man an, daß die Menge einen natürlichen Willen habe, sondern jeder einzelne hat seinen eigenen und einen andern; deshalb kann man der Menge keine Handlung beimessen, sei sie, welche sie wolle. Deshalb kann eine Menge weder versprechen, noch Verträge eingehen, noch Rechte erwerben oder übertragen, noch etwas tun, haben, besitzen und ähnliches; sondern nur jeder für sich, Mann für Mann: und es bleiben deshalb so viel Versprechen, Verträge, Rechte und Handlungen wie Menschen. Deshalb ist die Menge keine natürliche Person. Wenn aber dieselbe Menge gegenseitig ausmacht, daß der Wille eines einzelnen Menschen oder der übereinstimmende Wille der Mehrheit von ihnen als der Wille aller gelten solle, so wird sie dann eine Person. Denn sie ist nun mit einem Willen begabt und kann deshalb freiwillige Handlungen vornehmen, also gebieten, Gesetze geben, Rechte erwerben und übertragen usw.; sie heißt dann viel mehr Volk als Menge. Man hat also folgenden Unterschied zu ziehen: Wenn man sagt, daß das Volk oder die Menge etwas wolle, befehle oder tue, so versteht man darunter den Staat, welcher durch den Willen eines Menschen oder den übereinstimmenden Willen mehrerer Menschen, was nur in einer Versammlung geschehen kann, befiehlt, will oder handelt. Wenn man aber von einer Menge Menschen, sei sie groß oder klein, sagt, daß sie etwas tue ohne den Willen jenes einen Menschen oder der Versammlung, so ist dies von dem Volke als Untertanen geschehen, d.h. von vielen einzelnen Bürgern zusammen, und nicht durch einen Willen, sondern durch die verschiedenen Willen verschiedener Menschen, die Bürger und Untertanen, aber nicht der Staat sind.

9

Es gibt beinah keinen Lehrsatz, sei es in bezug auf die Gottesverehrung, sei es in bezug auf die profanen Wissenschaften, aus dem nicht Uneinigkeiten, Zwietracht, Beleidigungen und zuletzt Krieg entstehen könnten. Auch kommt dies nicht von der Unrichtigkeit solcher Lehrsätze, sondern von der Natur der Menschen, welche verlangen, daß sie, wie sie sich für weise halten, von allen für weise gehalten werden. Nun kann zwar die Entstehung solcher verschiedenen Ansichten nicht gehindert werden; aber es kann durch die höchste Staatsgewalt dafür gesorgt werden, daß sie den öffentlichen Frieden nicht erschüttern. Ich habe deshalb von diesen Meinungen hier nicht weiter gesprochen. Aber es gibt gewisse Lehren, von denen die Untertanen so schädlich beeinflußt werden, daß sie bestimmt glauben, dem Staate den Gehorsam versagen zu dürfen und nicht bloß berechtigt, sondern sogar verpflichtet sind, gegen die Fürsten und die höchsten Obrigkeiten zu kämpfen. Es sind die, die entweder geradezu und offen oder versteckt und mittelbar Gehorsam noch für andere als die verlangen, denen die höchste Staatsgewalt übergeben worden ist. Dies bezieht sich, wie ich nicht leugnen will, auf jene Macht, welche in einem auswärtigen Staate viele dem Fürsten der römischen Kirche zuteilen, sowie auf die Macht, welche an manchen Orten außerhalb der römischen Kirche die Bischöfe im Staate beanspruchen, endlich auf die Freiheit, welche unter dem Vorwande der Religion selbst die niedrigeren Bürger sich herausnehmen. Denn wo hat es in den christlichen Ländern wohl einen Bürgerkrieg gegeben, der nicht aus dieser Wurzel entsprungen und genährt worden wäre? Deshalb erteile ich hier der höchsten Staatsgewalt das Recht, zu entscheiden, ob gewisse Lehren unverträglich sind mit dem Gehorsam der Bürger oder nicht, und im bejahenden Falle ihre Verbreitung zu verbieten. Denn jedermann gesteht dem Staate das Recht zu, über das zum Frieden und Schutz Nötige zu entscheiden; wenn nun derartige Lehren den Frieden des Staates gefährden, so muß die Prüfung dieser Lehren nach ihrer Gefährlichkeit den Staate, d.h. dem Inhaber der höchsten Staatsgewalt, zustehen.

10

Ein bürgerlicher Zustand erfordert offenbar absolute Herrschaft, und die Bürger widersetzen sich dem auch nicht. Denn in der Vereinigung vieler Menschen erkennen sie die Gestalt des Staates an, und selbst die Unerfahrenen sehen ein, daß die Geschäfte dort mit Überlegung geführt werden müssen. Die Monarchie ist aber ebenso gut ein Staat wie die Demokratie, und die unbeschränkten Könige haben ihre Räte, welche ihnen zur Seite stehen und die Erlasse in allen wichtigeren Sachen erwägen sollen, wenn sie auch die Könige nicht zurückhalten können. Dagegen ist es den meisten nicht so klar, daß der Staat in der Person des Königs enthalten ist. Deshalb wenden sie gegen die unbeschränkte Herrschaft erstens ein, daß bei einer solchen die Lage der Bürger eine elende sei; denn ein solcher Herrscher werde, wie sie meinen, alles rauben, alles plündern, alles töten; und jeder betrachtet es als ein ihm zugefallenes Glück, daß er noch nicht beraubt und getötet worden ist. Und weshalb sollte der König dies tun? Sicherlich nicht deshalb, weil er es kann, denn wenn er nicht Lust dazu hat, wird er es nicht tun. Wird er zugunsten eines oder weniger alle andren berauben wollen? Wenn er dies auch dem Rechte nach, d.h. ohne Unrecht zu begehen, tun könnte, so könnte er es doch erstens nicht moralisch, d.h. nicht ohne Verletzung der natürlichen Gesetze und ohne Unrecht gegen Gott. Deshalb gibt der Schwur des Fürsten den Untertanen einige Sicherheit. Aber selbst wenn er es moralisch dürfte oder auf seinen Eid nicht achtete, hätte er doch keinen Grund, die Bürger zu berauben, da er keinen Nutzen davon hätte. Man kann zwar nicht leugnen, daß ein Fürst mitunter die Neigung, unrecht zu handeln, haben kann; aber gesetzt den Fall, du hättest ihm keine unbeschränkte Herrschaft gegeben, sondern nur so viel davon, als zu deinem Schutz gegen Verletzung durch andere erforderlich ist, und so viel ihm zu geben, ist zu deiner Wohlfahrt unentbehrlich: bliebe da nicht dasselbe zu fürchten? Denn der, welcher Macht genug hat, alle zu beschützen, hat auch Macht, alle zu unterdrücken. Es ist also hier kein anderes Übel, als es in menschlichen Dingen überhaupt unvermeidlich ist; und dieses Übel selbst liegt in den Bürgern, nicht in dem Herrscher. Denn wenn die Menschen nach ihren eigenen Geboten sich richten könnten, d.h. wenn sie nach den natürlichen Gesetzen leben könnten, so brauchte man überhaupt keinen Staat und keinen Zwang durch einen gemeinsamen Herrscher. Man sagt zweitens, daß in keinem christlichen Lande eine unbeschränkte Herrschaft besteht; allein dies ist unrichtig, denn sowohl alle Monarchien wie auch alle Staaten mit anderer Verfassung sind solche. Denn wenn die Inhaber der höchsten Staatsgewalt nicht alles tun, was sie möchten und was sie dem Staate für nützlich halten, so liegt dies nicht an dem Mangel ihres Rechts dazu, sondern in der Rücksichtnahme auf die Bürger, die nur auf ihre Privatgeschäfte acht haben, sich nicht um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern und deshalb den Staat in Gefahr bringen würden, wenn man sie mit öffentlichen Geschäften beladen wollte. Deshalb enthalten sich die Fürsten des vollen Gebrauchs ihrer Rechte zu Zeiten und geben in der Sache ans Klugheit etwas nach, ohne doch von ihrem Rechte sich etwas zu vergeben.

11

Man hat mir entgegnet, daß das Eigentum schon vor der Errichtung des Staates bei den Familien bestanden habe; doch dieser Einwand ist hinfällig, da ich bereits erklärt habe, daß eine Familie ein kleiner Staat ist. Familiensöhne haben zwar ein Eigentum, das ihnen vom Vater gewährt und wohl von einander unterschieden ist, aber darum scheidet es aus dem des Vaters nicht aus. Dagegen haben Väter der einzelnen Familien, die weder einem gemeinsamen Vater noch Herrn unterworfen sind, ein ihnen allen zustehendes Recht auf alles.

12

Wenn einem Bürger eine Klage gegen den Inhaber der höchsten Gewalt, d.h. den Staat gestattet ist, so handelt es sich bei solcher Klage nicht um das Recht des Staates an der strittigen Sache, sondern darum, ob der Staat nach seinen früher gegebenen Gesetzen sie hat besitzen wollen; denn das Gesetz ist der Ausspruch des Willens des Inhabers der höchsten Gewalt. Nun. kann der Staat von den Bürgern Geld aus zweierlei Gründen beanspruchen, entweder als Abgabe oder als Schuld. Im ersten Fall ist keine Klage zulässig, denn über das Besteuerungsrecht des Staates kann kein Rechtsstreit geführt werden; im andern Fall ist der Rechtsweg gestattet, weil der Staat dem einzelnen Bürger nichts durch Hinterlist entziehen wird, da er, wenn es nottut, alles offen nehmen kann. Wenn man daher diese Stelle tadelt, weil es nach solcher Lehre den Fürsten ein leichtes sei, sich von ihren Schulden freizumachen, so ist dieser Tadel unbegründet.

13

Die Erörterung der Frage, ob die Ehe ein Sakrament (in dem diesem Worte von den Theologen beigelegten Sinne) sei oder nicht, ist nicht meine Aufgabe. Ich sage nur, daß der zwischen Mann und Frau rechtmäßige, d.h. durch das bürgerliche Gesetz gestattete Vertrag, zusammen zu leben, sicherlich eine rechtmäßige Ehe ist, mag diese selbst ein Sakrament sein oder nicht. Dagegen ist jede Verbindung, die der Staat verbietet, keine Ehe, da ein gesetzlicher Vertrag zum Wesen der Ehe erforderlich ist. Es gab in vielen Ländern, so bei den Juden, Griechen und Römern, rechtsgültige Ehen, die dennoch wieder aufgelöst werden konnten. Bei Völkern aber, wo die Ehe nur unter der Bedingung der Unauflöslichkeit gestattet ist, kann zwar die Ehe nicht getrennt werden; allein nicht deshalb, weil die Ehe ein Sakrament ist, sondern weil der Staat ihre Trennung verboten hat. Deshalb gehören die Feierlichkeiten, die bei Hochzeiten in der Kirche vollzogen werden, um die Ehegatten einzusegnen oder, wenn ich so sagen darf, ihnen die Weihe zu geben, vielleicht nur zu dem Amt der Priester; alles andere aber in betreff der Personen, der Zeit und der Verträge, die zur Ehe nötig sind, fällt unter das bürgerliche Gesetz.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918, S. 136-153.
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