Zweites Kapitel

Von der Vertheilung der Sprache unter mehrere Nationen

[295] 101. Die Sprache erscheint in der Wirklichkeit nur als ein Vielfaches. Wenn man allgemein von Sprache redet, so ist dies eine Abstraction des Verstandes; in der That tritt die Sprache immer nur als eine besondre, ja nur in der allerindividuellsten Gestalt, als Mundart, auf. Auf diese Weise ist auch die Ueberschrift dieses Kapitels zu nehmen, nicht etwa als verbreitete sich eine Ursprache über die Nationen[295] des Erdbodens, eine bloss hypothetische Annahme, von der noch in der Folge gehandelt werden wird.

102. Es folgt unmittelbar aus dem im vorigen Kapitel Entwickelten, dass eine Sprache solange dieselbe bleibt, als die Nation, die sie redet. Erst mit dieser selbst wird sie zu einer andren. Bis dahin ist sie die nämliche, nur durch die allmälichen Umänderungen der Zeit umgestaltete. So sieht man mit Recht die Griechische Sprache von Homer bis zu den Alexandrinern hin, als Eine Sprache an, so grosse Verschiedenheiten auch die Vergleichung auf so entfernten Zeitpunkten zeigt. Indess sind die Gränzen hier niemals genau zu bestimmen. Denn auch die Nationen gehen allmälich in einander über, so dass niemand den Punkt angeben kann, wo der Römer (im antiken Sinne des Worts) zum Italiener geworden ist, und in Sprachen, die durch Uebergang einer in die andre entstehen, bleibt so viel Gleichartiges übrig. dass auch da kein reiner Abschnitt zulässig ist. Indess tritt in der Geschichte der Nationen und der Sprachen ein Zeitpunkt ein, in welchem die neue Erscheinung auf einmal da steht, und diesen muss man alsdann als den entscheidenden ansehen, nur nicht vergessen, dass er nicht der wirkliche, sondern nur scheinbare Anfangspunkt ist. Insofern leidet der Grundsatz der Identität der Nationen und Sprachen, so richtig er an sich ist, grosse Schwierigkeiten in der Anwendung, und erfordert fernere Erläuterung.

103. Da die Sprache ein Abdruck der nationalen Individualität ist, auf diese aber, auch dasjenige nicht zu rechnen, was in ihr ursprüngliche Eigenthümlichkeit seyn mag, alle Umstände einwirken, in welche die Nation nach und nach versetzt wird, so ist die Verschiedenheit der Sprachen eine natürliche und begreifliche Erscheinung. Auf der andren Seite kann auch die neben der Verschiedenheit herrschende Gleichartigkeit keine Verwunderung erregen, da auch die grösseste nationelle Verschiedenheit immer in der allgemeinen Menschennatur zusammenkommt. Auf diese Weise erscheint vielleicht das ganze Eingehen des Sprachstudiums in die Untersuchung des Ursprungs dieser Verschiedenheit überflüssig, oder wenigstens ein eben so abgesonderter Theil[296] desselben, als es in der Naturkunde die Geschichte der Wanderungen der Pflanzen und Thiere ist. Es liegt aber in den hier verglichenen Gegenständen ein so mächtiger Unterschied, dass er jede Vergleichung derselben unstatthaft macht. Die Naturkörper liegen für die sinnliche Wahrnehmung und Zergliederung, als wirkliche Individuen da. Die Sprache ist, als wirklich und individuell, nur fragmentarisch im einzelnen Sprechen vorhanden, als Ganzes muss sie, wie ein wahres Gedankenwesen, aus dem Sprechen der Einzelnen auf irgend einem Raume und in irgend einer Zeit zusammengetragen werden. Die Kenntniss ihrer Entstehung dient daher wesentlich dazu, ihre Natur besser zu begreifen, und dasjenige, was wirklich und in der That verbunden ist, wird nothwendig unrichtig und einseitig angesehen, solange man es, diese Verbindung miskennend, abgesondert betrachtet. Der Gegenstand der Untersuchung selbst bleibt unvollständig, wenn man nicht zugleich das Element mit hineinzieht, das zu seiner Bildung mitgewirkt hat. Das Studium der Sprachen muss sich aber ausserdem immer an das des Menschen anschliessen, und es ist für die Kenntniss seiner Sprachfähigkeit, die also die Sprachfähigkeit im Allgemeinen ist, wichtig zu wissen, wie ihre verschiedenen Offenbarungen (denn dafür muss man die verschiedenen Sprachen ansehn) auch in ihrem Entstehen durch oder unabhängig von einander sich gegenseitig verhalten. Die Untersuchung kann daher nicht zurückgewiesen werden, da ohne sie die Sprache im Allgemeinen nicht gehörig durchschaut wird, und auch in den einzelnen Sprachen vieles dunkel bleibt.

104. Genau genommen ist keine Sprache auch nur ein einziges Jahrzehend hindurch, oder nur auf einem irgend ausgedehnten Raume dieselbe. Insofern würde die Vielfachheit der Sprachen ins Unendliche gehen. Solange aber und soweit, dem Raum nach, die vorhandenen Verschiedenheiten die Individualität der Sprache nicht wesentlich verändern, wird sie als dieselbe betrachtet. Ob und inwiefern sich dies durch Begriffe bestimmen lässt, wird in der Folge vorzüglich bei dem Unterschiede zwischen Mundarten und Sprachen[297] genauer untersucht werden. Hier setzen wir voraus, dass über die Identität der Sprachen, die auf ihrer ganzen ungeschiedenen Individualität beruht, durch das Gefühl entschieden ist, und reden nur von dem Verhältniss mehrerer Sprachen zu einander. Untersuchen wir hier, was die Uebereinstimmung, Gleichartigkeit, Einerleiheit der Sprachen bedingt, so ist dies immer nur so zu verstehen, wie eine solche Einerleiheit, der Individualität der Sprachen, als eigner, und abgesonderter, unbeschadet, bestehen kann. Die erste und hauptsächlichste Frage nun, die sich hier darbietet, ist die, ob die Verschiedenheit und Gleichartigkeit der Sprachen einen geschichtlichen Grund hat, oder bloss so anzusehen ist, wie überhaupt in der Natur geschiedne, aber mehr oder minder verwandte Arten, die zu Einer Gattung gerechnet werden, bestehen? Diese Frage allgemein und aus allgemeinen Gründen entscheiden zu wollen, scheint mir dem Wesen der Sprachkunde, als einer Erfahrungswissenschaft, unangemessen. Man muss vielmehr die Untersuchung von den Sprachen und der Geschichte beginnen, und darf sich erst, wo man von diesem Wege verlassen wird, aus blossem Raisonnement geschöpften Folgerungen anvertrauen. Dies kann jedoch hier in einer blossen Einleitung zur allgemeinen Sprachkunde unmöglich so verstanden werden, als wollte man die vorhandenen Sprachen von diesem Standpunkte aus zergliedern und soviel als möglich bis zu ihrem Ursprunge hinaufsteigen. Es kommt hier nur darauf an, im Allgemeinen, aber auf eine wirklich aus der Erfahrung geschöpfte und mit Beispielen belegte Weise, die Arten aufzuzählen, wie ein geschichtlicher Zusammenhang zwischen Sprachen in Rücksicht auf ihre Entstehung vorhanden seyn kann? Man muss aber hierbei den zwiefachen Weg einschlagen, einmal zu untersuchen, welche innere Verhältnisse auf diese Weise in den Sprachen entspringen, und welche geschichtliche Um stände fähig sind, dieselben hervorzubringen?

105. Um die Sprachen in dieser Hinsicht zu betrachten, muss man aber wieder auf die einzelnen Sprachen zurückgehen und die Frage aufwerfen, ob sich in ihnen eine sie[298] charakterisirende, dergestalt feste Form findet, dass sie, solange diese besteht, die nämlichen sind, wenn sie zerschlagen wird, aber zu anderen werden? Liesse sich eine solche Form erkennen, so würden alle mit einer Sprache mögliche Veränderungen sogleich in solche zerfallen, bei welchen diese Form bestehen bleibt, und in solche, bei welchen sie aufhört dieselbe zu seyn. Dass sich dies wirklich so verhält, ist sowohl aus der Natur der Sache, als der Erfahrung sichtbar. Der Ausdruck der Gedanken giesst sich in einer Nation, die man sich von den Störungen fremden Einflusses frei denkt, natürlich und von selbst in eine Form, die dadurch das allgemeine Verständniss bedingt, dass jeder Einzelne in derselben die wiederfindet, die er, käme der Anstoss von ihm her, selbst der Rede gegeben haben würde, und die Individualität der Sprache beruht darauf, dass in derselben Bahn fortgefahren wird, nur vielleicht mit Abweichungen, in welchen das Wesen der ursprünglichen Form nicht bloss immer erkennbar, sondern vorherrschend ist. In der Wirklichkeit ist diese Form vorzüglich da sichtbar, wo in aus einander entstandenen Sprachen eine alte untergegangen und eine neue entstanden ist. In den Sprachen des Lateinischen Europa, um mich des Ausdrucks eines ebenso sachkundigen, als scharfsinnigen Sprachforschers zu bedienen, und im Persischen z.B. erkennt jeder auf den ersten Anblick gegen das Lateinische und das Sanskrit eine neue, vorher nicht da gewesene Sprachform und mithin das Entstehen wirklich neuer Sprachen.

106. Die Schwierigkeit gerade der wichtigsten und feinsten Sprachuntersuchungen liegt sehr häufig darin, dass etwas aus dem Gesammteindruck der Sprache Fliessendes zwar durch das klarste und überzeugendste Gefühl wahrgenommen wird, dennoch aber die Versuche scheitern, es in genügender Vollständigkeit einzeln darzulegen, und in bestimmte Begriffe zu begränzen. Mit dieser hat man auch hier zu kämpfen. Die charakteristische Form der Sprache hängt an jedem einzelnen ihrer kleinsten Elemente, jedes wird durch sie, wie unmerklich es im Einzelnen sey, auf irgend eine Weise bestimmt. Dagegen ist es sehr schwer, ja[299] ich möchte wohl sagen, unmöglich, einen einzigen Punkt aufzufinden, von dem sich behaupten liesse, dass sie an ihm entscheidend haftete. Der Grund dieser Schwierigkeit liegt tief in der Natur der Sprache selbst. Da sie nichts anders, als das Denken, bezogen auf die Articulationsfähigkeit der Sprachorgane ist, so erlaubt die Gleichartigkeit des menschlichen Denkens, welche ebendadurch zugleich eine der allgemeinen sprachbildenden Gesetze ist, verbunden mit der Gleichartigkeit der Sprachwerkzeuge, zwar Verschiedenheiten unter den Sprachen, macht aber nicht nur jeden schneidenden Contrast, sondern sogar jede vollständig rein bestimmte Gränze zwischen ihnen unmöglich. Die Töne dienen, auf welche Weise man auch die Analogieen ihrer Bedeutungen zusammenzustellen versuchen mag, zur Bezeichnung der verschiedensten Gegenstände und Begriffe, und gehen so mannigfaltig in einander über, dass sich dem Gange, dem sie geschichtlich gefolgt sind, nur in ganz concreten Fällen auf die Spur kommen lässt. Der in den Sprachen liegenden grammatisch technischen Mittel weiss sich der sprachbildende Geist dergestalt zu bemeistern, und ihnen eine verschiedne Geltung zu geben, dass auch ihre Anwesenheit oder ihr Mangel durchaus nicht zu allgemein entscheidenden und untrüglichen Folgerungen über das Wesen der Sprachform führt. Wenn man daher irgend eine gegebene Sprache durchgeht, so findet man schwerlich einen einzigen Punkt, den man sich nicht, dem Wesen ihrer Sprachform unbeschadet, auch anders denken könnte, und wird genöthigt zu dem Gesammteindruck zurückzukehren. Hier tritt sogleich das Gegentheil ein; die entschiedenste Individualität fällt klar in die Augen, drängt sich unabweisbar dem Gefühle auf. Geht man hiervon unmittelbar auf das Material und die Technik der Sprache zurück, so bleibt kaum etwas andres übrig, als Alles und Jedes, so concret, wie es dasteht, als die Sprachform ausmachend, zusammenzufassen, mithin diese in einem Sinne zu nehmen, welcher eigentlich die Möglichkeit irgend einer Veränderung in derselben Sprachform ausschliessen würde. Die Sprachen können hierin noch am wenigsten unrichtig mit[300] den menschlichen Gesichtsbildungen verglichen werden. Die Individualität drängt sich auf, Aehnlichkeiten werden erkannt, aber kein Messen und kein Beschreiben der Theile, im Einzelnen und in ihrem Zusammenhange, vermag die Eigenthümlichkeit in einen Begriff zusammenzufassen. Sie ruht auf dem Ganzen, und in der wieder individuellen Auffassung, daher auch gewiss jede Physiognomie jedem anders erscheint. Da die Sprache, in welcher Gestalt man sie aufnehmen möge, immer ein geistiger Aushauch eines nationell individuellen Lebens ist, so muss Beides auch bei ihr eintreffen. Wieviel man in ihr vereinzeln, heften und verkörpern möge, so bleibt immer etwas, und gerade das Hauptsächlichste in ihr übrig, worin die Einheit und Odem eines Lebendigen ist.

107. Ich glaube die Verlegenheit, in welche hier die Sprachforschung geräth, nicht übertrieben zu haben. Die Neugriechische, der Englischen ähnliche Bildung des Futurum scheint der Altgriechischen Sprachform schnurstracks entgegengesetzt. Dächte man sie sich aber in dieselbe hineinverwebt, so könnte damit ihr Wesen dennoch sehr füglich bestehen. Es ist schon wahrscheinlich, dass ihre Futura ähnliche, nur verwachsene Umschreibungen sind, und dass sie sich auch getrennt bleibenden Umschreibungen nicht entschieden widersetzt, beweist das Perfectum ihres Passivs. Die Zusammensetzungen der Nomina machen einen wichtigen Theil der Sanskritsprachform aus, und haben einen entschiedenen Einfluss auf die Redefügung, aber das Lateinische und in neuerer Zeit das Spanische und zum Theil selbst das Französische zeigen, dass Sprachen von dem Gebrauche so häufiger Zusammensetzungen zurückkommen können, ohne darum ihre Sprachform zu verändern. Auf ähnliche Weise könnte man mit den meisten andren grammatischen Eigenthümlichkeiten verfahren, und ich wüsste wenigstens keine namhaft zu machen, mit der es nicht der Fall wäre. Man muss daher, wenn man diesen Weg verfolgen will, das Wesen der Sprachform in die Menge gleichartiger Eigenthümlichkeiten (z.B. im Neugriechischen der durch Umschreibung ausgedruckten grammatischen Formen)[301] oder in die Verbindung gewisser mit einander setzen, wodurch aber, da es nun auf ein Mehr oder Weniger ankommt, nothwendig Unbestimmtheit entsteht.

108. Ich habe es mir angelegen seyn lassen, deut lich und ausführlich zu zeigen, wie schwierig, ja wirklich unmöglich es ist, an den einzelnen Theilen des Sprachbaus das Feste von dem Flüssigen, oder um es noch bestimmter auszudrücken, das die Individualität der Sprachen wahrhaft Bedingende von dem Zufälligen und Gleichgültigen rein und mit wahrer Genauigkeit abzuscheiden. Denn etwas, allgemein ausgedruckt allerdings Wahres, aber in der Anwendung auf das Einzelne Unhaltbares hinzustellen, ohne es sogleich auf seine wahre Geltung zurüchzuführen, ist das Verderblichste, was bei Sprachuntersuchungen geschehen kann. Ist es aber auch unmöglich, das nicht abzuläugnende Gefühl der Einerleiheit und Verschiedenheit der Sprachformen in bestimmte Begriffe und erschöpfende Definitionen zu begränzen, so muss es immer eine andre Methode geben, dasselbe auf eine andre Weise bis zu dem Grade, welcher dem Zwecke der Wissenschaft genügt, zu umschreiben und festzustellen. Ausser der Verzichtleistung auf die höchste Genauigkeit, unterscheidet sich dies Verfahren vorzüglich dadurch, dass es den Tact in Anspruch nimmt, der durch sorgfältige Vergleichung verschiedner Sprachformen erworben wird und in dem Grade untrüglicher ist, in dem er sich mehr auf tiefes und erschöpfendes Studium des Einzelnen gründet.

109. Die drei Punkte, worin die Sprachen sich von einander unterscheiden, sind das Material ihrer Wörter, die grammatische Behandlung und Zusammenfügung derselben, und ihr, diesen beiden Theilen gemeinschaftliches Lautsystem. Die Mischung der Wörter übt zwar oft unverkennbaren Einfluss auf die der Sprache eigenthümliche Wortbildung, und bisweilen auch auf die grammatische Form aus, und wenn sie lange in einer Sprache bestanden hat, ist sie kaum ohne allen solchen Einfluss denkbar. Im Ganzen aber und gewöhnlich ordnen sich die fremden Wörter den einheimischen Sprachgesetzen unter, wie die dem Englischen beigemischten Lateinischen oder aus Lateinischen entstandeneu[302] Wörter die Germanische Genitivendung annehmen, und die Arabischen Wörter im Türkischen den Dualis ungebraucht lassen. Bisweilen aber findet sich beides mit einander verbunden, wie eben jene Wörter im Englischen einen von dem der Germanischen abweichenden Accent in die Sprache bringen, und die Arabischen Wörter im Persischen ihre Participial und Pluralformen beibehalten. Wo nun die grammatische Einwirkung der Sprachmischung in Absicht der Wörter nicht bedeutend ist, da wird auch in derselben Sprache die Sprachform nicht verändert, die Sprache bleibt dieselbe und nimmt nur einen Theil des Materials einer andren in sich auf. Solche Sprachen mit gemischtem Wörtervorrath theilen sich wieder in verschiedene Classen, je nachdem die eingedrungenen Wörter entweder ihre fremde Natur mehr geltend machen, oder sich mehr der einheimischen angestalten, und vorzüglich je nachdem sie in ihrer ursprünglichen Sprache noch fast unverändert angetroffen werden, oder in einem früheren, mehr oder weniger schwer zu erkennenden Zustand übergegangen sind. So finden sich unter den Sanskrit-Wörtern im Malaiischen viel mehr solche, die kaum unbedeutende Lautveränderung erfahren haben, als unter den gleichen der Südsee-Inseln. In dem Materiale der Sprache, dem Inbegriff ihrer Wörter, kann also die Sprachform, welche die Einerleiheit der Sprachen bedingt, nicht anders, als höchstens indirect gesucht werden, da der Einfluss der Sprachform auf dasselbe allerdings nicht abzuläugnen ist.

110. Dagegen liegt die Sprachform unverkennbar in dem grammatischen Bau, und ein Uebergang in einen wesentlich verschiednen ist, von aller Beschaffenheit der Wörter abgesehen, ein Uebergang in eine neue Sprache. Ueber die Unbestimmtheit, die hier in dem Grade und der Art der Verschiedenheit übrigbleibt, habe ich mich im Vorigen ausführlich verbreitet. Die Sprachform, ganz im Allgemeinen betrachtet, ist die Form, in welcher eine Sprache ihre Wortlaute zum Ausdruck des Gedanken gestaltet und ordnet. Da wohl jede Sprache hierin eine gewisse Freiheit gestattet, und die Beschaffenheit des Vorzutragenden Verschiedenheiten[303] nothwendig macht, so muss die Sprachform diese Mannigfaltigkeit des Ausdrucks in sich fassen, und ist insofern ein nach ihnen gebildetes Abstractum. Es würde aber durchaus unrichtig seyn, sie auch an sich bloss als ein solches daseynloses Gedankenwesen anzusehen. In der That ist sie vielmehr der durchaus individuelle Drang, vermittelst dessen eine Nation dem Gedanken Geltung in der Sprache verschafft. Da uns aber nie gegeben ist, diesen Drang in der Gesammtheit seines Wirkens, sondern nur in seinen jedesmal einzelnen Wirkungen zu sehen, so bleibt uns nur übrig, die Gleichartigkeit seines Wirkens in einen todten allgemeinen Begriff zusammenzufassen. In sich ist jener Drang Eins und lebendig. Da er auf den Ausdruck des Gedanken, nicht auf die Bezeichnung eines Gegenstandes geht, so betrifft er allemal die verbundene Rede, die man sich überhaupt in allen Sprachuntersuchungen, die in die lebendige Wesenheit der Sprache eindringen sollen, immer als das Wahre und Erste denken muss, da das Zerschlagen der Sprache in Wörter und Regeln nur ein todtes Machwerk wissenschaftlicher Zergliederung ist. Die Wortlaute hangen mit der verbundenen Rede auf das innigste zusammen, allein auf dem Punkte, auf dem hier die Untersuchung steht, wird davon abgesehen, ob der Drang, von dem hier die Rede ist, als ein ursprünglicher, auch sie schafft, oder bloss als ein in seiner Richtung veränderter (wie bei dem Uebergange aus einer Sprachform in die andre) sich vorhandener Sprachlaute bedient.

111. Wir sahen im Vorigen, dass sich die Sprachform objectiv an der grammatischen Technik nicht genau in Begriffen abgränzen lässt. Versuchen wir nun die Arten ihrer möglichen Verschiedenheit, zur Beurtheilung des geschichtlichen Zusammenhanges mehrerer, zu überschlagen, so fällt zuerst die Verschiedenheit der schaffenden Kraft jenes eben bezeichneten Dranges in die Augen. Er kann sich nämlich des Stoffes herrischer bemeistern, ihm sichtbarer und consequenter sein Gepräge aufdrucken, oder mehr ihn und seine stoffartige Natur walten lassen. Ferner liegt in dem Gedankenausdruck selbst schon an sich ein Zwiefaches, nämlich[304] die Form, an welche sich der Geist in der Aneinanderreihung der Theile des Gedanken gewöhnt, und die Anschaulichkeit, welche die Sprache der Bezeichnung dieser Gedankentheile auch im Ausdrucke giebt. Man kann auch das Erstere, was vorzüglich im Syntaktischen der Grammatik liegt, als mehr auf die eigne Thätigkeit des Sprechenden bezogen, das Letztere als vorzugsweise die Leichtigkeit des Verständnisses bezweckend ansehen. Aber auch hierbei liegt der wahre Zweck tiefer und wirklich in der innerlich gefühlten Nothwendigkeit, der Form des Gedanken auch in der Sprache einen sinnlichen Ausdruck zu verschaffen. Unter den Begriff dieser beiden Richtungen lassen sich nun, wie unter zwei Classen, die einzelnen Verschiedenheiten der Sprachform bringen. Statt zu vereinzeln und zu zergliedern, muss man daher, um die Eigenthümlichkeit ihrer Form in dieser Hinsicht aufzufassen, die Sprache, soviel als möglich, in ihrer Einheit zu nehmen versuchen, und vermittelst eines durch ihr Studium geschärften Tactes das Wesentliche vom Zufälligen unterscheiden. Es bedarf kaum hierbei der Bemerkung, dass man vorzugsweise alsdann in jeder Sprache die Punkte aufzusuchen hat, von welchen die entschiedensten Eigenthümlichkeiten derselben ausgehen und wohin man vorzugsweise das Pronomen und Verbum rechnen kann. Dies im Einzelnen auszuführen, wird erst in der Folge dieser Untersuchung möglich seyn. Ueberhaupt kann volles Licht über die hier abgehandelte Materie erst die klare Einsicht in die Verschiedenheiten des Baues der hauptsächlichsten vorhandenen Sprachen verbreiten. Ehe man aber in die Theile des Sprachbaues eingehen konnte, musste die Sprache im Ganzen in allen ihren wesentlichen Beziehungen betrachtet werden, und unter diesen konnte das nicht unerörtert bleiben, was erst macht, dass eine Sprache diese und keine andere ist. Hierüber gleich vorläufig leitende Grundsätze aufzustellen, wird auch den folgenden Untersuchungen förderlich seyn.

112. Die Gleichheit der grammatischen Form in dem hier angedeuteten Sinne genommen, ist daher allein das die Einerleiheit der Sprache Bedingende. Allein und für sich würde[305] sie indess nicht hinreichen, dieselbe in zwei Sprachen zu beurkunden, wenn dabei das Lautsystem unbeachtet bliebe. Der Laut erst (§. 45.) bildet die wahre Individualitaet der Sprache. Man muss aber hier einen Unterschied machen zwischen dem Lautsystem im Allgemeinen, und concreten Lauten in Wörtern und grammatischen Formen. Die blosse Vergleichung des ersteren führt nicht leicht zu entscheidenden Folgerungen. Die Laute gehen in einander über, unter verwandten setzen sich aus zufälligen Ursachen, selbst in ganz gleichen Sprachen, oder in derselben verschiedene in blossen Mundarten fest. Der Mangel selbst mehrerer Buchstaben im Alphabet ist, da dieselben durch die verwandten Laute ersetzt werden, gar nicht von so grosser Erheblichkeit, als er auf den ersten Anblick zu haben scheint. Oft ist es auch, wie sonderbar es scheinen mag, schwer zu entscheiden, ob ein Laut in einer Sprache vorhanden ist. Die auf den Sandwich-Inseln aufgenommenen Wörterverzeichnisse haben bald die einen ein l, bald die andren ein r, niemals dasselbe beide Buchstaben, weil der wahre Laut so zwischen beiden liegt, dass das Europaeische Ohr unschlüssig bleibt, wohin es ihn rechnen soll. Auf gleiche Weise ist es mir mit k und t mit einem sich hier aufhaltenden Eingebornen dieser Inseln gegangen. Die grössere Anzahl von Nasen- oder Gurgellauten unterscheidet sehr oft auch mehr Dialecte, als Sprachen. Das Toscanische giebt hiervon ein merkwürdiges Beispiel, und wenn man auch die Toscanische Aspiration allenfalls aus dem alten Tuskischen ableiten kann, was übrigens blosse Vermuthung bleibt, so zeigen wenigstens viele andre Beispiele, dass eine solche Annahme zur Erklärung der Erscheinung keineswegs nothwendig ist. Eines der merkwürdigsten Beispiele gänzlicher Lautverschiedenheit in sehr nahe verwandten Sprachen, von der mir bisher auch nicht einmal ein Versuch einer Erklärung bekannt ist, giebt die Portugiesische gegen die Spanische Sprache mit ihren häufigen Nasentönen, dem Verwandeln des Lateinischen cl, pl, Spanischen ll in sch,83 und andren[306] Eigenthümlichkeiten. Alle diese Umstände nun, durch welche die Laute einer Sprache, über das Verhältniss ihrer übrigen Verschiedenheiten hinaus, von denen einer andren abweichen, gehörig abzusondern, wird immer überaus schwierig seyn, und das Feste der Sprachform sich in der allgemeinen Beschaffenheit des Lautsystems allein nur selten nachweisen lassen, so wesentlich auch diese Beschaffenheit zu der Erklärung aller Spracheigenthümlichkeiten bleibt.

113. Jede solche Ungewissheit und Unbestimmtheit verschwindet aber bei der Gleichheit concreter grammatischer Formen. Ein besonders merkwürdiges Beispiel dieser Art ist im Sanskrit, Griechischen und Gothischen, dem sich hierin die ganze Reihe der übrigen Germanischen Sprachen anschliesst, die Gleichheit der Conjugation von wêda, oida und vait.84[307] Hier kommt Gleichheit der Wortlaute, Eigenthümlichkeit des Vocalwechsels vom Singular zum Plural,85 und der sonderbare anomalische Umstand zusammen, dass die vergangene Zeit in der Bedeutung der gegenwärtigen genommen wird. Hier ist also Gleichheit der Analogie und Anomalie in derselben Form. Das Lateinische und Litthauische bieten in diesem Fall gerade keine grammatische Gleichheit dar. Das Sanskritische wid erscheint bei ihnen bloss als sehen im Lateinischen videre, und Litthauischen wéizdmi. Wissen, zinnaú,86 stammt von dem Sanskritischen jnâ. Beide Sprachen aber sind jenen in anderen Formen auf das überraschendste gleich, wie datum, datu, statum, statu ebensowohl Lateinische, als Sanskrit-Wörter sind, und wie schon öfter auf die Gleichheit der Conjugation des Verbum seyn im Praesens im Sanskrit, Griechischen und Litthauischen aufmerksam gemacht worden ist. Alle hier genannten Sprachen haben daher concrete grammatische Flectionen, solche, in welchen das geistige und phonetische Bildungsprincip dasselbe ist, und die im Laut übereinkommen, mit einander gemein. Die immer auch übrigbleibende Lautverschiedenheit darf hierbei keinen Anstoss erregen, da, ohne dieselbe, diese Sprachen aufhören würden, eigne Sprachen zu seyn. Gerade weil die Individualitaet der Sprache auf dem Laute beruht, so weichen die individuellen Sprachformen immer in den Lauten von einander ab, allein diese Abweichung lässt sich, da wo Einerleiheit der Sprachform unter mehreren herrscht, nach durchgehenden Analogieen zu dem Urlaut zurückführen, und beweist dadurch noch mehr die wirkliche Uebereinstimmung. Jenen Beispielen aber eine Menge hinzuzufügen, ja auszuführen, dass der ganze[308] grammatische Bau jener Sprachen durchgängige Analogie zeigt, würde aus den jetzt darüber vorhandenen Arbeiten leicht seyn. Ich unterlasse es nur, weil man diejenigen Leser, welche sich wahrhaft für diese Untersuchungen interessiren, als vertraut mit diesen Arbeiten voraussetzen darf.

114. Eine solche Gleichheit nun in concreten grammatischen Formen erlaubt keinen Zweifel mehr über ihren wirklichen geschichtlichen Ursprung. Stände das Beispiel von oida allein da, so müssten die Laute einer Sprache von der andren überkommen, könnten nicht unabhängig von einander gebildet seyn. Ob wir also gleich gar keinen Zusammenhang zwischen der Lateinischen und Indischen Sprache geschichtlich kennen, so muss ein solcher Zusammenhang vorhanden gewesen seyn, da Indische, im Griechischen (denn ich habe absichtlich gerade solche ausgewählt) nicht vorhandne Flexionslaute sich im Lateinischen vorfinden. Es wäre aber eine wahrhaft unmögliche Annahme, dass eine Gleichheit, wie die oben von oida angeführte, in zwei, übrigens grammatisch verschiedenen Sprachen allein und abgesondert da stände. Die Grammatik bildet immer mehr oder minder, loser oder fester, ein Ganzes von Analogieen, und darum gerade lässt sich die Verwandtschaft der Sprachen soviel überzeugender an ihr, als an den Wörtern zeigen, weil was irgend tief in sie eingreift, in die Bildungsgesetze der Sprache übergeht, oder aus ihnen entspringt. Wörter bleiben dagegen oft immer Fremdlinge in der Sprache, und nehmen von grammatischen Eigenthümlichkeiten, ausser dem Accent, höchstens Endungen oder Artikel mit sich hinüber, die aber dann bedeutungslos werden, und ihr grammatisches Leben verlieren.

115. Entkleidet man die Sprachform von ihren Lauten und lässt man bloss den Begriff (§. 111.), die Behandlungsart ihrer Wörter in der verbundenen Rede, in ihr zurück, so berechtigt sie durchaus zu keinem Schluss auf geschichtlichen Zusammenhang. Ihre Gleichheit beruht alsdann auf allgemeineren Gründen, und wären besondre historische vorhanden, so müssten sie anderswoher bewiesen werden. Gehen wir aber auf dasjenige zurück, was wir über die[309] wahre Natur der Sprachform, als eines Dranges den Gedanken in Worte zu kleiden, weiter oben (§. 110.) gesagt haben, so fällt beim ersten Anblick in die Augen, dass bei einer solchen Unterscheidung der Technik der Sprachform von ihren Lauten die erstere schon an sich nur eine Abstraction seyn kann, und irgend grosse Gleichheit derselben zwischen zwei Sprachen, bei völliger Verschiedenheit der Laute, kaum denkbar ist. Die Entstehung und Entwicklung der Grammatik in jeder Sprache geschieht im und vermittelst des Sprechens. Der Laut und der Begriff vereinigen sich zur Bildung der grammatischen Form, und da der Laut das Verständniss vermittelt, aus den Lippen hervorgehend dem Ohre zurückkehrt, so ist in diesem Zusammenwirken der auch in sich fügsamere Begriff das mehr abhängige Element. Wo man daher Gleichheit der grammatischen Behandlungsart mit wesentlicher Verschiedenheit der grammatischen Laute anzutreffen glaubt, da wird tiefere Prüfung entweder dennoch Lautzusammenhang entdecken, oder die scheinbare Gleichheit in solche Gränzen zurückweisen, dass beide Sprachen nur als zu Einer Classe, oder nur ganz entfernt als zu Einer, in gewissen Punkten dieselbe grammatische Ansicht theilenden Völkermasse gehörend erscheinen. Dies wird uns namentlich bei den Amerikanischen Sprachen sehr ernstlich beschäftigen müssen, die durch den Süden und Norden des Welt theils hindurch grosse grammatische Aehnlichkeit zeigen, indess die Zurückführung der Laute einer auf die andre bisher nur sehr einzeln hat gelingen wollen. Die Semitischen Sprachen stehen den Sanskritischen (ein Verhältniss, das es von der äussersten Wichtigkeit wäre, recht genau und ausführlich auszumitteln) sehr viel näher, als beiden die Koptische und andre in die gleiche Kategorie gehörende, allein die Aehnlichkeit scheint doch nur eine Classenverwandtschaft, auf keine Weise eine zu Voraussetzung geschichtlichen Zusammenhanges berechtigende.

116a. Es muss aber, indem man die Sprachform zum Massstab der Einerleiheit oder Ungleichartigkeit der Sprachen annimmt, der Begriff derselben sehr sorgfältig von den[310] ihn begleitenden Lauten unterschieden werden. Nur diese berechtigen auf geschichtlichen Zusammenhang zu schliessen, und thun dies immer, die Form der Sprache möge, dem Begriff nach, dieselbe oder eine verschiedene seyn. Denn es kann nicht nur gedacht werden, sondern es findet sich starke Verschiedenheit der grammatischen Behandlungsart mit vieler Uebereinstimmung auch der grammatischen Laute. Es können nemlich diese in grösserer oder geringerer Zahl, mit bedeutenderen oder unbedeutenderen Abweichungen gegenwärtig bleiben, aber der sie verknüpfende grammatische Sinn in seinem ursprünglichen Zustand bis zum Entstehen einer wahrhaft neuen Sprachform in Vergessenheit oder Verwirrung gerathen.

116b. Da dies gerade der sichtbarste Fall neuer Spracherzeugung ist, so bleibe ich bei demselben stehen, und beginne mit ihm die Betrachtung der verschiednen Möglichkeiten inneren Sprachzusammenhanges. (§. 104.) Das mir bekannte auffallendste Beispiel der hier erwähnten Art giebt das Neugriechische. Declination und Conjugation sind aus altgriechischen Flectionen, von denen viele ganz unverändert geblieben, zusammengesetzt. Aber kaum eine einzige Declination oder ein einziges Tempus hat sich in seinem Ganzen unverändert erhalten, in den meisten sind Beugungen verschiedner gemischt, oder ihrem ursprünglichen Sinne entgegen gebraucht. Die Reduplication, also ein ganzes technisches Mittel der alten Grammatik, ist untergegangen. Der Gebrauch des Augments bei zusammengesetzten Verben, der schon bei den Alten in einigen so schwankend war, dass das Augment sogar doppelt gesetzt ward, ist noch ungewisser geworden, und scheint kaum feste Regeln zu erlauben.87 Der Infinitiv hat sich gänzlich verloren, ist aber im Verbum seyn, in völliger Vergessenheit seiner Bedeutung, zur 3. Person beider Numeri geworden. Die zusammengesetzten Tempora verbinden widersinnig durch alle Personen hindurch die 3. des Hülfsverbum mit dem regelmässig[311] durchflectirten Aorist des Conjunctivus,88 oder bedienen sich einer Abkürzung des Hülfsverbum und Zusammenziehung mit einer Conjunction, worin der Ursprung ganz unkenntlich wird.89 Das Besitzpronomen wird durch den Zusatz des Wortes eigen gebildet.90 Nimmt man nun zu diesen einzelnen Abweichungen, unter denen ich hier nur die bekanntesten und auffallendsten ausgewählt habe, die Verschiedenheit der Construction und die gänzliche Aufopferung der Quantität, die zum Theil ganz andre Betonung hervorbringt, hinzu; so erhält man (ohne noch auf die Veränderung der Wörter in Laut und Bedeutung zu sehen) den Eindruck einer durchaus neuen Sprachform bei sehr grosser Gleichheit der grammatischen Laute. Wenn ich hier von Verwirrung der Formen, Vergessenheit ihrer Bedeutung sprach, so geschah dies nur in Vergleichung mit der älteren Sprache und um auf die Art des Ueberganges aufmerksam zu machen. Es versteht sich von selbst, dass die neue Sprache ihre eigne Analogie hat, und in dieser wieder durch die ihr eigenthümliche Consequenz ein Ganzes bildet. Es ist ausserdem für den den Nationen beiwohnenden Sprachsinn merkwürdig zu beobachten, wie neben und selbst in den Abweichungen das Gefühl der Analogie der alten Sprache sich sichtbar erhalten hat. Jene Verwirrung könnte nur dann einen Vorwurf gegen sie bilden, wenn sie schlechterdings zur alten zurückkehren sollte. Wie man in ihr eine neue, und sich als solche entwickelnde sieht, fällt der Vorwurf hinweg. Die neugeprägte Form tritt in die Sprache ein, und wirkt in ihr lebendig fort. Ihr in dieser Beziehung fast gleichgültiger Ursprung ist nur insoweit wichtig, als es allerdings von der richtigen und consequenten Bildung der Wortbeugungen abhängt, wie tief und allgemein[312] consequent verfolgte Analogie durch die ganze Sprache durchgeht. Auch in den alten classischen Sprachen, deren Form für untadelhaft gehalten wird, finden sich hie und da Spuren, dass ältere Formen durch Misdeutung sprachwidrig genommen, oder solche, welchen man ohne genauere Prüfung keinen Mangel ansieht, auf sonderbare und der Art unserer neueren Sprachen ganz ähnliche Weise zusammengesetzt sind.

117. Die lateinischen Töchtersprachen haben zwar viel mehr, als die Neugriechische, von den Römischen grammatischen Lauten eingebüsst und das ihnen Uebriggebliebne viel stärker verändert, sie befinden sich aber im Ganzen mit ihr in demselben Fall. Diese schon ursprünglich grössere Lautverschiedenheit und der mächtige Schwung, den die Literatur schon früh in der neuen Form gewann, haben diese Sprachen viel sichtbarer zu wahrhaft neuen gemacht. Ihre frühesten Bearbeiter waren Dichter aus der Blüthe der Nation, so dass die Sprache veredelt, aber nicht dem Kreise des Volks entzogen wurde. Dadurch gestaltete sie sich in Freiheit und Mannigfaltigkeit, und nie wurde bei der an ihr versuchten Bildung, wie bei der Neugriechischen Sprachverbesserung, an Rückkehr zum Alten gedacht, immer nur der Entwicklung in neuer Eigenthümlichkeit nachgestrebt. Alle glücklichen Folgen, welche Wohlstand, Cultur und politische Bedeutsamkeit der Nationen über die Sprachen verbreitet, wurden diesen neuentstandenen zu Theil, indess die Bewohner des alten Griechenlands mit Knechtschaft, Mangel, politischer Vernichtung und aus allem diesem entstehender Verwilderung zu kämpfen hatten.

118. Die Persische Sprache liefert, überzeugender, als irgend eine andre, den Beweis, dass die Einerleiheit der Sprachen nicht in der Vergleichung der Wörter, sondern im grammatischen Baue gesucht werden muss. Der Wörtervorrath zeigt bloss eine Mischung Arabischer und Indo-Germanischer Wörter, und das Uebergewicht der Menge ist auf der Seite der ersteren. Selbst die flüchtigste Ansicht der Grammatik aber kann nicht zweifelhaft lassen, dass es eine Indo-Germanische Sprache ist, welche Arabische Wörter in[313] sich aufgenommen hat. In den grammatischen Bau ist wesentlich nicht Semitisches übergegangen, einzelne Unregelmässigkeiten, wie dass bisweilen Persische Schriftsteller auch Persischen Wörtern den umlautenden Arabischen Plural geben, thun kaum als Ausnahmen der Allgemeinheit dieser Behauptung Eintrag. Was in der Persischen Grammatik nicht Sanskritisch ist, und es giebt dessen nur wenig, ist bis jetzt unbekannten Ursprungs. Die Arabischen Wörter gelten nur als Wörter, und wenn sie in ihren einheimischen Plural- und Participialformen bedeutsam erscheinen, so ist dies nicht anders, als wenn wir dem Deutschen lateinische Wörter in ihren Casusformen beimischen. Wenn man hierin die lateinischen Töchtersprachen und die Englische mit der Persischen vergleicht, so ist in demselben der Grad der Verschmelzung der fremden und einheimischen Elemente in der hier beobachteten Folge dieser Sprachen geringer. In den Lateinischen Töchtersprachen erkennt oft erst die etymologische Untersuchung das nicht lateinische Wort, und es theilt dieselbe grammatische Behandlung mit denen des eigentlichen Stammes der Sprache. Im Englischen fallen die nicht Germanischen Elemente sogleich ins Auge, die Sprache besitzt zwar, wie in der Betonung, so in den Substantiv- und Adjectivendungen, ein zwiefaches System nach dem Ursprung ihrer Wörter, aber beide sind ihrer Eigenthümlichkeit angepasst, aber einzelne Wörter bilden Ausnahmen, wo Stämme und Endungen verschiedenen Ursprungs sich verbinden (wie dukedom, dolesome, plentiful, drinkable), und alle Elemente fügen sich den einheimischen Beugungen des Verbum. Im Persischen gehört das Arabische so wenig zur eigentlichen in sich geschlossenen Sprache, dass es in der Willkühr der Schriftsteller steht, mehr oder weniger davon einzumischen. Es entstand daher keine neue Sprache, als die Araber um die Mitte des siebenten Jahrhunderts Persien unterjochten, sondern die Nation gewöhnte sich nur, Bruchstücke der Sprache der Sieger in der ihrigen zu dulden. Dagegen mit dem Sanskrit verglichen, ist die Sprache sichtbar von derselben Sprachform, in einem Verhältniss, das sich nur geschichtlich erklären lässt, aber zu[314] einer verschiednen, eignen Sprache geworden. Die Einerleiheit beruht auf der Gleichheit der wesentlichsten grammatischen Formen in ihrem Begriff und ihren Lauten, durch die Verschiedenheit muss die Art des Verhältnisses, in dem die Sprache zum Sanskrit steht, bestimmt werden. Sichtbar ist dies kein unmittelbarer Uebergang, wie der des Lateinischen zum Italienischen, des Griechischen zum Neu-Griechischen. Die Sprache behält nicht eine grössere Anzahl Sanskritischer Formen bei, die sie, da das Gefühl ihrer Bedeutung sich theils verloren, theils verirrt hat, ihrem ursprünglichen Zweck unangemessen anwendet, sie ist hiervon reiner, ihr Charakteristisches liegt hauptsächlich in der Entblössung von grammatischen Formen, darin dass sie durch die Verbindung sehr weniger ihre Zwecke in grosser Einfachheit zu erreichen weiss. Sie entspringt aus Sprachen, die uns zwar, ihrem grammatischen Bau nach, noch nicht hinlänglich bekannt sind, von denen aber das Zend gewiss auch des Indo-Germanischen Stammes war.

119. Es ist bewundernswürdig, wie auch in der Geschichte der Sprachen bisweilen ganz gleiche Erscheinungen in sehr verschiedenen Gegenden des Erdbodens wiederkehren. Das Englische befindet sich mit dem Persischen so sehr in gleichem Fall, dass es schwerlich in zwei andren Sprachen ein Beispiel davon geben mag. Die Uebereinstimmung seiner grammatischen Formen mit Sanskritischen ist unverkennbar, es entspringt aus einem Zweige der Germanischen Mundarten, dem Angelsächsischen, es theilt mit dem Persischen den Charakter grammatischer Einfachheit, es hat eine Beimischung fremder Wörter erfahren, die aber die wesentliche Form seiner Grammatik nicht verändert haben.

120. In den bis hierher angeführten Beispielen sehen wir Sprachen von einem festeren organischen und beugungsreicheren Bau zu einem minder zusammenhängenden und formloseren übergehen. Die technisch grammatischen Mittel der Sprachen, von welchen aus die neuen entstehen, werden theils unrichtig, theils sparsam und einförmig gebraucht, einige gehen gänzlich verloren. So entbehrt das Persische[315] und Englische der Reduplication,91 von der schon das Angelsächsische nur schwache Spuren aufbewahrt,92 und dem Persischen ist der Ablaut gänzlich fremd. So verschieden die Sprachen, von denen wir hier reden, in sich sind, so haben sie dennoch durch den ähnlichen Gang ihrer Entstehung einen gemeinsamen Charakter. Alle enthalten Beugungsformen, die, mit grösserer oder geringerer Lautveränderung, Elemente eines fester organisirten grammatischen Baues waren, allein als einzelne, aus ihrer vollständigen Verbindung herausgerissene Bruchstücke; sie wenden dieselben entweder ihrer ursprünglichen Bestimmung unangemessen an, verbinden sie auch wohl auf diese Weise, oder beschränken die grammatische Form, indem sie wenige Auxiliare mit ungebeugt bleibenden Wörtern verbinden. Gegen die Stammsprache erhalten daher diese Sprachen den Charakter des Unzusammenhanges und der grammatischen Dürftigkeit, der sie aber, wie schon oben bemerkt worden, gar nicht in ihrer Eigenthümlichkeit trifft. Daneben bedienen sie sich, um die Lücke der grammatischen Formen auszufüllen,[316] natürlich desselben Mittels, welches alle formarmen Sprachen anwenden, das grammatische Verhältniss durch eigene Wörter anzuzeigen. Dies ist aber nur eine Folge ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit und muss sorgfältig von derselben getrennt werden. Diese besteht in dem bruchstückartigen Gebrauch aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissener wirklicher Beugungsformen.

121. A. W. v. Schlegel hat diese Gattung der Sprachen mit dem Namen der analytischen, so wie die eines vollständig organischen und beugungsreichen Baues mit dem der synthetischen belegt,93 und diese letztere Benennung vorzüglich ist in andere Schriften übergegangen. Ich glaube mit einigen Worten angeben zu müssen, warum ich mich derselben absichtlich nicht bediene. Der Name der synthetischen soll zwar den Unterschied von agglutinirenden bezeichnen, dass die Synthese die einzelnen Theile in Eins verschmelzt, aber jede Synthese setzt immer ein zu verbindendes Mehreres voraus, und wo ist dies, wenn z.B. aus binden ich band wird? eine Lautbeugung, die gerade den feinsten Sprachorganismus vorzugsweise charakterisirt. Die Zusammenschmelzung in Eins lässt sich auch nur gradweise unterscheiden. Man kann nicht sagen, dass sie da sey, oder fehle, sie ist in gewissem Verstande immer vorhanden, nur mehr oder weniger innig. Der in jede feinste Abschattung der Ideen eingehende Urheber jener Benennungen bemerkt bei den synthetischen und analytischen Sprachen selbst, dass die Gränzlinie nicht scharf zu ziehen ist,94 und es passt dies noch mehr auf die synthetischen und affigirenden. Darum aber halte ich abscheidende Namen für nachtheilig, und habe mich, sowohl bei einer, übrigens der Schlegelschen ganz ähnlichen Eintheilung aller Sprachen,95 als hier bei der Absonderung der formloseren von den fester organischen nur solcher Umschreibungen bedient, welche sowohl den[317] Unterschied, als den Uebergang der trennenden Gränzen in einander angeben. Der Ausdruck analytische Sprachen scheint mir noch weniger passend. Es geht in den hier genannten Sprachen nicht sowohl eine Auflösung der synthetischen Formen vor, als dass man durch Verbindungen einiger, unaufgelöst bleibender, andre entbehrlich macht. Das Persische fügt dasjenige Praesens von seyn, was eigentlich nur diesen Gebrauch hat, und ganz mit den Personenendungen des Verbum übereinkommt, die Pronominal-Suffixa und den Artikel anderen Wörtern (Substantiven und Adjectiven) an. Die ganze scheinbar flectirte Conjugation kann als eine solche Anfügung angesehen werden. Es geht hierin nicht aus seinem Indo-Germanischen Charakter heraus. Von der enklitischen Behandlung der abgekürzten Pronominalformen und von esti im Griechischen bis zu dieser Anfügung ist nur ein geringer Schritt weiter; in sich ist die Erscheinung dieselbe. Hier verbindet also eine analytische Sprache, was in der ihr zum Grunde liegenden synthetischen unverbunden ist. Oder soll man das Persische nicht zu den analytischen Sprachen rechnen? Dann sieht man, wie unbestimmt der Begriff derselben, und wie schwierig er anzuwenden ist. Soviel ich einsehen kann, bleibt für den Begriff des Analytischen nur das übrig, dass, was in den synthetisch genannten Sprachen durch ein geformtes Wort ausgedruckt wird, hier einen Ausdruck durch mehrere (allein auch das bei weitem nicht immer) hat.

122. Ich habe bisher den leichteren Fall inneren Sprachzusammenhanges abgehandelt, den des sichtbaren Ueberganges einer Sprache in eine andre, und eines solchen, von dem wir aus den Zeiten sichrer Geschichtskunde Beispiele besitzen. Es giebt aber Sprachen, in welchen, indem sie durchaus und vollkommen eigne und insofern verschiedne sind, dennoch Gleichheit der Sprachform in dem oben (§. 112.) bestimmten Sinne unverkennbar ist, ohne dass irgend an einen Uebergang der einen in die andre, wie der so eben betrachtete, gedacht werden kann. Beispiele hiervon geben die Sanskrita- und Griechische Sprache. Sie sind unläugbar verschiedene Sprachen, nicht bloss Dialekte, man[318] müsste denn dies Wort in ganz ungewöhnlich weitem Sinne nehmen. Sie haben aber einen im Ganzen und sehr vielem Einzelnen übereinstimmenden Bau, und ihre concreten grammatischen Formen sind sich dergestalt gleich, dass sie sich grösstentheils, nach bestimmten Gesetzen und Lautverhältnissen, auf einander zurückführen lassen. Ihr gegenseitiges Verhältniss verglichen mit dem der bisher betrachteten hat das Auffallende, dass, indem sie viel sichtbarer verschiedene Sprachen sind, dennoch jene in dem Begriffe der Sprachform weiter von ein ander abweichen. Alle aus Zerschlagung einer organischen Form entstandene Sprachen stehen mit denen, welchen sie ihren Ursprung verdanken, dem Begriffe nach, in einer Art grammatischen Gegensatzes und bilden zwei abgesonderte Classen, da die Sprachen, von denen ich hier rede, in dieselbe gehören. Niemand wird läugnen, dass das Alt-Griechische, in Rücksicht auf den grammatischen Begriff, weit mehr mit dem Sanskrit, als mit dem Neu-Griechischen übereinstimmt, obgleich das Material in dem letzteren sogar bis zur Möglichkeit gegenseitigen Verständnisses dasselbe ist. Das Charakteristische, wodurch sich das Neu-Griechische vom Alt-Griechischen unterscheidet, lässt sich in scharf bestimmten Begriffen angeben. Das Gleiche vom Griechischen und Sanskrit zu thun, würde zu den schwierigsten Aufgaben gehören, und niemals in gleichem Grade gelingen. Beide Sprachen unterscheiden sich mehr durch ihre Individualität, als durch ihren Begriff.

123. Die Erweiterungen, welche die Geschichte Asiens durch Klaproths vortrefliche Forschungen aus Chinesischen bisher unbenutzten Quellen erhalten, haben der Einsicht in den Zusammenhang der Indo-Germanischen Völkerschaften und Sprachen ein neues Feld eröffnet.96 Die Annahme, dass die Urväter aller dieser Völkerschaften das mittlere Asien bewohnt, und sich von da vorzüglich nach Süden und[319] Westen (Indien, Persien und Europa), aber auch nach Osten und Norden in mehreren in verschiedne Zeiten fallenden Wanderungen verbreitet haben, steht zwar noch nicht als geschichtlich gewiss da, hat aber überwiegende Wahrscheinlichkeit gewonnen. Die Chinesischen Schriftsteller erzählen von einem blonden Volke mit blauen Augen, das im 3. Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung an den Chinesischen Gränzen wohnte. Dies Volk, welches den Namen Ou sun trug, so wie die Bewohner von Choù le, die Tingling und die Kian kùen (nachher Hakas und Khirgizen genannt), alle in Farbe der Haare und Augen einander ähnlich,97 sieht Klaproth als gegen Osten ausgewanderte Indo-Germanische Völker an, und ihre Bildung berechtigt allerdings zu dieser Voraussetzung, um so mehr als die Sprachen der Völker, mit welchen die erwähnten Stämme dort in Berührung geriethen, die Türkische, Mongolische und Mandschurische, viel Germanische Wurzeln enthalten. Die Alanen, die Klaproth für dieselben mit den Albanen erklärt, und deren Namen er scharfsinnig mit dem Wort Alpe in Verbindung bringt, sind offenbar Germanischen Stamms. Sie zogen sich westwärts vom Jaxartes in den Norden des Kaspischen Meers, und wir sehen also östlich und westlich von der Mitte Asiens Völkerstämme, den Germanischen an Körperbildung ähnlich, und von den andren dort wohnenden Mongolischen, Türkischen, Tungusischen Völkern verschieden, welches auf einen dazwischen liegenden Stammsitz, als Ausgangspunkt, schliessen lassen kann. In diesem unmittelbar nördlich von Tübet findet sich ein Land mit Sanskritischem, mit einheimischen Mythen in Verbindung stehenden Namen, Khotan, von kustana, Brust der Erde, wo die Buddha Religion schon vor unsrer Zeitrechnung waltete, und von wo aus sie sich vielleicht in die Nachbarländer verbreitet hat. Ob Khotan darum einer der Stammsitze der Hindus, oder nur eine alte gegen Norden gewanderte[320] Hinduische Colonie war? bleibt freilich unentschieden. Das Letztere hat sogar viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Allein Colonien werden, wie wir es zwischen Griechenland und Kleinasien sehen, oft in Stammsitze zurückgeschickt und immer sehen wir hier einen Zusammenhang Indischer und blonder Germanischer Völker.98 Die Yuctchi, die drei Jahrhunderte vor Christus westlich von der Chinesischen Provinz Kan sou wohnten, auch Yucti heissen, und als die Vorväter der Yut in Guzerate angesehen werden, gehörten vielleicht auch zu jenem blonden Geschlecht. Denn sie lebten längere Zeit vermischt mit den Ou sun, und die Yut haben Europaeische Gesichtsbildung und ein dem Griechischen ähnliches Profil. Zweifelhafter ist es, ob man in diesen Yucti die Gothen erkennen darf, deren Namen auch darauf führen kann, ein andres Volk der blonden Race, die Hou oder Khoute für einen Gothischen Stamm zu halten.99

124. Ich habe absichtlich hier nur Nachrichten berühren wollen, welche den Zusammenhang aller zum Indo-Germanischen Stamm gehörenden Völkerschaften, wie in einem einzigen Punkte wahrscheinlich machen, ohne darum überhaupt von dem Asiatischen Ursprung der Germanischen und Hellenischen Stämme zu reden. Ich habe aber auch diese Nachrichten so kurz, als möglich, zusammengefasst, weil sie doch nur die Gleichartigkeit und Verschiedenheit der Sprachen, die zu dieser Familie gehören, im Allgemeinen begreiflich machen, über die Art des inneren Zusammenhanges derselben dagegen keine näheren Aufschlüsse geben. Um diesen aber ist es uns hier zu thun, da wir hier nicht gerade dem Ursprung dieser bestimmten Sprachen, sondern den Arten der Sprachverzweigung überhaupt nachspüren. Da Sanskrit, Griechisch, Germanisch, Slawisch sich nicht unmittelbar aus einander herleiten lassen, so werden sie gewöhnlich Schwestersprachen genannt und auf eine gemeinsame untergegangene Mutter zurückgewiesen. Es ist[321] aber leicht zu zeigen, dass dies ein blosses Zurückschieben ins Unbekannte, mehr ein Aufgeben aller Erklärung, als eine Erklärung selbst ist.

125. Wir haben es hier – und um die Erörterung zu erleichtern, bleibe ich bloss bei dem Griechischen und Sanskrit stehn – mit Sprachen zu thun, welche einen festen, zusammenhangenden, rationellen, organischen Bau besitzen, die grammatischen Verhältnisse durch untrennbare, längst verwachsne, ihrem Ursprunge nach grossentheils gar nicht erkennbare Beugungen, durch künstlich angewandte Reduplication und Ablaut bezeichnen, an denen also die Grammatik, wie es die Natur ihres Wesens erfordert, als eine Form, geschieden von der Materie erkannt wird. Davon nun, dass solche Sprachen aus Sprachen gleicher Beschaffenheit entsprungen wären, oder um es anders auszudrucken, dass zwei Sprachen, wie die Sanskrita, Griechische, Gothische, in dem Verhältnisse zu einander ständen wie das Lateinische und Italienische, giebt es in der Sprachenkunde, soweit ich darin nachzuforschen vermag, kein Beispiel. Wir sehen – um für Leser zu reden, die solche Ausdrücke zu wägen verstehen – aus dem Geformten nicht das Geformte hervorgehn. Die Erfahrung also verlässt uns.

126. Es könnte daher nicht getadelt werden, hier auch die Untersuchung zu schliessen, und sich mit der Bemerkung zu begnügen, dass es gleichartige, auf einen gemeinsamen, aber nicht mehr auszumittelnden Ursprung hinweisende Sprachen giebt. Indess ist es doch möglich, die Aufgabe, kann sie auch nicht eigentlich gelöst werden, wenigstens näher zu bestimmen. Die Erklärungsweise, dass eine Sprache durch Verpflanzung oder den Lauf der Zeit sich von ihrer ursprünglichen Form bis zur Entstehung neuer abbeugt, scheint mir, wenn von Einer in sich fertigen und geschlossnen die Rede seyn soll, im gegenwärtigen Fall nicht anwendbar. Ich wüsste mir nicht die Beschaffenheit der Sprache zu denken, welche auf diese Weise dem Griechischen und Sanskrit zum Grunde liegen könnte. Die durch den Ablauf der Jahrhunderte umgewandelten Sprachen, die wir in den Germanischen und Slawischen verfolgen können, haben[322] einen andren Charakter der Verschiedenheit, nemlich den des allmählich ohnmächtiger werdenden Bildungsprincips. Wenn das Spanische, wie man es in Amerika redet, auch noch so lange fort gesprochen wird, so kann zwischen demselben und dem Spanischen des ursprünglichen Mutterlandes kein so grosser Unterschied, und kein solcher entstehen, als der die hier in Rede stehenden Sprachen auszeichnet. Es tritt kein neues Bildungsprincip hinzu; mögliche Mischungen abgerechnet, entstehen nur Eigenheiten der Aussprache, der Redensarten, am seltensten gewiss auch der Beugungen. Im Sanskrit und Griechischen findet sich ein merkwürdiges zwiefaches Verhältniss. Auf der einen Seite waltet in ihnen noch die Fülle des Lebensprincips in reger Kraft, wenn sie auch im ersteren gleichsam noch üppiger, und bisweilen über das grammatische Bedürfniss hinaus wuchert. Man kann daher ihren Ursprung nicht in eine Sprache setzen, in der das fortbildende Gefühl sich schon abzustumpfen und zu verschwinden beginnt. Einheit des Ursprungs aber muss vorhanden seyn, da sich sonst die Uebereinstimmung der concreten grammatischen Formen nicht erklären lässt. Auf der andren Seite enthalten aber Sanskrit und Griechisch auch nicht undeutliche Spuren älterer erloschener Formen. Jenes ist im Ganzen, dieses im Einzelnen der Fall. Sie tragen in diesen einzelnen Spuren denselben Charakter an sich, der dem Laufe der Zeit, wo die kunstvollere Grammatik untergeht, angemessen ist. Es haben sich Formen schon abgeschliffen, es hat sich Geformtes, wie verwachsenes Auxiliar angefügt. Der Ausgang der ersten Person des Praesens im Atmanepadam, der zweiten des Singulars des Imperativs des Parasmaipadam im Sanskrit, das die Verba endende ô, legoimi und das th des Aoristus passivi im Griechischen können in dieser Beziehung angeführt werden.100 Ist dies[323] Letztere wirklich aus der Wurzel von tithêmi genommen, so ist etethên gerade wie j'aurai zusammengesetzt, und in einer uns als ursprünglich geltenden, sogenannten synthetischen Sprache, wie in einer abgeleiteten, sogenannten analytischen, verfahren. In einigen dieser Fälle welchen beide Sprachen von einander ab, und die abgestumpftere Form gehört nur der einen an; in andren aber, wie in wada und lege halten Griechisch und Sanskrit und in einigen Personenendungen101 des Perfectum auch das Gothische gleichen Schritt, und die vollere Form scheint also allen gemeinsam zum Grunde gelegen zu haben. Dass nun diese Sprachen mitten in einem lebensreichen, kunstvollen Bau auch Beweise verschwindender Grammatik in sich tragen, widerspricht dem Begriff keineswegs. Auf Sprachen, deren Charakter im Ganzen ein durchaus verschiedener ist, können im Einzelnen gleiche Ursachen eingewirkt haben, es würde sogar unrichtig seyn, eine solche Einförmigkeit des Bildungsprincips in weitverbreiteten Sprachen, die nothwendig zusammengesetzter Natur sind, anzunehmen, es ist natürlich, dass viele Gattungen der Einflüsse in Einer zusammenkommen, das Entscheidende ist nur, welche das Uebergewicht hat, oder dass Ein bildendes Princip alle diese Einflüsse sich unterordnet. Der Charakter des Ganzen reisst in den Sprachen allemal das Einzelne mit sich fort. Vergisst man diesen Grundsatz in der Beurtheilung der Sprachen festzuhalten, so miskennt man mit ihrer Natur selbst auch allen wahren Unterschied unter denselben. Denn so abweichend sind sie nun einmal nicht von einander, dass auch in den verschiedensten nicht einzelnes Gleichartiges vorkommen sollte. Da die Richtung im Sanskrit und Griechischen ganz beugungsartig ist, so wirken jene abgeschliffenen Formen nicht als solche, die Endungen von wada und [324] lege gelten nicht als das, was sie sind, als blosse Bildungsvocale verlorener, sondern, die Mannigfaltigkeit der Beugungen vermehrend, als neue Formen.

127. Nach dem hier Vorausgeschickten glaube ich in diesen Sprachen zweierlei zu entdecken. Auf einen früheren Zustand der Sprachen dieses Stammes ist ein andrer gefolgt, der die Regsamkeit eines neubildenden Princips mit sich geführt hat. Aber der Stoff, dessen es sich bedient, war von gleichartiger, jedoch innerhalb allgemeinen gleichen Charakters, wieder in früherer Verzweigung, längerer oder kürzerer Dauer verschiedner Beschaffenheit. Ich halte es in der Sprachumbildung für ein ewiges und unabänderliches Gesetz, dass, solange eine Sprache ruhig in sich fortbesteht, sie an demselben Ort nur die Wirkungen der Zeit, in der Schwächung des Lebensprincips, an verschiedne verpflanzt, ausserdem dialektische Abbeugungen erfährt; dass aber, soll aus ihr eine wirklich verschiedne hervorgehn, sie durch irgend ein Ereigniss in ihrem Wesen erschüttert werden muss. Die Nationalität muss verändert werden. Denn die Sprachen erfahren nichts, was nicht vorher die Nationen empfinden. Nationen aber können entstehen und untergehen. Das Griechische wäre nicht zu Neugriechischem, das Lateinische nicht zu Italienischem geworden, wenn nicht mächtige Umwälzungen den politischen Zustand des Hellenischen und Römischen Volkes zertrümmert hätten. Die Grammatik beider hätte allmählich an Kraft und Fülle verloren, wäre aber nicht in Verwirrung gerathen, und keine von beiden hätte sich, nach dem erlittenen Sturze, elastisch wieder in erneuerter Gestalt erhoben. Was dem Sanskrit und Griechischen das Leben gegeben, muss gerade entgegengesetzter Natur gewesen seyn. Neue Nationen haben sich zusammengeschlossen, und die Epoche ihres Werdens haben die neuen Sprachen bezeichnet. Da sie aber das Gepräge eines mit gleich tiefem und lebendigen Sprachsinn begabten Volkes tragen, so muss der Stoff, aus dem sie gebildet wurden, in seiner Gleichartigkeit und Verschiedenheit, deren nähere Bestimmung wir für jetzt dahingestellt seyn lassen, einem solchen Volksstamm angehört haben.[325]

128. Wenn man das Sanskrit, die Persische, Griechische, Lateinische, die Germanischen und Slawischen Sprachen, sie mit einander vergleichend, betrachtet, so sieht man, dass sie zwar (§. 122.) nicht bloss Dialecte Einer Sprache sind, sich aber wie Dialecte von einander unterscheiden. Sie haben, dem Begriff nach, denselben grammatischen Bau, ganze Formen finden sich, fast unverändert, in allen gemeinschaftlich, die Laute der bloss ähnlichen, so wie vieler Wurzeln, lassen sich, nach aufzufindenden Gesetzen, auf einander zurückführen. Der Charakter der Dialecte ist, dass sie in derselben Sprache durch Entfremdung, vermittelst sich absondernder Vereinigung entstehen. Dasselbe Princip muss auch der Entstehung dieser Sprachen zum Grunde liegen. Der individuelle Unterschied beruht nur auf der Art und den verschiednen Graden der Entfremdung. Alle hier genannten Sprachen leiten auf die Vermuthung, dass in jede mehrere Mundarten zusammengeflossen sind. In allen hat das Pronomen mehrere Grundwörter. Manches im Sanskrit, namentlich die Vielfachheit der Personenendungen deutet auf Verschiedenheit von Mundarten hin. Ich denke mir daher diese Sprachen, jede aus einzelnen Mundarten, die sich, da in verschiedenen Zeiten kleinere Stämme energisch zu grösseren Nationen vereinigt wurden, zu Sprachen zusammenbildeten, hervorgegangen. Auf diese Weise lässt sich ihre Entstehung und ihre Beschaffenheit begreifen. Sie wurden zu eignen Sprachen, sie haben ihr eignes Bildungsprincip, dies lag in der Zusammenschmelzung kleinerer Stämme zu einer grösseren Einheit, die dem Nationalgeist einen neuen Schwung gab, auch selbst vielleicht einem ihn elektrisirenden Ereigniss ihr Daseyn verdankte. Es war auch neue Bildung nöthig, oder vielmehr sie entstand von selbst, da die in gemeinschaftliche Rede zusammentretenden Mundarten doch Verschiedenheiten hatten, in verschiednen Bildungsepochen stehen konnten. Hieraus erklärt sich dann natürlich das Zusammenseyn ursprünglicher und schon verbrauchter Formen. Es entstanden auf diesem Wege auch vermuthlich ganz neue grammatische Begriffe. War z.B. die Zahl der tempora oder modi in den noch grammatisch[326] dürftigeren Mundarten geringer, allein ihre Formen in verschiednen verschieden, so konnten sie in der neuen zusammenfassenden Sprache zur Bezeichnung feinerer grammatischer Verhältnisse anfänglich durch richtig geleitetes Sprachgefühl vorbehalten, nachmals wirklich gestempelt werden. Ich will hier nur Ein, aber in die Augen fallendes Beispiel anführen. Die grammatische Tempusform, welche nach Bopps Grammatik die siebente Bildung des vielförmigen Praeteritum ist, hat das Griechische Plusquamperfectum hervorgebracht. awûwrusam ist, wenn man den Unterschied abrechnet, dass das Sanskrit den Wurzelvocal wiederholt, im Griechischen aber immer mit e reduplicirt wird, in der Reduplication und dem Augment, von derselben Formation, als etetyphein Im Sanskrit ist dies aber kein eigenes Tempus, sondern nur eine Art, wie eine Anzahl von Wurzeln (jedoch eine grosse, da alle Causalverba von dieser Art sind) dasjenige Vergangenheitstempus bildet, das man im Sanskrit mehr deshalb, weil die Griechischen Aoriste daraus abstammen, als weil es immer aoristische Bedeutung hätte, Aoristus nennt. Allein auch bei den Griechischen Epikern, also in der älteren Sprache findet sich, wie im Sanskrit, diese augmentirte Reduplication im Aorist, wie epephradon, epephnon, ekekleto beweist.102 In ein wie hohes Alterthum diese Sprachen für uns hinaufgehen, so sind sie sichtbar aus noch älteren entsprungen. Ja es ist überhaupt nicht glaublich, dass wir eine einzige Sprache kennten, mit welcher dies nicht der Fall seyn sollte. Worauf ich aber nur habe aufmerksam machen wollen, ist einmal, dass nicht allen Eine, ja keiner von ihnen eine, die sich bloss durch die gewöhnlichen Umwandlungen der Zeit in sie verändert hätte, zum Grunde liegt, sondern dass aus noch nicht in diesem Umfang entwickelten Sprachen durch glücklichen Anstoss wirklich neue entstanden sind.

129. Wenn ich die Beschaffenheit der Indo-Germanischen Sprachen richtig aufgefasst habe, so sind sie (§. 127.) durch ein neues Bildungsprincip aus gleichartigem Stoff (gleichartig[327] nämlich mit ihnen und unter sich) erzeugt worden; aber so, dass das Unvollkommnere und Dürftigere zu freierer und höherer Entwicklung und grösserem Umfange übergegangen ist. Diese letztere Annahme kann auf den ersten Anblick unerwiesen scheinen. Ich leite sie aber aus dem kraftvollen Lebensprincip dieser Sprachen ab, dessen Culminationspunkt ich für das Griechische in das Homerische Zeitalter setze. Ein solches lässt sich nur aus einer steigenden, nicht aus einer schon wieder sinkenden Kraftentwicklung erklären. Auch eine gewaltsam in ihrem Wesen erschütterte und sich nun in neuer Gestalt wieder ermannende Kraft, wie wir sie zum Theil in den lateinischen Töchtersprachen sehen, lässt sich hier nicht voraussetzen, weil in solchen Fällen immer die untergegangene Sprache und ihre zerschlagene Form sichtbar bleiben. Man wird daher nothwendig auf die obige Annahme geführt. Beugungssprachen scheint es natürlich aus Anfügungssprachen abzuleiten. Das Sanskrit führt sogar darauf, da es in der Wortbildung die Suffixa so deutlich und rein vom Wortstamm abscheidet. Man muss sich indess über einen solchen allmälichen Uebergang von Anfügungs-in Beugungssprachen nicht täuschen. Eine letztere im wahren Verstande entspringt niemals allmälich, sondern immer nur durch eine im Geist der Nation innerlich aufflammende und nun die Sprache umgestaltende Ansicht, wie die magnetische Kraft unter gewissen Umständen die chemische Mischung der Theile eines Körpers verändert. Wenn grosse Klarheit und lebendige Anschaulichkeit der Begriffe, Gefallen am Ton und Gefühl für Gesetzmässigkeit und Mannigfaltigkeit in ihm den Sprachsinn weckend ergreifen, so schmelzen die Hauptwörter mit den bedingenden zusammen, gruppiren sich, wie lebendige Individuen, und erhalten durch den umbildenden Ton ihre Gestaltung. Dass hier Begriff und Ton zugleich, wie ein schaffender Hauch, die in einer Sprache, wie z.B. die Tahitische, einzeln zerstreuten Elemente, zu Ganzen gestaltend versammeln, beweist in den Indo-Germanischen Sprachen namentlich die innere Umwandlung der Vocale, das Guna, der Ab- und der Umlaut. Die Bildung[328] durch Ablaut ist, schon nach Grimms Bemerkung,103 nie eine fortsetzender Sprachentwicklung, sondern immer ursprünglich. Da die Laute und das Verhältniss der Sylben verändert, gewichtiger und leichter gemacht werden, so sieht man, dass das Wort als ein Ganzes behandelt ist. Hiermit ist aber die Beugung in ihrem wahren Sinne gegeben. Denn sie ist nichts andres, als ein solcher Ausdruck des Begriffs in unzertrennlicher Verbindung mit seinen grammatischen Verhältnissen, dass das Wort immer dasselbe, nur verschieden gestaltet, erscheint. Ein solcher grammatisch bildender Sinn hat sichtbar schon die Sprachen durchwaltet, welchen auch die ältesten uns bekannten unter den Indo-Germanischen ihren Ursprung verdanken. Es beweisen dies die Mannigfaltigkeit der Formen, die nicht alle Einer Bildung, ja nicht Einer Bildungsepoche angehören, und diejenigen, welche sichtbar früher in vollständigerer Gestalt vorhanden waren.

130. Die Geschichte aller Welttheile zeigt, dass das Menschengeschlecht in vielen seiner Epochen, und vorzüglich in den früheren, in sehr kleine Völkerhaufen vertheilt gewesen ist. Selbst die kürzere oder längere Vereinigung in grosse Reiche hat diese innere Absonderung nicht immer bedeutend geschwächt. Die Vielfachheit der Sprachen musste namentlich grösser seyn, ehe die Veranlassungen verbindenden Verkehrs häufiger wurden. In Afrika und Amerika ist dies noch heute sichtbar, und gerade, wo man die Anfänge der Indo-Germanischen Nationen sich am wahrscheinlichsten denken kann (§. 123.), sehen wir noch in der Zeit sichrer Geschichtskunde viele hin und herwandernde, bald verbundne, bald geschiedene Horden. Die Annahme der Entstehung dieser Sprachen aus einzelnen Mundarten, die wir (§. 128.) oben in ihnen selbst begründet gefunden haben, wird also auch durch die Geschichte herbeigeführt. Aus diesen konnte ein neues Bildungsprincip, dessen Nothwendigkeit wir oben (§. 129.) erkannten, Sprachen erzeugen, die sich als edlere und allgemeinere von den Volksmundarten[329] abschieden. Denn nur in dem Uebergewicht der Herrschaft oder der geistigen Anlagen eines Stammes und einer Mundart, die alsdann die übrigen mit sich fortreisst, kann ein solches Princip hier gefunden werden. Solange es an einem solchen Uebergewicht fehlt, sind alle Mundarten gleichberechtigt. Die sich auf und über ihnen erhebende Sprache hat vorher in ihrer Mitte geweilt, aber nun, als äusserlich oder innerlich herrschend, als Schrift- oder Dichtersprache in ein geschichtliches Daseyn getreten, trennt sie sich weiter und weiter.104 Es schliesst sich hier das an, was ich (§. 99.) oben von den beiden entscheidenden Momenten in den Schicksalen der Sprachen, ihrem Erscheinen als Stoff, und der höheren Befruchtung dieses Stoffs durch intellectuelle Begeisterung und dem möglichen Zusammenfallen dieser beiden Punkte gesagt habe. Das Phänomen der Indo-Germanischen Sprachen erfordert die Erklärung des Entstehens der einzelnen aus früheren, und ihres Verhältnisses zu einander. Das Erstere wird durch das eben Gesagte aufgehellt. In Absicht des letzteren kann die Entstehung gleich Dialecten (§. 128.) verschiedener Sprachen, namentlich aber der hier betrachteten, nur durch wechselndes Nähern und Entfernen, Verbinden und Trennen von Stämmen, die zu Einem ursprünglich enge zusammenwohnenden gehörten, in verschiedenen Zeiträumen, begreiflich werden. Denn bei wirklicher Gleichartigkeit des Sprachsinns, also der geistigen Richtung und der sinnlichen Anlagen der Sprachwerkzeuge und des Ohrs, muss doch eine hinlängliche Anzahl von Ursachen vorhanden gewesen seyn, die Verschiedenheiten hervorzubringen. Ich bin weit entfernt mir das Entstehen der letzteren so vorzustellen, als wären aus Einer Mundart, wie aus einem untheilbaren Punkt bloss durch die Folge der Zeit und die in ihr vorgegangenen Veränderungen[330] jene verschiedenen Sprachen hergeflossen. Es ist aber (§. 75.) auseinandergesetzt worden, dass die Natur der Sprache darauf führt, sie uns nie anders, als in einem Volke zu denken. Mit diesem selbst aber ist die Verschiedenheit von Mundarten gegeben. Denn die Sprache eines Volks ist, da immer Haufen von Mitgliedern verbunden unter sich und getrennt von andren leben, nie genau eine und die nämliche, aber dennoch im gemeinsamen Verständniss, bei der Gleichartigkeit der einwirkenden Ursachen und der das Ganze umschlingenden Verbindung, im Ganzen dieselbe. So konnte auf einem grösseren oder kleineren Landstrich der oben (§. 129.) erwähnte grammatisch bildende Sinn Stämmen verschiedener Mundarten eigen seyn. Ein Volk kann aber aus einander gehen, alsdann trägt jeder Theil sein gleichartig sprachbildendes Princip in sich fort, allein die Spaltung wächst bei dem nun abgerissnen lebendigen Verkehr. Immer setzt indess dieser Process voraus, dass das sprachbildende Princip noch in zeugender Regsamkeit sey, was innerlich von der intellectuellen und sinnlichen Lebendigkeit der Nationen, äusserlich grossentheils davon abhängt, dass die Sprache sich noch nicht zu fest verkörpert habe, was vorzüglich bei Erhaltung der Schrift und auf dem Gipfel ihrer Literatur ihr Schicksal ist.

131. Ich habe hier nur die Indo-Germanischen Sprachen im Ganzen und beispielsweise erwähnt. Jede dieser Sprachen steht aber wieder in einem nur ihr eigenthümlichen Verhältniss zu den übrigen, und es wäre von der grössesten Wichtigkeit, dies gründlich im Einzelnen zu untersuchen. Das Lateinische vorzüglich würde dabei in einem sehr neuen Lichte erscheinen. Es ist unläugbar, dass eine grosse Menge von Lateinischen Wörtern sich leichter unmittelbar aus dem Griechischen, als dem Sanskrit herleiten lässt, so wie dass der Stamm, dem diese Sprache angehört, sich mit andren Italischen vermischt hat. Auf der andren Seite aber giebt es im Lateinischen eine bedeutende Anzahl, dem Griechischen105[331] fremder und unmittelbar aus dem Sanskrit übergegangener Wörter,106 bewahrt die Grammatik (§. 113.) rein und unverändert Sanskritisch gebliebene, dem Griechischen mangelnde Formen, und ist das Oscische, dem man gerade die hauptsächlichste Beimischung nicht-Griechischer Elemente beimisst, höchst wahrscheinlich auch Sanskritischen Stammes. Denn es ist schon von Bopp bemerkt worden, dass der auch in Oscischen Inschriften vorkommende Alt-Lateinische Ablativ in od der Sanskritische in ât ist, der sich gleichfalls nicht im Griechischen findet. So unhaltbar daher die bisher nicht ungewöhnliche Theorie ist, dass die Lateinische Sprache, ihre Vermischung mit Italischen Wörtern und Formen abgerechnet, aus dem Griechischen, namentlich aus dem Aeolischen Dialect geflossen sey, und so bestimmt man dem Lateinischen, so gut als dem Griechischen selbst, eine unmittelbare Abkunft von den ursprünglichen Mundarten des Indo-Germanischen Stammes beimessen muss, so scheint dennoch ein Theil dieser Sprache nur unmittelbar aus dem Griechischen abgeleitet werden zu können. Der Grund davon mag in verschiedenen, zu verschiedenen Zeiten unternommenen Einwanderungen in Italien liegen. Es müsste nur durch tiefe und sorgfältige Untersuchung bestimmt werden, welcher Theil der Sprache sich in dem einen, oder dem andren Falle befindet. Ob aber etwas dem Indo-Germanischen Stamme ganz fremdes im Lateinischen sey?[332] wird durch das oben vom Oscischen Gesagte sehr zweifelhaft gemacht. Soviel ich zu urtheilen im Stande bin, liegt in der Grammatik und ihren Formen durchaus nichts dieser Art, das Meiste darin spricht sogar unverkennbar für unmittelbaren Ursprung aus dem Sanskrit, oder früheren ähnlichen Mundarten. Mit einzelnen Wörtern aber ist es vermuthlich anders.

132. Ich habe im Vorigen, immer der Idee getreu bleibend, dass allein der grammatische Bau über die Einerleiheit oder Verschiedenheit der Sprachen entscheidet, einen zwiefachen Uebergang aus einer Sprache in eine andere neue in Betrachtung gezogen; zuerst (§. 116.a. – 121.) einen solchen, wo aus kunstvoll organisirten, beugungsreichen Sprachen andre eines unvollkommneren grammatischen Baues und von minder kräftigem, oft auch minder consequenten Bildungsprincip durchhaucht, entstehen; hernach aber (§. 122-131.) einen solchen, wo mehrere Sprachen jenes höheren Organismus und nahe verwandter grammatischer Form aus ähnlichen, aber minder entwickelten und umfassenden zusammenfliessen. Ich habe zu Beispielen Sprachen des Indo-Germanischen Stammes gewählt, an denen, in Abkunft und Forterzeugung, dieser zwiefache Uebergang offenbar wird. Ich hätte auch die Semitischen anführen können, die, auf ähnliche Weise unter einander verwandt, auch neueren Sprachen, dem Neu-Arabischen und Maltesischen das Daseyn gegeben haben. Man kann aber auch, den Gesichtspunkt erweiternd, hierin zwei allgemeine Uebergangsweisen der Sprachen sehen, eine des Zusammentretens mehrerer verwandten Mundarten zu Einer sich durch neues Bildungsprincip neu gestaltenden Sprache, und eine des Herabsinkens eines kunstvolleren Organismus zu einem weniger vollkommnen. Ich ziehe sogar dies vor, da alsdann die Untersuchung unabhängiger wird von dem historischen Ursprung der Indo-Germanischen Sprachen, und ich wohl fühle, dass die Art, wie ich diesen angenommen, Zweifel übriglassen kann.

133. In beiden hier betrachteten Fällen war aber auch das als ursprünglich Angesehene schon mit grammatischer[333] Form begabt, und es bliebe daher noch der Ursprung einer solchen Sprache aus einer der grammatischen Form ermangelnden übrig. Um hier nicht ins Unbestimmte zu verfallen, muss man den Begriff der Form im strengsten Verstande nehmen. Ich fasse daher unter den Sprachen ohne grammatische Form alle zusammen, die, wie das Chinesische, das Verständniss gar nicht von grammatischen Zeichen abhängig machen, oder wie die Südseesprachen, die grammatischen Wörter abgesondert und unverbunden lassen, oder endlich, wie das Coptische, dieselben lockrer und fester, allein immer so anfügen, dass diese Anfügung keine Beugung des Wortes genannt werden kann. Für einen Uebergang nun aus einer solchen Sprache in eine mit Beugungen versehene kenne ich in der bisherigen Sprachenkunde kein Beispiel. Ich habe oben (§. 129.) von der Möglichkeit eines solchen Ueberganges geredet, und glaube gezeigt zu haben, dass ein allmälicher, bloss mechanisch durch die Aussprache entstehender wohl festere Anfügung, nie aber Beugung, die immer ein neues Bildungsprincip erfordert, hervorbringen kann. Ich möchte auch keinesweges behaupten, dass nothwendig ein solcher Uebergang habe vorgehen müssen, und dass es nicht vielmehr bei weitem wahrscheinlicher sey, dass die Beugungssprachen von ihrem ersten Ursprunge an solche gewesen wären. Man kann sich Unterschiede der Sprachen, wie der hier bemerklich gemachte, als verschiedne Epochen der Sprachentwicklung denken, sich vorstellen, dass eine Sprache, die sich noch regelmässiger, als der neue Chinesische Styl, der grammatischen Wörter bediente, zu einer der Tahitischen ähnlichen, diese durch allmähliche Anfügung zu einer, wie die Koptische, die letztere endlich, bei innigerer Verschmelzung der Affixa, den Semitischen ähnlich geworden wäre, und dies kann nicht nur die Verschiedenheit dieser Sprachformen in ein helleres Licht setzen, sondern es wird dadurch wirklich eine Stufenfolge des grammatischen Organismus in der menschlichen Sprache aufgestellt. Aber damit behauptet man keineswegs, dass auch in der Wirklichkeit diese Gattungen in der That aus einander entstanden seyen. In der ganzen Eintheilung der[334] Sprachen in anfügende und beugende liegt aber etwas Willkührliches, das nicht davon getrennt werden kann. In keiner Sprache ist Alles Beugung, in keiner Alles Anfügung. Der wahre hier in Betrachtung kommende Unterschied ruht (§. 111.) in der Herrschaft des schaffenden Sprachsinns über den todten Stoff. Erwacht dieser plötzlich, wo er bisher geschlummert hat, so können aus mechanisch anfügenden Sprachen beugend wortgestaltende hervorgehn. Es kann auch der Anstoss dazu dadurch gegeben werden, dass, wie es in so vielen anfügenden Sprachen angetroffen wird, gewisse Anfügungen gar nicht mehr, als solche, erkennbar sind. Es ist aber nicht der Zweck dieser Schrift, Vermuthungen nachzuhängen und Hypothesen aufzustellen, sondern einzig die Natur der Sprachen aus Thatsachen und auf dem Gebiete geschichtlicher Forschung zu entwickeln.

134. Ich schliesse hier die Betrachtung der möglichen Uebergänge von einer Sprachform in eine andre. Der Gegenstand kann zwar durch das Wenige hier Gesagte unmöglich für erschöpft gehalten werden. So wie man je zwei Sprachen genau zergliedert, die sich in einem solchen Falle befinden, so wird man immer anders und anders speciell individualisirte Entstehungsarten entdecken. Die Verfolgung dieses Weges hätte aber zu einer ins Einzelne gehenden Untersuchung aller Sprachen geführt, die kein Einzelner zu leisten im Stande ist. Es kam hier, meiner Absicht nach, nur darauf an, die allgemeinen Gattungen der Sprachentstehung, unter die sich die einzelnen Verschiedenheiten als besondre Arten bringen lassen, und die Hauptgesichtspunkte anzugeben, auf die es hierbei ankommt. Die Anwendung der hier aufgestellten Grundsätze in der Folge dieser Schrift wird die sicherste Prüfung ihrer Richtigkeit und Hinlänglichkeit seyn.

135. Forschen wir nun, nach der oben (§. 104.) angegebenen Folge unsrer Betrachtungen, den Entste hungsgründen neuer Sprachen in den Schicksalen der Völker nach, so lassen sich dieselben auf folgende drei, die bald einzeln, bald mit einander verbunden wirken, zurückführen: Verlauf der Zeit, Veränderung des Wohnplatzes, Mischung verschieden[335] redender Stämme. Zu diesen dreien tritt aber eine vierte hauptsächliche, durch welche jene erst ihre grösseste Wirksamkeit erhalten, die sich aber nicht mit ihnen in gleiche Reihe stellen lässt, weil sie nicht leicht ohne sie oder eine von ihnen erscheint, jene aber auch allein für sich wirksam sind, nämlich eine solche Umgestaltung des politischen und sittlichen Zustandes, dass dadurch die Nationalitaet verändert wird, entweder erhebenden Aufschwung erhält, oder gewaltsame, dem Untergange mehr oder weniger nahe führende Erschütterung erfährt. Vorzüglich wirksam auf die Sprache, und neue Zustände, theils selbst schaffend, theils bezeichnend und heftend, ist die in Dichtung oder wissenschaftlichem Streben plötzlich auflodernde intellectuelle Begeisterung. Es liesse sich wohl bezweifeln, ob das Entstehen sehr vollkommener, auf die Intellectualitaet wieder mächtig zurückwirkender Sprachen je anders als durch das Eintreten solcher Epochen erklärt werden kann? Ich rechne jedoch dies zu der in Erweiterung und Erhebung bestehenden Veränderung der Nationalität, da es, seiner Natur nach, wirklich damit zusammenhängt.

136. Durch den blossen Verlauf der Zeit entsteht eigentlich weder eine neue Nation, noch eine neue Sprache. Die ursprüngliche Auffassung der Sprache wird nur durch die Umstände modificirt, welche die Folge der Jahrhunderte herbeiführt, von denen oben (§. 93.) schon ausführlicher geredet worden ist, und die sich, wenn es nicht an Denkmalen fehlt, in ungetrennter Folge aus einander herleiten lassen. Dennoch werden die in einer langen Periode in einer Sprache auch bloss auf diese Weise, ohne Hinzukommen einer andren Ursach, entstehenden Veränderungen so bedeutend, dass das Verständniss nach und nach des Studiums bedarf. Alsdann kann und muss man die Unterscheidung einer neuen Sprache machen, weil sie wirklich grammatikalisch und lexicalisch von der vorhergehenden und nachfolgenden abweicht Wie aber die Gränze zwischen Mundart und Sprache immer schwankend bleibt, so ist es auch hier. Ja, wenn man Mundart, wie man unstreitig muss, immer nur als die dem Raume nach verschiedene Sprache[336] nimmt, so erlaubt die Abänderung der Sprache in der Zeit noch viel weniger eine scharfe Bestimmung, da die Folge der Generationen mehr, als das Wohnen der Stämme eine in sich stätige Grösse bildet. Indess lassen sich doch auch im blossen Laufe der Zeit, vorzüglich nach einzelnen merkwürdigeren in der Sprache erscheinenden Werken Einschnitte machen, die nicht willkührlich sind, sondern in denen die Sprache in der That wesentlich als eine andre erscheint. Grimm nennt diese Epochen mit einem besonders passenden Ausdruck Niedersetzungen der Sprache.107 Das Alt-, Mittel- und Neu-Hochdeutsche bilden drei sehr grosse und merkwürdige Sprachepochen dieser Art. Dagegen lässt sich das Alt- und Neu-Griechische, Alt- und Neu-Arabische hierher nicht rechnen. In beiden Fällen waren einzelne Katastrophen dazwischen getreten, und hatten das allmäliche Wirken des Verlaufs der Zeit nicht beschleunigt, sondern aufgehoben und plötzlich verändert, in Griechenland Nation und Sprache gewaltsam zerrissen, bei den Arabern die weitverbreitete Herrschaft und das Vorwalten der wissenschaftlichen Bildung gebrochen. Auch jene Veränderungen der Deutschen Sprache kann man nicht ausschliesslich der Wirkung der Zeit beimessen, sie gehören zugleich Begebenheiten und neu entstandnen Bestrebungen an, wie namentlich das Neu-Hochdeutsche sich grösstentheils durch die Reformation und Luthers Bibelübersetzung festgesetzt hat. Aber sie danken ihr Daseyn dem stillen, inneren Entwicklungsgange, den Sprache und Geist der Nation zugleich nehmen, in dem der Einfluss so gegenseitig ist, dass er sich einzeln nicht rein abscheiden lässt, und der doch insofern der Thätigkeit der Zeit zuzuschreiben ist, da ohne äussere plötzliche und zufällige Unterbrechung der vorhergehende Zustand darin stätig auf den nachfolgenden einwirkt. Die Sprachen hangen aber auf eine so merkwürdige Weise von der Art der geistigen Auffassung ab, dass dadurch der Lauf der Zeit in seinem Einfluss gewissermassen gehemmt, oder wenigstens sichtbar verzögert wird.[337] Wenn die Literatur einer Nation eine Hohe erreicht hat, die man sich berechtigt glaubt, als einen Gipfelpunkt anzusehen, so verändert sich die Sprache von dieser Epoche an bei weitem langsamer, als vorher. Das fortgesetzte Lesen derselben Werke erhält das Verständniss, das Bestreben der Nachbildung erlaubt der Sprache nicht so weit von dem Typus jener Vollendung abzuweichen, und wenn dies zuerst auch nur auf die Schriftsprache einwirkt, so verbreitet sich doch der Einfluss davon nach und nach auf die ganze Nation. Es wird dadurch, wenn auch kein wirklicher Stillstand, doch ein gleichmässigeres Fortrücken hervorgebracht. Ob Schrift und Literatur überhaupt den Veränderungsgang der Sprachen aufhalten oder beschleunigen? scheint mir nicht leicht zu entscheiden. Ich glaube, dass, besonders bis man eine befriedigende Höhe erreicht zu haben meint, das letztere der Fall ist. Die Schrift heftet zwar allerdings, aber das Hangen des Volks am einmal Sprachüblichen und das Forttragen derselben Wörter und Formen in der mündlichen Rede scheint noch viel fester und stätiger. Die Schrift heftet die Sprache auf eine Weise, welche die Betrachtung über sie weckt. Gerade die Betrachtung aber führt zur Ummodelung. Zugleich bringen Schrift und Literatur allemal mehr Leben und Regsamkeit in die geistige Thätigkeit, erzeugen mehr Bestrebungen, die Sprache und ihre Form geltend zu machen, und je vielfacher, je mehr auf sie selbst gerichtet ihr Gebrauch ist, je häufiger sie sich neuen Begriffen, neuen Wendungen anschmiegen muss, desto weniger kann sie dieselbe bleiben. An hinlänglichen Beobachtungen fehlt es hierbei noch. Sie könnten aber in Amerika angestellt werden, wo man in noch lebenden Sprachen von Stämmen, welche nie Schrift gekannt haben, Werke von Missionarien des 17. Jahrhunderts besitzt. Diese, mit der Sprache der heutigen Eingebornen verglichen, könnten zu interessanten Aufschlüssen führen. Zu solchen Vergleichungen, die man z.B. mit Eliots um 1661. erschienener Uebersetzung der Bibel in die Massachusetts Sprache vornehmen könnte, würde die MissionarienSchule in Connecticut eine leicht zu benutzende Gelegenheit an die Hand geben.[338] Einigermassen beweisend ist schon, dass keiner solchen Veränderung dieser Sprache, auch nicht von dem schätzbaren neuesten Herausgeber der Eliotschen Grammatik, Herrn Pickering, erwähnt wird. Wo Nationen, wie die alten Gallier und Britten in den Druiden Instituten, und soviel sich aus einigen Angaben schliessen lässt, auch die Mexikaner, das Gedächtniss an die Stelle der Schrift setzend, Dichtung oder Philosophie in mündlicher Ueberlieferung besassen, konnte dies in dem geschichtlichen Gange der Sprache neue Verhältnisse hervorbringen.

137. Der Veränderung, die eine Sprache durch Verrückung des Wohnplatzes einer Nation erfährt, habe ich schon (§. 126. 127.) gelegentlich erwähnt. Dieser Einfluß ist natürlich immer mit dem der Zeit verbunden, und gewöhnlich treten auch an dem neuen Wohnort nähere Berührungen oder selbst Mischungen mit fremden Sprachen, immer neue Lebensverhältnisse hinzu. Geschieht die Verrückung des Wohnorts in eine weite Entfernung, wie bei unsren Colonisationen in andren Welttheilen, so umgiebt den Pflanzer eine fremde Natur, neue Gegenstände müssen benannt, alte Wörter nach neuen Begriffen gestempelt werden. Dies abgerechnet wird die Abweichung der Sprache des neuen Wohnsitzes von der in dem alten natürlich zur dialectartigen Verschiedenheit. Sie wird auch grösser oder geringer seyn, je nachdem die Verpflanzung in einen Zeitpunkt fällt, wo die Muttersprache einen geringeren oder höheren Grad der Festigkeit erlangt hat. Die Beschaffenheit des neuen Dialects hängt endlich von dem bestimmten Theile des Mutterlandes, der natürlich schon da seine Mundart besitzt, ab, von dem die Colonie ausgieng, so wie ganz vorzüglich von dem Bildungsgrade derer, welche sie ausmachen. Die anziehendste Erscheinung dieser Art bieten unstreitig die Nord-Amerikanischen Freistaaten dar. Auf beiden Seiten des Oceans sieht man Englische Nation und Sprache, durch alle Einflüsse einer grossen und hervorstechenden Literatur gebildet, und durch alle Fortschritte der Civilisation bereichert, mit einer politischen Verfassung, welche der Rede in Aufstellung und Behauptung der Grundsätze einer edlen[339] und menschenfreundlichen Freiheit ein weites und fruchtbares Feld einräumt. Lieber die Verschiedenheiten dieses Englisch-Amerikanischen Dialects giebt es eigne interessante Schriften.108 Ueber den Spanisch-Amerikanischen Dialect ist mir keine ähnliche Arbeit bekannt. Diese Erscheinungen der neueren Zeit, bei denen sich der Einfluss des veränderten Wohnsitzes erst wenige Jahrhunderte lang beobachten lässt und wo die getrennten Sprachtheile in unausgesetztem Verkehr mit einander geblieben sind, erlauben indess keine sicheren Schlüsse auf die Wirkungen der Völkerverpflanzungen in der früheren und vorzüglich der entferntesten Geschichte. In der damaligen Abgeschiedenheit der Völker konnte und musste beinahe die Macht dieser Einwirkung grösser seyn. Da, wo eine solche Erörterung vorzüglich wichtig seyn würde, bei den Zügen der Völker, welchen die alten classischen Sprachen ihr Daseyn verdanken, gehen uns zu sehr die geschichtlichen Angaben dazu ab. In Amerika finden sich interessante Beispiele weitgewanderter Völker, die an mehreren Orten Spuren ihrer Sprache hinterlassen haben. Am sichtbarsten ist dies bei den Kariben der Fall. Leider aber ist gerade der grammatische Bau ihrer Sprache sehr wenig bekannt.

138. Das mächtigste Princip in der Veränderung der Sprachen und ihres Gebiets ist die Mischung der Nationen. Alles in der Art ihrer Verbreitung über den Erdboden hängt natürlich von der Verbindung und Trennung gleich und verschieden Redender ab. Wie weit sich die Mischung der[340] Sprachen erstreckt haben möge, lässt sich im Einzelnen nicht entscheiden. Bei dem Völkergewühle, das beständig auf dem Erdboden geherrscht hat, bei der Reihe von Jahrhunderten, die für unsere Geschichtskunde in Nacht begraben liegen, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass es auch unter den uns für einfach geltenden Sprachen keine einzige reine und unvermischte giebt. Auf der andren Seite finden sich, um gleich die beiden Extreme einander gegenüberzustellen, auch Sprachen, die in roher Verwirrung aus Wörtern und Wendungen ganz verschiedner bestehen, und nicht Sprachen einer Nation, sondern rohe Austauschmittel zwischen Menschen verschiedener sind, in die Classe der Sprachen zu setzen, die (§. 85.) besondren Gewerben und Beschäftigungen eigen sind. Hierhin ist neben andren die lingua Franca in den Häfen des Mittelmeeres zu rechnen. Aber auch Volksdialecte von vielfacher und verwirrender Mischung kommen in Gegenden vor, wo Nationen verschiedener Sprachen an einander stossen.109 Diese Fälle übergehe ich hier ganz und rede nur von der Mischung, als einem Entstehungsgrunde der Sprachen überhaupt, und so, wie man sie auch in hochgebildeten Sprachen antrifft.

139. Zuerst muss man unterscheiden, ob die Mischung der Sprachen bloss aus dem häufigen Verkehre mit Fremden, oder aus wirklichem untermischten Zusammenwohnen, der Einverleibung verschiedener Volksstämme in denselben politischen Verein entspringt. Im ersteren Fall dringt das fremde Element natürlich weniger tief in die Sprache ein, und verbreitet sich nur auf die Gegenstände dieser Gemeinschaft. Wo aber verschiedene Volksstämme wahrhaft zusammenfliessen, oder doch Theile desselben Staatskörpers werden, da entstehen sehr verschiedenartige Verhältnisse nach dem Uebergewicht, welches die Sprache des einen über den andren erhält. Der schwächere Stamm wird genöthigt die Sprache des stärkeren anzunehmen, und dieser drückt[341] sich nun in zwei Sprachen aus, wie es in Biscaya, Nieder-Bretagne und Wales geschieht, und bei so vielen Amerikanischen Völkerschaften der Fall war, und noch heute selbst ohne politischen Zwang ist. Dann stirbt die Sprache des schwächeren Stammes entweder ganz aus, wie es der Cornischen, Alt-Preussischen und mehreren Asiatischen und Amerikanischen gegangen ist, oder sie erhält sich in immer kleiner werdendem Umfang, wird auch mit Ausdrücken der vorherrschenden Sprache vermischt. Zugleich aber nimmt auch diese Elemente von ihr in sich auf. Ob das Uebergewicht hier immer von dem äusseren der physischen Macht zu verstehen ist? kann zweifelhaft scheinen. Man pflegt sogar im Gegenteil zu behaupten, dass die in Bildung mehr fortgeschrittene Sprache die weniger ausgebildete verdrängt, und durch diese geistige Herrschaft den Besiegten oft an dem Sieger rächt. Man kann als Beispiele hiervon die Zurückdrängung der einheimischen Sprachen in Hispanien und Gallien, als diese Länder Römische Provinzen wurden, und das Vorherrschen des Lateinischen im Romanischen anführen. In der höheren Cultur und Civilisation liegt der Grund jener Erscheinungen gewiss, der Gedanke unterwirft sich die Masse, und man braucht sich die Colonien, die Gesittung unter rohe Völker bringen, nicht gerade zahlreich zu denken. Nur in der Sprache möchte ich den Grund nicht gerade suchen, und ich halte es für nothwendig, das hier zu bemerken, wo es gerade auf die Erforschung des ihr Eigenthümlichen ankommt, und es daher wichtig ist, es mit der Wahrheit des über sie Behaupteten genau zu nehmen. Die eine angeblich rohere Sprache Redenden hangen darum mit nicht minder grosser Liebe an ihr, es muss erst eine gänzliche Umwandlung mit ihnen vorgehen, ehe sie für die feineren Schönheiten einer cultivirteren Sprache Empfänglichkeit gewinnen. Dagegen weichen die, welche diese sprechen, wie wir an einer Menge von Beispielen sehen, sehr leicht bei Vermischung mit roheren Mundarten von ihrer Reinheit ab. Daher setzt Niebuhr, wie er110 von der zauberischen Gewalt[342] der Griechischen Sprache über fremdet Völker redet, und sie mit treffenden Beispielen belegt, sehr richtig »und Nationalität« hinzu. Welches Verhältniss unter sich mischenden Sprachen entsteht, welche die Oberhand gewinnt, hängt von der Art ab, wie sich das gemeinsame Sprechen gestaltet, und diese von der Lage, in welche die sich mischenden Nationen gegen einander treten, von der Eigenthümlichkeit ihres Charakters, der Art des sich unter ihnen bildenden Zusammenwohnens und des politischen Bestandes, den jeder beider Theile für sich bewahrt, von der Sprache nur, insofern sie natürlich dies Alles begleitet, oder höchstens bloss mittelbar. Im abendlichen Europa hatte die Römische Verfassung, die sich vor allen des Alterthums durch Consequenz und Festigkeit auszeichnete, Zeit gehabt tiefe Wurzeln zu schlagen. Die dort Fuss fassenden Völker waren keineswegs so barbarisch, als die Römer sie zu schildern bemüht waren; sie besassen übrigens auf gleichem Stamm mit der Römischen emporgewachsene Sprachen. Ueber die Türken vermochten Griechische Civilisation und Sprache in Jahrhunderten nichts. Die Sprachen hangen immer auf das Innigste mit der Geschichte der Nationen zusammen. Es sind aber in dieser Hinsicht auch bei bekannten Erscheinungen, wie z.B. der Untergang des Griechischen und Römischen ist, noch eine Menge von Punkten aufzuhellen übrig. Viele aber dürften auch immer unerklärlich bleiben. Wie unbegreiflich ist, um nur dies Beispiel anzuführen, der schnelle Untergang des Iberischen und Keltischen im grössten Theile der Spanischen Halbinsel, da noch zu Strabo's Zeit (also am Anfange unsrer Zeitrechnung) Turdetanische Sprache und Literatur im südlichsten Spanien blühten.

140. Dass sich die Mischung der Sprachen vorzüglich in ihrem Wörtervorrathe zeigen muss, begreift sich von selbst, da in diesem sehr verschiedne Elemente neben einander bestehen können. Ob der grammatische Bau je wahrhaft gemischt sey, ist eine schwerer zu beantwortende Frage. In gewissem Verstande ist auch dies unläugbar. Die Wörter verschiedenartigen Ursprungs werden, wie wir von Persischen[343] und Englischen gesehen (§. 118.), wohl verschieden flectirt und grammatisch behandelt. Die Römer, die Dichter vorzüglich, nehmen auch in bloss Römische Worte Griechische Constructionen auf, behalten auch Griechische Flectionen bei. Alles dies geht aber dennoch nicht eigentlich tief in den grammatischen Bau ein. Wenn das, was ich oben (§. 110.) über denselben, als die wahre Sprachform, den wahrhaft individuellen Drang des Gedankenausdrucks gesagt habe, richtig ist, so lässt sich in diesem auch nur solche Vermischung denken, welche die ursprüngliche Einheit nicht wesentlich stört. Indess ist es doch sehr wichtig bei der Erörterung der Sprachen die Aufmerksamkeit noch genauer auf diesen Punkt zu richten, da man allgemeinem Raisonnement in den Sprachen niemals zu sehr vertrauen muss. Wo die zusammenfliessenden Sprachen schon an sich gleichartig sind, droht der Einheit von der Vermischung auch des grammatischen Baues geringere Gefahr. Wenn, wie ich die Vermuthung bei den Sanskritischen Sprachen geäussert habe, Mundarten in Eine Sprache zusammengehen, so ist eine solche Vermischung unläugbar vorhanden. Sehr viel anders ist schon der Fall der lateinischen Töchtersprachen, obwohl auch da Sprachen desselben Stammes zusammentraten.

141. Es ist eine sehr interessante Frage, ob sie eine Mischung Germanischen und Römischen grammatischen Baues verrathen? Um dieselbe gründlich zu beantworten, muss man, glaube ich, unterscheiden, ob man von wirklicher Einführung Germanischer grammatischer Laute in diese Sprachen, oder von blossem Einfluss der verschiedenen grammatischen Ansicht redet? Die erstere würde ich durchaus läugnen. Raynouard111 glaubt die unregelmässige Bildung des Praesens des Romanischen Verbum aver aus dem Gothischen aigan, haben, herleiten zu können, aus dem er auch alle Einmischungen von g in die Flectionen dieses Verbum erklärt. Dies wäre höchst merkwürdig, da alsdann concrete Beugungsformen[344] diesen Sprachen gemeinschaftlich wären. Denn Raynouard vergleicht das Romanische ai (1. pers. sing. praes.) und aic (1. pers. sing. praet.) mit dem Gothischen aih, und, wie es scheint, auch aguem (1. pers. plur. praet.) mit aigum. Ich möchte indess die Richtigkeit dieser Bemerkung bezweifeln.112 Ai scheint ebenso aus aver entstanden, wie sai aus saver, dei aus dever,113 as, a und an bieten kaum eine entfernte Aehnlichkeit mit den entsprechenden Gothischen Formen aiht, aih und aigun dar. Im Praeteritum agui, aguest, ac, aguem, dem Conjunctiv desselben agues cet., dem sogenannten zweiten Conditionalis agra und dem Participium agut verschwindet der Diphthongus ganz. Da überhaupt aver, mit Ausnahme sehr weniger Beugungen, den Stammvocal von habere durchaus festhält, aigan dagegen, das ein anomalisch als Praesens gebrauchtes ablautendes Praeteritum eines Verbum der 8. starken Conjugation ist, deren Vocale im Praesens ei, im Part. praet. i sind, nie ein blosses a haben kann, so halte ich diesen Umstand für entscheidend, jede Vergleichung beider Verba aufzugeben. Die Aehnlichkeit des Gothischen aih mit dem Romanischen aic scheint mir daher zufällig, und dies nur eine Abkürzung von agui. Die Ansetzung eines c ist ausserdem, wenigstens im Praesens nicht ohne Beispiel im Romanischen; vauc für vau, tenc für ten.114 Sollten nicht auch cug und aug (die Participia von cuidar und auzir), die Raynouard für Verwandlungen von id und z in g hält,115 so erklärt werden müssen? Denn das Spanische caigo (cado) und oigo (audio) beweisen keinen Uebergang von d in g. d ist da ausgefallen, wie man aus den übrigen Beugungen[345] sieht, und g im Praesens zwischengeschoben, wie im Romanischen c angesetzt wird. Dies beweisen traigo (traho), salgo (salire) und andre. Indess bleibt immer das g in der Romanischen Conjugation, da wo es nicht Stammconsonant des Verbum ist, in den Endungen gui,116 gra, gut, sehr sonderbar, und es ist zu bedauern, dass sich Raynouard nicht ausführlicher darüber auslässt. Ich halte agui nur für eine veränderte Aussprache von habui. Der Hauch, der ui begleitete, konnte leicht von b zu g abirren, wie w und h auch verwandt sind. Dass man auch avut für agut findet,117 scheint dies zu beweisen. Wäre das letztere Gothischen Ursprungs, so wären hier Participia zwei ganz verschiedener Wörter. Gleicher Art ist agues, habeas, und daraus vermuthlich agra und agut entstanden. Unter den Verben, die ihren Conditionalis in gra und ihr Participium in gut bilden, giebt es zwar mehrere, die sich füglich einzeln erklären lassen, wie beure, begra aus Verwandlung von b in g, cogler, colgra aus Versetzung des g, tener, tengra aus einer, auch in andren Sprachen nicht ungewöhnlichen Annahme eines g nach einem Nasenlaut. Da aber bei andren keine solche Erklärungen möglich sind, wie bei plazer, plagra, poter, pogra, voler, volgra,118 und da alle diese Conditionale auch eine zweite Form in ria bei sich haben, so halte ich die in gra, so wie die Participien in gut für Verbindungen mit dem Hülfsverbum aver. Im Spanischen anduve und Italienischen apparirebbe ist diese Zusammensetzung unverkennbar.

142. Die Häufigkeit der von den Grammatikern als unregelmässig angesehenen Verba, und ihre systematische Bildung, welche sie in eigne Classen abzutheilen erlaubt, könnten auf die Vermuthung führen, dass die Eigenthümlichkeit des Gothischen, den Unterschied des Praeteritum vom Praesens durch ablautenden Stammvocal zu bezeichnen, vorzüglich auf das Spanische eingewirkt habe; sabe und supe könnten[346] an binde und band erinnern. Genauere Erwägung macht aber auch dies sehr unwahrscheinlich. Die Vocalveränderung in den Spanischen unregelmässigen Verben ist hauptsächlich zwiefacher Art. Die eine beruht auf Lautgewohnheiten, die ursprünglich gar nicht die Conjugation angehen, allein auf sie angewandt, und zur Unterscheidung bestimmter Personen und Tempora gebraucht werden. Die zweite hingegen zeigt sich wirklich nur zwischen dem Praesens und Praeteritum und den aus dem einen und andren abgeleiteten Tempora. Zu der ersteren dieser beiden Arten rechne ich die Verwandlung von e in ie und o und ue. Es giebt keinen Redetheil, in dem sie nicht vorkäme, und ursprünglich halte ich sie nicht bloss für einen durch die Natur der nachfolgenden Sylben bewirkten Umlaut. Denn sie findet sich nicht nur bei volltönenden und gewichtigen Endungen, wie ciegamente, sondern auch bei einsylbigen Wörtern, wie pues. Diese Diphthongisirungen scheinen mir eine Verbreiterung und Verderbniss der ursprünglichen hellen und reinen Vocale. Solche sind Volksmundarten gewöhnlich, und die erste und hauptsächlichste Stufe des Ueberganges von der Lateinischen zu den neueren Sprachen war gerade, dass, bei der Zerrüttung des gesellschaftlichen und Culturzustandes, die Sprache zu dem Volke herabsank. Raynouard bemerkt119 nach Sanchez, dem Herausgeber einer Sammlung von Gedichten vor dem 15. Jahrhundert, dass man ue mit o reimen liess, ein klarer Beweis, wie schwankend noch damals diese Aussprache war. Noch merkwürdiger und doch für den Einfluss der Nachsylben sprechend ist, dass diese Reime nur von ein- oder zweisylbigen Wörtern, wo ue in der ersten Sylbe steht, und nur mit Wörtern, wo o sich in der Endsylbe findet, muerte, fuerte, fuent mit carrion, campeador, sol, angeführt werden. Vermuthlich sprach man da mort, fort und behielt nur die Schreibung in ue bei. In der Conjugation aber widerstanden auch in den Verben, auf welche diese Aussprache übergieng, die gewichtigen und[347] helltönenden Endungen, wie -amos, drè, è, der Veränderung des Stammvocals, und nur die leichteren, wie o, e, an, Hessen dieselbe zu, wie Bopp schon bei duerme bemerkt hat. Auf diese Weise beschränkte sich diese Umbeugung des Vocals auf das Praesens und den Imperativus und berührt auch in diesen nicht die beiden ersten Personen des Plurals. Sie wird dadurch mittelbar zur grammatischen Unterscheidung, dass sie aber nicht wahrhaft dies zur Absicht hatte, beweisen tengo, tenga, ten, vengo, venga, ven, verglichen mit tienes u.s.w. Obgleich die 1. pers. sing. indic. und das Praes. Conj. so wie der Imperativ, ausser den zwei ersten Pluralpersonen, in den unregelmässigen Verben dieser Gattung immer den Diphthongus haben, fällt er hier wegen des Gewichtes der zwei Consonanten ng und des Nachdrucks des einsylbigen Imperativs hinweg.120 Diese Art der Vocalveränderung ist daher weder dem Lateinischen, noch Gothischen zuzuschreiben, sondern liegt, unter der Mitwirkung allgemeiner Lautgesetze, ganz eigentlich in dem Uebergange von der älteren zur neueren Sprache. In dieselbe Classe zähle ich auch decir und reir, wo der Stammvocal i der alten Sprache im Infinitiv, den beiden ersten Pluralpersonen des Praesens und der zweiten des Imperativs decimos, decis, decid in e übergeht, wovon der Grund nicht leicht anzugeben seyn möchte. Pedir, deservir, conseguir u.a.m. sind nur darin in einem andren Fall, dass umgekehrt der Vocal jener vier Ausnahmen bildenden Beugungen[348] der lateinische Stammvocal (petere, servire, consequi) ist.

Die zweite Art der Vocalveränderung, die aber eine viel kleinere Anzahl der Verba trifft, scheidet wirklich das Praesens vom Praeteritum und die von beiden herkommenden Tempora durch den Vocalwechsel von einander. Der Wechsel geht von

a auf i; hace, hizo.

a auf u; cabe, cupo; sabe, supo; trae, truxe, was aber schon dem neueren traxe gewichen ist.

e auf i; queremos, quisimos; venimos, vinimos.

o auf u; podemos, pudimos; ponemos, pusimos.

Caber und saber ändern auch in der 1. pers. sing. praes. ihren Stammvocal, ohne anscheinenden Grund, von a in e um (quepo, sè), was dann auf das immer von dieser Person gebildete Praesens conjunct. (tengo, tenga, salgo, salga) und die Personen des Imperativs, die eigentlich nur dies tempus sind, da ihm selbst bloss die beiden zweiten Personen angehören, übergeht. Des Uebergangs von e auf u habe ich nicht erwähnt, da ich ihn nur in tener (tenemos, tuvimos) kenne, und hier leicht, wie in anduvimos an eine Zusammensetzung mit aver gedacht werden kann. Noch giebt es aber die merkwürdige Erscheinung, dass dieser Wechsel die ersten zwei Personen des Praeteritum unberührt lässt, und nur bei den dritten eintritt, von diesen aus aber sich über die ganzen abgeleiteten Tempora erstreckt; und zwar findet es sich so zwischen e und i, hiere, herimos (Praesens) herì u.s.w. (Praeteritum) hiriò, hirieron, hiriese u.s.w. und so mehrere andre Verba, zwischen o und u, muere, morimos (Praesens) morì u.s.w. (Praeteritum) muriò, murieron, muriese u.s.w. Ebenso geht dormir und beide haben die Eigenheit, dass auch die beiden ersten Pluralpersonen des Praes. Conjunct., die sonst immer dem Praesens folgen, das u annehmen, muramos, durmamos. Einen verschiednen Vocal in den dritten und übrigen Personen des Praeteritum hat auch pedir mit einer Reihe andrer Verba; pedì u.s.w., pidiò, pidieron. Es stimmen auch in ihnen die ersten Personen des Praeteritum mit den beiden ersten des Plurals des[349] Praesens überein. Der Unterschied dieser Verba von den obigen besteht nur darin, dass sie im Singular des Praesens und der letzten Person des Plurals keinen gebrochnen Vocal, sondern ein reines i haben, und die beiden ersten Personen des Plurals dies i ausnahmsweise in e verwandeln, folglich die letzten Personen des Praeteritum mit dem Singular des Praesens übereinstimmen. Die diesen Verben zum Grunde liegenden lateinischen haben zum Theil e (petere, pido, pedir), zum Theil i (tingere, tiño, teñir) zum Stammvocal. Die Verwechslung dieser Lateinischen Laute mag zum Gebrauch beider in der Spanischen Conjugation dieser Verba Anlass gegeben haben. Wenigstens sehe ich keinen ändern Grund. Dass aber das i hier nie anders in e übergeht, als da wo die nachfolgende Sylbe ein i hat, erklärt sich aus der Verwandtschaft dieser Vocale und ist also wieder eine Wirkung des nachfolgenden Lauts auf den vorhergehenden. Merkwürdig ist, dass hier dieselben Personen des Praesens des Indicativs und die dem Imperativ allein eigenthümlichen (im Conjunctiv ist es anders) in Absicht des Stammvocals gleichförmig bleiben, als bei der Umbeugung in ie und ue, obgleich der Grund hier nicht derselbe seyn kann; pido, pides, pide, pedimos, pedis, piden, cuezo, cuezes, cueze, cocemos, coceis, cuezen, pide, pedid, cuece, coced. So gern und fest heften sich Lautverschiedenheiten an grammatische Bedeutsamkeit, oder vielmehr so übereinstimmend ist in den Sprachen die Wirksamkeit des grammatischen Begriffs und des Lautgefühls. Was in dieser zweiten Art der Vocalveränderung dem Ablaut wirklich ähnlich sieht, betrift nur sehr wenige Verba, und kann sehr leicht aus dem auch im Lateinischen in facio, feci, capio, cepi u.s.f. vorhandenen entstanden seyn. Auf jeden Fall reicht dies zu seiner Erklärung hin. Dass bisweilen der Ablaut nur die dritten Personen trifft, ist sowohl dem Lateinischen, als Gothischen fremd, und eine Eigenthümlichkeit der neueren Sprache.

Die unregelmässigen Spanischen Verba geben also gar keine Veranlassung an einen Einfluss des Gothischen auf ihre Bildung zu denken.[350]

143. Ganz anders kann es sich aber mit den Fällen verhalten, wo nicht concrete grammatische Formen oder eigenthümliche Lautbehandlungen übergegangen seyn sollen, sondern der fremde Einfluss nur in der Anwendung grammatischer Ansichten beruht. Allein auch von dieser Gattung scheint mir nichts Germanisches sehr tief in die Grammatik der lateinischen Töchtersprachen eingedrungen zu seyn. Raynouard schreibt es Gothischem und Fränkischem Einflusse zu, dass man die Pronomina ille und ipse auf eine Weise brauchte, aus welcher die Artikel des Romanischen hervorgiengen.121 Da nämlich die Germanischen Sprachen Demonstrativ-Pronomina als Artikel brauchten, so führten sie, indem sie Lateinisch Sprachen, diese Gewohnheit in die fremde Sprache über. Hierbei muss man aber annehmen, dass die Römischen Provincialen, denen dem Lateinischen nach diese grammatische Ansicht ganz fremd seyn musste, sklavisch der fremden folgten, und auch unter sich diese Art zu reden beständig beobachteten. Denn sonst hätte der Artikel unmöglich allgemein werden können. Eine solche Passivität gerade der grössesten Volksmasse lässt sich, meines Erachtens, nicht mit dem Uebergewicht, ja man möchte wohl sagen, der Alleinherrschaft des Lateinischen in der Grammatik der Romanischen Sprachen in Einklang bringen, und es ist mir vielmehr sehr wahrscheinlich, dass, ohne alle Mischung mit Fremden, die Römischen Provincialen von selbst zum Artikel gelangt seyn würden. Ich suche nämlich die Entstehung desselben im Verfall der Bildung und der Abnahme des Sprachsinns. Wenn das grammatische Bewusstseyn der Einheit der Periode nicht recht lebendig ist, so sucht man nach äusseren Hülfsmitteln der Verdeutlichung. Es ist dann natürlich, den Substantiven ein Pronomen vorausgehen zu lassen, das gleichsam die Stelle der zeigenden Gebehrde vertritt. Auch unter uns bedient sich das Volk dieser Pronomina häufiger, als die gebildete Sprache. Dieselbe Erscheinung konnte daher und musste[351] gewissermassen eintreten, so wie man anfieng minder gut und minder richtig lateinisch zu schreiben. Mitwirken musste allerdings das Beispiel der fremden Eroberer, wären aber die Provincialen nicht auch für sich in denselben Hang verfallen, so dürfte jener Gebrauch des ille nie häufig genug geworden seyn um das Pronomen zum Artikel abzuschleifen. Schon A. W. v. Schlegel bemerkt, dass die Sprachen, sich selbst und dem natürlichen Wechsel aller Dinge überlassen, auch ohne fremde Beimischung, einen natürlichen Hang besitzen zu analytischen zu werden.122 Dies ist aber nichts anders, als das allmäliche Abnehmen des formenzusammenhaltenden Sprachsinns. Dagegen leitet123 er das mit haben zusammengesetzte Futurum des Romanischen von dem Gothischen ab, das auch eines einfachen Futurum ermangelt, und auch bisweilen haben zur Bildung dieses Tempus anwendet. Allein auch diese Mischung Germanischer und Römischer Grammatik scheint mir nicht so gewiss und fordert wenigstens nähere Bestimmung. Auch hier hätten sich die Römischen Provincialen ganz negativ verhalten und der fremden Ansicht unbedingt folgen müssen, was mir durchaus unwahrscheinlich vorkommt. Schlegel zeigt sehr richtig die Gründe, warum das lateinische Futurum bei dem Verfall der Sprache leicht untergehen konnte. Sie liegen in der Schwierigkeit, die feinen Unterschiede zwischen dem Lateinischen Futurum in bo und dem Imperfectum, und zwischen dem in am und dem Praesens Conj. festzuhalten. Wie aber die Grammatik einmal in Verfall gerieth, musste die Wirkung auf die Provincialen dieselbe seyn. Es muss hier ausserdem in Betrachtung kommen, dass ein Futurum, das man, seiner Bildung nach, als ein eignes und einfaches Tempus ansehen kann, überhaupt in der ganzen Sprachenkunde eine höchst seltne Erscheinung ist, wenn es nur überall ein solches, das nämlich auch ursprünglich Futurum gewesen wäre, giebt. Die beiden Futura des Sanskrits sind zusammengesetzt, die Griechischen und Römischen[352] zum Theil dies, zum Theil nur Umbeugungen des Praesens oder des Conjunctivs zum Futurum. In den Semitischen Sprachen ist es sehr klar, dass eigentlich kein Futurum vorhanden ist.124 Im Griechischen ist neben diesem Tempus eine Art es durch ein Hülfsverbum zu bilden in vollem und beständigem Gebrauch. Die Römischen Provincialen konnten also, wie auf den Artikel, so auch auf ein Futurum durch ein Hülfsverbum verfallen. Dass sie gerade haben wählten, kann von den Gothen, die dies bisweilen thaten, entlehnt seyn. Aber es ist auch an sich eine natürliche Begriffsverbindung, und denkt man an Gothischen Ursprung, so ist es sogar auffallend, dass nicht auch die andren Gothischen Hülfsverba des Futurum, munan, wiljan, skulan in die neue Sprache übergiengen, und dieser der im Gothischen häufige Gebrauch des Praesens für das Futurum fremd blieb. Nimmt man aber auch den Gothischen Ursprung an, so zeigt es sich hier recht, dass die Römische formenbildende Grammatik die Oberhand hatte. Denn im Gothischen bleiben die Hülfsverba immer getrennt, im Romanischen treten zwar auch Wörter zwischen den Infinitiv und das ihn zum Futurum stempelnde Hülfsverbum. Aber die Richtung der Lateinischen Conjugation ist doch unverkennbar. Denn jene Einschiebungen haben keinen Bestand, und die Personen des Hülfsverbum verschmelzen in Eine Form mit dem Infinitiv. Die Gothen hätten daher nichts, als eine Redensart dazu hergegeben, und Schlegel bemerkt sehr richtig, dass, da doch die Germanischen Einwandrer lange Zeit beide Sprachen zu reden fortfuhren, es sonderbar wäre, dass nicht Redensarten sollten von der einen in die andre übergegangen seyn. Er führt bei dieser Veranlassung einige scharfsinnig ausgewählte[353] Beispiele solcher Redeweisen an.125 Die Untersuchung der Lateinischen Töchtersprachen scheint mir daher die Behauptung zu bestätigen, dass die Mischung der Sprachen zuerst von der Mischung des Wortvorraths ausgeht, meistentheils dabei stehen bleibt, bisweilen aber sich von da auf Redensarten, Fügungen der Redeweise und grammatische Ansichten erstreckt, nicht leicht aber wirkliche concrete grammatische Formen zusammenbringt, es müssten denn diese sich ausschliesslich an die Wörter ihrer Sprache heften, wodurch nicht sowohl Mischung, als vielmehr grössere Scheidung der Elemente entsteht. Man darf indess hierbei auch nicht die besondre Natur dieser Romanischen Sprachen vergessen. Ihre sie charakterisirende Eigenthümlichkeit gieng nicht aus der Mischung Germanischer und Römischer Rede und Sprache hervor, sondern aus der durch die siegreiche Einwandrung fremder Stämme bewirkten Zerstörung des politischen Bestandes, der darauf folgenden Zerrüttung des ganzen Culturzustandes, und der diese Katastrophen begleitenden Verderbniss der Sprache. Sie sind nicht sowohl Erscheinungen der Sprachvermischung, als des Sprachverfalls, so glänzend sie sich auch wieder aus diesem neu entwickelt haben. Ausserdem kennt man den Zustand nicht, in dem sich, schon vor aller Einwanderung, die Römische Sprache im Munde des Volks in OberItalien, Gallien und Iberien befinden mochte. So entstand das, was Schlegel mit Recht sehr auffallend nennt,126 die Entwicklung eines Systems analytischer Sprachen aus dem Zusammentreffen von Völkern synthetischer, um mich hier seiner Terminologie zu bedienen.

144. Verlauf der Zeit, Verrückung des Wohnplatzes, Mischung der Völkerstämme sind gleichsam die natürlichen, in dem gewöhnlichen Gange der Schicksale der Sprachen und Nationen liegenden Entstehungsgründe ihrer Umwandlungen, die allgemeinen Kategorien, auf welche sich diese zurückführen lassen. Jedes dieser drei verschiednen Momente[354] steht in einem besondren Verhältniss zur Sprache, und übt für sich einen eignen und bestimmten Einfluss auf dieselbe. Nicht immer aber lässt sich dieser in einem einzelnen gegebenen Falle rein abscheiden, da oft mehrere Veränderungsursachen zusammentreffen. Allein ausser diesen drei allgemeinen Entstehungsgründen neuer oder umgewandelter Sprachen giebt es noch einen andren, in sich mächtigeren, aber gewöhnlich von einem oder mehreren jener begleiteten, nämlich die geschichtlichen Ereignisse, welche den Zustand der Nationen, und mit ihm den der Sprachen verändern. Da sie aber immer durch individuelle Umstände specificirt sind, so lässt sich ihr Einfluss nicht im Allgemeinen bestimmen. Jeder Fall muss einzeln betrachtet werden. Die Classificirung der Sprachveränderungen erfordert gleiche Behutsamkeit, als die der Sprachen selbst. Indess unterscheiden sich doch auf den ersten Anblick zwei, die Schicksale der Sprachen hauptsächlich bestimmenden geschichtliche Umwälzungen, das Entstehen neuer Nationen und das Untergehen bisheriger. Von beiden ist im Vorigen ausführlich gesprochen worden. Sie sind aber nicht immer körperlich, sondern vorzüglich geistig und moralisch zu nehmen. Eine Nation entsteht oder geht unter, wenn sie einen neuen Nationalbestand gewinnt, oder ein vorhandener sich auflöst. Da die Sprache mit den geistigen Fortschritten der Völker im engsten Zusammenhange steht, so ist die Zerrüttung des Culturzustandes der wahre Untergangspunkt ihres Wesens. Es verschwindet alsdann die gebildete Sprache, und nur die Volksdialekte bleiben übrig. Mit diesen aus älterer Zeit her nicht immer hinlänglich bekannt, hält man bisweilen für neu, was wirklich alt ist, setzt in die Classe der Sprachumwandlungen, was in die der Sprachverschiedenheiten derselben Nation gehört.

145. Auf diese Weise hat man Einiges in den neueren, durch Verderbniss der älteren entstandenen Sprachen zu erklären versucht. Ein treffendes Beispiel hiervon giebt127 im[355] Neugriechischen die Bildung der 2. pers. sing. praes. indicat. pass. in esai. Sie ist offenbar der Analogie der übrigen Personen desselben Tempus und dem Sanskritischen Verbum gemässer, als die in der Griechischen Schriftsprache gewöhnliche Ausstossung des Consonanten und Zusammenziehung der Vocale. Auch Buttmann128 vermuthet, dass diese Form in ungebildeten Dialekten fortdauernd in Gebrauch gewesen seyn möge. Sie ist also ein in das Neugriechische übergegangener Archaismus der Volkssprache. Dagegen scheint mir die Neugriechische Endung der 3. pers. plur. praes. oun, statt ousi auf keinen unbekannten Dialect der alten Sprache hinzudeuten.129 Den beiden Sanskritischen Endungen anti, und an des Praesens und Augment-Praeteritum entsprechen die Griechischen des Praesens und Imperfectum ousi (ursprünglich onti lateinisch unt) und on. Das Neugriechische oun ist entweder eine Veränderung des helleren Consonanten s in das dunklere n, oder ein Verkennen des eigentlich Charakteristischen in der Personenendung des Praesens und Imperfectum, woraus Vermischen beider hervorgieng, indess sich doch der durch das ganze Praesens herrschende vollere Vocallaut erhielt. Das Letzte ist das Wahrscheinlichere, da das alte Imperfectum in der neueren Sprache untergegangen ist, und die erste der beiden Annahmen nur dann natürlich erscheint, wenn die Bildung der neueren Sprache von onti statt ousi ausgegangen wäre, so wie im Neuhochdeutschen das Gothische and zu en geworden ist, der Doppelconsonant aber sich vom Sanskrit an durch das Gothische, Alt-und Mittelhochdeutsche hindurch erhalten hat, ja in sind noch fortlebt.

146. Nach dieser Betrachtung der verschiedenartigen Möglichkeit geschichtlichen Zusammenhanges unter den Sprachen lassen sich nun über ihre Verwandtschaft folgende Sätze aufstellen.

1. Sprachen, in welchen Gleichheit oder Aehnlichkeit concreter grammatischer Bezeichnungen sichtbar ist, (und nur solche) gehören zu demselben Stamm.[356]

2. Sprachen, welche, ohne eine solche Gleichheit concreter grammatischer Bezeichnungen, einen Theil ihres Wörtervorraths mit einander gemein haben, gehören zu demselben Gebiet.

3. Sprachen, welche weder gemeinsame grammatische Bezeichnungen, noch gemeinsamen Wörtervorrath besitzen, allein Gleichheit oder Aehnlichkeit in der grammatischen Ansicht (der Sprachform dem Begriff nach) verrathen, gehören zu derselben Classe.

4. Sprachen, welche sich weder in den Wörtern, noch den grammatischen Bezeichnungen, noch der grammatischen Ansicht gleichen, sind einander fremd, und theilen nur das mit einander, was allen menschlichen Sprachen, als solchen, gemeinsam ist.

147. Um etwas irgend sicheres über die Verwandtschaft der Sprachen festzustellen, scheint es mir durchaus nothwendig, die verschiedenartigen Aehnlichkeiten, welche sich unter ihnen finden, zu sondern, und den Einfluss, welchen jede auf den wirklichen oder idealen Zusammenhang der Sprachen ausüben kann, einzeln zu bestimmen. Dies habe ich hier zu thun versucht, und es kann nur darüber Zweifel entstehen, ob die Classification richtig gemacht ist? Ich habe den geschichtlichen Zusammenhang zum Haupt-Eintheilungsgrund gewählt. Er erstreckt sich über die Sprachen desselben Stammes und desselben Gebiets, ist aber wenigstens unerwiesen bei denen derselben Classe. Als einzigen Beweis des geschichtlichen Zusammenhanges habe ich den Laut angenommen. Bis dahin dürften leicht alle, welche sich mit Untersuchungen dieser Art beschäftigen, mit mir einig seyn. Dagegen kann Verschiedenheit der Meinung sehr leicht bei der von mir zwischen Stamm und Gebiet gemachten Unterscheidung eintreten. Die Wichtigkeit der Untersuchung des grammatischen Baues der Sprachen für die Beurtheilung ihrer Verwandtschaft wird von den Sprachforschern sehr ungleich beurtheilt. Einige und zum Theil solche,130 welche dem Sprachstudium die wichtigsten[357] Dienste geleistet haben, verwerfen dieselbe nur so eben nicht als ganz unnütz, halten sie aber für keineswegs entscheidend. Andre sprechen zwar dies nicht geradezu aus, wenden sich aber bei Untersuchungen über Sprachverwandtschaften[358] doch gleich zur Vergleichung der Wörter. Denjenigen, welche von der Wichtigkeit grammatischer Untersuchungen zu diesem Zweck günstiger urtheilen, kann es doch eine zu enge Bestimmung scheinen, dass nur solche Sprachen zu demselben Stamme, derselben Familie gehören sollen, welche Aehnlichkeit in wirklichen, concreten grammatischen Bezeichnungen haben.

148. Ich halte dagegen gerade den so bestimmt von mir zwischen Sprachstämmen und Sprachgebieten gemachten Unterschied für wesentlich und nothwendig, indem er bezweckt, dass aus einer Erscheinung nicht mehr, als sie wirklich anzeigt, geschlossen wird. Die grossen131 Verschiedenheiten der Urtheile über die Verwandtschaften der einzelnen Sprachen scheinen mir, wo sie nicht aus mangelhafter Untersuchung entspringen, vorzüglich daher zu kommen, dass man sich weder das, was man sucht, den Begriff und die Art der Verwandtschaft, noch die Art der Beweiskraft vollkommen klar gemacht hat. Beides kommt wohl zum Theil daher, dass diese Erörterungen meistentheils zu historischen, seltner zu linguistischen Zwecken angestellt werden. Dem Geschichtsforscher genügt es oft zu wissen, dass Völker zusammengehören, sie mögen nun eigentlich zu demselben Stamme gehören, oder sich nur mit einander vermischt, oder zu einem Ganzen vermischt haben. Den Sprachforscher aber kann dies nicht befriedigen. Er verlangt zu wissen, ob zwei Sprachen in Eine zusammengeflossen sind, oder nur Eine und eben dieselbe sich umgewandelt hat, und im ersteren Fall welche der beiden das Uebergewicht erhalten hat? Ihm ist also die Frage wichtig, ob zwei Sprachen, wie z.B. die Persische und Gothische, oder die Persische und Arabische sich bloss auf einem Flecke des Erdbodens[359] berührt haben, oder ob sie mittelbar oder unmittelbar durch Umwandlung Einer Sprache zu der Gleichartigkeit, welche in ihnen liegt, gelangt sind? Er hat dabei nicht bloss diesen einzelnen Fall, sondern tiefere und genauere Einsicht in die Natur der Sprache überhaupt zum Zweck. Zu einem Stamm, zu einer Familie kann ich nun Sprachen nur insofern rechnen, als die, nach der oben (§. 110.) gemachten Ausführung, die Einerleiheit der Sprachen bedingende Form bloss soweit in ihnen verschieden ist, dass darin ein sich durch Gleichheit des Lautes als geschichtlich beurkundender gemeinschaftlicher Urtypus sichtbar bleibt. Dies aber kann nur aus der Untersuchung des grammatischen Baues hervorgehn. Wörtergemeinschaft kann aus Familienverwandtschaft, aber auch aus blosser Berührung entstehen, und das eine und andre beweisen. Sie lässt also die Art des Sprachenzusammenhanges gerade in dem Punkte, welcher für den Sprachforscher der wichtigste ist, unentschieden. Worauf es nur freilich hauptsächlich ankommen würde, ist, ob sich Beispiele fänden, wo, bei mangelnder Aehnlichkeit des grammatischen Baus, aber vorhandener Wörtergemeinschaft, ein Zusammenhang zwischen zwei Sprachen bestände, der sich deutlich als Familienzusammenhang ankündigte. Selbst dann aber müsste dieser doch auf andrem Wege bewiesen werden, und die in der obigen Classification gemachte Sonderung bliebe gleich nothwendig.

149. Die Gränzen bei der Bestimmung desselben Stammes so enge zu ziehen, wie ich gethan habe, halte ich gleichfalls für richtig, und selbst wenn dies zweifelhaft seyn sollte, würde es mir zweckmässig scheinen. Nach den bisher mit der Zusammenstellung von Sprachfamilien gemachten Versuchen ist es weit mehr wichtig, bloss und allein bei dem wirklich Gewissen stehen zu bleiben, und dem Zusammenfassen zweifelhafter oder zufälliger Aehnlichkeiten zu wehren, als gefährlich der Aufdeckung wahren Zusammenhanges den Weg zu versperren. Gäbe es Sprachen desselben Stammes, die gar keine Spuren der Gleichheit concreter grammatischer Bezeichnungen enthielten, so müssten sie doch in sehr specieller Gleichheit grammatischer Ansichten übereinkommen,[360] und nach der obigen Eintheilung zu derselben Classe gehören. Sie würden daher eine Instanz gegen die zwischen Stamm- und Classenzusammenhang gemachte Unterscheidung bilden. Dass sich eine solche irgendwo finde, halte ich weit eher für möglich, als dass, wovon im vorigen Paragraphen die Rede war, Sprachen von ganz verschiedner Grammatik desselben Stammes seyn könnten. Es ist dies daher ein Punkt, welcher der Aufmerksamkeit der Sprachforschung empfohlen bleiben muss. Immer aber legt nur der Laut Zeugniss von wirklich einmal gemeinschaftlich gewesener Rede ab, und beurkundet dadurch geschichtlichen Zusammenhang, und es ist schwer zu begreifen, wie, wenn ein solcher Zusammenhang vorhanden gewesen wäre, nicht auch und sogar ganz vorzüglich die grammatischen Laute davon die Spuren an sich tragen sollten. Gleichheit grammatischer Ansicht, selbst in ganz speciellen Fällen, kann aber bei Nationen, die nie mit einander in Berührung standen, aus allgemeiner Gleichheit der Anlagen und Einwirkungen entspringen. Dies nicht mit einander zu vermischen, wird daher immer sehr schwer seyn. Einen solchen Fall, der, wäre er der einzige seiner Art in der Sprache, gerechte Zweifel erregen würde, bietet die Vergleichung des Finnischen und Ungrischen dar. Beide Sprachen dulden in einem Worte nur Vocale gleicher Natur, und ändern die der Anfügungssylben nach diesem allgemeinen Gesetz um. (§. 93.b.) Diese Lautgewohnheit nun würde ich durchaus für keinen Beweis geschichtlichen Zusammenhanges zwischen den beiden Sprachen halten. Es ist nicht allein natürlich, sondern das Beispiel vieler Sprachen beweist es auch, dass das Ohr ein gewisses Aehnlichmachen der Vocale in den verschiednen Sylben desselben Wortes liebt. Allein die Uebereinstimmung geht hier weiter. Das Finnische und das Ungrische erkennen mit kleiner Verschiedenheit dieselben Vocale für zusammengehörend und verschieden, und für gleichgültig an, die Ungern a, o, u als starke Vocale, e, ö, ü als schwache, i, 1e als gleichgültig in der Mitte liegend; die Finnen dieselben als starke und[361] gleichgültige, und a, ö, y als schwache. Da aber in dieser Vertheilung und Verwandtschaft der Vocale etwas durch die Natur der Sprachwerkzeuge allgemein Gegebenes liegt, so würde ich diese Uebereinstimmung, wenn sie die einzige zwischen den beiden Sprachen wäre, nicht für einen hinreichenden Beweis ihrer Stammverwandtschaft halten. Es tritt hier das oben (§. 112.) über den Unterschied des Lautsystems von concreten Lauten Gesagte ein. Ich lasse daher vorläufig die oben (§. 146.) gemachte Eintheilung ungeachtet der dagegen erhobenen Zweifel bestehen, und bleibe nur aufmerksam, ob sich die zwischen der ersten und zweiten, und zwischen der ersten und dritten gezogenen Gränzen bei Vergleichung der einzelnen Sprachen bewähren.

150. Unter dem Ausdruck, dass Sprachen zu demselben Stamm gehören, verstehe ich, dass ihre Form, dies Wort im oben ausgeführten Sinne genommen, entweder wesentlich dieselbe, oder eine dergestalt veränderte sey, dass sich die Veränderung als ein Uebergang von der einen in die andre nachweisen lässt. Das Wort in seinem erweiterten Sinne genommen, sind Sprachen desselben Stammes nur Eine und eben dieselbe Sprache. Sprachen desselben Gebiets hingegen sind und bleiben verschiedene Sprachen, haben wesentlich verschiedene Form und verschmelzen dieselbe nicht mit einander. Der Begriff der menschlichen Fortpflanzung ist sehr oft auf die Sprachen sehr unrichtig angewendet worden. Selbst auf Nationen findet er nicht vollkommene Anwendung, da viele andre Dinge, als die Abstammung auf die Nationalität einwirken und bei der Vermischung mit Fremden diese sich bald mehr abgesondert unter sich, bald mit den ursprünglich Eingeborenen fortpflanzen. Auf Sprachen aber passen diese Begriffe noch weniger. Wenn Sprachen untergehen und in veränderter Gestalt wieder aufleben, wie es bei dem Griechischen und Lateinischen der Fall war, oder wenn sie, in andre Gegenden verpflanzt, mit andren Elementen gemischt, zu andren werden, wie man sich dies vom Sanskrit und Gothischen denken kann, so ist dies nur im uneigentlichsten Verstande[362] eine Erzeugung zu nennen. Alles Entstehen der Sprachen aus einander ist nur ein Anderswerden unter anderen Umständen.132 Die Ausdrücke Mutter- Töchter- Schwester-Sprachen sind daher nur ganz uneigentlich zu nehmen, und werden besser vermieden.

151. Die Uebereinstimmung, welche Sprachen zu Einem Stamme rechnen lässt, kann sehr verschiedene Grade haben, nach welchen dieselben enger zusammengehören, oder einander ferner stehen. Man hat daher für diese verschiedenen Grade Bezeichnungen aufgesucht, den Stamm in Zweige, Familien, einzelne Sprachen und Mundarten getheilt. Dies kann allerdings mannigfaltigen Nutzen gewähren, allein zu wissenschaftlicher Genauigkeit wird man darin schwerlich jemals gelangen. Das Schlimme ist nämlich, dass es an einem irgend sichren Eintheilungsgrunde fehlt, und sich weder das Mass und die Art der Wörtergemeinschaft, noch der Grad der grammatischen Uebereinstimmung angeben lässt, warum zwei Sprachen nicht zu derselben Familie, sondern nur zu demselben Zweig, nicht zu demselben Zweig, sondern nur zu demselben Stamme gezählt werden können.133 Nur bei Bestimmung der verhältnissmässigen Uebereinstimmung mehrerer gleichartigen Sprachen kann hierin das Gefühl allgemeiner Sprachähnlichkeit mit einiger Richtigkeit entscheiden. Sehr schwer aber würden bei mehreren Stämmen die z.B. als zu gleichen Familien gehörend angegebenen Sprachen einen gleichen Aehnlichkeitsgrad unter[363] sich bewahren. Aus diesen Gründen, die ich gleich in der Folge noch in ein helleres Licht stellen werde, versuche ich diese Unterabtheilungen, von denen sich, meinem Urtheil nach, niemals alle Willkühr entfernen lässt, gar nicht, und halte es für nützlicher und belehrender, in stammverwandten Sprachen nur genau darauf zu achten, welche Verschiedenheiten Folge der Zeit, oder der Eigenthümlichkeit des besondren Volkstamms, oder endlich der Mischung mit Fremden sind. Die mit Sicherheit zu machenden Hauptabtheilungen bleiben immer die im Vorigen angegebenen: Sprachen, die eine in die andre übergehen, und Sprachen, die, gleichsam dem Raum nach verschieden, nach Art der Dialekte von einander abweichen. In dem ersteren Fall ist wieder das Herabsteigen von einem Culminationspunkt und das Aufsteigen zu demselben zu unterscheiden, die Zerstörung eines kunstreichen grammatischen Baues und das Entstehen eines solchen durch das Zusammentreffen bildender Ursachen. Doch ist in den Sprachen nie weder plötzlicher Uebergang, noch Stillstand. Ihre Umwandlungen schlingen sich in ununterbrochner Reihe fort, und bilden, wie das Sprechen selbst, ein Continuum. Die Gränzen, die man in ihrem Laufe zwischen ihnen zieht, sind nur Behelfe der Wissenschaft, daraus entstehend, dass die allmälichen Veränderungen unbemerkt bleiben, sowohl wenn sie Erscheinungen vorbereiten, als wenn sie den Zustand, der noch bestehend scheint, schon umzugestalten beginnen.

152. Die Sprachen, welche sich nur Wörter durch wechselseitigen Verkehr mittheilen, und nicht desselben Stammes, sondern nur desselben Gebiets sind, bilden ihrer Natur nach niemals eine Reihe, und geben daher keine Veranlassung, sie durch Unterabtheilungen von einander abzusondern. Die sich in ihnen findende Mischung macht vielmehr eine Nebenabtheilung von der nach der Stammverwandtschaft aus. Die Sprachen desselben Stammes, oder die Mundarten derselben Sprache sind entweder reine oder gemischte. Da die Mischung die Folge geschichtlicher Ereignisse ist, so vermischen sich ohne Unter schied Sprachen desselben Stammes und Sprachen verschiedener.[364]

153. Bei den Sprachen derselben Classen hört der Einfluss des geschichtlichen Zusammenhanges auf. Er ist entweder gar nicht vorhanden, oder nicht erweisbar, oder macht, auch als vorhanden erwiesen, hier nicht den Eintheilungsgrund aus. Denn wir haben weiter oben (§. 116.a.) gesehen, dass sogar stammverwandte Sprachen zu verschiedenen Classen gehören können. Die Sprachform, welche hier den Eintheilungsgrad abgiebt, wird mit Beibehaltung derselben grammatischen Laute, indem sie dieselben nur nach einer andren Idee verknüpft, zu einer andren. Diese rein idealische und wissenschaftliche Eintheilung richtet sich nach den Verschiedenheiten, welche die Sprachforschung unter allen bekannten Sprachen entdeckt. Es kann daher auch erst bei der Uebersicht des allgemeinen grammatischen Baues aller Sprachen und seiner verschiedenen Arten ausführlicher von ihr die Rede seyn.

154. Dass auch Sprachen ganz verschiedener Stämme, die sich niemals weder unmittelbar oder mittelbar berührt hätten, und ausserdem zu verschiedenen Classen gehörten, dennoch in ihrem Bau gewisse allgemeine Aehnlichkeiten haben müssten, folgt von selbst aus der Einerleiheit der menschlichen Natur und der menschlichen Sprachwerkzeuge. Es zeigt sich auch factisch in der Möglichkeit, sich von jeder Sprache aus mit jeder verständigen zu können. Die Gesetze des Denkens sind bei allen Nationen streng dieselben, und die grammatischen Sprachformen können, da sie von diesen Gesetzen abhangen, nur innerhalb eines gewissen Umfangs verschieden seyn. Wirklich lassen sich in jeder Sprache, auch im Chinesischen alle auffinden, in jeder die Arten sie zu bezeichnen oder stillschweigend anzudeuten oder vorauszusetzen angeben, die ideelle Verschiedenheit liegt nur, da jede dieser Formen verschiedene Ansichten zulässt, in der unter diesen gewählten. Auch der Umfang der Tonreihe der Sprache und die Hauptgattungen der Töne sind dieselben, und also auch da ist die Verschiedenheit innerhalb bestimmter Gränzen eingeschlossen. Ebenso als man behaupten kann, dass jede Sprache, ja jede Mundart verschieden ist, kann man, von einem andren Standpunkte aus, den Satz[365] aufstellen, dass es im Menschengeschlecht nur Eine Sprache giebt und von jeher gegeben hat. Um zu der einen oder der andren dieser Folgerungen zu gelangen, kommt es nur darauf an, bei der Betrachtung der Eigenthümlichkeiten der einzelnen Sprachen ihre Verschiedenheiten oder ihre Aehnlichkeiten aufzufassen, da sie immer beide zugleich besitzen, vermittelst jener sich bis ins Besonderste hin spalten, vermittelst dieser sich bis zur Einheit verbinden. Da aber diese Einheit nur auf dem formalen Verhältniss der Sprache zu den Bedingungen des Denkens beruht, so führt sie durchaus nicht auf die Annahme einer Ursprache. Die grammatische, von der hier die Rede ist, würde dieselbe seyn, wenn auch alle Sprachen von ursprünglich zugleich, aber getrennt vorhanden gewesenen abstammten, und niemals in Berührung mit einander getreten wären.

155. Eine andre Frage aber ist es, ob die Einheit aller menschlichen Sprachen sich auf besondre grammatische Bezeichnungsmittel, und namentlich auf einzelne grammatische Laute erstreckt. In gewissem Verstande ist auch dies offenbar, auch in Absicht der technischen Bezeichnungen und der Laute der Grammatik können die Sprachen nur innerhalb gewisser Gränzen verschieden seyn. Die Frage erlaubt aber auch eine speciellere Fassung. Die Pronomina, um dies Beispiel anzuführen, sind, insofern man die persönlichen des Singulars, und vorzüglich die der beiden ersten Personen nimmt, ebenso als andre Grundwörter der Sprache anzusehen. Sie greifen aber immer tief in den Charakter der Grammatik ein, da in allen Sprachen gewisse Formen entweder sichtbar von ihnen gebildet sind, oder einen solchen Ursprung vermuthen lassen. Wäre eine grammatische Lautgleichheit unter den Sprachen vorhanden, so dürfte sie sich vorzugsweise in den Pronominallauten finden, da die Pronomina (mit dem Ueberreste der Sprachen in dem Zustande, in dem wir dieselben kennen, verglichen) gewiss zu den ältesten Wörtern gehören, und bei der tiefen und im ganzen Menschengeschlecht gleichen Beziehung, die sie auf das Bewusstseyn der Persönlichkeit haben, wenig Veranlassung zur Verschiedenheit in der zu ihrer Bezeichnung ergriffenen[366] Lautanalogie geben. Auf dem ganzen Erdboden müsste, scheint es, das Ich und das Du ziemlich gleichförmig lauten. Stammten aber alle Sprachen von Einer ab, so würde in diesen Urbegriffen und Urlauten am wenigsten Abweichung zu erwarten seyn. Es ist daher gewiss nicht unwichtig, durch eine Vergleichung der Pronominallaute zu sehen, ob bei einer grossen Anzahl von Sprachen, oder bei solchen, die dem Stamm und Gebiet nach sehr von einander entfernt sind, die nämlichen vorkommen, oder ob wenigstens alle auf ein gewisses Lautgebiet beschränkt sind. In diesen beiden Fällen würde es zwar unentschieden bleiben, ob der Grund der Uebereinstimmung die allgemeine Einerleiheit der menschlichen Natur, oder ein besondrer geschichtlicher wäre, aber dies letztere würde mehr Wahrscheinlichkeit im Ersteren gewinnen.[367]

Quelle:
Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden. Band 3, Darmstadt 1963, S. 295-368.
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