2. Kapitel
Beschränkung der Beerdigungssitten / Dsiä Sang

[119] Gründlich das Leben zu kennen ist des Weisen wichtigste Aufgabe. Gründlich den Tod zu kennen ist der Weisheit letzter Schluß. Das Leben kennen heißt, nicht durch Schädigung des Lebens das[119] Leben zu pflegen. Den Tod kennen heißt, nicht durch Schädigung der Toten die Toten zur Ruhe bringen. Diese beiden Dinge sind es, die nur der Weise vollkommen zu erfassen vermag. Alles, was lebt zwischen Himmel und Erde, ist sicher dem Tode verfallen, das läßt sich nicht vermeiden. Ein treuer Sohn ehrt seine Eltern, gütige Eltern lieben ihre Kinder wie ihr eigen Fleisch und Bein. Das liegt in der Natur. Daß man diejenigen, die man ehrt und liebt, nach ihrem Tode in den nächsten besten Graben werfen sollte, ist etwas, was die menschliche Natur nicht über sich bringt. Darum gibt es eine Pflicht zur Bestattung der Toten. Bestatten heißt, an eine sichere Stätte bringen. Das ist etwas, was liebende Eltern und treue Kinder wichtig nehmen. Die es nicht wichtig nehmen, denken darüber nach vom Standpunkt der lebenden Menschen aus.

Will man vom Standpunkt der Lebenden für die Toten sorgen, so ist das beste, was man für sie tun kann, daß sie nicht in ihrer Ruhe gestört und wieder ausgegraben werden. Daß sie nicht in ihrer Ruhe gestört und wieder ausgegraben werden, erreicht man am besten dadurch, daß man ihnen keine begehrenswerten Gegenstände mitgibt. Dadurch verschließt man ihr Grab am festesten.

Im Altertum bestattete man die Toten teils in weiten Ebenen, teils tief im Gebirge und brachte sie dadurch zur Ruhe. Nicht aber ist damit gemeint, daß man ihnen Perlen und Edelsteine und allerlei Kostbarkeiten mitgibt. Bei der Bestattung muß man für eine sichere Ruhestätte sorgen. Bestattet man die Toten zu wenig tief, so werden sie von Füchsen ausgegraben, bestattet man sie zu tief, so kommen sie ins Grundwasser zu liegen. Darum sorgt man bei der Bestattung dafür, daß die Gräber auf hohen Hügeln liegen, um die Beschädigung durch Füchse und die Nässe des Grundwassers gleichzeitig vermeiden zu können. Das ist ganz schön und gut. Wenn man aber darüber die Gefahren vergißt, die den Toten von gemeinen Menschen, Grabschändern und während der Unruhen drohen, ist man dann nicht erst recht betört17? Es ist, wie wenn ein blinder Sänger einer Säule ausweichen will, aber während er der Säule ausweichen will, sich heftig an einem Nagel stößt. Die Beunruhigungen, die den Toten von Füchsen, Grundwassern18,[120] gemeinen Menschen, Räubern und Aufrührern drohen, sind die größten derartigen Nägel. Wenn liebende Eltern und getreue Söhne sie zu vermeiden wissen, so haben sie die richtige Art der Bestattung gefunden.

Man mache den Sarg und Sarkophag gut, so daß sie gegen Maulwurfsgrillen, Ameisen, Schlangen und Würmer schützen. Wenn aber heute die verkehrten Herrscher eines verkommenen Geschlechts die Beerdigung immer prächtiger gestalten, so sind sie in ihrem Herzen nicht um die Toten besorgt, sondern sie, die Lebenden, wollen sich voreinander hervortun und gegenseitig übertreffen. Da gilt Üppigkeit und Verschwendung für Ehre, Sparsamkeit und Beschränkung für Schande. Dabei ist es Ihnen nicht um den Frieden der Toten zu tun. Sich aber einzig und allein um Lob und Tadel der Lebenden zu kümmern, das ist nicht die Gesinnung wie sie liebende Eltern und getreue Söhne haben. Ist der Vater auch tot, so wird ein treuer Sohn ihn unermüdlich ehren. Ist ein Sohn auch tot, so werden gütige Eltern ihn unaufhörlich lieben. Wenn man aber geliebte und geehrte Menschen so bestattet, daß man ihnen das, was lebende Menschen aufs äußerste begehren, mitgibt, wie sollte es da möglich sein, daß sie in Ruhe bleiben? Die Menschen sind so scharf auf Gewinn aus, daß sie sich dem Hagel der Pfeile aussetzen, in bloße Schwerter treten, ihr Blut vergießen und ihre Eingeweide preisgeben im Streben nach Gewinn. Rohe, ungebildete Wilde streben nach Gewinn, selbst auf Kosten ihrer Verwandten, Brüder und nächsten Freunde. Nun ist diese Schmach, diese Gefahr nicht vorhanden. Aber die Sucht nach Gewinn ist noch größer, da die Wohltaten von Wagen, Speisen und Fleisch noch den Söhnen und Enkeln zugute kommen. Darum können sie selbst von einem weisen Herrscher nicht verhindert werden, wieviel weniger in Zeiten der Verwirrung. Je größer der Staat, je reicher die Familie, desto üppiger das Begräbnis. Man gibt den Toten Perlen in den Mund, bedeckt sie mit Nephrit wie mit Schuppen. Die Kunstgegenstände, Schätze, Glocken, Dreifüße, Vasen und Spiegel; die Wagen, Pferde, Kleider, Decken, Speere, Schwerter lassen sich gar nicht alle aufzählen. Alles, was[121] man zum Lebensunterhalt bedarf, wird ihnen mitgegeben. Man baut prächtige Grüfte mit Särgen und Sarkophagen, von denen immer einer von einem anderen umgeben ist, man umgibt das Ganze mit aufgehäuften Steinen und aufgehäufter Kohle19.

Wenn nun die Grabschänder von solchen Dingen hören, so teilen sie es einander gegenseitig mit, und wenn die Regierung auch ihr Tun unter Androhung strengster Strafe verbietet, so lassen sie sich doch nicht abhalten.

Außerdem, je länger einer tot ist, desto ferner stehen ihm die lebend Hinterbliebenen. Je ferner die Hinterbliebenen einem Toten stehen, desto lässiger werden sie in der Bewachung des Grabes. Wenn nun aber die Bewachung immer lässiger wird und die mitbestatteten Gegenstände immer noch dieselben sind, so wird dadurch wahrlich die Lage des Beerdigten nicht gesicherter.

Die Beerdigungen nach weltlicher Sitte werden so ausgeführt, daß man den Sarg in einem großen Leichenwagen fährt, allerlei Fahnen und Ehrenzeichen ihm so dicht wie möglich folgen, Baldachine und Trauerwedel den Sarg umgeben, Perlen und Edelsteine ihm mitgegeben werden, prächtige, verzierte Stoffe aller Art ihn schmücken. An den Stricken des Sarges ziehen rechts und links20 Zehntausende von Menschen um ihn zu geleiten. Man muß sie in soldatischer Folge aufstellen, damit es überhaupt geht. Auf diese Weise bietet man der Welt ein Schauspiel, das wohl schön ist und prächtig. Auf diese Weise für die Toten zu sorgen, das geht nicht an. Wirklicher Sorge für die Toten werden selbst im ärmsten Staat die dürftigsten Menschen, wenn sie wirklich gütige Eltern und treue Söhne sind, sich nicht entziehen.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 119-122.
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