2. Kapitel
Reaktion auf Verwandtes / Ying Tung

[160] So oft ein Herrscher oder König im Begriff ist aufzutreten, offenbart der Himmel sicher glückliche Vorzeichen unter den Menschen. Zur Zeit des Huang Di ließ der Himmel erst einen großen Regenwurm und eine große Maulwurfsgrille erscheinen. Huang Di sprach: »Die Kraft der Erde ist siegreich.« Weil die Erdkraft im Siegen war, machte er gelb zur höchsten Farbe und nahm die Erde in seinen Handlungen zum Vorbild.

Zur Zeit des Yü ließ es der Himmel zuerst geschehen, daß Gräser und Bäume im Herbst und Winter nicht abstarben. Da sprach Yü: »Die Kraft des Holzes ist siegreich.« Weil die Holzkraft im Siegen war, machte er grün zur vornehmsten Farbe und nahm das Holz in seinen Handlungen zum Vorbild.

Zur Zeit Tangs ließ der Himmel erst eine Metallklinge im Wasser erscheinen. Tang sprach: »Die Kraft des Metalls ist siegreich.« Weil die Metallkraft im Siegen war, darum machte er weiß zur vornehmsten Farbe und nahm in seinen Handlungen das Metall zum Vorbild.[160]

Zur Zeit des Königs Wen ließ der Himmel zuerst eine rote Krähe erscheinen, die einen roten Brief im Schnabel hielt und sich auf dem Erdaltar von Dschou niederließ. Der König Wen sprach: »Die Kraft des Feuers ist siegreich.« Weil die Feuerkraft im Siegen war, darum machte er rot zur vornehmsten Farbe und nahm in seinen Handlungen das Feuer zum Vorbild.

Wenn ein anderes Geschlecht die Herrschaft des Feuers ablösen wird, so wird es sicher durch die Kraft des Wassers geschehen. Und der Himmel wird erst offenbaren, daß die Kraft des Wassers im Siegen sein wird, darum wird er schwarz zur vornehmsten Farbe machen und in seinen Handlungen sich das Wasser zum Vorbild nehmen22. Wenn die Kraft des Wassers da sein wird, und man versteht es nicht, den schicksalschweren Augenblick zu ergreifen, so werden die Wirkungen sich wieder nach der Kraft der Erde hin verrücken.

Es ist wie beim Ackerbau: was der Himmel gibt, ist nur die Zeit. Wenn man ihm aber dauernd nicht entgegenkommt, so bleibt der Feldbau am Boden liegen. Verwandtes zieht einander an. Wo gleichgestimmte Kräfte sind, vereinigen sie sich, wo die Töne gleiche Schwingungen haben, da erregen sie einander. Wenn man den Grundton angibt, so schwingen alle auf den Grundton gestimmten Instrumente mit, wenn man die Terz angibt, so schwingen alle auf die Terz gestimmten Instrumente mit. Wenn man auf ebener Erde Wasser ausgießt, so fließt das Wasser den feuchten Stellen zu. Wenn man ringsum Reisig ausbreitet und in der Mitte ein Feuer anlegt, so ergreift das Feuer das trockene Reisig.

Die Bergwolken haben Ähnlichkeit mit Gräsern und Halmen, die Wasserwolken haben Ähnlichkeit mit Fischschuppen, die Dürrewolken haben Ähnlichkeit mit Rauch und Flammen, die Regenwolken haben Ähnlichkeit mit Wasserwogen. Alle haben Ähnlichkeit mit dem, wodurch sie erzeugt sind, um es den Menschen anzudeuten. So bewirkt der Drache Regen, die Körper werfen Schatten; wo Heere geweilt, entstehen sicher Dornen und Disteln.

Die Ursache von Glück und Unglück23 sehen die Menschenmassen im Schicksal, aber sie wissen nicht, wo seine Quelle sitzt.[161] Wenn man die Nester ausnimmt und die Eier zerbricht, so kommt der Phönix nicht; wo man die Tiere aufschlitzt und die neugeborenen Jungen ißt, dahin kommt das Kilin nicht. Wo man die Teiche abläßt und die Fische fängt, da bleiben die Drachen und Schildkröten nicht. Unzählige Fälle gibt es die beweisen, daß alle Dinge durch Gleichartiges angezogen werden. Die Söhne können nicht von ihren Vätern in ihrer Überzeugung vergewaltigt werden, die Beamten können nicht von ihren Fürsten in ihrer Überzeugung vergewaltigt werden. Wenn der Fürst mit ihnen in seiner Gesinnung übereinstimmt, so kommen die Diener herbei, wenn er ihnen entgegen gesetzt ist, so verlassen sie ihn. Darum, obwohl der Fürst geehrt ist: wenn er weiß für schwarz ausgibt, so können seine Diener nicht auf ihn hören. Obwohl der Vater von seinem Sohn geliebt wird: wenn er schwarz für weiß ausgibt, so kann der Sohn ihm nicht folgen.

Huang Di (der Herr der gelben Erde)24 sprach:


»Sei unbegrenzt und weit

Stütz dich auf Himmels Herrlichkeit

Und sei mit dem Ursprung gemeinsam in der Kraft.«


Darum heißt es: Gemeinsamkeit mit dem Himmel in Beziehung auf die Kraft ist besser als Gemeinsamkeit in den Prinzipien, Gemeinsamkeit in den Prinzipien ist besser als Gemeinsamkeit in der Macht, Gemeinsamkeit in der Macht ist besser als Gemeinsamkeit in den Umständen, Gemeinsamkeit in den Umständen ist besser als Gemeinsamkeit im bloßen Namen. Die göttlichen Herrscher hatten dieselbe Kraft wie der Himmel, die Weltkönige dieselben Prinzipien, die Länderfürsten hatten dieselbe äußere Macht, die nach Vorherrschaft Strebenden hatten dieselben Umstände. Das ist schon sehr dürftig. Die dem Untergang Verfallenen haben nur noch dieselben bloßen Namen, das ist das Roheste. Je roher die Einsicht ist, desto roher ist das, was man mit dem Himmel gemein hat. Je geistiger die Erkenntnis ist, desto geistiger ist das, was man mit dem Himmel gemein hat. Darum muß man in allen seinen Gedanken geistig sein. Die Geistigkeit war es, durch die die fünf göttlichen Herrscher und die drei Weltkönige ihre Wirkung vollbrachten.[162] Wo eine Wirkung vollständig und Gemeinsamkeit mit einer bestimmten Wirkungsart vorhanden ist, da findet sie Menschen, die damit übereinstimmen. So war Yau gut, und alle Guten kamen herbei. Giä war böse, und alle Bösen kamen heran.

Ein Sprichwort aus der Schang-Zeit sagt: Wenn der Himmel Fluch herabsendet oder Segen spendet, so hat das beides seine Ursache. Das heißt: Glück und Unglück zieht der Mensch selber herbei.

So verhält es sich, wenn ein Staat in Unruhen gerät: es bleibt nicht bei den inneren Unruhen, sondern er zieht sicher auch Feinde von außen an. Wenn er nur innere Unruhe hätte, würde er nicht notwendig zugrunde gehen, wenn er aber äußere Feinde auf sich zieht, so ist keine Möglichkeit mehr, bestehen zu bleiben. Man führt Krieg entweder um des Gewinnes willen oder um der Gerechtigkeit willen. Greift man nun einen von Unruhen zerrissenen Staat an, so ist er brüchig, durch seine Brüchigkeit verspricht er dem Angreifer Gewinn. Greift man einen von Unruhen zerrissenen Staat an, so ist das im Einklang mit der Gerechtigkeit, dadurch daß der Angreifer gerecht handelt, wird er berühmt. Ruhm und Gewinn, das sind selbst für mittelmäßige Herrscher keine Beweggründe des Handelns, geschweige denn für wirklich tüchtige Herrscher. Darum sind Landabtretungen, wertvolle Geschenke, demütige Reden und Unterwürfigkeit nicht ausreichend um die Angreifer abzuhalten, nur die innere Ordnung ist dazu imstande.

Ist ein Staat in Ordnung, so werden ihn diejenigen, die auf Gewinn aus sind, nicht angreifen und diejenigen, die auf eigenen guten Namen aus sind, nicht gegen ihn vorgehen. Aber alle Angriffskriege erfolgen entweder aus Streben nach Gewinn oder nach einem guten Namen. Wenn aber weder dem Namen noch der Sache nach etwas zu holen ist, so wird selbst ein großer und mächtiger Staat keinen Angriff unternehmen. Ein Beweis dafür ist die Geschichte, wie Schï Mo kam und Dschau Giän Dsï infolge seines Rates davon abstand, den Staat We zu überfallen, ein Zeichen übrigens, daß Dschau Giän Dsï sich darauf verstand, wann er etwas unternehmen konnte und wann er ruhig zu bleiben hatte25.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 160-163.
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