3. Kapitel
Zweifel durch Ähnlichkeit / I Sï

[392] Wodurch die Menschen in die größten Ungewißheiten und Zweifel kommen, das sind die Ähnlichkeiten der Dinge. Worunter die Juweliere so sehr leiden, das ist, daß manche Steine dem Nephrit so sehr gleichen. Worunter die Schwertkundigen zu leiden haben, das ist, daß es Schwerter gibt, die dem Gan Dsiang-Schwert aus Wu gleichen. Worunter die tüchtigen Herrscher zu leiden haben, das ist, daß Menschen, die gewandt und redebegabt sind, den erfahrenen Menschen gleichen.

Herrscher, die ihr Land zugrunde richten, gleichen Weisen; Beamte, die ihr Land zugrunde richten, gleichen Treuen. Die Ähnlichkeit der Dinge ist es, wodurch die Törichten in große Verblendung geraten und worüber die Weisen besonders scharf nachdenken müssen.[392]

So weinte Mo Dsï, als er einen Scheideweg sah.

Dschou hatte seine Residenz in Fong und Hau, nahe bei den Jungbarbaren. Man hatte mit den Lehensfürsten ein Abkommen getroffen, daß Wachttürme errichtet werden sollten4, auf denen Trommeln standen, die man weit und breit hören konnte. Wenn die Jungbarbaren einfielen, so schlug man die Trommeln, dann kamen alle Soldaten der Fürsten, dem Großkönig zu Hilfe.

Eines Tages, als die Jung einfielen, da ließ der König Yu die Trommeln schlagen und die Heere der Fürsten kamen alle herbei. Darüber freute sich die Lieblingsfrau des Königs, Bau Sï, und lachte darüber. Der König Yu wünschte, daß Bau Sï lache, deshalb ließ er mehrmals die Trommeln schlagen und die Heere der Fürsten kamen mehrmals herbei, aber es waren keine Feinde da. Später kamen einmal die Feinde aus Jung wirklich herbei und der König Yu ließ die Trommeln schlagen. Aber die Heere der Fürsten kamen nicht. Infolge davon verlor der König Yu das Leben am Fuße des Berges Li, und jedermann auf Erden lachte seiner.

So hat er nun in der Zeit, da keine Feinde da waren, die Zeit, da wirklich Feinde kamen, verscherzt. Wenn ein tüchtiger Mann einen kleinen Fehler hat, so kann dadurch ein großes Unglück veranlaßt werden. Die Verworfenheit der Bau Sï bestand darin, daß sie den König Yu um eines kleinen Vergnügens willen in großes Verderben stürzte, so daß er elendiglich zugrunde ging und die hohen Räte alle fliehen mußten. Darum ging auch Bau Sï selbst zugrunde, und der König Ping mußte deshalb die Hauptstadt nach Osten verlegen, die Fürsten Siang von Tsin und Wen von Dsin bemühten sich um die Anerkennung des Königs, der ihnen Landgebiet abtreten mußte.

Im Norden von Liang liegt ein Ort, namens Li Kiu. Dort hauste ein seltsamer Dämon, der es liebte, die Gestalt von anderer Leute Söhnen, Brüdern oder Neffen anzunehmen. Ein alter Mann aus dem Ort ging eines Tages auf den Markt und kam angetrunken nach Hause. Da nahm der Dämon von Li Kiu die Gestalt seines Sohnes an. Er tat so, als ob er ihn führen wollte und behandelte ihn unterwegs sehr schlecht.[393]

Als der Alte heimgekommen und von seinem Rausch erwacht war, schalt er seinen Sohn: »Ich bin Dein Vater, habe ich Dich je nicht liebevoll behandelt? Warum hast Du mich unterwegs so schlecht behandelt, als ich betrunken war?«

Sein Sohn weinte und stieß mit dem Kopf auf die Erde und sprach: »Ich bitte um Verzeihung! Das ist nicht vorgekommen. Gestern abend bin ich ins Ostdorf gegangen, um Schulden einzutreiben, Du kannst dort nachfragen.«

Der Vater glaubte ihm und sprach: »Ach, dann war es sicher der seltsame Dämon, von dem ich schon gehört habe.« Er nahm sich vor, am andern Tage wieder auf den Markt zu gehen, um zu trinken, weil er den Dämon treffen und totstechen wollte. So ging er am andern Morgen auf den Markt und betrank sich. Sein wirklicher Sohn fürchtete, sein Vater könne nicht mehr heimkommen, deshalb ging er ihm entgegen.

Als nun der Alte seinen eigenen Sohn sah, zog er sein Schwert und tötete ihn. Der Alte war durch den Dämon, der seinem Sohn ähnlich sah, so verblendet worden, daß er seinen wirklichen Sohn tötete. Wenn einer durch die scheinbaren Staatsmänner verblendet wird und darüber die echten Staatsmänner verliert, dessen Weisheit gleicht der des Alten von Li Kiu.

Man muß die Spuren der Berückung durch den Schein sorgfältig prüfen. Es kommt auf den Menschen an, ob einer sie erforschen kann. Wenn Schun der Kutscher wäre und Yau links und Yü rechts säßen und sie kämen in einen Sumpf, so müßten sie einen Hirtenknaben fragen. Kämen sie ins Wasser, so müßten sie einen alten Fischer fragen. Warum? Weil jene sich auskennen. Wenn zwei Zwillinge sich auch noch so ähnlich sehen, ihre Mutter kann sie unterscheiden, weil sie sich auskennt.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 392-394.
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