4. Kapitel
Unterschied der Ämter / Fen Dschï

[438] Die Könige des Altertums besaßen nicht, was sie gebrauchten, und doch hatten sie es, als wäre es ihr Eigentum, denn sie verstanden den Weg der Fürsten. Der Edle muß im Leeren weilen und im Stillen wandeln und darf keine eigene Weisheit haben wollen, dann kann er alle Weisen auf Erden für sich gebrauchen.[438] Seine Weisheit muß darin bestehen, daß er sich für unfähig hält, dann kann er alle Fähigen gebrauchen. Seine Fähigkeit muß darin bestehen, daß er am Nichthandeln festhalten kann, dann kann er alle Handelnden gebrauchen. Nicht eigne Weisheit, nicht eigne Fähigkeit, nicht eignes Handeln: Das ist es, woran ein Fürst festhalten muß.

Die Betörten unter den Fürsten machen es nicht also. Sie wollen an Weisheit die andern übertreffen, sie wollen an Taten die andern übertreffen. Damit begeben sie sich in das Amt eines Dieners. Wer sich in das Amt eines Dieners begibt, und es doch nicht zu Stockungen kommen lassen will, der kommt nicht zustande, und wenn es ein Schun wäre.

König Wu hatte fünf Gehilfen2. Der König Wu besaß in den von diesen Männern besorgten Geschäften keine Fähigkeit. Und doch sagte die ganze Welt, daß König Wu die Welt gewonnen habe. So hat König Wu das, was er nicht selbst zu eigen hatte, wie ein Eigentum in Besitz gehabt, denn er verstand den Weg des Fürsten. Wer den Weg des Fürsten versteht, der kann die Weisen Pläne schmieden lassen, der kann die Tapferen zürnen lassen, der kann die Redegewandten reden lassen. Wenn z.B. ein Pferd von einem Bo Lo ausgesucht und einem Dsau Fu geleitet wird, so kann ein weiser Fürst im Wagen sitzen und 1000 Meilen im Tag zurücklegen, ohne daß er die Mühe des Aussuchens der Pferde und ihrer Lenkung auf sich zu nehmen braucht und hat dennoch den Erfolg davon. Das ist, weil er es versteht, was für ein Gespann er benützen muß.

Wenn die geladenen Gäste voll süßen Weines sind, die Sänger, Tänzer, Pauker und Pfeifer ihre Rollen spielen, so dankt man am andern Tag nicht denen, die einem das Vergnügen verschafft, sondern dem Gastgeber; denn der Gastgeber hat alles veranstaltet.

Die alten Könige bewirkten ihre Taten und Ruhm auch auf ähnliche Weise. Wer viele Fähige und Tüchtige gebraucht, der schafft große Werke und Ruhm auf Erden. Und man lobt dafür nicht die, die es getan, sondern man lobt ihren Herrn. Denn der Herr wußte sie zu gebrauchen.[439]

Wenn man z.B. ein Gebäude baut, so stellt man stets tüchtige Handwerker an. Warum? Wenn die Handwerker nicht geschickt sind, wird das Gebäude nicht gut. Ein Staat ist etwas Wichtiges. Wenn er nicht gut imstande ist, so ist das weit schlimmer als bei einem einzelnen Haus. Ein geschickter Handwerker benützt beim Hausbau bei Rundungen den Zirkel, bei Ecken das Winkelmaß, was eben und gerade werden soll, dazu benutzt er Wasserwage und Richtschnur. Wenn das Haus fertig ist, so kümmert man sich nicht um Zirkel, Winkelmaß und Richtschnur, sondern man belohnt den Handwerker. Wenn dann die geschickten Handwerker ein Gebäude fertig haben, so fragt man nicht mehr nach den geschickten Handwerkern, sondern jedermann sagt: Wie schön ist doch das Haus des Herrn N., das Schloß des Fürsten N. Das verdient sorgfältige Überlegung.

Die Fürsten, die den Weg der Fürsten nicht verstehen, machen es nicht so. Sie meinen, die andern seien ihnen nicht gleich an Fähigkeiten. Betrauen sie einen Tüchtigen, so werden sie böse auf ihn, und reden mit Untüchtigen über ihn. Das ist der Grund, warum Werk und Ruhm nicht zustande kommen und das Reich in Gefahr gerät.

Die Schlehen sind der Besitz des Dornbusches, der Pelz gehört dem Fuchs, und doch ißt man die Schlehen des Dornbusches und kleidet sich in den Pelz des Fuchses. So haben sich die alten Könige nicht ihres eigenen Besitzes bedient und hatten ihn doch im Besitz. Tang und Wu bekamen an einem Tage alle Untertanen der Häuser Hia und Schang und gewannen das ganze Land von Hia und Schang und den ganzen Reichtum von Hia und Schang. Weil sie das Volk zur Ruhe brachten, darum wagte niemand auf Erden sie zu gefährden. Weil sie das Land als Lehen weggaben, darum wagte niemand auf Erden unzufrieden zu sein. Weil sie von ihrem Reichtum Belohnungen verliehen, darum wetteiferte die ganze Welt. Sie brauchten nicht We und Ki Dschou, ihre Stammländer, dranzugehen, und doch nannte sie die ganze Welt gütig und gerecht: weil sie es verstanden, das was nicht ihnen gehörte, zu benützen.[440]

Schong, der Herzog von Bo, setzte sich in den Besitz des Staates Tschu. Aber er brachte es nicht über sich von seinen Schätzen an andre auszuteilen. Nach sieben Tagen sagte Schï Ki: »Das Unglück ist da. Wenn Ihr nichts andern austeilen wollt, so verbrennt die Schätze, damit nicht andere sie benützen, um uns zu schaden.« Herzog von Bo brachte auch das nicht über sich. Nach neun Tagen drang der Herzog Schä ein und verteilte die Schätze der Schatzkammern unter die Massen und verteilte die Waffen des hohen Zeughauses unter das Volk, um es zu bewaffnen. Darauf griff er den Herzog von Bo an. Nach neunzehn Tagen fiel der Herzog von Bo.

Das Land gehörte nicht ihm, und doch wollte er es als seinen eigenen Besitz haben, das ist der Gipfel der Habsucht. Daß er auf die Schätze nicht um der andern willen verzichten konnte, und nicht einmal um seiner selbst willen, das ist der Gipfel der Torheit. Der Geiz des Herzogs von Bo war wie die Liebe der Eule zu ihren Jungen3.

Herzog Ling von We wollte bei kaltem Wetter einen Weiher anlegen lassen. Da erhob Wan Tschun Einsprache und sagte: »Wenn man zur kalten Jahreszeit eine Arbeit beginnt, so ist zu fürchten, daß es den Leuten schadet.« Der Herzog sprach: »Ist es denn kaltes Wetter?« Wan Tschun sprach: »Eure Hoheit sind in Fuchspelz gekleidet und sitzen auf Bärenfellen, und außerdem steht in der Ecke ein Herd, darum empfindet Ihr die Kälte nicht. Aber die Leute haben zerrissene Kleider, die sie nicht flicken können, ihre Schuhe sind zerrissen, und sie können sie nicht nähen. Wenn Ihr es auch nicht kalt findet, so frieren doch die Leute.« Der Herzog sprach: »Gut«, und ließ die Arbeit einstellen.

Seine Umgebung aber erhob Einspruch und sagte: »Ihr wolltet einen Teich graben lassen und wußtet nichts von der Kälte. Aber Wan Tschun wußte es! Nun habt Ihr auf das Urteil Wan Tschuns hin die Arbeit einstellen lassen, da wird der Lohn dafür dem Wan Tschun zufallen, während die Vorwürfe auf Euch fallen werden.«

Der Herzog sprach: »Nein. Wan Tschun war in Lu ein ganz gewöhnlicher Mann, und ich habe ihn erhoben. Die Leute haben noch[441] nichts von ihm gesehen, darum will ich, daß die Leute seine Vorzüge hierdurch erkennen. Außerdem wenn Wan Tschun einen Vorteil hat, so kommt er auch mir zugute, denn das Gute Wan Tschuns ist ja mein Gutes.«

Die Art, wie Herzog Ling von We über Wan Tschun sprach, zeigt, daß er den Weg des Fürsten verstand. Der Fürst hat kein Amt, aber die Ämter auszuteilen ist das Amt, das er bekommen hat. Geschick und Ungeschick liegt bei den Untergebenen; Lohn und Strafe liegt bei den Gesetzen. Was hat der Fürst dabei zu tun? Wenn es so ist, so werden die Belohnten den Fürsten nicht wegen seiner Gnade preisen und die Bestraften können sich nicht beklagen. Jeder muß es bei sich selber suchen. Das ist die höchste Regierungskunst.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 438-442.
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