11. Die Wirksamkeit des Negativen[12] 1

Dreißig Speichen treffen sich in einer Nabe:

Auf dem Nichts daran (dem leeren Raum) beruht des Wagens Brauchbarkeit.

Man bildet Ton und macht daraus Gefäße:

Auf dem Nichts daran beruht des Gefäßes Brauchbarkeit.

Man durchbricht die Wand mit Türen und Fenstern, damit ein Haus entstehe:

Auf dem Nichts daran beruht des Hauses Brauchbarkeit.

Darum: Das Sein gibt Besitz, das Nichtsein Brauchbarkeit.


Erklärung

1 In Gleichnissen sucht der Verfasser hier einer Wahrheit zum Ausdruck zu verhelfen, deren direkte Aussprache ihm durch den Mangel an Ausdrucksfähigkeit der Sprache, die ihm zu Gebote stand, unmöglich wurde. Man merkt es auch sonst seinen Äußerungen an, daß er mehr gedacht hat, als er in Worte zu pressen vermochte (vgl. No. 5 und No. 25), eine Schwierigkeit übrigens, die schließlich jedem Versuch, originale Gedanken mit den fertigen Mitteln der Sprache auszudrücken, anhaftet.

Das »Nichtsein«, von dem hier die Rede ist, ist die Qualität im Unterschied zur Quantität. Gerade die Qualität ist es, die der bloßen Masse den Wert verleiht.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 12-13.