Kapitel XX.

Von den Modi der Lust und des Schmerzes

[138] § 1. Philalethes. Ebenso, wie die Empfindungen des Körpers, sind auch die Gedanken des Geistes entweder dem Gefühle gleichgültig, oder aber von Lust oder Schmerz begleitet. Die Vorstellungen davon kann man ebensowenig als alle anderen einfachen Vorstellungen beschreiben, noch eine Definition der Ausdrücke geben, deren man sich zu ihrer Bezeichnung bedient.

Theophilus. Ich glaube, es gibt keine Wahrnehmungen, welche uns ganz und gar gleichgültig sind; aber es ist[138] genug, daß, um sie so nennen zu können, ihre Wirkung nicht merkbar sei, denn die Lust oder der Schmerz scheint in einer merkbaren Hilfe oder in einem merkbaren Hindernis zu bestehen. Ich gebe zu, daß diese Definition keine nominale ist, und man auch keine solche geben kann.

§ 2. Philalethes. Gut ist dasjenige, welches in uns Lust hervorzubringen und zu vermehren oder Schmerz zu vermindern und abzukürzen dient. Schlimm ist das, was den Schmerz in uns hervorzurufen oder zu vermehren oder eine Lust zu vermindern dient.

Theophilus. Ich bin auch dieser Meinung, Man teilt das Gute in das Ehrbare, Angenehme und Nützliche ein, aber im Grunde glaube ich, daß es entweder selbst angenehm sein oder zu etwas anderem dienen müsse, was uns eine angenehme Empfindung verleihen kann, d.h. das Gute ist das Angenehme oder Nützliche, und das ehrbare selbst besteht in einer Lust des Geistes.

§§ 4. 5. Philalethes. Von der Lust und dem Schmerz stammen die Leidenschaften: Liebe hat man zu dem, was Lust hervorbringen kann, und der Gedanke der Unlust oder des Schmerzes, welchen eine gegenwärtige oder abwesende Ursache hervorrufen kann, ist der Haß. Aber derjenige Haß und diejenige Liebe, die sich auf des Glückes oder des Unglücks fähige Wesen beziehen, sind oft eine Lust oder eine Befriedigung, die wir in uns selbst als durch die Betrachtung ihres Daseins oder des Glückes, das sie genießen, in uns entstanden fühlen.

Theophilus. Auch ich habe fast dieselbe Definition der Liebe gegeben, als ich in der Vorrede meines Codex juris gentium diplomaticus die Grundsätze der Gerechtigkeit erläuterte, nämlich, daß Lieben sei getrieben werden, an der Vollkommenheit, dem Wohl oder Glück des geliebten Gegenstandes Lust zu haben. Und deshalb erwägt und verlangt man (in der Liebe) keine andere eigene Lust als die, welche man in dem Wohlsein oder der Lust dessen, was man liebt, findet, aber in diesem Sinne lieben wir das, was der Lust oder des Glückes unfähig ist, eigentlich nicht und genießen Dinge dieser Art, ohne sie darum zu lieben, es sei denn durch eine phantastische Personifizierung, und wie wenn wir uns einbildeten, daß sie selbst ihrer Vollkommenheit genießen. Es ist also eigentlich[139] nicht Liebe, wenn man sagt, daß man ein schönes Gemälde um der Lust willen liebt, welche man beim Empfinden seiner Vollkommenheiten erfährt. Es ist aber erlaubt, den Sinn der Ausdrücke zu erweitern, und der Gebrauch ist darin wandelbar. Die Philosophen und selbst die Theologen unterscheiden auch zwei Gattungen der Liebe, nämlich diejenige Liebe, welche sie die der Begehrlichkeit nennen, die nichts anderes ist als das Bestreben oder das Gefühl für alles das, was uns Lust verschafft, ohne daß wir uns darum bekümmern, ob es seihst deren empfängt; und die Liebe des Wohlwollens, welche das Gefühl für dasjenige ist, das uns durch seine Lust oder sein Glück Lust und Glück gewährt. Die erstere läßt uns unsere Lust, die zweite die des anderen im Auge halten, jedoch so, daß sie die unsrige macht oder vielmehr ausmachte denn wenn sie nicht in irgend einer Art auf uns zurückginge, würden wir uns nicht dafür interessieren können, da, sage man, was man wolle, es unmöglich ist, sich von seinem eigenen Wohlsein loszulösen. Auf diese Weise aber muß man die uneigennützige und nicht nach Lohnhaschende Liebe verstehen, um ihren Adel wohl zu begreifen und dennoch nicht auf Chimären zu verfallen.

§ 6. Philalethes. Das Unbehagen (auf Englisch: uneasiness), welches jemand in sich wegen des Mangels eines Dinges, das ihm Lust erwecken würde, wenn es gegenwärtig wäre, empfindet, wird das Verlangen genannt. Dieses Unbehagen ist der erste, nm nicht zu sagen, einzige Antrieb, welcher den Fleiß und die Tätigkeit der Menschen aufstachelte denn welches Gut man auch immer dem Menschen vorhalten mag, wenn die Abwesenheit desselben weder von Unlust, noch von Schmerz begleitet ist, und derjenige, welcher desselben beraubt ist, ohne es zu besitzen, zufrieden sein und sich wohlbefinden kann, so wird er auch nicht danach verlangen und noch weniger Anstrengungen machen, nm es zu genießen. Er empfindet für diese Art von Gut nur eine bloße Willensneigung, welchen Ausdruck man angewendet hat, nm den untersten Grad des Verlangens auszudrücken, der sich demjenigen Zustand am meisten nähert, in welchem sich die Seele hinsichtlich eines ihr gänzlich gleichgültigen Dinges befindet, wenn die Unlust[140] über die Abwesenheit eines Dinges so unbedeutend ist, daß sie nur zu schwachen Wünschen führt, ohne zu veranlassen, sich der Mittel, es zu erhalten, zu bedienen. Das Verlangen ist noch tot oder aufgehalten durch die noch vorhandene Ansicht, daß das gewünschte Gut nur in dem Maße, als das Unbehagen der Seele durch diese Erwägung geheilt oder vermindert wird, erlangt werden kann. Übrigens habe ich, was ich jetzt von dem Unbehagen rede, in dem berühmten englischen Schriftsteller, dessen Ansichten ich Ihnen vielfach vortrage, gefunden. Ich habe in der Bedeutung des englischen Wortes ›uneasiness‹ ein wenig Schwierigkeit gefunden. Der französische Übersetzer aber, dessen Geschicklichkeit in der Erledigung seiner Aufgabe nicht in Zweifel gezogen werden kann, bemerkt am Ende der Seite (Kap. 20 § 6), daß der Verfasser durch dies englische Wort den Zustand eines Menschen bezeichne, der sich nicht wohlbefindet, den Mangel an Wohlsein und Ruhe der in dieser Hinsicht rein leidenden Seele; und daß er dies Wort durch den Ausdruck Unbehagen (inquiétude) habe wiedergebend müssen, der zwar nicht dieselbe Vorstellung ausdrückt, sich ihr aber am meisten nähert. Diese Bemerkung, wie er hinzufügt, ist vor allem nötig in bezug auf das folgende Kapitel über die Macht, wo der Verfasser über diese Art von Unbehagen viel spricht; denn wenn man mit diesem Worte die eben bezeichnete Vorstellung nicht verbindet, so würde es nicht möglich sein, die Gegenstände ordentlich zu fassen, die in diesem Kapitel abgehandelt werden, und welche die bedeutendsten und die schwierigsten des ganzen Werkes sind.

Theophilus. Der Übersetzer hat recht, und die Lektüre seines trefflichen Antors hat mir gezeigt, daß diese Erwägung des Unbehagens ein Hauptpunkt ist, wo der Verfasser ganz besonders den Scharfsinn und die Tiefe seines Geistes zeigt. Aus diesem Grunde habe ich meine Aufmerksamkeit darauf gewendet, und nachdem ich die Sache wohl erwogen habe, scheint es mir fast, daß das Wort ›Unbehagen‹, wenn es den Sinn des Verfassers nicht hinlänglich ausdrückt, meiner Meinung nach doch hinlänglich mit der Natur der Sache übereinkommt, und das Wort ›uneasiness‹, wenn es eine Unlust, einen Verdruß eine Unannehmlichkeit, mit einem Wort irgend einen[141] wirklichen Schmerz bezeichnete, würde damit nicht übereinkommen. Denn ich würde lieber sagen, daß in dem Verlangen an sich eher eine Disposition und eine Vorbereitung zum Schmerze als Schmerz selbst liegt. Allerdings unterscheidet sich diese Empfindung mitunter von der, welche man im Schmerze hat, nur durch das Weniger gegen das Mehr, aber das Wesen des Schmerzes besteht eben im Grade, denn er ist eine bemerkbare Empfindung. Man sieht dies auch an dem Unterschiede zwischen dem Appetit und dem Hunger; denn wenn die Erregung des Magens zu stark wird, so wird sie störend, so daß man also auch hier unsere Lehre von den für das Bewußtsein zu geringen Wahrnehmungen anwenden muß, denn wenn das, was in uns vorgeht, sobald wir Appetit und Verlangen haben, hinlänglich angewachsen ist, würde es uns Schmerz verursachen. Aus diesem Grunde hat der unendlich weise Urheber unseres Daseins es zu unseres lösten so eingerichtet, daß wir uns oft in der Unwissenheit und in verworrenen Vorstellungen beenden, damit wir um so schneller aus Instinkt handeln und nicht durch die zu deutlichen Empfindungen einer Menge von Gegenständen belästigt werden, die uns nicht eigentlich angehen, und deren doch die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke nicht hat entbehren können. Wie viele Insekten verschlucken wir nicht, ohne es gewahr zu werden, wie viele Personen sehen wir nicht dadurch in Mißbehagen versetzt, daß sie einen zu feinen Geruch haben, und wie viele ekelerregende Gegenstände würden wir sehen, wenn unser Gesicht durchdringend genug wäre! Aus eben dieser Kunst hat uns die Natur den Antrieb des Verlangens, wie die Anfänge oder Elemente des Schmerzes oder sozusagen halbe Schmerzen oder, wenn Sie mißbräuchlich reden wollen, um sich stärker auszudrücken, geringe, unbewußte Schmerzen gegeben, damit wir den Vorteil des Übels genießen, ohne dessen Unbequemlichkeit zu erfahren, denn man würde sonst, wenn diese Wahrnehmung zu deutlich wäre, in Erwartung des Guten immer elend sein, statt daß dieser beständige Sieg über jene halben Schmerzen, welche man empfindet, indem man seinem Verlangen folgt und in irgend einer Art diesem Triebe oder diesem Reize genugtut, uns eine Menge halber Lustempfindungen gewährt, deren Fortsetzung und[142] Anhäufung (wie bei der Fortsetzung des Anstoßes eines schweren, im Fall begriffenen und dadurch an Geschwindigkeit zunehmenden Körpers) endlich eine ganze und wahrhafte Lust wird. Und ohne diese halben Schmerzen würde es im Grunde genommen keine Lust und kein Mittel geben, sich dessen bewußt zu werden, daß uns etwas unterstützt und Erleichterung verschafft, wenn Widerstand vorhanden ist, der uns zum Wohlbefinden zu gelangen verhindert. Auch erkennt man gerade darin die nahe Verwandtschaft von Lust und Schmerz, die Sokrates in Platos Phaedo bemerkt, als die Füße ihm versagen. Diese Inbetrachtnahme der kleinen Hilfen oder kleinen Befreiungen und unmerklichen Auslösungen des aufgehaltenen Strebens, woraus endlich eine merkbare Lust sich ergibt, dient auch dazu, eine deutlichere Erkenntnis der verworrenen Vorstellung zu gewähren, die wir von der Lust und dem Schmerz haben und haben müssen, ganz wie die Empfindung der Wärme oder des Lichtes aus einer Menge von kleinen Bewegungen folgt, welche gemäß dem oben von mir Bemerkten (Kap. IX, § 13) die der Gegenstände ausdrücken und sich davon nur dem Scheine nach und weil wir uns dieser Analyse nicht bewußt werden, unterscheiden. Freilich glauben heutzutage mehrere, daß unsere Vorstellungen der sinnlichen Eigenschaften von den Bewegungen selbst und dem, was in den Gegenständen vorgeht, gänzlich verschieden und etwas Ursprüngliches und Unerklärliches, ja selbst etwas Willkürliches sind, als wenn Gott der Seele nach bloßer Willkür Empfindungen gäbe und nicht nach dem, was im Körper vorgeht: eine von der wahren Analyse unserer Vorstellungen sehr entfernte Ansicht der Sache.

Um aber zum Unbehagen zurückzukehren, d.h. zu jenen kleinen, unmerklichen Erregungen, die uns beständig in Atem erhalten, so sind dies verworrene Bestimmungen, dergestalt, daß wir oft nicht wissen, was uns fehlt, während wir bei den Neigungen und Leidenschaften wenigstens wissen, was wir wollen, obschon die verworrenen Wahrnehmungen auch auf die ihnen eigene Art zu handeln einwirken, und die Leidenschaften selbst auch noch diese Unruhe oder Reizung verursachen. Diese Antriebe sind gleichsam ebensoviel Federn, die sich abzuspannen versuchen und unsere Maschine in Gang setzen.[143] Ich habe auch darüber schon bemerkt, daß wir aus diesem Grunde niemals ganz gleichgültig sind, wenn wir es am meisten zu sein scheinen, wie wenn wir uns z.B. am Ende einer Allee auf die rechte statt auf die linke Seite wenden. Denn die von uns ergriffene Entscheidung kommt von diesen unmerklichen, aus den Wirkungen der Gegenstände und des Innern unseres Körpers gemischten Entschlüssen her, wonach wir es für uns leichter finden, uns nach der einen als nach der anderen Seite zu kehren. Im Deutschen nennt man den Pendel einer Uhr die Unruhe. Man kann sagen, daß es sich mit unseres Körper ebenso verhält, der sich auch niemals vollkommen im Wohlbehagen beendet, weil, wenn ein neuer Eindruck von Gegenständen, eine kleine Veränderung in den Organen, in den Eingeweiden, in den Gefäßen vorkäme, dies sofort das Gleichgewicht verändern und sie zu irgend einer kleinen Anstrengung, um sich in den möglich besten Zustand zu versetzen, führen würde. Dies bringt aber einen beständigen Kampf hervor, der, sozusagen, die Unruhe unseres Uhrwerkes macht, daher ich diese Benennung ganz nach meinem Geschmack finde.

§ 7. Philalethes. Die Freude ist eine Lust, welche die Seele empfindet, wenn sie den Besitz eines gegenwärtigen oder zukünftigen Gutes als gesichert betrachtet, und wir sind im Besitz eines Gutes, wenn wir es dergestalt in unserer Macht haben, daß wir, wenn wir wollen, dasselbe genießen können.

Theophilus. In den Sprachen fehlen die Ausdrücke, die geeignet sind, einander naheliegende Begriffe gehörig zu unterscheiden. Vielleicht nähert sich dieser Definition der Freude das lateinische Gaudium mehr als Laetitia, die man auch durch das Wort Freude wiedergibt, aber dann scheint sie mir einen Zustand zu bezeichnen, wo die Lust in uns vorherrscht, denn während der tiefstes Traurigkeit und inmitten der quälendsten Ärgernisse kann man sich eine gewisse Lust verschaffen, wie wenn man trinkt oder Musik hört, während freilich die Unlust vorherrschte und selbst inmitten der heftigsten Schmerzen kann der Geist doch freudig sein, wie den Märtyrern geschah.

§ 8. Philalethes. Die Traurigkeit ist eine Unruhe der Seele, wenn sie an ein verlorenes Gut denkt, dessen sie[144] länger hätte genießen können, oder wenn sie von einem wirklich gegenwärtigen Übel gequält wird.

Theophilus. Nicht allein das gegenwärtige, wirkliche Übel, sondern auch die Furcht vor einem zukünftigen Übel kann traurig machen, so daß ich glaube, daß die Definition der Freude und der Traurigkeit, die ich oben gegeben habe, mit dem Sprachgebrauch mehr zusammenstimmen. Was die Unruhe betrifft, so ist im Schmerz und folglich in der Traurigkeit etwas mehr: und die Unruhe ist selbst bei der Freude, denn sie macht den Menschen munter, tätig, voll Hoffnung weiterzuschreiten. Die Freude hat sich schon fähig erwiesen, durch zu heftige Aufregung zu töten, und dabei war dann in ihr noch mehr als bloße Unruhe.

§ 9. Philalethes. Die Hoffnung ist die Befriedigung der Seele, wenn sie an den Genuß denkt, den sie der Wahrscheinlichkeit nach von etwas haben muß, was ihr Lust zu gewähren geeignet ist; und die Furcht ist eine Unruhe der Seele, wenn sie an ein zukünftiges Übel denkt, das sich ereignen kann.

Theophilus. Wenn die Unruhe eine Unlust bezeichnet, so gestehe ich, daß sie die Furcht immer begleitete nimmt man sie aber für jenen unmerklichen Antrieb, der uns vorwärts treibt, so kann man sie auch mit der Hoffnung verbünde denken. Die Stoiker nahmen die Leidenschaften für Meinungen. So war ihnen die Hoffnung die Meinung von einem zukünftigen Gute und die Furcht die Meinung von einem zukünftigen Übel. Aber lieber sage ich, daß die Leidenschaften weder Befriedigungen noch Mißbehagen noch Meinungen sind, sondern Strebungen, oder vielmehr Modifikationen von Strebungen, die aus der Meinung oder dem Gefühl stammen und von Lust oder Unlust begleitet sind.

§ 11. Philalethes. Die Verzweiflung ist der Gedanke, den man hat, daß ein Gut nicht zu erlangen ist, was Betrübnis und mitunter Gefühllosigkeit verursachen kann.

Theophilus. Nimmt man die Verzweiflung als eine Leidenschaft an, so wird sie eine Art starker Strebung sein, welche sich auf einmal angehalten endete dies verursacht einen heftigen Kampf und viel Unlust. Wenn aber die Verzweiflung von Ruhe und Gefühllosigkeit begleitet wird, wird sie mehr eine Meinung als eine Leidenschaft sein.[145]

§ 12. Philalethes. Der Zorn ist diejenige Unruhe oder Unordnung, welche wir empfinden, nachdem wir irgend eine Beleidigung empfangen haben, und die von dem augenblicklichen Verlangen, uns zu rächen, begleitet wird.

Theophilus. Der Zorn scheint etwas Einfacheres und Allgemeineres zu sein, da die Tiere desselben fähig sind, denen man doch keine Beleidigung zufügt. Im Zorne liegt eine gewaltsame Anstrengung, welche sich des Übels zu entschlagen strebt. Das Verlangen der Rache kann auch bei kaltem Blute bleiben, und wenn man viel mehr Haß als Zorn hat.

§ 13. Philalethes. Der Neid ist die Unruhe (die Unlust) der Seele, welche aus der Betrachtung eines von uns erstrebten, aber von einem anderen besessenen Gutes kommt, der unserer Ansicht nach es nicht vor uns hätte haben sollen.

Theophilus. Nach dieser Fassung würde der Neid stets eine löbliche und wenigstens unserer Meinung nach immer auf der Gerechtigkeit begründete Leidenschaft sein. Aber ich weiß nicht, ob man nicht mitunter auf ein anerkanntes Verdienst neidisch ist, das man, wenn man es besäße, zu mißachten sich nicht scheuen würde. Man beneidet andere selbst um ein Gut, das zu haben man sich gar nicht wünschen würde. Man wäre zufrieden, sie desselben beraubt zu sehen, ohne daran zu denken, das von ihnen, Verlorene zu gewinnen, und selbst ohne dies hoffen zu können. Denn manche Güter sind wie Freskogemälde, welche man wohl zerstören, aber nicht wegnehmen kann.

§ 17. Philalethes. Die meisten Leidenschaften verursachen bei manchen Personen Eindrücke auf den Körper und bringen in ihm verschiedene Veränderungen hervor, aber diese Veränderungen sind nicht Turner bemerkbar. So ist z.B. die Scham nicht immer vom Erröten begleitet, jene Unruhe der Seele, welche man fühlt, wenn man etwas Unanständiges oder sonst etwas, was uns in der Achtung anderes heruntersetzt, getan zu haben innewird.

Theophilus. Wenn die Menschen sich die äußeren Bewegungen mehr zu beobachten bemühten, welche die Leidenschaften begleiten, so würde es schwer sein, sie zu verheimlichen. Was die Scham anbetrifft, so ist es der[146] Bemerkung wert, daß sittsame Menschen mitunter Bewegungen, welche denen der Scham ähnlich sind, empfinden, wenn sie nur Zeugen einer unanständigen Handlung sind.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 138-147.
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