Viertes Kapitel.
Von den Worten für einfache Vorstellungen

[22] § 1. (Die Worte für einfache Vorstellungen, für die Zustände und für die Substanzen haben für jede Art etwas Besonderes.) Obgleich alle Worte, wie ich gezeigt habe, unmittelbar nur die Vorstellung des Sprechenden bezeichnen, so ergiebt doch die nähere Betrachtung, dass die Worte für einfache Vorstellungen, für gemischte Zustände (unter denen ich auch die Beziehungen begreife) und für die natürlichen Substanzen in jeder Art etwas Eigenthümliches und von einander Verschiedenes haben. Zum Beispiel:

§ 2. (Die Worte für einfache Vorstellungen und für Substanzen bedeuten das wirkliche Dasein.) Erstens: die Worte für einfache Vorstellungen und für Substanzen, mit den sie unmittelbar bezeichnenden Vorstellungen in der Seele bedeuten auch ein wirkliches Sein, von dem ihr ursprüngliches Muster abgeleitet worden ist; aber die Worte für gemischte Zustände schliessen mit der Vorstellung in der Seele ab und führen das Denken nicht darüber hinaus, wie das nächste Kapitel deutlicher ergeben wird.

§ 3. (Die Worte für einfache Vorstellungen und Zustände bedeuten immer sowohl das wirkliche, wie das Wort-Wesen.) Zweitens: Die Worte für einfache Vorstellungen und für Zustände bezeichnen sowohl das wirkliche, wie das Wort-Wesen ihrer Art, während die Worte für natürliche Substanzen nur selten oder wohl niemals mehr als das Wort-Wesen ihrer Art bedeuten, wie das über die Namen der Substanzen handelnde Kapitel näher ergeben wird.

§ 4. (Die Worte für einfache Vorstellungen sind undefinirbar.) Drittens: Die Worte für einfache Vorstellungen können nicht definirt werden, aber wohl die Worte für zusammengesetzte Vorstellungen. Ich wüsste nicht, dass man schon bemerkt hätte, welche Worte definirbar sind und welche nicht; dies veranlasst (wie ich glauben möchte) oft grosses Schwanken und Dunkelheit in dem Reden, indem der Eine Definitionen[22] von Ausdrücken verlangt, die nicht definirt werden können, und der Andere sich nicht bei einer Erklärung beruhigen zu dürfen meint, die durch ein allgemeines Wort und seine Beschränkung gegeben wird (oder nach den Kunstausdrücken: durch das genug und den Art-Unterschied), wenn Der, welcher eine solche nach der Regel gemachte Definition hört, keine klarere Vorstellung von dem Sinn des Wortes dadurch erlangt, als er schon vorher hatte. Es liegt wohl nicht ganz ausserhalb meiner Aufgabe, wenn ich zeige, welche Worte nicht definirt werden können und worin eine gute Definition besteht; die Natur dieser Zeichen und unserer Vorstellungen dürfte dadurch so viel Licht erlangen, dass die Sache wohl einer näheren Betrachtung, werth sein dürfte.

§ 5. (Wenn Alles definirbar wäre, so nähme die Definition kein Ende.) Ich mühe mich nicht damit ab, dass ich aus dem Fortgange ohne Ende beweise, dass nicht alle Worte definirbar seien; offenbar geriethe man in dieses Endlose, wenn alle Worte definirbar wären. Wären die Ausdrücke einer Definition durch andere wieder definirbar, wo sollte man da zuletzt einhalten? Ich will vielmehr aus der Natur unserer Vorstellungen und aus der Bedeutung unserer Worte zeigen, weshalb manche Worte definirt werden können und andere nicht, und welche es sind.

§ 6. (Was eine Definition ist.) Ich denke, es ist anerkannt, dass eine Definition den Sinn eines Wortes durch mehrere andere, nicht gleichlautende Ausdrücke darlegt. Der Sinn der Worte sind nur die Vorstellungen, welche die Worte bei Dem, der sie gebraucht, bezeichnen, und deshalb ist deren Sinn dann dargelegt oder das Wort definirt, wenn die dazu in der Seele des Sprechenden gehörende Vorstellung durch andere Worte dem Andern gleichsam dargelegt oder vor Augen gestellt und so seine Bedeutung vergewissert worden ist. Dies allein ist der Zweck und der Nutzen der Definitionen, und deshalb auch der alleinige Maassstab für ihre Güte.

§ 7. (Weshalb einfache Vorstellungen nicht definirbar sind.) Dies vorausgeschickt, sage ich, dass die Worte für einfache Vorstellungen, und zwar nur diese, undefinirbar sind, weil die mehreren Ausdrücke einer Definition mehrere Vorstellungen bezeichnen und daher[23] niemals zusammen eine Vorstellung darlegen können, die überhaupt nicht zusammengesetzt ist. Deshalb kann die Definition, die in Wahrheit nur den Sinn eines Wortes durch mehrere andere aufzeigt, die nicht alle dasselbe bedeuten, bei Worten für einfache Vorstellungen nicht Platz greifen.

§ 8. (Beispiele hierzu: Die Bewegung.) Indem man diesen Unterschied bei den Vorstellungen und ihren Worten nicht bemerkte, gerieth man in jene Jämmerlichkeiten, die man leicht an den Definitionen der Schulen bei einzelnen dieser einfachen Vorstellungen erkennt. Die meisten derselben haben sie allerdings weislich unberührt gelassen, weil sie es geradezu unmöglich fanden, sie zu definiren. Welches leerere Geschwätz konnte der Menschenwitz wohl erfinden, als die Definition: »Die Thätigkeit eines in Kraft seienden Dinges, insofern es in Kraft ist.« Jedermann würde dadurch in Verlegenheit gerathen, der sie nicht schon durch ihre berüchtigte Widersinnigkeit kennt, wenn er das Wort rathen sollte, was dadurch erklärt werden soll. Wenn Tullius einen Holländer gefragt hätte, was »Beweeginge« sei, und ihm nun als Erläuterung in seiner Sprache gesagt worden wäre, es sei ein »Actus entis in potentia quatenus in poteitia«, so frage ich, ob Jemand wohl glauben kann, Tullius habe nun verstanden, was »Beweeginge« bedeute, oder habe errathen, was der Holländer bei diesem Laut in der Regel denkt und dem Andern dadurch mittheilen will.

§ 9. Auch den neueren Philosophen ist es trotz ihres Versuchs, dieses Gerede und unverständliche Geschwätz der Schulen bei Seite zu werfen, nicht besser gelungen, die einfachen Vorstellungen zu definiren; weder die Erklärung ihrer Ursachen, noch Anderes wollte dazu helfen. Wenn die Atomiker die Bewegung als den Uebergang aus einem Orte in einen andern definiren, so setzen sie nur ein anderes Wort desselben Sinnes für das zu definirende; denn Uebergang ist eben Bewegung, und fragte man sie, was Uebergang sei, so könnten sie es nicht besser, als durch Bewegung definiren; es ist wenigstens ebenso passend und deutlich, zu sagen: Uebergang ist die Bewegung aus einem Ort in den andern, wie: Bewegung ist der Uebergang aus u.s.w. Dies nennt[24] man übersetzen, aber nicht definiren, wenn man nur zwei Worte gleichen Sinnes wechselt. Ist das eine verständlicher als das andere, so kann es allerdings die Vorstellung, welche das unverstandene Wort bezeichnet, entdecken helfen; allein dies ist lange noch keine Definition, denn sonst müsste jedes deutsche Wort in dem Wörterbuche die Definition des lateinischen sein, soweit es ihm entspricht, und Bewegung wäre dann die Definition von motus. Auch die Cartesianische Definition, nämlich die fortgehende Berührung der Theile der Oberfläche eines Körpers mit denen eines andern, ist bei näherer Prüfung keine bessere Definition der Bewegung.

§ 10. (Licht.) »Die Thätigkeit des Durchsichtigen als Durchsichtiges« ist eine andere Definition einer einfachen Vorstellung, welche die Aristotelischen Schulen bieten. Sie ist nicht verkehrter als die vorige, aber sie verräth ihre Nutzlosigkeit und Bedeutungslosigkeit deutlicher, weil die Erfahrung leicht Jedermann belehrt, dass sie den Sinn des Wortes Licht (was sie definiren will) einem Blinden nicht begreiflich machen kann, während jene Definition der Bewegung auf den ersten Blick nur deshalb nicht so werthlos erscheint, weil bei ihr diese Art von Probe nicht gemacht werden kann. Für diese einfache Vorstellung, die man durch das Gefühl und das Gesicht erlangt, kann man keine solche Probe an Jemand machen, der die Vorstellung der Bewegung nur allein durch deren Definition erlangen könnte. Die, welche sagen, dass das Licht aus einer grossen Zahl feiner Kügelchen bestehe, welche scharf auf den Grund des Auges stossen, sprechen zwar verständlicher als die Schulen, aber auch diese Worte, selbst wenn man sie noch so gut versteht, würden die mit dem Wort Licht bezeichnete Vorstellung Jemandem, der das Licht nicht schon kennt, so wenig verständlich machen, als wenn man ihm sagte, dass das Licht ein Spiel sei, wo Feen den ganzen, Tag Federbälle mit ihren Pritschen gegen den Vorderkopf der Menschen schlagen, während sie bei andern vorübergehen. Gesetzt auch, diese Erklärung sei die wahre, so giebt doch die noch so genaue Vorstellung von der Ursache des Lichts nicht die Vorstellung von dem Lichte selbst, als einer besonderen Empfindung in uns, ebenso wie die Vorstellung von der Gestalt und Bewegung eines[25] scharfen Stückes Stahl nicht die Vorstellung vom dem Schmerz giebt, den es verursachen kann. Die Vorstellung von der Ursache einer Empfindung und die Empfindung selbst sind bei allen einfachen sinnlichen Vorstellungen zwei verschiedene Vorstellungen, und zwar zwei so verschiedene und von einander getrennte, als es nur möglich ist. Wenn daher auch die Kügelchen des Descartes noch so lange auf die Netzhaut eines Blinden treffen, so erlangt er damit doch keine Vorstellung vom Licht oder etwas dem Aehnlichen, obgleich er recht gut versteht, was kleine Kügelchen sind und was das Stossen an einen Körper bedeutet. Deshalb unterscheiden die Cartesianer auch sehr wohl zwischen dem Licht, was die Empfindung in dem Menschen verursacht, und zwischen der Vorstellung, die dadurch verursacht wird und eigentlich das ist, was man Licht nennt.

§ 11. (Es wird weiter erklärt, weshalb einfache Vorstellungen nicht definirt werden können.) Einfache Vorstellungen kann man, wie ich früher gezeigt habe, nur erlangen durch die Eindrücke, welche die Gegenstände durch die für jede Art derselben bestimmten Eingänge auf die Seele machen. Sind sie nicht auf diesem Wege erlangt worden, so können alle Worte der Welt, womit man die entsprechenden Worte erläutern oder definiren will, die betreffende Vorstellung in der Seele nicht hervorbringen. Denn Worte sind Laute und können als solche nur Vorstellungen von diesen Lauten erwecken; nur wenn die willkürliche Verbindung derselben mit jenen einfachen Vorstellungen, für welche sie dem Gebrauche nach als Zeichen gelten, gekannt ist, können sie diese andern Vorstellungen erwecken. Wer dies nicht glaubt, mag versuchen, ob er durch Worte den Geschmack einer Ananas erlangen und die wahre Vorstellung von dem Geschmacke dieser berühmten köstlichen Frucht erreichen kann. Soweit man ihm sagt, dass sie dem Geschmacke von andern Dingen ähnelt, deren Geschmack ihm schon bekannt und durch die seinem Gaumen bekannten sinnlichen Gegenstände eingedrückt worden ist, soweit kann er sich jener Vorstellung zwar nähern, allein dann wird ihm diese Vorstellung nicht durch die Definition beigebracht, sondern es werden nur andere einfache Vorstellungen durch deren bekannte[26] Namen wachgerufen, die immer noch sehr von dem wahren Geschmack dieser Frucht verschieden sein können. Mit dem Licht, den Farben und allen andern einfachen Vorstellungen verhält es sich ebenso; denn die Bedeutung der Laute ist keine natürliche, sondern sie ist nur willkürlich damit verknüpft, und jede Definition des Lichts oder des Rothen ist zur Hervorbringung dieser Vorstellung so wenig geeignet, wie der Laut Licht oder Roth selbst. Die Hoffnung, dass die Vorstellung von Licht oder einer Farbe durch irgend welchen artikulirten Laut hervorgebracht werde, gleicht der Erwartung, dass die Laute sichtbar oder die Farben hörbar werden, und dass die Ohren das Geschäft aller übrigen Sinne übernehmen. Es ist gerade so, als wenn man sagte, dass man mittelst der Ohren schmecke, rieche und sehe. Dies wäre eine Art Philosophie, würdig des Sancho Pansa, der seine Dulcinea durch Hörensagen sehen konnte. Wer daher nicht zuvor in seiner Seele durch den entsprechenden Einlass die Vorstellung, welche das Wort bezeichnet, empfangen hat, kann die Bedeutung desselben niemals durch irgend welche andern Worte oder Laute erlangen, wenn sie auch nach den Regeln der Definition mit einander verbunden sind. Der einzige Weg dazu ist, seinen Sinnen den betreffenden Gegenstand vorzustellen und so die Vorstellung in ihm zu erwecken, deren Wort er schon kennen gelernt hat. Ein eifriger blinder Mann, der seinen Kopf sehr mit sichtbaren Gegenständen angestrengt und die Erklärungen der Bücher und seiner Freunde benutzt hatte, um die Worte Licht und Farben verstehen zu lernen, die ihm so oft begegneten, rühmte sich eines Tages, dass er nun wüsste, was Purpur bedeute; als ihn seine Freunde danach fragten, sagte der blinde Mann: Es gleicht dem Ton der Trompete. In derselben Weise wird Jeder den Sinn anderer einfacher Vorstellungen auffassen, wenn er ihn allein durch eine Definition oder eine Erklärung vermittelst anderer Worte zu erlangen versucht.

§ 12. (Das Gegentheil bei zusammengesetzten Vorstellungen wird in den Beispielen einer Statue und eines Regenbogens dargelegt.) Ganz anders verhält es sich mit zusammengesetzten Vorstellungen; diese bestehen aus einfachen, und deshalb kann durch die Worte für diese auch bei Demjenigen die zusammengesetzte[27] Vorstellung erweckt werden, der sie noch nicht gehabt hat, und ihm damit deren Name verständlich gemacht werden. Bei solchen Verbindungen von Vorstellungen, die mit einem Namen bezeichnet sind, hat die Definition, wo durch andere Worte die Bedeutung des einen erläutert wird, ihre Stelle und kann selbst Worte von Dingen, verständlich machen, die vorher den Sinnen nicht vorgekommen sind. Es können dadurch die entsprechenden Vorstellungen zu diesen Namen in der Seele Anderer gebildet werden, sobald jedes Wort in der Definition, was eine einfache Vorstellung bezeichnet, Dem, welchem die Definition gegeben wird, schon bekannt ist. So kann das Wort Statue selbst einem Blinden durch andere Worte erklärt werden, obgleich bei einem Gemälde dies nicht möglich ist, da er durch seine Sinne wohl die Vorstellungen von Gestalten, aber nicht von Farben erlangt hat, deren Worte mithin ihm die Vorstellungen von Farben nicht erwecken können. Dadurch gewann der Maler den Preis gegen den Bildhauer; jeder rühmte seine Kunst, und der Bildhauer stellte seine voran, weil sie weiter reiche und selbst Blinde ihre Vortrefflichkeit erkennen könnten. Der Maler war bereit, sich dem Urtheil des Blinden zu unterwerfen, und dieser wurde dahin gebracht, wo eine von dem Andern gefertigte Statue und ein Gemälde des Malers sich befanden. Man führte ihn zuerst zur Statue, an der er mittelst seiner Hand alle Linien des Gesichts und des Körpers befühlte und voll Bewunderung die Geschicklichkeit des Künstlers rühmte. Als er dann zu dem Gemälde geführt wurde und er seine Hände darauf gelegt hatte, sagte man ihm, dass er jetzt den Kopf, nun die Stirn, die Augen, die Nase berühre, je nachdem seine Hände über diesen Theil des Gemäldes auf der Leinwand sich bewegten, ohne dass er sie unterscheiden konnte. O! rief er da aus, dies ist offenbar ein wunderbares und göttliches Meisterstück, da es Ihnen alle die Theile darstellt, von denen ich weder etwas fühlen, noch sonst wahrnehmen kann.

§ 13. Wenn man das Wort Regenbogen Jemand nennt, der dessen Farben alle kennt, aber niemals einen gesehen hat, so kann ihm durch Angabe der Gestalt, Breite, Stellung und Ordnung der Farnen das Wort so definirt werden, dass er es vollständig versteht. Trotz[28] der Vollkommenheit dieser Definition wird sie aber für einen Blinden unverständlich bleiben, weil dieser die meisten der einfachen Vorstellungen darin nie durch Erfahrung und Wahrnehmung kennen gelernt hat und deshalb blosse Worte sie in ihm nicht hervorbringen können.

§ 14. (Dasselbe gilt für zusammengesetzte Vorstellungen, wenn sie durch Worte verständlich gemacht werden können.) Die einfachen Vorstellungen können, wie ich gezeigt habe, nur durch Erfahrung von den Gegenständen gewonnen werden, die zur Hervorbringung dieser Vorstellung geeignet sind. Hat man so die Seele mit einem Vorrath davon versehen, und kennt man ihre Namen, so vermag man zu definiren und durch Definitionen die Worte für zusammengesetzte Vorstellungen zu verstehen. Bezeichnet aber ein Wort eine einfache Vorstellung, die der Hörer noch nicht in seiner Seele gehabt hat, so kann ihm deren Sinn durch kein Wort verständlich gemacht werden. Kennt der Hörer die Vorstellung, und nur das dafür gebrauchte Wort nicht, so kann ein anderes Wort dafür, was ihm bekannt ist, ihm den Sinn verständlich machen; aber niemals kann das Wort von einer einfachen Vorstellung definirt werden.

§ 15. (Die Worte für einfache Vorstellungen sind am wenigsten zweifelhaft.) Viertens: Wenn auch den Worten für einfache Vorstellungen die Hülfe der Definitionen zur Feststellung ihres Sinnes abgeht, so hindert dies doch nicht, dass sie in der Regel nicht so zweifelhaft und unsicher sind, als die Worte für gemischte Zustände und für Substanzen; denn jene bezeichnen nur eine einfache Vorstellung, und die Menschen stimmen deshalb leicht und vollkommen in deren Bedeutung überein; für Irrthum und Schwanken im Sinne des Wortes ist hier kein Platz. Wer einmal weiss, dass Weiss das Wort für die Farbe ist, die er am Schnee und an der Milch wahrgenommen hat, der wird dies Wort so lange nicht falsch gebrauchen, als er die Vorstellung behält, und selbst wenn er sie verloren hat, wird er den Sinn des Wortes nicht falsch auffassen, sondern nur bemerken, dass er es nicht versteht. Bei den einfachen Vorstellungen ist keine Menge von zu verbindenden einfachen Vorstellungen vorhanden, welche die Worte für gemischte Zustände zweifelhaft macht, auch nicht ein[29] angebliches, wenn auch unbekanntes wirkliches Wesen, von dem die Eigenschaften abhängen, deren Zahl ebenfalls unbekannt ist, Umstände, die bei den Worten für Substanzen die Schwierigkeiten herbeiführen; vielmehr ist bei den einfachen Vorstellungen die ganze Bedeutung des Wortes auf einmal erfasst, sie besteht nicht aus Theilen, wo die Vorstellung wechselt, je nachdem mehr oder weniger zusammengefasst werden und damit das Wort dunkel und unsicher wird.

§ 16. (Einfache Vorstellungen haben nur wenige Stufen auf der Bezeichnungs-Leiter.) Fünftens haben einfache Vorstellungen und ihre Worte nur wenige Stufen in der linea prädicamentali (wie man sich ausdrückt) von der niedrigsten Art bis zu der höchsten Gattung; denn die niedrigste Art ist eine einfache Vorstellung, bei der Nichts ausgelassen werden kann. Man kann deshalb hier keinen Art-Unterschied wegnehmen, damit sie dann mit einem andern Dinge in etwas, was beiden gemeinsam ist, übereinstimme und damit die Gattung von beiden sei. So kann z.B. aus der Vorstellung von Weiss und Roth nichts weggelassen werden, damit sie in einer gemeinsamen sinnlichen Bestimmung übereinstimmen und einen Namen haben, während man bei der zusammengesetzten Vorstellung von Mensch das Vernünftige weglassen und so sie in der Vorstellung und in dem Worte Thier mit unvernünftigen Geschöpfen übereinstimmend machen kann. Als man deshalb, um lästige Aufzählungen zu vermeiden, das Weiss und Roth und andere solche einfache Vorstellungen unter einem gemeinsamen Namen befassen wollte, konnte man es nur mittelst eines Wortes, was den Weg bezeichnete, wie man zu demselben gelangt. Wenn z.B. Weiss, Roth und Gelb unter der gemeinsamen Gattung der Farbe befasst werden, so bedeutet dies nur, dass diese Vorstellungen blos durch das Gesicht hervorgebracht werden und nur durch die Augen in die Seele gelangen. Und wenn man ein allgemeines Wort für Farben und Töne und ähnliche einfache Vorstellungen bilden will, so geschieht es nur durch ein Wort, was alle blos durch einen Sinn in die Seele eintretenden Vorstellungen befasst. So befasst der allgemeine Ausdruck Eigenschaft in seinem gewöhnlichen Sinne die Farben, die Töne, die[30] Geschmäcke, die Gerüche und das Fühlbare im Unterschied von der Ausdehnung, Zahl, Bewegung, Lust und des Schmerzes, welche durch mehr als einen Sinn die Seele erregen und ihre Vorstellungen einführen.

§ 17. (Die Worte für einfache Vorstellungen sind nicht ganz willkürlich.) Sechstens unterscheiden sich die Worte für einfache Vorstellungen, für gemischte Zustände und für Substanzen auch darin, dass die Worte für die Zustände ganz willkürliche Vorstellungen bezeichnen; die Worte für die Substanzen sind nicht ganz der Art, sondern beziehen sich auf ein Muster, was jedoch eine gewisse Breite hat, dagegen sind die Worte für einfache Vorstellungen vollständig den bestehenden Dingen entlehnt und durchaus nicht willkürlich. Das nächste Kapitel wird zeigen, welche Unterschiede dies in deren Namen herbeiführt. Die Worte für einfache Zustände sind von denen für einfache Vorstellungen wenig verschieden.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 22-31.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
Versuch über den menschlichen Verstand: Theil 1

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