3. Die Liebe zur Tatkraft

[54] König Süan von Tsi befragte den Mong Dsï und sprach: »Gibt's eine Norm für den Verkehr mit Nachbarstaaten?«

Mong Dsï erwiderte: »Gewiß! Entweder man muß gütig sein, damit man als Großer dem Kleinen dienen kann. Auf diese Weise hat Tang3 dem Go gedient und König Wen den Kun-Barbaren. Oder man muß weise sein, damit man als Kleiner dem Großen dienen kann. Auf diese Weise hat der Große König4 den Hunnen gedient und Gou Tsiän5 dem Staate Wu. Wer als Großer einem Kleinen dienen kann, ist fröhlich in Gott6; wer als Kleiner einem Großen dienen kann, der fürchtet Gott. Wer fröhlich ist in Gott, vermag die Welt zu schirmen; wer Gott fürchtet, vermag sein Reich zu schirmen. Im Buch der Lieder7 steht:


›Ich fürchte Gottes Majestät,

Um seine Gunst mir zu bewahren.‹«


Der König sprach: »Das ist fürwahr ein großes Wort. Aber ich habe einen Fehler: ich liebe die Tatkraft.«

Mong Dsï erwiderte: »Ich bitte Eure Hoheit, nicht kleinliche Tatkraft zu lieben. Ans Schwert zu schlagen und mit wilden Blicken zu sprechen: wie darf der Kerl es wagen, mir entgegenzutreten! Das ist die Tatkraft des kleinen Mannes, der sich mit einem einzelnen herumschlägt. Ich bitte Eure Hoheit, die Sache größer zu fassen. Im Buch der Lieder8 heißt es:
[54]

›Der König, zürnend aufgefahren,

In Ordnung stellt er seine Scharen,

Zu wehren eingedrung'nen Scharen,

Dschous Wohl zu sichern vor Gefahren

Und allem Reich entsprechend zu gebaren.‹


Das war die Tatkraft des Königs Wen. Der König Wen brauchte nur ein einziges Mal zu zürnen, um allem Volke auf Erden Frieden zu geben.

Das Urkundenbuch9 sagt:

›Als der Himmel die Menschen geschaffen, da machte er ihnen Herrscher, da machte er ihnen Lehrer. Seine Absicht war, daß sie Gehilfen Gottes seien, darum verlieh er ihnen die Länder der Welt. Schuld oder Unschuld ruht allein auf ihnen. Wer wagt auf Erden ihren Willen zu mißachten?‹

Daß ein Tyrann als einzelner der ganzen Welt sich entgegensetze, empfand König Wu10 als Schmach. Das war die Tatkraft des Königs Wu. Der König Wu brauchte nur ein einziges Mal zu zürnen, um allem Volk auf Erden Frieden zu geben. Wenn nun Eure Hoheit auch nur ein einziges Mal zu zürnen braucht, um allem Volk auf Erden Frieden zu geben, so wird das Volk nur darum besorgt sein, daß Eure Hoheit etwa die Tatkraft nicht lieben möchte.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 54-55.
Lizenz: