2. Männerstolz vor Fürstenthronen

[77] Als Mong Dsï eben im Begriffe war, zu Hofe2 zu gehen, um den König zu sehen, kam ein Bote vom König, durch den er sagen ließ: »Ich hatte im Sinne, Euch persönlich aufzusuchen, doch bin ich erkältet und darf mich nicht dem Wind aussetzen. Morgen früh sehe ich meinen Hofstaat bei mir, ich weiß nicht, ob ich Euch da auch sehen darf.«

Mong Dsï erwiderte: »Unglücklicherweise bin ich krank, so daß ich nicht zu Hofe kann.«

Am andern Tag ging er aus, um einen Beileidsbesuch in dem Hause Dung-Go zu machen.

Sein Jünger Gung-Sun Tschou sprach: »Gestern habt Ihr Krankheit halber dem König abgesagt. Heute macht Ihr Beileidsbesuche. Ob das nicht doch unangängig ist?«

Mong Dsï sprach: »Gestern war ich krank; heute geht es mir wieder gut. Was sollte mich da abhalten, Beileidsbesuche zu machen?«[77]

Der König sandte einen Boten, um nach dem Befinden des Mong Dsï zu fragen. Auch kam ein Arzt.

Da erwiderte Mong Dschung Dsï (ein Verwandter des Mong Dsï): »Als gestern der Befehl des Königs kam, war er etwas unpäßlich, so daß er nicht zu Hofe konnte. Heute geht es ihm wieder etwas besser, und er ist zu Hofe geeilt. Er muß wohl eben um diese Zeit dort ankommen.«

Dann sandte er einige Leute, die den Mong Dsï unterwegs überreden sollten, ehe er heimkomme, unter allen Umständen zu Hofe zu gehen.

Mong Dsï, dem nichts anderes übrig blieb, ging zu dem Minister Ging Tschou und blieb bei ihm über Nacht.

GingTschou sprach: »Im Hause Vater und Sohn, im Staate Fürst und Untertan: das sind die heiligsten Beziehungen der Menschen. Zwischen Vater und Sohn herrscht die Liebe, zwischen Fürst und Untertan herrscht die Achtung. Ich habe wohl die Achtung gesehen, mit der der König Euch behandelt, aber ich habe nichts bemerkt, wodurch Ihr dem König Achtung zeigtet.«

Mong Dsï sprach: »Ach, was sind das für Reden! Unter den Leuten von Tsi gibt es keinen, der mit dem König über Pflicht und Liebe redet. Halten sie etwa Pflicht und Liebe nicht für etwas Schönes? Jawohl, aber sie sprechen bei sich: Dieser Mann ist nicht der Mühe wert, daß man mit ihm über Pflicht und Liebe redet. Eine größere Mißachtung als dies gibt es überhaupt nicht. Ich dagegen wagte nicht, dem König etwas vorzuführen außer den Lehren eines Yau und Schun. So gibt es also in ganz Tsi niemand, der dem König solche Achtung erwiese wie ich.«

Ging Tschou sprach: »Nein, so war es nicht gemeint. Aber im Buch der Ordnungen heißt es: ›Wenn der Vater ruft, dann gilt kein zögerndes Ja. Wenn des Fürsten Befehl einen ruft, dann darf man nicht warten, bis erst der Wagen angespannt ist.‹ Ihr waret tatsächlich im Begriff, zu Hofe zu gehen; als Ihr aber hörtet, daß Ihr vom König befohlen seiet, da habt Ihr Eure Absicht nicht ausgeführt. Das muß doch so erscheinen, als sei es mit der Ordnung nicht im Einklang.«

Mong Dsï sprach: »Davon kann keine Rede sein. Meister Dsong hat einmal gesagt: ›Die Herren von Dsin und Tschu sind unermeßlich reich. Sie haben ihren Reichtum; ich habe meine Sittlichkeit; sie haben ihren Rang; ich habe meine Gerechtigkeit: Warum sollte ich unzufrieden sein?‹ Hat er damit nicht recht gehabt?[78]

Hier handelt es sich um denselben Grundsatz wie den, von dem Meister Dsong gesprochen. Drei Dinge sind es, denen auf Erden Ehrfurcht gezollt wird: der Rang ist das eine, das Alter ist das andere, der geistige Wert ist das dritte. Bei Hofe geht der Rang vor; im täglichen Leben geht das Alter vor; gilt es, der Welt zu helfen und dem Volke vorzustehen, so geht der geistige Wert vor. Wie sollte, wer eins von diesen besitzt, die beiden andern mißachten dürfen? Darum wird ein Fürst, dem Großes zu vollbringen bestimmt ist, sicher auch Diener haben, die er nicht zu Hofe befehlen kann, sondern die er selber aufsucht, wenn er mit ihnen zu beraten wünscht. Wer noch nicht so weit ist in der Ehrfurcht vor geistigem Wert und der Freude an der Wahrheit, der ist nicht imstande, Großes zu vollbringen. So betrug sich Tang gegen I-Yin: erst lernte er von ihm, dann machte er ihn zu seinem Beamten, darum ward er ohne Mühe König der Welt. Herzog Huan machte es Guan Dschung gegenüber ebenso: erst lernte er von ihm, dann machte er ihn zu seinem Beamten, darum erlangte er ohne Mühe die Vorherrschaft unter den Fürsten. Heute sind auf der Welt die Länder gleich groß, und die Fürsten sind ihrem geistigen Wert nach auf derselben Stufe.

Daß keiner es weiter bringt als die andern, hat keinen anderen Grund, als daß sie alle gerne Leute zu Beamten machen, die ihnen folgen, und nicht gerne Leute zu Beamten, denen sie zu folgen haben. Tang stand zu I-Yin, und Herzog Huan stand zu Guan Dschung so, daß sie nicht wagten, sie zu Hofe zu befehlen. Selbst ein Guan Dschung ließ sich nicht zu Hof befehlen; wie sollte das erst einer tun, der Höheres erstrebt als Guan Dschung?«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 77-79.
Lizenz: