14. Warum Mong in Tsi kein Gehalt nahm

[86] Als Mong Dsï den Staat Tsi verließ, machte er Rast in Hiu.

Gung-Sun Tschou befragte ihn und sprach: »Im Amt zu sein, ohne Gehalt anzunehmen: ist das der Weg der Alten?«

Mong Dsï sprach: »Nein. Aber als ich in Tschung den König zu sehen bekam, da hatte ich gleich, als ich von ihm herauskam, die Absicht, wieder wegzugehen. Ich wollte nicht zweideutig18 erscheinen. So nahm ich kein Gehalt an. Nachher ergab es sich, daß ich zum Ratgeber ernannt wurde; dieser Pflicht konnte ich mich nicht entziehen. Daß ich aber so lange in Tsi geblieben bin, war nicht meine Absicht.«

Fußnoten

1 Wörtlich: »Die Zeit des Himmels kommt dem Vorteil der Erde nicht gleich. Der Vorteil der Erde kommt der Einigkeit der Menschen nicht gleich.« Es handelt sich wohl um ein altes Sprichwort, das auch von We Liau und Sun Dsï zitiert wird. Mong Dsï macht die Anwendung auf die Bedingungen, die wichtig sind zur Erlangung der Weltherrschaft.


2 Die Geschichte spielt während des Aufenthaltes Mongs in Tsi. Er hatte keine Anstellung. Daher konnte er der Sitte nach von sich aus den König besuchen; doch hatte der König nicht das Recht, ihn, der als Gast im Lande weilte, zu Hof zu befehlen. Obwohl Mong eben von sich aus zu Hofe wollte, und andererseits die Art, wie der König ihn rufen läßt, sehr höflich ist, hält er es dennoch mit seiner Würde als Weiser und Reformator nicht vereinbar, dem Ruf des Königs Folge zu leisten. Daher schützt er Krankheit vor. Um den König nicht in Zweifel zu lassen, daß es nur eine vorgeschützte Krankheit war, geht er an dem Tage, an dem er zu Hof geladen war, aus, um in der Familie Dung-Go (»Ostheim«, einem entfernten Zweig des fürstlichen Hauses) einen Besuch zu machen. Sein Sohn (oder Neffe?) Mong Dschung Dsï ist zu Hause, und als er die Boten des Königs empfängt, sucht er seinen Vater durch eine Ausrede zu entschuldigen und ihn hinterher durch Boten überreden zu lassen, die Sache durch Erscheinen bei Hof wieder gut zu machen. Mong Dsï geht nun natürlich erst recht nicht. Um dem König beizubringen, worum es sich handelt, geht er zu dem Minister Ging Tschou, von dem er sicher war, daß er seine Worte dem König hinterbringen werde. Die ganze Geschichte gibt einen guten Einblick in die chinesische Handlungsweise in solchen Fällen, die von der europäischen sehr stark abweicht. Man vergleiche hierzu das analoge Verhalten Kungs, Lun Yü XVII, 20.


3 Tschen Dschen ist ein Schüler des Mong. Die Geschichte ist in das Jahr 312 zu verlegen. Die Wanderlehrer pflegten von den Fürsten, durch deren Länder sie kamen, freiwillige Gaben zu bekommen, von denen sie sich nährten. Der Abschnitt zeigt, welchen Wert Mong darauf legte, daß bei solchen Geschenken das Dekorum gewahrt wurde.


4 Das Erlebnis fällt vermutlich in die Zeit der Reise von Liang nach Tsi (319). Ping Lu war eine Exklave von Tsi.


5 Tschï Wa war ein hoher Beamter in Tsi. Er hatte zunächst die Grenzstadt Ling Kiu inne, bewarb sich dann um das Amt eines Strafrichters bzw. obersten Aufsehers des Gefängniswesens. Als solcher hatte er Gelegenheit, dem Fürsten Vorstellungen zu machen, wenn die Verhältnisse im Volke zu viele Strafen nötig machten.


6 Gung-Du ist der Name eines Schülers von Mong, der ihm die Spottreden der Leute von Tsi hinterbringt.


7 Der Abschnitt fällt in das Jahr 313. Damals hatte Mong ein Ehrenamt (King = Minister) in Tsi. Der Auftrag, im Namen des Königs in Tong das Beileid anläßlich des Todes des dortigen Fürsten auszudrücken, scheint ebenfalls mehr ein Ehrenamt für Mong gewesen zu sein.


8 Schen Tung war ein hoher Beamter aus der Umgebung des Königs Süan von Tsi. Mong war damals als Ehrengast in Tsi.


9 Der König schämte sich, weil er den Rat, den Mong Dsï ihm gegeben hatte (vgl. I, B, 10 u. 11), nicht befolgt hatte und die üblen Folgen nun ans Licht kamen. Der Höfling Tschen Gia weiß aber eine Ausrede. Selbst der Heilige Fürst von Dschou, der Bruder des Königs Wu, das Idealbild eines Herrschers nach Mong Dsï, hat auch mit Aufständen zu kämpfen gehabt. Wie kann man da einem gewöhnlichen Sterblichen einen Vorwurf machen, wenn ihm so etwas vorkommt?


10 Güte (Jen, Sittlichkeit) und Weisheit (Dschï) sind die beiden Eigenschaften, die vereint die Heiligkeit ausmachen.


11 Dem älteren Bruder mußte Fürst Dschou schon aus Pietät alles Gute zutrauen.


12 Mong hatte die Ehrenstellung eines »King« (Minister), die er ohne Gehalt bekleidet hatte, aufgegeben und sich zunächst ins Privatleben zurückgezogen. Doch zögerte er offenbar, Tsi zu verlassen, in der Hoffnung, der König könne vielleicht doch noch für seine Lehren gewonnen werden. In dieser Hoffnung sah er sich enttäuscht. Der König suchte ihn zwar zu halten, aber nicht, indem er ihm zu folgen versprach, sondern indem er ihm materielle Verbesserungen seiner Lage in Aussicht stellte.


13 Schï Dsï ist ein Mann aus der Umgebung des Königs. Das Angebot des Königs, das Schï Dsï überbringen sollte, war freigebig. Die Fürsten des damaligen China liebten es, Gelehrte an ihren Hof zu ziehen. Sï-Ma Tsiän erwähnt, daß am »Korntor« (Dsi men), der Hauptstadt von Tsi, an die Tausend solcher Wandersophisten beherbergt wurden; Mong sollte offenbar etwas besser gestellt werden als diese Scharen.


14 Tschen Dsï ist Mongs Jünger, Tschen Dschen, der in II, B, 3 erwähnt ist.


15 100000 Maß war das Gehalt eines Ministers, auf das Mong Dsï offenbar seinerzeit verzichtet hatte, sich mit einem Ehrenamt begnügend.


16 Diese Haltung des Mong war absichtlich, um den Beamten zum Fragen zu veranlassen. Herzog Mu von Lu regierte von 409-377 v. Chr. Der Enkel des Kung Dsï, Dsï Sï, weilte als hochgeehrter Lehrer in Lu. Der Fürst hatte immer einen Vertreter in seiner Nähe, um seine Lehren in Empfang zu nehmen. Siä Liu war ein Weiser aus Tsi, Schen Siang war der Sohn des Konfuziusjüngers Dsï Dschang. Beide waren ebenfalls zu jener Zeit in Lu und hatten wenigstens ihrerseits einen Vertreter beim Fürsten, der für Durchführung ihrer Ratschläge sorgte.


17 Mong macht hier den Unterschied zwischen berufenen Heiligen auf dem Thron, die für Jahrhunderte hinaus die Weltordnung festlegen, wie Yau, Tang, Wen usw. (Schong Jen) und den Würdigen (Hiän Jen), die wenigstens in ihrem Geschlecht die »Namen in Ordnung bringen«. (Über das in Ordnung bringen der Namen vgl. Lun Yü XIII, 3). Zu den letzteren rechnet sich Mong offenbar selbst. Und zwar weiß er sich als den einzigen in seinem Geschlecht, darum die Verzweiflung, als er keinen Fürsten findet, der auf seine Lehren hört.


18 Nach Dschau wäre zu erklären: »Ich hatte zwar die Absicht, wieder zu gehen, doch wollte ich nicht so abrupt abreisen, um nicht den Anschein einer scharfen Verurteilung des Königs zu geben. Darum blieb ich zwar zunächst, aber ohne Gehalt, um mir den Rücktritt jederzeit zu ermöglichen.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 86-87.
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