Siebentes Capitel.

Von der Natur der Classification und den fünf Prädicabilien.

[140] §. 1. Bei der Prüfung der Natur allgemeiner Urtheile haben wir weniger, als es bei den Logikern der Gebrauch ist, die Ideen von einer Classe und der Classification beachtet, Ideen, die, seitdem die realistische Lehre von allgemeinen Substanzen aus dem Schwang kam, die Grundlage fast eines jeden Versuchs einer philosophischen Theorie der allgemeinen Namen und Urtheile bildeten. Wir betrachteten die Bedeutung der Gemeinnamen als ganz unabhängig davon, dass sie Namen von Classen sind. Es ist dies in Wahrheit ein zufälliger Umstand, da es für die Bedeutung des Namens ganz ohne Belang ist, ob viele Gegenstände oder nur ein einziger, oder auch gar keiner vorhanden, auf die er anzuwenden ist. Gott ist sowohl für den Christen, als auch für den Juden oder den Polytheisten ein Gemeinname; und Drache, Hippogryph, Chimäre, Meerweibchen, Gespenst sind sogut Gemeinnamen, als wenn es wirkliche, diesen Namen entsprechende Gegenstände gäbe. Jeder Name, dessen Bedeutung durch Attribute constituirt wird, ist potentiell ein Name einer unbestimmten Anzahl von Gegenständen, aber er braucht actuell nicht der Name von irgend einem, oder er braucht es nur von einem einzigen zu sein. Sobald wir einen Namen gebrauchen, um Attribute mitzubezeichnen, so constituiren die Dinge, seien es mehr oder weniger, welche diese Attribute besitzen, ipso facto eine Classe. Aber wenn wir den Namen aussagen, so prädiciren wir nur die Attribute, und die Thatsache, einer Classe anzugehören, kommt in gewöhnlichen Fällen gar nicht in Betracht.

Wenn die Prädication nun aber auch nicht Classification voraussetzt,[140] und wenngleich die Theorie der Namen und der Urtheile durch das Eindrängen der Idee von der Classification eher verwirrt als aufgeklärt wird, so besteht nichtsdestoweniger zwischen der Classification und dem Gebrauch von Gemeinnamen ein enger Zusammenhang. Bei der Einführung eines Gemeinnamens schaffen wir jedesmal eine Classe, wenn es reelle oder imaginäre Dinge giebt, aus denen sie bestehen kann, d.h. Dinge, welche der Bedeutung des Namens entsprechen. Die Classen verdanken daher ihre Existenz meistens der gewöhnlichen Sprache. Umgekehrt verdankt die gewöhnliche Sprache ihre Existenz zuweilen den Gemeinnamen, wenn dies auch nicht der gewöhnlichste Fall ist. Ein allgemeiner, was so viel heisst als, ein bedeutsamer Name, wird in der That meistens eingeführt, weil wir eine Bedeutung damit auszudrücken haben; weil wir eines Wortes bedürfen, um die Attribute zu prädiciren, welche er mitbezeichnet. Es ist aber auch wahr, dass ein Name zuweilen eingeführt wird, weil wir es bequem fanden, eine Classe zu schaffen; weil wir es zur Regelung unserer Geistesoperationen für nützlich hielten, von einer gewissen Gruppe von Gegenständen als von einem Ganzen zu denken. Ein Naturforscher findet in den besonderen Zwecken seiner Wissenschaft Gründe, die Thier oder Pflanzenwelt in gewisse Gruppen eher als in andere einzutheilen, und er bedarf eines Namens, um eine jede dieser Gruppen gleichsam zusammenzubinden. Man darf indessen nicht glauben, dass sich solche Namen bezüglich ihrer Bedeutung in irgend einer Weise von anderen mitbezeichnenden Namen unterschieden. Die von ihnen bezeichneten Classen werden sogut wie andere Classen durch gewisse gemeinsame Attribute constituirt, und ihre Namen bezeichnen diese Attribute und nichts anderes. Die Namen von Cuvier's Classen und Ordnungen, Plantigrada, Digitigrada etc., sind so gut der Ausdruck von Attributen, als wenn diese Namen seiner Classification der Thiere vorausgegangen wären, anstatt aus ihr zu entstehen. Die einzige Eigenthümlichkeit des Falles besteht darin, dass die Bequemlichkeit der Classification das ursprüngliche Motiv für die Einführung der Namen war, während in anderen Fällen der Name als ein Mittel für die Prädication eingeführt wird, und die Bildung einer damit bezeichneten Classe nur eine indirecte Folge ist.

Die Principien, welche die Classification als einen der Erforschung[141] der Wahrheit dienenden logischen Process beherrschen müssen, können erst in einem spätern Theil unserer Untersuchung erörtert werden. Aber die aus dem Gebrauch der gewöhnlichen Sprache hervorgehende und in demselben eingeschlossene Classification müssen wir hier abhandeln, wenn wir die Theorie der Gemeinnamen und ihres Gebrauchs bei der Prädication nicht verstümmelt und formlos lassen wollen.

§. 2. Der jetzt folgende Theil der Theorie der allgemeinen Sprache ist der Gegenstand der sogenannten Lehre von den Prädicabilien oder allgemeinen Begriffen, eine Reihe von Unterscheidungen, die uns von Aristoteles und seinem Nachfolger Porphyrius überliefert wurden, und von welchen viele in der wissenschaftlichen, und manche in der populären Sprache feste Wurzel gefasst haben. Die Prädicabilien sind eine fünffache Eintheilung der Gemeinnamen, welche sich nicht wie gewöhnlich auf einen Unterschied in ihrer Bedeutung, d.h. in den von ihnen mitbezeichneten Attributen, sondern auf einen Unterschied in der Art der Classen gründet, die sie bezeichnen. Wir können von einem Dinge fünf verschiedene Classenna men prädiciren:

Ein Genus des Dinges (genos),

Eine Species (eidos),

Eine Differentia (diaphora),

Ein Proprium (idion),

Ein Accidens (symbebêkos).

Von diesen Unterscheidungen ist zu bemerken, dass sie ausdrücken, nicht was das Prädicat an und für sich bedeutet, sondern in welcher Beziehung es zum Subject steht, von dem es ausgesagt wird. Es giebt nicht irgend Namen, welche ausschliesslich Genera, oder welche ausschliesslich Species oder Differentiae wären, sondern derselbe Name wird je nach dem Subject, von welchem er bei einer besondern Gelegenheit prädicirt wird, auf das eine oder das andere Prädicabile bezogen. Thier ist z.B. ein Genus in Beziehung auf Mensch oder Johann, eine Species in Beziehung auf Substanz oder Wesen. Rechtwinklig ist eine der Differentiae eines geometrischen Vierecks; es ist bloss eines der Accidentia von dem Tische, an welchem ich schreibe. Die Wörter Genas, Species etc. sind daher relative Ausdrücke; es sind Namen,[142] die auf gewisse Prädicate angewendet werden, um die Beziehung zwischen diesen und einem gegebenen Subject auszudrücken, eine Beziehung, die, wie wir sehen werden, nicht auf das gegründet ist, was das Prädicat mitbezeichnet, sondern auf die Classe, welche es bezeichnet, und auf die Stelle, welche diese Classe in einer gegebenen Classification bezüglich des besondern Subjectes einnimmt.


§. 3. Von diesen fünf Namen werden zwei, Genus und Species, nicht nur von den Naturforschern in einer technischen Bedeutung gebraucht, die mit der philosophischen Bedeutung nicht gerade übereinstimmt, sondern sie haben auch eine populäre Bedeutung erlangt, die viel allgemeiner ist, als die beiden ersteren. In diesem populären Sinne können irgend zwei Classen, wovon die eine das Ganze der andern und noch mehr einschliesst, ein Genus und eine Species genannt werden. Solcher Art sind z.B. Thier und Mensch; Mensch und Mathematiker. Thier ist das Genus, Mensch und Brutus sind dessen zwei Species; man kann es auch in eine grössere Anzahl von Species eintheilen, wie Mensch, Pferd, Hund etc. Biped oder zweifüssiges Thier kann ebenfalls als ein Genua betrachtet werden, von dem Mensch und Vogel zwei Species sind. Geschmack ist ein Genus, von welchem süsser Geschmack, saurer Geschmack, salziger Geschmack etc. Species sind. Tugend ist ein Genus; Gerechtigkeit, Klugheit, Muth, Gemüthsstärke, Grossmuth etc. sind seine Species.

Dieselbe Classe, welche in Beziehung auf eine in ihr eingeschlossene Sub-Classe oder Species ein Genus ist, kann in Beziehung auf ein umfassenderes, oder wie es oft genannt wird, ein höheres Genus, eine Species sein. Mensch ist eine Species in Beziehung auf Thier, aber ein Genus in Beziehung auf die Species Mathematiker. Thier ist ein Genus, das in zwei Species Mensch und vernunftloses Thier zerfällt; aber Thier ist auch selbst eine Species, die mit einer andern Species, Pflanze das Genus organisirtes Wesen, bildet. Biped ist ein Genus in Beziehung auf Mensch und Vogel, aber eine Species in Beziehung auf das höhere Genus Thier. Geschmack ist ein in Species eingetheiltes Genus, es ißt aber auch eine Species des Genus Empfindung. Tugend ist ein Genus in Beziehung auf Gerechtigkeit, Mässigkeit etc., es ist aber eine Species von dem Genua geistige Eigenschaft.[143]

In diesem populären Sinne sind die Wörter Genus und Species in den gewöhnlichen Sprachgebrauch übergegangen, und es ist zu bemerken, dass in gewöhnlicher Rede nicht der Name der Classe, sondern die Classe selbst das Genus oder die Species heisst; natürlich nicht die Classe im Sinne eines jeden Individuums dieser Classe, sondern der Individuen zusammengenommen und als ein ganzes Aggregat betrachtet; der Name, welcher die Classe bezeichnet, wird dann nicht das Genus oder die Species, sondern der generische oder specifische Name genannt. Dies ist eine zulässige Ausdrucksweise, und es ist gleichgültig, welche von den zwei Sprechweisen wir wählen, wenn nur unsere übrige Sprache damit im Einklang steht; wenn wir aber die Classe selbst das Genus nennen, so dürfen wir nicht sagen, dass wir das Genua prädiciren. Wir sagen von Mensch den Namen sterblich aus, und indem wir den Namen aussagen, prädiciren wir, was der Name ausdrückt, das Attribut Sterblichkeit; aber in keinem zulässigen Sinne des Worts Prädication prädiciren wir von Mensch die Classe sterblich. Wir prädiciren von ihm die Thatsache, dass er zu der Classe gehört.

Von den Aristotelischen Logikern wurden die Ausdrücke Genus und Species in einem beschränkterern Sinne gebraucht. Nicht eine jede Classe, welche in andere Classen eingetheilt werden konnte, liessen sie als ein Genus, nicht jede Classe, welche in eine weitere Classe eingeschlossen werden konnte, liessen sie als eine Species gelten. Thier betrachteten sie als ein Genus, Mensch und vernunftloses Thier als coordinirte Species unter diesem Genus; Biped hätte man nicht als ein Genus in Beziehung auf Mensch, sondern nur als ein Proprium oder ein Accidens zugelassen. Nach ihrer Theorie war es erforderlich, dass Genus und Species zu dem Wesen des Subjects gehören. Thier gehörte zum Wesen des Menschen, nicht aber zweifüssiges Thier. In einer jeden Classification betrachteten sie irgend eine Classe als die unterste oder infima Species. Mensch z.B. war die unterste Species, und irgend weitere Eintheilungen, deren die Classe fähig war, wie weisser, schwarzer und rother Mensch, oder Priester und Laie, liessen sie nicht als Species gelten.

Wir haben aber im vorhergehenden Capitel gesehen, dass die Unterscheidung zwischen dem Wesen einer Classe und den Attributen[144] oder Eigenschaften, welche nicht zu ihrem Wesen gehören – eine Unterscheidung, welche viel abstruse Speculationen veranlasste, und welcher früher ein so geheimnissvoller Charakter verliehen wurde und von manchen Schriftstellern jetzt noch verliehen wird – auf nichts anders hinausläuft, als auf den Unterschied zwischen denjenigen Attributen der Classe, welche in der Bedeutung des Classen – Namens eingeschlossen, und solchen, die nicht darin eingeschlossen liegen. Wir fanden, dass auf Individuen angewendet das Wort Wesen nur in Verbindung mit den aufgegebenen Sätzen der Realisten eine Bedeutung hat, und dass das, was die Scholastiker das Wesen eines Individuums zu nennen beliebten, einfach das Wesen der Classe war, zu welcher dieses Individum am gewöhnlichsten gezählt wurde.

Giebt es denn aber, ausser diesem bloss wörtlichen, keinen Unterschied zwischen den Classen, welche die Scholastiker als Genera oder Species gelten liessen, und denen, welche sie diesen Titel versagten? Ist es ein Irrthum, einige von den zwischen den Gegenständen bestehenden Unterschieden als Unterschiede in der Art (genere oder specie), und andere nur als Unterschiede in dem Accidens zu betrachten? Hatten die Scholastiker Recht oder Unrecht, als sie einigen von den Classen, in welche die Dinge eingetheilt werden können, den Namen Arten gaben und andere als secundäre, auf Unterschiede von verhältnissmässig oberflächlicher Natur gegründete Eintheilungen betrachteten? Eine hierauf eingehende Prüfung wird zeigen, dass die Aristotelianer mit dieser Unterscheidung etwas sehr Wichtiges bezweckten; da sie aber in Betreff desselben nur unklare Begriffe hatten, so drückten sie es durch die Phraseologie von Essentiae und durch die verschiedenen anderen Sprechweisen, zu denen sie ihre Zuflucht nahmen, ganz mangelhaft aus.


§. 4. Es ist ein fundamentaler Grundsatz in der Logik, dass so lange die geringste Verschiedenheit wahrzunehmen ist, auf welche sich eine Unterscheidung gründen lässt, die Classenbildung unbegrenzt ist. Man nehme irgend ein Attribut, so können wir, wenn einige Dinge dasselbe besitzen und andere nicht, eine Eintheilung aller Dinge in zwei Classen darauf gründen; wir thun dies thatsächlich in dem Augenblick, wo wir einen Namen schaffen, der das[145] Attribut mitbezeichnet. Die Zahl der möglichen Classen ist daher endlos, und es giebt soviele wirkliche Classen (entweder von reellen oder imaginären Dingen), als es positive und negative Gemeinnamen zusammengenommen giebt.

Betrachten wir einige von den so gebildeten Classen, wie die Classe Thier oder Pflanze, oder die Classe Schwefel oder Phosphor, oder die Classe Weiss oder Roth, und sehen wir zu, in welchen Einzelheiten sich die in der Classe eingeschlossenen Individuen von den nicht darin enthaltenen unterscheiden, so finden wir in dieser Beziehung eine sehr bemerkenswerthe Verschiedenheit zwischen Classen und Classen. Die in manchen Classen eingeschlossenen Dinge unterscheiden sich von anderen Dingen nur in gewissen Einzelheiten, die man aufzählen kann, während sich andere in mehr Einzelheiten unterscheiden, als wir aufzählen können, oder sogar in mehr als wir jemals zu wissen erwarten dürfen. Manche Classen haben wenig oder nichts gemein, wodurch sie charakterisirt werden, mit Ausnahme gerade von dem, was der Name mitbezeichnet. Weisse Dinge z.B. sind mit Ausnahme von Weisse durch keine gemeinsamen Eigenschaften unterschieden, oder wenn sie es sind, so ist es nur durch solche, die in irgend einer Art mit Weisse im Zusammenhang stehen. Aber Hunderte von Generationen haben die gemeinsamen Eigenschaften von Thieren oder Pflanzen, von Schwefel oder Phosphor nicht erschöpft, auch setzen wir gar nicht voraus, dass sie zu erschöpfen seien, sondern wir machen immer neue Beobachtungen und neue Experimente in der vollen Zuversicht, neue Eigenschaften zu entdecken, welche in vorher gekannten keineswegs eingeschlossen liegen. Wenn sich aber Jemand vornehmen wollte, die gemeinsamen Eigenschaften aller Dinge zu untersuchen, welche dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe oder dasselbe specifische Gewicht besitzen, so wäre dies eine handgreifliche Absurdität Wir haben keinen Grund zu glauben, dass irgend andere gemeinsame Eigenschaften zwischen ihnen existiren, als in der Voraussetzung selbst liegen oder durch ein Causalgesetz davon ableitbar sind. Es scheint daher, dass die Eigenschaften, auf welche wir unsere Classen gründen, manchmal alles erschöpfen, was der Classe gemeinsam ist, oder dass sie es durch irgend einen Implicationsmodus enthalten; dass wir aber in anderen Fällen einige wenige Eigenschaften aus einer nicht bloss grösseren, sondern aus einer für uns unerschöpflichen und[146] soweit wir selbst dabei in Betracht kommen, als endlos zu betrachtenden Anzahl von Eigenschaften auswählen.

Es ist nicht anpassend, zu sagen, dass von diesen zwei Classificationen die eine einer viel radicaleren Unterscheidung in den Dingen selbst entspricht, als die andere; und wenn man sagen würde, dass die eine Classification von der Natur, die andere von uns zu unserer Bequemlichkeit gemacht wird, so würde man nicht Unrecht hoben, vorausgesetzt, dass damit nicht mehr gemeint sei, als folgendes: Wo ein gewisser sichtlicher unterschied zwischen Dingen (obgleich vielleicht an sich von geringer Bedeutung) einer uns unbekannten Anzahl von anderen Unterschieden entspricht, und nicht allein ihre bekannten, sondern auch noch unentdeckten Eigenschaften durchdringt, da bleibt uns keine andere Wahl, als diesen Unterschied als die Grundlage einer specifischen Unterscheidung anzuerkennen; während im Gegentheil bloss begrenzte und bestimmte Unterschiede, wie die durch die Worte weiss, roth, schwarz bezeichneten, ausser Acht gelassen werden können, wenn die Zwecke, für welche die Classification gemacht wurde, die Beachtung dieser besondern Eigenschaften nicht besonders verlangt. Von der Natur werden indessen in beiden Fällen diese Unterschiede gemacht, während die Anerkennung dieser Unterschiede als Grund der Classification und Benennung ebenfalls in beiden Fällen die Handlung des Menschen ist; nur würden in dem einen Fall die Zwecke der Sprache und der Classification vernichtet werden, wenn von dem Unterschied keine Notiz genommen würde, während in dem andern Fall die Nothwendigkeit, von ihm Notiz zunehmen, von der Wichtigkeit oder Unwichtigkeit der besonderen Eigenschaften, aus welchen der Unterschied gerade besteht, abhängig ist.

Diejenigen Classen, welche sich nicht bloss durch einige bestimmten Eigenschaften, sondern durch eine unbekannte Menge von Eigenschaften unterscheiden, sind nun aber die einzigen Classen, welche die Aristotelischen Logiker als Genera oder Species betrachten. Unterschiede, welche sich nur auf eine gewisse Eigenschaft oder Eigenschaften erstreckten und dabei stehen blieben, sahen sie nur als Unterschiede in den Accidenzien der Dinge an; wo sich aber eine Classe durch eine endlose Reihe von bekannten oder unbekannten Unterschieden von anderen Dingen unterschied, da betrachteten[147] sie die Distinction als eine der Art nach, und sprachen von ihr als von einem wesentlichen Unterschied, was auch heute noch eine der gewöhnlichen Bedeutungen dieses vagen Ausdrucks ist.

Indem ich mir vorstelle, dass die Scholastiker wohl daran thaten, zwischen diesen zwei Arten von Classen und Classenunterscheidungen eine starke Linie zu ziehen, werde ich nicht allein die Eintheilung seihst, sondern auch die Art, sie in ihrer Sprache auszudrücken, beibehalten. In dieser Sprache wird die nächste (oder unterste) Art, auf welche ein Individuum bezogen werden kann, seine Species genannt; hiernach würde Sir Isaac Newton als zur Species Mensch gehörig bezeichnet werden. In der Classe Mensch sind in der That viele Unterclassen, zu denen auch Newton gehört, eingeschlossen, wie z.B. Christen, Engländer und Mathematiker. Aber obgleich verschiedene Classen, so sind dieselben doch nicht in unserm Sinne des Worts verschiedene Arten von Menschen. Ein Christ z.B. unterscheidet sich von anderen menschlichen Wesen, aber er unterscheidet sich von ihnen nur in den Attributen, welche das Wort ausdrückt, nämlich im christlichen Glauben und was darin sonst noch, entweder als in der Thatsache selbst enthalten oder durch irgend ein Causalgesetz mit ihr verbunden, eingeschlossen liegt. Wir würden uns niemals einfallen lassen, zu untersuchen, welche, mit dem christlichen Glauben als Ursache oder Wirkung nicht im Zusammenhang stehenden, eigenthümlichen Eigenschaften alle Christen gemein haben, während die Physiologen in Beziehung auf den Mensch derartige Untersuchungen fortwährend ausführen, und es nicht wahrscheinlich ist, dass sie jemals damit zu Ende kommen werden. Den Mensch können wir daher eine Species nennen, nicht aber den Christen und Mathematiker.

Es ist hier wohl zu bemerken, dass keineswegs gemeint ist, es könne nicht zwei verschiedene Arten oder logische Species von Menschen geben. Die verschiedenen Racen und Temperamente, die zwei Geschlechter, und sogar die verschiedenen Alter können innerhalb unserer Bedeutung des Wortes Unterschiede der Art sein. Ich sage nicht, dass sie es sind; denn beim Fortschritt der Physiologie kann es fast als ausgemacht betrachtet werden, dass sich die unterschiede, welche zwischen verschiedenen Racen, Geschlechtern etc. wirklich existiren, naturgesetzlich als Folgen einer kleinen Anzahl[148] von ursprünglichen Unterschieden herausstellen, die genau bestimmt werden können und welche, wie man sagt, alle übrigen erklären. Wenn dem so ist, so sind dieselben ebensowenig Unterscheidungen der Art nach, als Christ, Jude, Muselmann oder Heide, eine Unterscheidung, die ebenfalls viele Folgen nach sich zieht. Auf diese Weise werden Classen oft fälschlich für wirkliche Arten genommen, und es wird dann erst später bewiesen, dass sie es nicht sind. Wenn es sich aber zeigen würde, dass die Verschiedenheiten nicht so erklärt werden können, so würden Kaukasier, Mongolen, Neger etc. wirklich verschiedene Arten von menschlichen Wesen und berechtigt sein, von dem Logiker, wenn auch nicht von dem Naturforscher, als Species aufgeführt zu werden, denn (wie bereits bemerkt) das Wort Species wird in der Logik in einem andern Sinne gebraucht als in der Naturgeschichte. Der Naturforscher hält organisirte Wesen niemals für verschiedene Species, wenn von ihnen angenommen werden kann, dass sie möglicherweise von demselben Stock abstammen. Dies ist indessen ein dem Wort künstlich beigelegter, den technischen Zwecken einer besondern Wissenschaft dienender Sinn. Wenn ein Neger und ein weisser Mann sich in derselben Weise (wenn auch dem Grad nach weniger) unterscheiden wie ein Pferd und ein Kameel, d.h. wenn ihre Verschiedenheiten unerschöpflich und nicht auf eine gemeinsame Ursache zurückführbar sind, so sind sie für den Logiker verschiedene Species, ob sie von denselben Eltern abstammen oder nicht. Wenn aber ihre Verschiedenheiten auf Klima und Gewohnheiten oder auf irgend einen speciellen Unterschied im Bau zurückgeführt werden können, so sind sie der Auffassung des Logikers nach nicht specifisch verschieden.

Wenn die infima species oder nähere Art, zu welcher ein Individuum gehört, bestimmt worden ist, so schliessen die dieser Art gemeinsamen Eigenschaften nothwendig das Ganze der gemeinsamen Eigenschaften einer jeden andern wirklichen Art ein, auf welche das Individuum bezogen werden kann. Es sei z.B. Sokrates das Individuum, und die infima species Mensch. Thier oder lebendes Geschöpf ist ebenfalls eine wirkliche Art und schliesst Sokrates ein; da es aber auch Mensch einschliesst, oder mit anderen Worten, da alle Menschen Thiere sind, so bilden die den Thieren gemeinsamen Eigenschaften einen Theil der gemeinsamen Eigenschaften der Unterclasse Mensch, und wenn es irgend eine Classe[149] giebt, welche Sokrates einschliesst ohne den Menschen einzuschliessen, so ist diese Classe keine wirkliche Art. Es sei z.B. die Classe plattnasig, was eine Classe ist, die Sokrates einschliesst, ohne alle Menschen einzuschliessen. Um zu entscheiden, ob es eine wirkliche Classe sei, müssen wir uns fragen: Haben alle plattnasigen Thiere, ausser dem, was ihre Plattnasigkeit einschliesst, noch irgend andere gemeinsamen Eigenschaften, die nicht allen Thieren gemein wären? Wenn dies so wäre, wenn eine platte Nase ein Merkmal oder ein Anzeichen einer unbestimmten Anzahl anderer, von den ersteren durch ein nachweisbares Gesetz nicht abzuleitenden Eigenschaften wäre: so könnten wir aus der Classe Mensch eine andere Classe, plattnasiger Mensch, herausnehmen, und nach unserer Definition würde sie eine wirkliche Art sein. Aber wenn wir dieses könnten, so würde der Mensch nicht, wie vorausgesetzt, eine infima species oder nähere Art sein. Die Eigenschaften der näheren Art umfassen daher diejenigen (bekannten oder unbekannten) aller anderer Arten, zu denen das Individuum gehört, was zu beweisen war. Es wird daher eine jede andere, einem Individuum beilegbare Art zu der infima species oder näheren Art in dem Verhältniss eines Genus stehen, und dies sogar nach der populären Bedeutung der Ausdrücke Genus und Species, d. i. es wird eine, das Individuum und mehr einschliessende grössere Classe sein.

Wir sind nun im Stande, die logische Bedeutung dieser Ausdrücke festzustellen. Eine jede Classe, die eine wirkliche Art ist, d.h. welche sich von allen anderen Classen durch eine unbestimmte Menge von, aus irgend einer andern Eigenschaft nicht ableitbaren, Eigenschaften unterscheidet, ist entweder ein Genus oder eine Species. Eine Art, die nicht in andere Arten eingetheilt werden kann, kann kein Genus sein, da keine Species unter ihr stehen; aber sie ist selbst eine Species, sowohl in Beziehung auf die Individuen unter als die Genera über ihr (species praedicabilis und species subjicibilis). Aber eine jede Art, welche eine Eintheilung in wirkliche Arten zulässt (wie Thier in vierfüssiges Thier, Vögel etc., oder Vierfüsser in verschiedene Species von Vierfüssern), ist ein Genus für alle Arten unter ihr, eine Species gegen alle Genera, in welchen sie selbst eingeschlossen liegt. Und hier können wir die Discussion dieses Theiles schliessen und zu den drei übrigen Prädicabilien, Differentia, Proprium und Accidens, übergehen.
[150]

§. 5. Wir beginnen mit Differentia. Dieses Wort ist corelativ mit den Worten Genus und Species, und bedeutet, wie jedermann zugiebt, das Attribut, das eine gegebene Species von einer jeden andern Species desselben Genus unterscheidet. Dies ist soweit klar; aber wir können noch fragen, welches von den unterscheidenden Attributen damit gemeint sei, denn wir haben gesehen, dass sich eine jede Art (und eine Species muss eine Art sein) von anderen Arten nicht durch ein einziges, sondern durch eine unbestimmte Anzahl von Attributen unterscheidet. Der Mensch z.B. ist eine Species vom Genuß Thier. Vernünftig (oder Vernünftigkeit, denn es ist gleichgültig, ob wir die concrete oder abstracte Form gebrauchen) wird von den Logikern gewöhnlich als die Differentia angegeben, und es dient dieses Attribut ohne Zweifel für den Zweck der Unterscheidung; aber es ist vom Menschen auch bemerkt worden, dass er ein kochendes Thier ist, das Thier, das sich sein Futter zubereitet. Dies ist daher ein anderes von den Attributen, durch welche sich die Species Mensch von anderen Species desselben Genus unterscheidet; würde nun dieses Attribut ebensogut als Differentia dienen? Die Aristotelianer sagen Nein, indem bei ihnen der Grundsatz gilt, dass die Differentia, wie Genus und Species, zum Wesen des Dinges gehören muss.

Und hier verlieren wir sogar jene Spur einer auf die Natur der Dinge selbst gegründeten Bedeutung, von der man voraussetzen könnte, dass sie dem Wort Wesen zukommt, wenn man sagt, Genus und Species müssten zum Wesen des Dinges gehören. Wenn die Scholastiker von dem Wesen der Dinge im Gegensatz zu ihrem Accidens sprachen, so hatten sie ganz ohne Zweifel die Unterscheidung zwischen Unterschieden der Art und Unterschieden, die nicht der Art nach sind, in unklarer Weise im Auge; sie wollten damit andeuten, dass Genera und Species Arten sein müssen. Ihre Vorstellung von dem Wesen eines Dinges war eine vage Vorstellung von einem Etwas, welches das Ding zu dem macht, was es ist, d.i., welches es zu der Art Ding macht, die es ist, welches macht, dass es die ganze Menge der Eigenschaften hat, welche seine Art unterscheiden. Als man aber die Sache etwas näher betrachtete, so konnte Niemand entdecken, was die Ursache davon war, dass das Ding alle diese Eigenschaften hatte, oder auch nur, ob wirklich irgend etwas vorhanden war, was verursachte, dass sie dieselben[151] hat. Da die Logiker dies jedoch nicht zugeben wollten, aber auch nicht im Stande waren, zu entdecken, was das Ding zu dem machte was es war, so begnügten sie sich mit dem, was es zu dem machte, was es genannt wurde. Von den unzähligen, bekannten und unbekannten Eigenschaften, die einer Classe gemein sind, wird natürlich nur ein sehr kleiner Theil durch ihren Namen mitbezeichnet; diese wenigen werden aber entweder ihrer grösseren Augenscheinlichkeit oder ihrer grösseren vorausgesetzten Wichtigkeit wegen von den übrigen unterschieden worden sein. Auf diese durch den Namen mitbezeichneten Eigenschaften griffen nun die Logiker zurück und nannten sie das Wesen der Species; und sie blieben nicht einmal dabei stehen, sondern behaupteten auch bei der infima species, dass dieselben das Wesen auch des Individuums seien, denn es war ihr Grundsatz, dass die Species »das ganze Wesen« des Dinges enthalte. Die Metaphysik, jenes fruchtbare Feld von durch die Sprache verbreiteter Täuschung, bietet kein besseres Beispiel einer solchen Täuschung. Auf diesen Grund hin wurde Vernunft, da sie durch den Namen Mensch mitbezeichnet ist, als eine Differentia der Classe zugelassen, aber die nicht mitbezeichnete Eigenthümlichkeit, die Speisen zu kochen, wurde zu den zufälligen Eigenschaften verwiesen.

Es ist daher die Unterscheidung zwischen Differentia, Proprium und Accidens nicht auf die Natur der Dinge, sondern auf die Mitbezeichnung der Namen gegründet, und da müssen wir sie suchen, wenn wir sie finden wollen.

Aus der Thatsache, dass das Genus die Species einschliesst oder, mit anderen Worten, dass es mehr bezeichnet als die Species, oder dass es von einer grösseren Anzahl von Individuen aussagbar ist, folgt, dass die Species mehr mitbezeichnen muss, als das Genus. Sie muss alle Attribute mitbezeichnen, welche das Genua mitbezeichnet, es würde sie sonst nichts verhindern, Individuen, zu bezeichnen, die nicht in dem Genus eingeschlossen sind. Auch muss sie noch etwas Anderes mitbezeichnen, sonst würde sie das ganze Genus einschliessen. Thier schliesst alle von Mensch bezeichneten Individuen ein und noch mehr. Mensch muss daher alles mitbezeichnen, was Thier mitbezeichnet, es könnte sonst Menschen geben, die keine Thiere sind; auch muss es etwas mehr mitbezeichnen, als Thier mitbezeichnet, sonst würden alle Thiere Menschen[152] sein. Diesen Ueberschuss von Mitbezeichnung – das was die Species mehr mitbezeichnet, als das Genus – ist die Differentia oder die specifische Verschiedenheit, oder in anderen Worten, die Differentia ist das, was zur Mitbezeichnung des Genus addirt werden muss, um die Mitbezeichnung der Species zu vervollständigen.

Das Wort Mensch z.B. mitbezeichnet ausser dem, was es in Gemeinschaft mit Thier mitbezeichnet, auch noch Vernünftigkeit, und wenigstens annäherungsweise jene äussere Form, die wir alle kennen, die wir uns jedoch begnügen die menschliche zu nennen, da wir keinen, an und für sich betrachteten, Namen dafür haben. Die auf das Genas Thier bezogene Differentia oder specifische Verschiedenheit des Menschen ist jene äusserliche Gestalt und der Besitz von Vernunft. Die Aristotelianer sagten, der Besitz von Vernunft ohne die äusserliche Gestalt. Wenn sie aber hierauf beständen, so müssten sie die Houyhnhms Menschen nennen. Die Frage wurde niemals aufgeworfen, und sie wurden demnach niemals aufgefordert, zu entscheiden, wie ein solcher Fall ihren Begriff von der Wesenheit berührt haben würde. Wie dies aber auch sein mag, sie begnügten sich, einen hinreichenden Theil von der Differentia zu nehmen, um die Species von allen anderen existirenden Dingen zu unterscheiden, obgleich sie damit die Mitbezeichnung des Namens nicht erschöpften.


§. 6. Um zu verhüten, dass der Begriff der Differentia in zu enge Grenzen eingeschlossen werde, ist es nöthig hier zu bemerken, dass sogar eine auf dasselbe Genus bezogene Species nicht immer diesselbe, sondern je nach dem Princip und dem Zweck einer besondern Classification eine verschiedene Differentia haben wird. Ein Naturforscher z.B. untersucht die verschiedenen Arten von Thieren und sucht nach einer Classification derselben, die am besten in Einklang mit der Ordnung stehe, welche unsere Gedanken für zoologische Zwecke annehmen sollten. Zu diesem Zweck findet er es rathsam, dass eine seiner Haupteintheilungen die in warmblütige und kaltblütige Thiere sei; oder in Thiere, die mit Lungen, und solche, die mit Kiemen athmen; oder in fleischfressende, fruchtfressende und grasfressende Thiere; oder solche, die sich auf dem flachen Theil und solche, die sich auf Spitzen der Füsse bewegen, eine Verschiedenheit, auf welche einige von Cuvier's Familien[153] gegründet sind.31 Der Naturforscher schafft damit ebensoviele neue Classen, die keineswegs auch diejenigen sind, auf welche das individuelle Thier gemeinlich und spontan bezogen wird; auch würden wir niemals daran denken, ihnen in unserer Ordnung des Thierreichs eine solche hervorragende Stellung zu geben, wenn es nicht für den vorgefassten Zweck einer wissenschaftlichen Bequemlichkeit wäre. Der Freiheit, dies zu thun, ist keine Grenze gesetzt. In den von uns gegebenen Beispielen sind die Classen wirkliche Arten, da eine jede der Eigenthümlichkeiten ein Anzeichen einer Menge von Eigenschaften ist, die zur Classe gehören, welche durch sie charakterisirt werden; wenn aber der Fall auch anders wäre – wenn durch ein uns bekanntes Verfahren die anderen Eigenschaften jener Classen von einer Eigenthümlichkeit, auf welche die Classe gegründet ist, abgeleitet werden könnten – so würde der Naturforscher, wenn jene abgeleiteten Eigenschaften für seine Zwecke von Urwichtigkeit wären, immer noch berechtigt sein, seine ersten Eintheilungen auf sie zu gründen.

Wenn uns aber praktische Bequemlichkeit genugsam berechtigt, bei unserer Anordnung der Gegenstände die Hauptdemarcationslinien so zu ziehen, dass sie mit irgend einer Unterscheidung in der Art nicht coincidiren, und so Genera und Species im populären Sinne zu schaffen, die im strengen Sinne gar keine Genera und Species sind: so müssen wir, wenn unsere Genera und Species wirkliche Genera und Species sind, um so mehr berechtigt sein, die Verschiedenheit zwischen ihnen durch diejenigen ihrer Eigenschaften zu bezeichnen, welche durch die Zwecke praktischer Bequemlichkeit stark empfohlen werden. Wenn wir aus einem gegebenen Genus eine Species in der Absicht herausnehmen – z.B. die Species Mensch aus dem Genus Thier - , dass die Eigenthümlichkeit, die uns bei der Anwendung des Namens zu leiten hat, Vernunft sein soll, so ist Vernunft die Differentia der Species Mensch. Wir wollen indessen annehmen, in unserer Eigenschaft als Naturforscher nähmen wir für die Zwecke eines besondern[154] Studiums aus dem Genas Thier diesselbe Species Mensch heraus, aber nur in der Absicht, dass die Unterscheidung des Menschen von einer jeden andern Thierspecies nicht in der Vernunft, sondern im Besitz von »vier Schneidezähnen in jeder Kinnlade, einzelnen Fangzähnen und aufrechter Stellung« zu suchen sei. Es ist klar, dass das Wort Mensch, wenn wir es nun als Naturforscher gebrauchen, nicht mehr Vernünftigkeit, sondern die drei anderen angegebenen Eigenschaften mitbezeichnet; denn das was wir besonders im Auge haben, wenn wir einen Namen geben, bildet sicher einen Theil der Bedeutung dieses Namens. Wir können daher als einen Grundsatz aufstellen, dass wo ein Genus vorhanden, und eine aus dem Genus herausgegriffene Species durch eine nachweisbare Differentia bezeichnet ist, da muss der Name der Species connotativ sein und muss die Differentia mitbezeichnen; die Mitbezeichnung kann aber eine specielle sein – nämlich eine nicht in der Bedeutung des Wortes, wie es gewöhnlich gebraucht wird, eingeschlossene, sondern eine die ihm beigelegt wird, wenn es als ein Ausdruck der Kunst oder Wissenschaft gebraucht wird. Im gewöhnlichen Gebrauch mitbezeichnet das Wort Mensch Vernünftigkeit und eine gewisse Gestalt, aber nicht die Zahl und den Charakter der Zähne; im Linnéischen System mitbezeichnet es die Anzahl der Schneidezähne und Hundszähne, nicht aber Vernünftigkeit und eine besondere Gestalt. Das Wort Mensch hat daher, obgleich es gewöhnlich nicht als zweideutig angesehen wird, zwei verschiedene Bedeutungen, weil es zufällig in beiden Fällen dieselben individuellen Gegenstände bezeichnet. Es ist aber ein Fall denkbar, in welchem die Zweideutigkeit augenfällig wird; wir haben uns nur zu denken, es würde eine neue Thierart entdeckt, welche Linné's drei charakteristischen Kennzeichen der Menschheit, aber keine Vernunft und keine menschliche Gestalt besitzen. In gewöhnlicher Sprache würden diese Thiere nicht Menschen genannt wer den, aber in der Naturgeschichte müssten sie von den Anhängern der Linnéischen Classification so genannt werden, und es würde die Frage entstehen, ob das Wort ferner noch in der doppelten Bedeutung gebraucht, oder ob die Classification und mit ihr die technische Bedeutung des Wortes aufgegeben werden sollte.

Wörter, die sonst nicht mitbezeichnend sind, können in der so eben angeführten Weise eine specielle oder technische Mitbezeichnung[155] erlangen. So mitbezeichnet das Wort Weisse, wie oft bemerkt, nichts, es bezeichnet bloss das einer gewissen Empfindung entsprechende Attribut; wenn wir aber eine Classification der Farben vornehmen und die in unserer Anordnung der Weisse angewiesene besondere Stelle rechtfertigen oder auch nur bezeichnen wollen, so können wir sie definiren als »die durch die Mischung aller einfachen Strahlen erzeugte Farbe«; und obgleich keineswegs in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes Weisse eingeschlossen, sondern nur als Resultat wissenschaftlicher Forschung bekannt, bildet diese Thatsache doch einen Theil der Bedeutung des Wortes in besondern Abhandlungen, und wird zur Differentia der Species.32

Die Differentia einer Species kann daher definirt werden als ein Theil der gewöhnlichen oder speciellen und technischen Mitbezeichnung des specifischen Namens, welcher die fragliche Species von allen anderen Species des Genus, auf das wir dieselbe bei einer besondern Gelegenheit beziehen, unterscheidet.

Nachdem wir mit Genus, Species und Differentia zu Ende gekommen, wird es uns nicht schwer fallen, eine klare Vorstellung von der Verschiedenheit sowohl zwischen den zwei übrigen Prädicabilien, als auch zwischen diesen und den drei ersteren zu erlangen.

In der Aristotelischen Ausdrucksweise gehören Genus und Differentia zum Wesen des Subjects, wodurch, wie wir sahen, in Wirklichkeit gemeint ist, dass die durch das Genus und die durch die Differentia angedeuteten Eigenschaften einen Theil der Mitbezeichnung des die Species bezeichnenden Namens bilden. Von der andern Seite bilden Proprium und Accidens keinen Theil des Wesens, sondern werden von der Species nur zufällig ausgesagt. In dem weiteren Sinne, wonach die zufälligen Eigenschaften eines Dinges seinem Wesen entgegengesetzt sind, sind beide (Proprium und Accidens) zufällige Eigenschaften, obgleich in der Lehre von den Prädicabilien Accidens nur für eine und Proprium für eine andere Art von zufälliger Eigenschaft gebraucht wird. Proprium, sagen die Scholastiker ferner, wird in der That zufällig, aber[156] doch nothwendig prädicirt, oder wie sie weiter erklären, es bedeutet ein Attribut, das in der That nicht zum Wesen gehört, das aber aus demselben fliesst oder eine Folge davon ist, und daher der Species unauflöslich verliehen ist, wie z.B. die verschiedenen Eigenschaften eines Dreiecks, welche, obgleich kein Theil der Definition desselben, von allem was unter die Definition fällt, nothwendig besessen werden müssen. Accidens hat im Gegentheil keinen Zusammenhang irgend einer Art mit dem Wesen, sondern es kann kommen und gehen, und die Species wird doch bleiben was sie vorher war. Wenn eine Species ohne ihre Propria existiren könnte, so müsste sie auch ohne das, wovon ihre Propria eine nothwendige Folge sind, demnach ohne ihr Wesen, ohne das, was sie zur Species macht, existiren können; aber ein Accidens, sei es der wirklichen Erfahrung nach trennbar oder untrennbar von der Species, kann von ihr getrennt gedacht werden, ohne dass dabei nothwendig irgend eine andere Aenderung angenommen werden, oder wenigstens, ohne dass vorausgesetzt werden müsse, es ändere sich eine der wesentlichen Eigenschaften der Species, da das Accidens mit ihnen keinen Zusammenhang hat.

Ein Proprium einer Species kann daher definirt werden als ein Attribut, das allen in der Species eingeschlossenen Individuen angehört, und welches, obgleich es (je nach dem Zwecke der Classification gewöhnlich oder speciell) von dem specifischen Namen nicht eingeschlossen wird, dennoch aus irgend einem Attribute folgt, welches der Name entweder gewöhnlich oder speciell mitbezeichnet.

Ein Attribut kann aus einem andern in zweierlei Weisen folgen, und es giebt daher zwei Arten von Propria. Es kann folgen wie ein Schluss aus den Prämissen, oder wie eine Wirkung aus der Ursache folgt. So folgt das Attribut, gleiche einander gegenüberliegende Seiten zuhaben, welches nicht durch das Wortparallelogramm mitbezeichnet wird, nichtsdestoweniger aus den durch den Namen mitbezeichneten Attributen, nämlich daraus, dass die einander gegenüberliegenden Seiten gerade Linien und parallel sind, und dass die Zahl der Seiten vier ist. Das Attribut, die gegenüberliegenden Seiten gleich zu haben, ist daher ein Proprium der Classe Parallelogramm, und zwar ein Proprium der ersteren Art, da es aus dem mitbezeichneten Attribut durch Demonstration folgt. Das Attribut, die Sprache verstehen zu können, ist ein Proprium der[157] Species Mensch, da es ohne durch das Wort mitbezeichnet zu werden aus einem Attribut folgt, das von dem Worte wirklich mitbezeichnet wird, nämlich aus dem Attribute der Vernünftigkeit. Dies ist aber ein Proprium der zweiten Art und folgt aus einer Verursachung. Wie eine Eigenschaft eines Dinges aus einer anderen folgen oder geschlossen werden kann, unter welchen Bedingungen dies möglich ist, und welches die genaue Bedeutung der Redensart ist, ist eine der Fragen, die uns in den zwei folgenden Büchern beschäftigen werden. Für jetzt haben wir bloss anzuführen, dass wo ein Proprium durch einen Schluss oder durch eine Verursachung folgt, es nothwendig folgt; dies heisst soviel als, in Uebereinstimmung mit irgend einem Gesetz, das wir als einen Theil der Beschaffenheit entweder unseres Denkvermögens oder des Weltalls betrachten, muss es folgen.

Unter das noch übrige Prädicabile, Accidens, fallen alle Attribute eines Dinges, die weder in der Bedeutung des Namens eingeschlossen liegen, noch in einem nothwendigen Connex mit den darin eingeschlossenen Attributen stehen. Sie werden gewöhnlich in trennbare und untrennbare Accidenzien eingetheilt. Untrennbare Accidenzien sind solche, von denen man weiss, dass sie – obgleich wir keinen Connex zwischen ihnen und den die Species constituirenden Attributen kennen, und obgleich sie daher, soviel wir wissen, fehlen könnten ohne den Namen unanwendbar und die Species zu einer anderen Species zu machen – in Wirklichkeit niemals fehlen. Eine concise Weise dieselbe Bedeutung auszudrücken ist: untrennbare Accidenzien sind Eigenschaften, welche für die Species allgemein (universell), aber nicht nothwendig sind. So ist Schwärze ein Attribut einer Krähe, und soviel wir wissen, ein universelles. Wenn wir aber eine Classe von weissen Vögeln entdecken würden, die den Krähen in anderen Beziehungen gleichen, so würden wir nicht sagen: Dies sind keine Krähen, wir würden sagen: Dies sind weisse Krähen. Krähe mitbezeichnet daher nicht Schwärze, und dieselbe könnte auch nicht aus irgend einem der durch das Wort in populären oder wissenschaftlichen Sinne mitbezeichneten Attribute gefolgert werden. Wir können uns daher nicht allein eine weisse Krähe vorstellen, sondern wir sehen auch keinen Grund, warum ein solches Thier nicht existiren sollte. Da indessen bis jetzt bloss schwarze Krähen bekannt sind, so tritt Schwärze bei[158] dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnisse als ein untrennbares Accidens der Species Krähe auf.

Trennbare Accidenzien sind solche, die der Species in Wirklichkeit manchmal fehlen; die ihr nicht allein nicht nothwendig, sondern nicht einmal allgemein sind; sie gehören nicht einem jeden Individuum der Species, sondern nur einigen derselben, oder wenn allen, dann doch nicht zu jeder Zeit an. So ist die Farbe eines Europäers eines der trennbaren Accidenzien der Species Mensch, weil sie nicht ein Attribut aller menschlichen Geschöpfe ist. Geborensein ist (im logischen Sinne) ebenfalls ein trennbares Accidens der Species Mensch, denn, obgleich ein Attribut aller menschlichen Wesen, ist es dies bloss zu einer besonderen Zeit. Um so mehr müssen solche Attribute, die sogar in demselben Individuum nicht beständig sind, wie an einem und demselben Orte sein, warm oder kalt sein, sitzend oder gehend sein, zu den trennbaren Accidenzien gezählt werden.[159]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 140-160.
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