Achtes Capitel.

Von den Definitionen.

[160] §. 1. Ein nothwendiger Theil der Lehre von den Namen und Urtheilen bleibt hier noch abzuhandeln: die Theorie der Definitionen. Schon in einem der vorhergehenden Capitel haben wir dieselben als die wichtigste Classe der als blosse wörtliche charakterisirten Urtheile erwähnt. Mit der Classification in engem Zusammenhange stehend, konnten sie jedoch erst nach deren Verständniss in einer zweckmässigen und verständlichen Weise abgehandelt werden.

Der einfachste und richtigste Begriff von einer Definition ist: ein Urtheil, das die Bedeutung eines Wortes erklärt, sei es die Bedeutung bei der gewöhnlichen Anwendung desselben, sei es die, welche der Schreibende oder Sprechende ihm für seine besonderen Zwecke beilegt.

Da die Definition eines Wortes ein Urtheil ist, welches die Bedeutung des Wortes angiebt (enuncirt), so sind Wörter, die keine Bedeutung haben, auch keiner Definition fähig. Eigennamen können daher nicht definirt werden. Da ein Eigenname bloss ein einem Individuum angeheftetes Zeichen ist, und da dessen charakteristische Eigenschaft darin besteht, keine Bedeutung zu besitzen, so kann seine Bedeutung natürlich auch nicht erklärt werden; obgleich wir durch die Sprache, oder noch bequemer durch Deuten mit dem Finger angeben könnten, auf welches Individuum dieses besondere Zeichen gemacht worden ist oder gemacht werden soll. Wenn man sagt »der Sohn vom General Thompson«, so ist dies keine Definition von »John Thompson«, denn der Name John Thompson drückt dies nicht aus. Es ist auch keine Definition von »John Thompson«, wenn wir sagen »der Mann, welcher über die Strasse geht«. Diese Urtheile können dazu dienen, um den besondern[160] Mann, dem der Name angehört, erkennen zu lassen, dies kann aber noch unzweideutiger dadurch geschehen, dass man auf ihn deutet, was man indessen nicht als eine Definitionsweise zu betrachten pflegt.

Bei den mitbezeichnenden Namen liegt die Bedeutung, wie oft bemerkt, in der Mitbezeichnung, und die Definition eines mitbezeichnenden Namens ist daher das Urtheil, das die Mitbezeichnung angiebt. Dies kann direct oder indirect geschehen. Die directe Weise würde ein Urtheil von folgender Formsein: »Mensch (oder welches Wort es sei) ist ein die und die Attribute mitbezeichnender Name,« oder, »es ist ein Name, der wenn er von einem Ding ausgesagt wird, den Besitz durch dieses Ding von den und den Attributen bedeutet.« Oder auch so: Mensch ist ein jedes Ding, das die und die Attribute besitzt; Mensch ist ein jedes Ding, das Körperlichkeit, Organisation, Leben, Vernunft, und eine gewisse äusserliche Gestalt besitzt.

Diese Form der Definition ist die präciseste und am wenigsten zweideutige von allen, sie ist aber nicht kurz genug und ist überdies für die gewöhnliche Rede zu technisch und pedantisch. Die üblichere Art, die Mitbezeichnung eines Namens anzuzeigen, besteht darin, einen andern Namen von bekannter Bedeutung von ihm auszusagen, einen Namen der dasselbe Aggregat von Attributen mitbezeichnet. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass von dem zu definirenden Namen entweder ein anderer mit ihm genau synonymer, mitbezeichnender Name ausgesagt wird, wie »der Mensch ist ein menschliches Wesen«, was man gewöhnlich gar nicht für eine Definition hält, oder indem man zwei oder mehr mitbezeichnende Namen aussagt, welche für sich die ganze Mitbezeichnung des zu definirenden Namens ausmachen. Im letztern Falle können wir unsere Definition wiederum entweder aus so vielen mitbezeichnenden Namen zusammensetzen als Attribute da sind, von denen jedes durch einen Namen mitbezeichnet wird, wie »der Mensch ist ein körperliches, organisirtes, belebtes, vernünftiges, so und so gestaltetes Wesen«, oder wir können Namen gebrauchen, die mehrere Attribute zugleich anzeigen, wie der Mensch ist ein vernünftiges, so und so gestaltetes Thier.

Nach dieser Ansicht ist die Definition eines Namens die ganze Summe aller wesentlichen Urtheile, welche mit diesem Namen[161] als Subject aufgestellt werden können. Alle Urtheile, deren Wahrheit in dem Namen eingeschlossen liegt, alle diejenigen, welche wir durch das blosse Hören des Namens auffassen, sind in der Definition, wenn sie vollständig ist, eingeschlossen, und können ohne die Mithülfe irgend anderer Prämissen daraus entwickelt werden, die Definition drücke sie in zwei, oder in drei, oder auch in einer grössern Anzahl von Wörtern aus. Nicht ohne Grund haben daher Condillac und andere Autoren die Definition eine Analyse genannt. Ein verwickeltes Ganze in die es zusammensetzenden Elemente zu zerlegen, ist der Zweck der Analyse; und dieses thun wir, wenn wir ein, eine Reihe von Attributen collectiv mitbezeichnendes Wort durch zwei oder mehr Wörter ersetzen, welche dieselben Attribute einzeln, oder in kleineren Gruppen mitbezeichnen.

§. 2. Hieraus entsteht aber natürlich die Frage: auf welche Weise sollen wir einen Namen definiren, der nur ein einziges Attribut mitbezeichnet? wie z.B. »weiss«, das nichts als Weisse mitbezeichnet; »vernünftig«, das nichts als den Besitz von Vernunft mitbezeichnet. Es könnte scheinen, dass die Bedeutung solcher Namen nur auf zwei Weisen zu erklären ist; durch ein synonymes Wort, wenn ein solches vorhanden, oder auf die bereits angeführte directe Weise: »weiss ist ein Name, der das Attribut Weisse mitbezeichnet«. Wir wollen indessen zusehen, ob die Analyse der Bedeutung des Namens, d. h, das Zerbrechen dieser Bedeutung in mehrere Theile, noch weiter fortzuführen ist. Ohne für jetzt die Frage in Beziehung auf das Wort weiss zu entscheiden, ist es einleuchtend, dass in Beziehung auf vernünftig die Erklärung seiner Bedeutung weiter zu führen ist, als in dem Satz, »Vernünftig ist was das Attributvernunft besitzt«, enthalten ist, da das Attribut Vernunft selbst eine Definition zulässt. Hier nun müssen wir unsere Aufmerksamkeit den Definitionen von Attributen, oder vielmehr von Namen von Attributen, d.h. von abstracten Namen zuwenden.

In Beziehung auf diejenigen Namen von Attributen, welche mitbezeichnend sind, und Attribute von diesen Attributen ausdrücken, werden wir keine Schwierigkeiten finden; wie andere mitbezeichnenden Namen werden sie durch Anführung ihrer Mitbezeichnung definirt. So kann das Wort Fehler definirt werden,[162] »eine Eigenschaft, die Uebel oder Unbequemlichkeit erzeugt«. Zuweilen ist auch das zu definirende Attribut nicht ein Attribut, sondern eine Verbindung von mehreren; wir haben daher nur die Namen der einzelnen Attribute zusammenzustellen, um die Definition des Namens zu erhalten, der ihnen sämmtlich angehört, eine Definition, welche der des entsprechenden concreten Namens genau entsprechen wird. Denn da wir einen concreten Namen durch das Aufzählen der Attribute, die er mitbezeichnet, definiren, und da die durch einen concreten Namen mitbezeichneten Attribute die ganze Bedeutung des entsprechenden abstracten Namens bilden, so wird dieselbe Aufzählung als eine Definition beider dienen. Wenn also die Definition eines menschlichen Wesens so lautet, »ein körperliches, belebtes, vernünftiges, so und so gestaltetes Wesen«, so wird die Definition von Menschheit sein: Körperlichkeit und thierisches Leben, verbunden mit Vernünftigkeit und der und der Gestalt.

Wenn von der andern Seite der abstracte Name nicht einen Complex von Attributen, sondern ein einziges Attribut ausdrückt, so müssen wir uns erinnern, dass sich ein jedes Attribut auf eine Thatsache oder Erscheinung gründet, von welcher es allein seine Bedeutung erhält. Zu dieser in einem früheren Capitel die Grundlage des Attributs genannten Thatsache oder Erscheinung müsset wir daher wegen dessen Definition unsere Zuflucht nehmen. Die Grundlage des Attributs kann nun eine einigermassen verwickelte Erscheinung sein, die aus verschiedenen coexistirenden oder aufeinanderfolgenden Theilen besteht. Um eine Definition des Attributs zu erhalten, müssen wir die Erscheinung in diese Theile zerlegen. Beredtsamkeit z.B. ist der Name von nur einem Attribut, aber dieses Attribut gründet sich auf äusserliche Wirkungen von einer complicirten Natur, welche aus Handlungen desjenigen fliessen, dem wir dieses Attribut zuschreiben, und wenn wir dieses Phänomen in seine zwei Theile, Ursache und Wirkung, auflösen, so erhalten wir die Definition der Beredtsamkeit, nämlich: die Macht, durch Rede oder Schrift auf die Gefühle einen Einfluss auszuüben.

Es lässt daher sowohl ein concreter als auch ein abstracter Name eine Definition zu, wenn wir das Attribut oder die Reihe von Attributen, welche die Bedeutung des concreten und des entsprechenden[163] abstracten Namens zugleich ausmacht, analysiren d.h. in Theile unterscheiden können; ist es eine Reihe von Attributen durch Aufzählen derselben, ist es ein einzelnes Attribut, durch Zerlegen der Thatsache oder Erscheinung (sei es der Wahrnehmung, sei es des innern Bewusstseins), welche die Grundlage des Attributs ist. Aber selbst wenn es eine Thatsache oder Erscheinung unserer einfachen Gefühle oder Zustände des Bewusstseins, und daher nicht zerlegbar wäre, so lässt doch der Name des Gegenstandes sowohl, als der des Attributs eine weitere Definition zu, oder vielmehr würde sie zulassen, wenn alle unsere einfachen Gefühle Namen hätten. Weisse kann definirt werden: die Eigenschaft oder das Vermögen, die Empfindung von weiss zu erregen. Ein weisser Gegenstand kann definirt werden: ein Gegenstand, welcher die Empfindung von weiss erregt. Die einzigen Namen, welche einer Definition nicht fähig sind, weil ihre Bedeutung der Analyse nicht fähig ist, sind die Namen der einfachen Gefühle selbst. Diese sind in derselben Lage wie die Eigennamen. Sie sind in der That nicht wie die Eigennamen aller Bedeutung ledig, denn das Wort Empfindung von weiss bedeutet, dass die so bezeichnete Empfindung anderen Empfindungen gleicht, welche ich mich erinnere, vorher schon gehabt und mit diesem Namen benannt zuhaben. Da wir aber kein anderes Wort haben, wodurch wir diese früheren Empfindungen wachrufen könnten, als das zu definirende Wort selbst, oder ein der Definition ebenfalls bedürftiges damit synonymes Wort, so können Wörter die Bedeutung dieser Classe von Namen nicht enthüllen, und wir sind gezwungen, direct an die persönliche Erfahrung desjenigen, zu dem wir sprechen, zu appelliren.

§. 3. Nachdem wir angegeben haben, was die wahre Idee von einer Definition zu sein scheint, wollen wir einige Ansichten von Philosophen und einige populäre Vorstellungen von dem Gegenstand, die mehr oder weniger mit dieser Idee in Widersprach stehen, erörtern.

Die einzige adäquate Definition eines Namens ist, wie bereits bemerkt, diejenige, welche die Thatsache und zwar die ganze Thatsache andeutet, welche der Name in seine Bedeutung einschliesst. Für die meisten Menschen ist der Gegenstand einer Definition nicht so umfassend, sie suchen in der Definition nichts[164] als eine Anleitung zu dem richtigen Gebrauch des Wortes – einen Schutz gegen eine nicht gebräuchliche Anwendung desselben. Für sie ist daher alles eine hinreichende Definition des Wortes, was ihnen richtig angiebt, was das Wort bezeichnet, wenn es auch nicht das Ganze, und zuweilen vielleicht nicht einmal einen Theil von dem umfasst, was das Wort mitbezeichnet. Hieraus entstehen zwei Arten von unvollkommenen und unwissenschaftlichen Definitionen, nämlich wesentliche aber unvollständige Definitionen, und zufällige (accidentelle) Definitionen oder Beschreibungen. In der erstern wird ein mitbezeichneter Name nur durch einen Theil seiner Mitbezeichnung definirt, in der letztern durch etwas, was gar keinen Antheil an der Mitbezeichnung hat.

Ein Beispiel der erstern Art von unvollkommener Definition ist die folgende: Der Mensch ist ein vernünftiges Thier. Es ist nicht möglich, dies für eine vollständige Definition des Wortes Mensch anzusehen, indem wir sonst (wie früher bemerkt) die Houyhnhms Menschen nennen müssten; da es aber keine Houyhnhms giebt, so reicht diese unvollkommene Definition hin, um die mit »Mensch« bezeichneten Gegenstände, alle existirenden Wesen, von denen der Name ausgesagt werden kann, von allen anderen Dingen zu unterscheiden. Obgleich das Wort nur durch einige der Attribute, welche es mitbezeichnet, und nicht durch alle definirt wird, so trifft es sich doch, dass alle bekannten Gegenstände, welche die aufgezählten Attribute besitzen, auch die hinweggelassenen besitzen, so dass sowohl das Bereich der Prädication des Wortes, als auch der mit dem Herkommen übereinstimmende Gebrauch desselben ebenso gut durch die unzureichende Definition, wie durch eine zureichende angegeben wird. Derartige Definitionen werden indessen durch die Entdeckung neuer Gegenstände in der Natur leicht umgestossen.

Definitionen dieser Art hatten die Logiker im Auge, als sie die Regel aufstellten, dass die Definition einer Species per genus et differentiam geschehen sollte. Da differentia selten so genommen wird, dass sie das Ganze der eine Species constituirenden Eigenthümlichkeiten, sondern gewöhnlich nur so, dass sie einige derselben bedeutet, so würde eine vollständige Definition eher per genus et differentias als per differentiam stattfinden. Sie würde mit dem Namen des höhern Genus nicht bloss irgend ein, die zu definirende[165] Species von allen anderen Species desselben Genus unterscheidendes Attribut einschliessen, sondern auch alle im Namen der Species eingeschlossenen Attribute, die der Name des höhern Genus nicht schon einschliesst. Die Behauptung, dass eine Definition nothwendig aus einem Genus und aus einer Differentia bestehen muss, ist indessen nicht haltbar. Die Logiker bemerkten schon frühe, dass das summum genus einer Classification, da es kein Genus über sich hat, auf diese Weise nicht definirt werden könnte. Wir haben aber gesehen, dass mit Ausnahme der Namen unserer einfachen Empfindungen, alle Namen in strengster Weise dadurch definirt werden können, dass wir die constituirenden Theile der Thatsache oder Erscheinung, aus denen zuletzt die Mitbezeichnung eines Wortes zusammengesetzt ist, in Worten angeben.

§. 4. Obgleich die erste Art von unvollkommener Definition (welche ein mitbezeichnendes Wort nur durch einen Theil von dem definirt, was es mitbezeichnet, durch einen Theil, der indessen hinreicht, um die Grenzen seiner Bezeichnung richtig anzugeben) von den Alten und von den Logikern im allgemeinen als eine vollständige Definition angesehen wurde, so hielt man es doch immer für nöthig, dass die gebrauchten Attribute wirklich einen Theil der Mitbezeichnung bildeten, denn die Regel war, dass die Definition aus dem Wesen der Classe genommen werden sollte; dies wäre aber nicht der Fall gewesen, wenn sie irgendwie aus nicht durch den Namen mitbezeichneten Attributen bestanden hätte. Die zweite Art von unvollkommener Definition, diejenige, in welcher der Name einer Classe durch irgend eines ihrer Accidenzien definirt wird – d.h. durch Attribute, die in seiner Mitbezeichnung nicht eingeschlossen liegen - , wurde daher von allen Logikern aus der Reihe der ächten Definitionen verwiesen, und Beschreibung genannt.

Diese Art von unvollkommener Definition entsteht aber aus derselben Ursache wie die andere, nämlich aus der Geneigtheit, alles für eine Definition zu nehmen, was uns mit oder ohne Erklärung der Bedeutung des Namens in den Stand setzt, die durch den Namen bezeichneten Dinge von allen anderen Dingen zu unterscheiden, und folglich das Wort in der Prädication zu gebrauchen, ohne vom Herkommen abzuweichen. Dieser Zweck wird passend durch die Angabe irgend[166] eines (gleichgültig welches) der dem Ganzen der Classe gemeinschaftlichen und ihm eigenthümlichen Attribute, oder auch durch Angabe einer Verbindung von Attributen erreicht, welche ihm (dem Ganzen) vielleicht eigenthümlich sind, obgleich ein jedes dieser Attribute ihm einzeln mit irgend, anderen Dingen gemein sein kann. Es ist nur nöthig, dass die so gebildete Definition (oder Beschreibung) mit dem Namen, den sie zu definiren vorgiebt verwechselt werden könne, d.h. dass sie soweit gehe wie dieser, indem sie von allem aussagbar, wovon dieser aussagbar ist, und von nichts, wovon es dieser nicht wäre, obgleich die angegebenen Attribute vielleicht mit denjenigen keinen Zusammenhang haben, welche die Menschen im Auge hatten, als sie die Classe bildeten oder erkannten und ihr einen Namen gaben. Die folgenden Urtheile halten diese Probe aus: der Mensch ist ein Säugethier, das (von Natur aus) zwei Hände hat (denn die menschliche Species, aber kein anderes Thier entspricht dieser Beschreibung); der Mensch ist ein Thier, das seine Speise kocht; der Mensch ist ein zweifüssiges Thier ohne Federn.

Durch den besondern Zweck, den der Sprechende oder Schreibende im Auge hat, kann zu dem Rang einer Definition erhoben werden, was sonst nur eine blosse Beschreibung wäre. Wie wir in dem vorhergehenden Capitel sahen, so kann es der besondern Zwecke einer Kunst oder Wissenschaft, oder der bequemern Darlegung der besonderen Lehren eines Autors wegen rathsam sein, einem Gemeinnamen ohne Veränderung seiner Bezeichnung eine specielle Mit bezeichnung zu geben, die von der gewöhnlichen verschieden ist. Ist dies geschehen, so wird eine Definition des Namens mit Hülfe von Attributen, welche die specielle Mitbezeichnung ausmachen, obgleich sie im allgemeinen eine bloss zufällige Definition oder Beschreibung ist, bei der besondern Gelegenheit und zu dem besondern Zweck zu einer vollständigen Und ächten Definition. Dies findet in Beziehung auf eines der vorhergehenden Beispiele wirklich statt: »Der Mensch ist ein Säugethier mit zwei Händen«, was die wissenschaftliche Definition des Menschen als eine der Species in Cuvier's Eintheilung des Thierreichs ist.

Obgleich die Definition in solchen Fällen immer noch eine Erklärung der dem Namen bei der besondern Gelegenheit beigelegten Bedeutung ist, so kann man doch nicht sagen, dass es der[167] Zweck der Definition sei, die Bedeutung des Wortes anzugeben. Ihr Zweck ist nicht, einen Namen zu erklären, sondern eine Classification erklären zu helfen. Die besondere Bedeutung, welche Cuvier dem Wort Mensch beilegte (die der gewöhnlichen Bedeutung ganz fremd ist, obgleich sie keine Aenderung in der Bezeichnung des Wortes einschliesst), gehörte zu dem Plan einer Anordnung der Thiere in Classen nach einem gewissen Princip, d.h. nach einer gewissen Reihe von Verschiedenheiten. Und da die Definition des Menschen nach der gewöhnlichen Mitbezeichnung des Wortes nicht den von der Species in der Classification eingenommenen Platz angezeigt, wenn sie auch jedem andern Zweck einer Definition entsprochen hätte: so gab er dem Wort eine specielle Mitbezeichnung, um es durch die Art von Attributen definiren zu können, auf welche er der wissenschaftlichen Zweckmässigkeit wegen seine Eintheilung der belebten Natur zu gründen beschloss.

Wissenschaftliche Definitionen sind fast immer von der zuletzt erwähnten Art, sie mögen Definitionen wissenschaftlicher Ausdrücke oder gewöhnlicher, in einem wissenschaftlichen Sinn gebrauchter Ausdrücke sein; ihr Hauptzweck ist, als ein Grenzzeichen der Classification zu dienen, und da in einer jeden Wissenschaft die Classificationen durch den Fortschritt der Wissenschaft modificirt werden, so sind auch die Definitionen in den Wissenschaften beständig der Veränderung unterworfen. Ein auffallendes Beispiel hiervon bieten die Worte Alkali und Säure, besonders das letztere. Die zu den Säuren gezählten Substanzen haben sich beim Fortschreiten experimenteller Entdeckungen fortwährend vermehrt, und die durch das Wort mitbezeichneten Attribute haben sich als eine natürliche Folge hiervon verringert. Im Anfang mitbezeichnete das Wort die Attribute, durch Verbindung mit einem Alkali eine neutrale (ein Salz genannte) Substanz zu bilden; aus einem Radical und Sauerstoff zu bestehen; ätzender Geschmack, Flüssigkeit etc. Die Zerlegung der Salzsäure in Chlor und Wasserstoff schloss die zweite Eigenschaft, Zusammensetzung aus einem Radical und Sauerstoff, von der Mitbezeichnung aus. Dieselbe Entdeckung richtete die Aufmerksamkeit der Chemiker auf den Wasserstoff als einen wichtigen Bestandtheil der Säuren, und da spätere Entdeckungen seine Gegenwart in der Schwefelsäure, Salpetersäure[168] und vielen anderen Säuren,33 in denen seine Anwesenheit nicht vermuthet worden war, nachwiesen, so zeigte sich jetzt eine Neigung, die Gegenwart dieses Elements in die Mitbezeichnung des Wortes einzuschliessen. Aber Kohlensäure, Kieselsäure, schweflige Säure sind keine Verbindungen, die Wasserstoff enthalten; diese Eigenschaft kann daher nicht durch das Wort mitbezeichnet werden, es sei denn, dass man diese Substanzen nicht länger mehr als Säuren betrachte. Aetzender Geschmack und Flüssigkeit sind durch die Kieselsäure und viele andere Substanzen längst von den charakteristischen Eigenschaften der Classe ausgeschlossen; die Bildung neutraler Körper durch Verbindung mit Alkalien sammt einigen elektrochemischen Eigenthümlichkeiten, welche dieselbe einzuschliessen scheint, sind nun die einzigen differentiae, welche die festgesetzte Mitbezeichnung des Wortes Säure, als eines Ausdrucks der chemischen Wissenschaft, ausmachen.

Wissenschaftliche- Männer suchen noch immer und werden wahrscheinlich noch lange eine taugliche Definition eines der frühesten Wörter in dem Wörterbuch des Menschengeschlechts, und dazu noch eines von den Wörtern, deren populäre Bedeutung am besten verstanden wird, suchen. Dieses Wort ist »Wärme«; die Quelle der Schwierigkeit ist in dem unvollkommenen Zustand unserer wissenschaftlichen Kenntnisse zu suchen, der uns zwar eine Menge von Erscheinungen zeigt, die mit der Kraft, welche das verursacht, was unsere Sinne als Wärme erkennen, im Zusammenhange stehen, der uns aber die Gesetze dieser Erscheinung noch nicht genau genug kennen gelehrt hat, um entscheiden zu können, unter welchen charakteristischen Eigenschaften das Ganze dieser Erscheinungen zuletzt als eine Classe zusammengefasst werden soll; welche charakteristischen Eigenschaften natürlich ebenso viele differentiae für die Definition der Kraft selbst sein würden.

Was von der Definition irgend eines Ausdrucks der Wissenschaft wahr ist, ist natürlich auch von der Definition einer Wissenschaft selbst wahr, und es muss daher (wie in der Einleitung bemerkt) die Definition einer Wissenschaft nothwendig eine vorläufige[169] und fortschreitende sein. Irgend eine Erweiterung unseres Wissens oder eine Veränderung in den gewöhnlichen Ansichten über den Gegenstand können zu einer mehr oder weniger weitgreifenden Veränderung der in der Wissenschaft eingeschlossenen Einzelheiten führen, und wenn sich ihre Zusammensetzung auf diese Weise verändert hat, so dürfte vielleicht eine verschiedene Reihe von charakteristischen Eigenschaften leicht zu finden sein, die sich als differentiae für die Definition des Namens der Wissenschaft besser eignen.

In derselben Weise wie eine specielle oder technische Definition zum Zweck hat, die künstliche Classification, der sie entwächst, zu erklären, so sollte, wie die Aristotelischen Logiker zu glauben schienen, eine gewöhnliche Definition die gewöhnliche und nach ihrer Meinung natürliche Classification der Dinge, nämlich die Eintheilung derselben in Arten, erklären und den Platz zeigen, welchen eine jede Art als höhere, collaterale, oder untergeordnete Art unter anderen Arten einnimmt. Diese Vorstellung würde die Regel, dass eine jede Definition nothwendig per genus et differentiam geschehen muss, erklären, und würde auch erklären, warum man eine jede differentia für hinreichend hielt. Es ist aber bereits die Unmöglichkeit nachgewiesen worden, eine Verschiedenheit der Art zu erklären, oder in Worten auszudrucken; es liegt gerade in der Bedeutung einer Art, dass die sie unterscheidenden Eigenschaften nicht auseinander hervorwachsen, und dass sie daher in Worten, sogar implicite nicht anders als durch Aufzählung ihrer aller darzustellen sind; aber alle sind nicht bekannt, und werden es auch niemals sein. Man betrachtet dies daher vergeblich als einen der Zwecke einer Definition; während, wenn es nur erforderlich ist, dass die Definition einer Art anzeige, welche Arten dieselbe einschliessen oder von ihr eingeschlossen werden, dies durch eine jede Definition geschieht, welche die Mitbezeichnung der Namen darlegt, denn der Name einer jeden Classe muss nothwendig so viele von ihren Eigenschaften mitbezeichnen, dass die Grenzen der Classe dadurch festgesetzt werden. Wenn daher die Definition eine vollständige Angabe der Mitbezeichnung ist, so ist dies alles, was man von einer Definition verlangen kann.

[170] §. 5. Was von den zwei unvollständigen oder unwissenschaftlichen Definitionsweisen und dem Unterschied zwischen ihnen und der vollständigen oder wissenschaftlichen Definitionsweise gesagt worden ist, wird nun genügen. Wir wollen nun zunächst eine alte, einst allgemein herrschende und noch jetzt keineswegs verworfene Lehre prüfen, die ich als die Quelle eines grossen Theils des Dunkels betrachte, welches über einigen der wichtigsten Verstandesoperationen bei der Erforschung der Wahrheit schwebt. Nach dieser Lehre gehören die Definitionen nur der einen von zwei Arten an, in welche die Definitionen eingetheilt werden können; es sind entweder Definitionen von Namen, oder Definitionen von Dingen. Die ersteren sollen die Bedeutung eines Wortes, die letzteren die Natur eines Dinges erklären; letztere sind bei weitem die wichtigsten.

Diese Ansicht wurde von den alten Philosophen und ihren Nachfolgern mit Ausnahme der Nominalisten vertheidigt; da aber der Geist der modernen Metaphysik bis zur neuesten Zeit im ganzen ein nominalistischer war, so wurde zwar die Idee von Definitionen von Dingen bis zu einem gewissen Grade fern gehalten, sie stiftet aber immer noch mehr durch ihre Folgen als direct durch sich selbst Verwirrung in der Logik. Hie und da bricht diese Lehre in ihrer eigenen Gestalt hervor; so hat sie sich (unter anderen Orten) da gezeigt, wo man sie kaum hätte erwarten sollen, in einem verdientermassen beliebten Buch, Whately's Logik.34 In einer[171] Recension dieses Werkes, welche ich in der Westminster Review für Januar 1828 veröffentlichte, und welche einige Ansichten enthält, die ich nicht mehr habe, finde ich die folgenden Bemerkungen über die vorliegende Frage, Bemerkungen, mit denen meine jetzigen Ansichten von der Sache genugsam übereinstimmen:

»Die Unterscheidung zwischen Nominal- und Real definitionen, zwischen Definitionen von Wörtern und sogenannten Definitionen von Dingen, wenn sie auch mit den Vorstellungen der meisten Aristotelischen Logiker übereinstimmen, können, wie uns scheint, doch nicht aufrecht erhalten werden. Wir glauben, dass eine Definition niemals den Zweck hat, ›die Natur des Dinges zu enthüllen.‹ Unsere Meinung wird dadurch bestätigt, dass es keinem von den Schriftstellern, welche glaubten, es gäbe Definitionen von Dingen, jemals gelang, ein Kriterien zu entdecken, durch welches die Definiton eines Dinges von einem andern, auf das Ding sich beziehenden Urtheil unterschieden werden kann. Die Definition, sagen dieselben, enthüllt die Natur des Dinges, aber keine Definition kann seine ganze Natur enthüllen; und ein jedes Urtheil, in welchem irgend eine Eigenschaft des Dinges ausgesagt wird, enthüllt einen Theil seiner Natur. Der wahre Sachverhalt ist nach unserer Meinung der folgende. Alle Definitionen sind Definitionen von Namen und nur von Namen; aber bei manchen Definitionen ist es einleuchtend, dass sie nur die Bedeutung des Wortes erklären sollen, während andere ausser der Worterklärung noch einschliessen sollen, dass ein dem Wort entsprechendes Ding existirt. Ob dies in einem gegebenen Fall eingeschlossen ist, kann aus der blossen Form des[172] Ausdrucks nicht geschlossen werden. ›Ein Centaur ist ein Thier, dessen obere Theile die eines Menschen und dessen untere Theile die eines Pferdes sind,‹ und ›ein Dreieck ist eine geradlinige Figur mit drei Seiten‹, sind in der Form genau ähnliche Ausdrücke, obgleich der erstere nicht einschliesst, dass irgend ein mit dem Wort übereinstimmendes Ding existirt, während dies beim letztern der Fall ist; dies ergiebt sich einfach wenn man in beiden Definitionen für ist das Wort bedeutet setzt. ›Ein Centaur bedeutet ein Thier etc.‹ der Sinn bleibt unverändert; bei dem zweiten, ›ein Dreieck bedeutet etc.‹ würde der Sinn verändert werden, denn es wäre offenbar unmöglich, geometrische Wahrheiten aus einem Satz abzuleiten, der nur ausdrucken soll, in welcher Weise wir ein besonderes Zeichen gebrauchen wollen.

Es giebt daher gewöhnlich für Definitionen geltende Ausdrücke, welche mehr als die blosse Erklärung des Wortes in sich einschliessen. Es ist aber nicht richtig, solche Ausdrücke eine besondere Art Definition zu nennen. Ihre Verschiedenheit von den anderen besteht darin, dass sie nicht eine Definition ist, sondern eine Definition und etwas mehr. Die obige Definition eines Dreiecks enthält offenbar nicht eines, sondern zwei vollkommen unterscheidbare Urtheile. Das erste ist, ›es kann eine von drei geraden Seiten begrenzte Figur geben‹, das andere, ›diese Figur kann ein Dreieck genannt werden‹. Das erstere Urtheil ist gar keine Definition, das letztere ist eine blosse Nominaldefinition, oder eine Erklärung der Anwendung des Wortes. Das erstere kann wahr oder falsch sein, und kann daher zur Grundlage eines Syllogismus gemacht werden. Das letztere kann weder wahr noch falsch sein, Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit dem Sprachgebrauch ist der einzige Charakter, den es besitzen kann.«

Es ist also ein wirklicher Unterschied zwischen Definitionen von Namen und irrthümlich Definitionen von Dingen genannten Definitionen, denn die letzteren behaupten sammt der Bedeutung des Namens verdeckterweise auch noch eine Thatsache. Diese verdeckte Thatsache ist keine Definition, sondern ein Postulat. Die Definition ist bloss ein identisches Urtheil, das nur bezüglich des Sprachgebrauchs Auskunft giebt, und aus welchem unmöglich Schlüsse bezüglich von Thatsachen gezogen werden können. Von der andern Seite behauptet das begleitende Postulat eine Thatsache,[173] welche zu allen möglichen wichtigen Folgen führen kann. Es behauptet die wirkliche Existenz von Dingen, welche die in der Definition angegebene Verbindung von Attributen besitzen, und dies kann, wenn wahr, die Grundlage für ein ganzes Gebäude von wissenschaftlichen Wahrheiten abgeben.

Wir haben schon die Bemerkung gemacht, und werden sie noch zu wiederholen haben, dass die Philosophen, welche den Realismus über den Haufen warfen, keineswegs die Folgen des Realismus loswurden, sondern lange noch in ihrer eigenen Philosophie viele Sätze aufrecht erhielten, die nur als ein Theil des realistischen Systems eine vernünftige Bedeutung haben konnten. Es ist uns von Aristoteles, und vielleicht aus noch früheren Zeiten stammend, als eine einleuchtende Wahrheit überliefert worden, dass die ganze Wissenschaft der Geometrie aus Definitionen abgeleitet sei. So lange eine Definition als ein Urtheil angesehen wurde, »das die Natur des Dinges enthüllt«, ging dies an. Aber Hobbes kam und verwarf die Vorstellung, dass eine Definition die Natur des Dinges erkläre, oder etwas mehr thue, als die Bedeutung eines Namens anzugeben; aber er behauptete immer noch so breit wie einer seiner Vorgänger, dass die archai, principia oder ursprünglichen Prämissen der Mathematik, und sogar aller Wissenschaften Definitionen seien; erstellte so das sonderbare Paradoxon auf, dass Systeme von wissenschaftlicher Wahrheit, ja sogar dass alle Wahrheit, zu welcher wir durch Schliessen gelangen, aus der willkürlichen Uebereinkunft der Menschen bezüglich der Bedeutung von Wörtern abgeleitet sind.

Um das Ansehen der Lehre, die Definitionen seien die Prämissen wissenschaftlicher Erkenntniss, zu retten, fügt man zuweilen den Vorbehalt bei, dass sie in Uebereinstimmung mit den Naturerscheinungen geformt sein müssen, d.h. dass sie den Wörtern Bedeutungen unterlegen, welche auf die wirklich existirenden Dinge passen. Dies ist aber nur ein Beispiel von dem oft gemachten Versuch, der Nothwendigkeit zu entgehen, alte Sprechweisen zu verlassen, nachdem die dadurch ausgedrückten Ideen mit entgegengesetzten vertauscht worden sind. Aus der Bedeutung eines Namens (sagt man uns) können unmöglich physikalische Thatsachen gefolgert werden, wenn nicht ein dem Namen entsprechendes Ding vorhanden ist. Wenn aber dieser Vorbehalt nöthig ist, aus was[174] ist die Folgerung gezogen, aus der Existenz eines die Eigenschaften besitzenden Dinges, oder aus der Existenz eines dieselben bedeutenden Namens?

Nehmen wir als Beispiel eine der in Euklid's Elementen als Prämissen aufgestellten Definitionen, sagen wir, die Definition des Kreises. Wenn dieselbe analysirt wird, so besteht sie aus zwei Sätzen: der eine ist eine Annahme bezüglich einer Thatsache, der andere ist eine ächte Definition. »Es kann eine Figur existiren, welche alle Punkte in der sie begrenzenden Linie von einem Punkt in ihr gleichweit entfernt hat«; »Eine jede diese Eigenschaft besitzende Figur wird ein Kreis genannt«. Betrachten wir einen von den Beweisen, welche von dieser Definition abhängig sind, und bemerken wir, an welchen von den zwei darin enthaltenen Sätzen der Beweis appellirt. »Um den Mittelpunkte, soll der Kreis B C D beschrieben werden.« Hierin liegt eine Annahme, dass eine Figur, wie sie die Definition ausdrückt, beschrieben werden kann; was nichts anderes, als das Postulat oder die in der sogenannten Definition versteckte Annahme ist. Ob aber diese Figur ein Kreis genannt werde oder nicht, ist ganz gleichgültig. Mit Ausnahme der Kürze würde der Zweck gerade so gut erfüllt werden, wenn wir sagen würden, »durch den Punkt B ziehe man eine in sich selbst zurückkehrende Linie, wovon jeder Punkt von dem Punkt A gleichweit abstehe.« Hierdurch wurde die Definition eines Kreises beseitigt und nutzlos gemacht werden, nicht aber das darin enthaltene Postulat, ohne welches der Beweis nicht bestehen könnte. Nachdem der Kreis beschrieben ist, sehen wir nach den Folgen: »Da B C D ein Kreis ist, so ist der Halbmesser B A dem Halbmesser C A gleich.« B A ist gleich C A, nicht weil B C D ein Kreis, sondern weil B C D eine Figur mit gleichen Halbmessern ist. Unsere Berechtigung anzunehmen, dass eine solche Figur um den Mittelpunkt A mit dem Halbmesser B A hervorgebracht werden kann, liegt in dem Postulat. Ob sich die Zulässigkeit dieser Postulate auf Anschauung oder auf einen Beweis stützt, mag eine Streitfrage sein, jedenfalls aber sind sie die Prämissen, von denen der Lehrsatz abhängig ist, und so lange man diese bewahrt würde es für die Gewissheit der geometrischen Wahrheiten nichts ausmachen, wenn eine jede Definition im Euklid und ein jeder darin definirte technische Ausdruck bei Seite gelegt würde.[175]

Es ist fast überflüssig, so lange bei etwas zu verweilen, was fast selbsteinleuchtend ist; wenn aber eine Verschiedenheit, so augenfällig sie auch scheinen mag, trotz starker Verstandeskräfte verwechselt worden ist, so ist es besser eher zu viel als zu wenig zu sagen, um solche Missverständnisse künftig unmöglich zu machen. Ich werde daher den Leser noch damit aufhalten, dass ich eine von den absurden Folgen nachweise, die aus der Annahme entspringen, die Definitionen als solche seien mit Ausnahme der bloss auf Wörter bezüglichen die Prämissen von irgend welchen unserer Schlüsse. Wenn diese Voraussetzung wahr wäre, so könnten wir in ganz richtiger Weise von wahren Prämissen ausgehend argumentiren und doch zu falschen Schlüssen gelangen. Wir brauchen bloss als Prämisse die Definition einer Nonentität anzunehmen, oder vielmehr einen Namen, dem keine Entität entspricht. Es sei z.B. unsere Definition:

Ein Drache ist eine feuerspeiende Schlange.

Als eine Definition betrachtet ist dieser Satz unstreitig richtig. Ein Drache ist eine feuerspeiende Schlange, das Wort bedeutet dies. Die stillschweigende Annahme (wenn es eine solche gäbe) der Existenz eines Gegenstandes, welcher die der Definition entsprechenden Eigenschaften besitzt, würde in dem vorliegenden Falle eine falsche sein. Aus dieser Definition können wir die Prämissen des folgenden Syllogismus herausbilden:

Ein Drache ist ein feuerspeiendes Ding;

Ein Drache ist eine Schlange;

woraus der Schluss folgt:

Daher speit manche Schlange Feuer; – ein untadelhafter Syllogismus nach dem ersten Modus der dritten Figur, in dem beide Prämissen wahr und der Schluss dennoch falsch ist, was, wie jeder Logiker weiss, eine Absurdität ist. Da der Syllogismus richtig und der Schluss falsch ist, so können die Prämissen nicht wahr sein. Aber als Theile einer Definition betrachtet, sind die Prämissen wahr; sie können daher als Theile einer Definition keine wirklichen Prämissen sein. Die wirklichen Prämissen müssen sein:

Ein Drache ist ein wirklich existirendes Ding, das Feuer speit;

Ein Drache ist eine wirklich existirende Schlange;[176]

und da diese Prämissen falsch sind, so bietet die Falschheit des Schlusses keine Absurdität mehr dar.

Wenn wir entscheiden wollen, welcher Schluss aus denselben Prämissen folgt, wenn die stillschweigende Annahme der wirklichen Existenz hinweggelassen wird, so brauchen wir darin bloss bedeutet für ist zu setzen. Wir haben dann:

Ein Drache ist ein Wort, das ein Ding bedeutet, welches Feuer speit;

Ein Drache ist ein Wort, das eine Schlange bedeutet; hieraus folgt der Schluss:

Manches Wort, das eine Schlange bedeutet, bedeutet auch ein Ding, das Feuer speit;

und dieser Schluss (sowie die Prämissen) ist wahr, und ist die einzige Art Schluss, welche aus einer Definition folgen kann, nämlich ein auf die Bedeutung von Wörtern bezügliches Urtheil.

Wir können diesen Syllogismus noch in eine andere Form bringen. Wir können annehmen, der Untersatz bezeichne weder ein Ding, noch ein Name, sondern eine Idee. Wir haben dann:

Die Idee von einem Drachen ist eine Idee von einem Ding, welches Feuer speit;

Die Idee von einem Drachen ist eine Idee von einer Schlange;

Folglich giebt es eine Idee von einer Schlange, welche eine Idee von einem Ding ist, welches Feuer speit.

Hier sind sowohl Schluss als Prämissen wahr; aber die Prämissen sind keine Definitionen, es sind Urtheile, die affirmiren, dass eine in dem Geist existirende Idee gewisse ideale Elemente einschliesst. Die Wahrheit des Schlusses folgt aus der Existenz der psychologischen, die Idee eines Drachen genannte Erscheinung, und daher immer wieder aus der stillschweigenden Annahme einer Thatsache.35[177]

Wenn, wie in dem letzten Syllogismus, der Schluss ein Urtheil bezüglich einer Idee ist, so kann die Voraussetzung, von welcher er abhängig ist, die der blossen Existenz einer Idee sein. Ist aber der Schluss ein Urtheil bezüglich eines Dinges, so ist das in der Definition eingeschlossene, sichtlich als Prämisse stehende Postulat, die Existenz eines mit der Definition übereinstimmenden Dinges und nicht bloss einer damit übereinstimmenden Idee. Dieser Annahme realer Existenz überlassen wir immer den beabsichtigten Eindruck, wenn wir einen Namen definiren, von dem bereits bekannt ist, dass es der Name eines wirklich existirenden Dinges ist. Aus diesen Gründen war die Annahme auch nicht nothwendig in der Definition eines Drachen eingeschlossen, während über ihr Eingeschlossensein in der Definition eines Kreises kein Zweifel stattfinden konnte.


§. 6. Einer von den Umständen, welche die Vorstellung, dass demonstrative Wahrheiten mehr aus Definitionen als aus den in diesen eingeschlossenen Postulaten folgen, aufrecht erhielten, besteht[178] darin, dass sogar in den Wissenschaften, welche der allgemeinen Ansicht nach alle anderen an demonstrativer Gewissheit übertreffen, die Postulate nicht immer ganz wahr sind. Es ist nicht wahr, dass ein Kreis mit genau gleichen Halbmessern existirt, oder dass er beschrieben werden kann. Eine solche Genauigkeit ist eine bloss ideale; sie wird weder in der Natur gefunden, noch kann sie durch Kunst verwirklicht werden. Man fand es daher schwierig, zu begreifen, dass der gewisseste aller Schlüsse sich auf Prämissen stützen könne, welche anstatt gewiss wahr zu sein, gewiss nicht ganz soweit wahr sind, als deren Behauptung geht. Dieser scheinbare Widerspruch wird geprüft werden, wenn wir die Beweisführung (Demonstration) abhandeln; wir werden dann im Stande sein, zu zeigen, dass in dem Postulat gerade soviel wahres liegt, als in dem Schluss wahres liegt, der auf ihm beruht. Diejenigen Philosophen, denen diese Ansicht nicht beifiel, oder die nicht von ihr befriedigt wurden, hielten es für unumgänglich nöthig, dass in den Definitionen mehr Gewissheit liege, oder wenigstens etwas genauer wahres, als das eingeschlossene Postulat von der Existenz eines entsprechenden Gegenstandes. Und dieses Etwas schmeichelten sie sich gefunden zu haben, wenn sie den Satz aufstellten, dass eine Definition die Angabe und Analyse, nicht der blossen Bedeutung eines Wortes, noch auch der Natur eines Dinges, sondern einer Idee sei. So betrachteten sie den Satz: »Ein Kreis ist eine ebene Figur, die von einer Linie begrenzt wird, wovon alle Punkte von einem innern Punkt gleich weit entfernt sind«, nicht als eine Behauptung, dass ein wirklicher Kreis die Eigenschaft habe (was nicht genau wahr wäre), sondern dass wir uns einen Kreis denken, der sie hat; dass unsere abstracte Idee von einem Kreis, die Idee einer Figur mit genau gleichen Halbmessern ist.

In Uebereinstimmung hiermit wird behauptet, dass der Gegenstand der Mathematik und einer jeden demonstrativen Wissenschaft nicht wirkliche Dinge, sondern Abstractionen unseres Geistes sind. Eine geometrische Linie ist eine Linie ohne Breite; aber eine solche Linie existirt nicht in der Natur, es ist eine Vorstellung, die der Geist aus dem in der Natur vorhandenen Material schafft. Die Definition (so heisst es) ist eine Definition dieser geistigen Linie, nicht aber einer wirklichen Linie, und nur von dieser geistigen[179] Linie, nicht aber von einer in der Natur existirenden Linie sind die Lehrsätze der Geometrie genau wahr.

Selbst wenn man diese Lehre bezüglich der Natur demonstrativer Wahrheit für richtig hielte (und ich werde später zu zeigen suchen, dass sie es nicht ist), so folgen die Schlüsse, welche aus einer Definition zu folgen scheinen, doch nicht aus der Definition als solcher, sondern aus einem darin enthaltenen Postulat. Auch wenn es wahr wäre, dass es in der Natur keinen Gegenstand, giebt, welcher der Definition einer Linie entspräche, und dass die geometrischen Eigenschaften der Linien nicht von Linien in der Natur wahr sind, sondern nur von der Idee einer Linie: so postulirt die Definition jedenfalls die wirkliche Existenz einer solchen Idee, sie setzt voraus, dass der Geist die Vorstellung von Länge ohne Breite oder irgend eine andere sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft bilden könne, oder gebildet habe. Mir scheint es aber, dass der Geist in der That eine solche Vorstellung nicht bilden kann; er kann sich keine Länge ohne Breite vorstellen, er kann bloss bei der Betrachtung der Gegenstände ausschliesslich auf ihre Länge und abgesehen von deren anderen sinnlichen Eigenschaften Acht haben, und so bestimmen, welche Eigenschaften kraft dieser Länge allein von ihnen ausgesagt werden können. Wenn dies wahr ist, so ist das in der geometrischen Definition einer Linie enthaltene Postulat die wirkliche Existenz, nicht von Länge ohne Breite, sondern nur von Länge d.h. von langen Gegenständen. Dies giebt eine hinreichende Stütze für alle Wahrheiten der Geometrie ab, indem eine jede Eigenschaft einer geometrischen Linie wirklich eine Eigenschaft aller Länge besitzenden physikalischen Gegenstände ist. Aber selbst was ich in Beziehung auf diesen Gegenstand für die falsche Lehre halte, lässt den Schluss, dass unsere Folgerungen auf die in den Definitionen postulirten Thatsachen, und nicht auf die Definitionen selbst gegründet sind, ganz unberührt; hierin stimme ich daher mit der von Dr. Whewell in seiner Philosophie der inductiven Wissenschaften ausgesprochenen Anschauung überein, wenn auch seine Ansichten über die Natur demonstrativer Wahrheit von den meinigen sehr verschieden sind. Und hier, wie bei anderen Gelegenheiten, bekenne ich gern, dass seine Schriften sehr nützlich und förderlich sind, um die ersten Schritte in der Analyse der Geistesprocesse von Verwirrung frei zu halten, sogar[180] dann noch, wenn seine Ansichten bezüglich der letzten Analyse der Art sind, dass ich sie (obgleich mit ungeheuchelter Achtung) als fundamental irrig betrachten muss.


§. 7. Obgleich nach der hier vorgelegten Ansicht die Definitionen eigentlich nur Definitionen von Namen und nicht von Dingen sind, so folgt hieraus doch nicht, dass sie willkürlich sind. Einen Namen zu definiren kann nicht allein eine sehr schwierige und verwickelte Aufgabe sein, sondern kann auch Betrachtungen verlangen, welche tief in die Natur des von dem Namen bezeichneten Dinges eindringen. Der Art sind z.B. die Untersuchungen, welche den Gegenstand des wichtigsten von Platon's Gesprächen bilden, wie: »Was ist Rhetorik?«, das Thema von den Georgias; oder: »Was ist Gerechtigkeit?«, das Thema von der Republik. Der Art ist auch die mit Entrüstung von Pilatus gestellte Frage: Was ist Wahrheit? und die fundamentale Frage der speculativen Moralphilosophen aller Zeiten: »Was ist Tugend?«

Diese schwierigen und edlen Untersuchungen so darzustellen, als hätten sie keinen andern Zweck, als die conventionelle Bedeutung eines Namens zu bestimmen, wäre ein grosser Irrthum. Es sind Untersuchungen, nicht sowohl um zu bestimmen, was die Bedeutung eines Namens ist, als was sie sein sollte; was wie eine jede andere praktische Frage der Terminologie zu seiner Lösung erfordert, dass wir auf die Natur, nicht bloss der Namen, sondern der benannten Dinge eingehen, und zuweilen sehr tief eingehen.

Obgleich die Bedeutung eines jeden concreten Gemeinnamens in den durch ihn mitbezeichneten Attributen liegt, so wurden die Gegenstände doch vor den Attributen benannt; dies geht aus der Thatsache hervor, dass die abstracten Namen in allen Sprachen meistentheils Zusammensetzungen oder andere Ableitungen von den ihnen entsprechenden concreten Namen sind. Nach den Eigennamen waren daher die mitbezeichnenden Namen die zuerst gebrauchten, und in den einfacheren Fällen war dem Geiste derjenigen, welche den Namen zuerst gebrauchten, eine deutliche Mitbezeichnung gegenwärtig, und sollte ihrer Absicht nach auch dadurch mitgetheilt werden. Der erste, der das Wort weiss so gebrauchte, wie es auf Schnee und andere Gegenstände angewendet wird, wusste ohne Zweifel recht gut, welche Eigenschaft er aussagen[181] wollte, und hatte von den durch den Namen bezeichneten Attributen in seinem, Geiste eine vollkommen deutliche Vorstellung.

Wo aber die Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten, auf welche unsere Classificationen gegründet sind, nicht so greifbar und leicht zu bestimmen sind, besonders wo sie nicht aus einer Eigenschaft, sondern aus einer Anzahl von Eigenschaften bestehen, deren miteinander vermischte Wirkungen nicht so leicht zu unterscheiden und eine jede auf ihre wahre Quelle zurückzuführen sind: da geschieht es häufig, dass benennbaren Dingen Namen beigelegt werden, ohne dass dem Geist der sie Beilegenden eine deutliche Mitbezeichnung gegenwärtig wäre. Es ist nur der Einfluss einer allgemeinen Aehnlichkeit zwischen dem neuen Gegenstand und allen oder einigen der alten familiären Gegenstände, welche sie bei jenem Namen zu nennen gewöhnt sind, der bei ihnen thätig ist. Wie wir gesehen haben, ist dies das Gesetz, dem sogar der Geist des Philosophen folgen muss, wenn er den einfachen elementaren Gefühlen unserer Natur Namen giebt; wo aber die zu benennenden Dinge ein verwickeltes Ganze sind, da begnügt sich der Philosoph nicht mit der Beachtung einer allgemeinen Aehnlichkeit, er untersucht, worin die Aehnlichkeit besteht, und er giebt denselben Namen nur Dingen, die einander in denselben bestimmten Einzelheiten gleichen. Der Philosoph gebraucht daher seine Gemeinnamen gewöhnlich mit einer bestimmten Mitbezeichnung. Aber die Sprache wurde nicht von Philosophen gemacht, und kann von ihnen auch nur bis zu einem geringen Grade verbessert werden. In dem Geiste der wahren Schiedsrichter der Sprache mitbezeichnen Gemeinnamen, besonders wo die durch sie bezeichneten Classen der Identificirung und Unterscheidung wegen nicht vor den Richtstuhl der äusseren Sinne gebracht werden können, wenig mehr, als eine vage grobe Aehnlichkeit mit den Dingen, welche jene am frühesten oder am meisten gewöhnt waren, bei diesen Namen zu nennen. Wenn z.B. gewöhnliche Menschen die Wörter gerecht oder ungerecht von einer Handlung, edel oder gemein von einer Gesinnung, einem Ausdruck oder einer Handlung, Staatsmann oder Charlatan von einer in der Politik eine Rolle spielenden Persönlichkeit aussagen, beabsichtigen sie dann von diesen verschiedenen Gegenständen bestimmte Attribute von irgend einer Art auszusagen? Nein, sie erkennen nur, wie sie glauben, eine mehr oder weniger[182] vage und unbestimmte Aehnlichkeit zwischen diesen und einigen anderen Dingen, welchen sie gewöhnt waren, diese Benennungen zu geben oder von anderen gegeben zu sehen.

Die Sprache »wird nicht gemacht, sondern wächst«, geradeso wie es Sir James Mackintosh von Regierungen zu sagen pflegte. Ein Name wird einer Classe von Gegenständen nicht auf einmal und in vorausgängiger Absicht ertheilt, sondern er wird erst auf ein Ding angewendet und dann durch eine Reihe von Uebergängen auf ein anderes und wieder ein anderes. Durch dieses Verfahren geht (wie von verschiedenen Schriftstellern bemerkt, und von Dugald Stewart in seinen philosophischen Essays sehr nachdrücklich und klar erläutert worden ist) ein Name durch eine zusammenhängende Kette von Aehnlichkeiten von einen Gegenstand auf den andern über, bis er zuletzt auf Dinge angewendet wird, die mit den Dingen, denen er zuerst gegeben wurde und die ihn aber darum nicht fallen lassen, nichts gemein haben, so dass er zuletzt einen Wirrwar von Gegenständen bezeichnet, die gar nichts gemeinsames mehr besitzen, und dass er nichts mitbezeichnet, nicht einmal eine vage und allgemeine Aehnlichkeit. Wenn ein Name in diesen Zustand verfallen ist, und wir durch Aussagen desselben von einem Gegenstande buchstäblich nichts von dem Gegenstande behaupten, so ist er für die Zwecke des Denkens oder der Gedankenmittheilung untauglich geworden; er kann dann nur wieder brauchbar werden, wenn er eines Theils seiner mannigfaltigen Bezeichnungen entkleidet und auf Gegenstände beschränkt wird, die einige Attribute gemein haben, und welche man ihn dann mitbezeichnen lässt. Dies sind die Unannehmlichkeiten einer Sprache, welche »nicht gemacht wird, sondern wächst«. Wie die Regierungen, welche in einem ähnlichen Falle sind, kann sie mit einem Weg verglichen werden, der nicht gemacht worden ist, sondern der sich selbst gemacht hat; er bedarf fortwährend der Ausbesserung um gangbar zu bleiben.

Schon hieraus ist ersichtlich, warum die Frage bezüglich der Definition eines abstracten Namens oft mit so grossen Schwierigkeiten verbunden ist. Die Frage, was ist Gerechtigkeit? heisst mit anderen Worten, welches Attribut wollen die Menschen aussagen, wenn sie eine Handlung gerecht nennen? Die erste Antwort hierauf ist, dass weil sie über diesen Punkt zu keiner genauen[183] Uebereinstimmung gelangen konnten, sie gar kein Attribut in deutlicher Weise aussagen wollen. Nichtsdestoweniger glauben alle, dass irgend ein den Handlungen, welche sie gewöhnt sind gerecht zu nennen, gemeinsames Attribut vorhanden sei. Es muss daher die Frage entstehen, giebt es ein solches gemeinsames Attribut? und vor allem, stimmen die Menschen in Beziehung auf die von ihnen gerecht genannten Handlungen genugsam überein, um eine Untersuchung der diesen Handlungen gemeinsamen Eigenschaft möglich zu machen; und wenn dies so ist, haben die Handlungen wirklich eine Eigenschaft gemein; und wenn sie sie haben, welches ist sie? Von diesen drei Fragen ist die erste allein eine Frage in Beziehung auf Gebrauch und Uebereinkommen, die beiden andern sind Fragen in Beziehung auf Thatsachen. Und wenn die zweite Frage (ob die Handlungen eine Classe bilden) mit Nein beantwortet worden ist, so bleibt noch eine vierte und schwierigere als alle, nämlich, wie soll man am besten eine künstliche Classe bilden, welche der Name bezeichnen kann.

Es ist hier der geeignete Ort, zu bemerken, dass das Studium des spontanen Wachsthums der Sprachen für diejenigen von der äussersten Wichtigkeit ist, welche dieselben logisch umgestalten wollen. Wenn die rohen Classificationen der bestehenden Sprache durch die Hand des Logikers verbessert werden, was sie fast immer erfordern, so sind sie an und für sich für seine Zwecke vortrefflich geeignet. Mit den Classificationen des Philosophen verglichen, sind sie wie die Gewohnheitsgesetze eines Landes, welche im Vergleich mit den durchdachten und methodisch zu einem Gesetzbuch geordneten Gesetzen spontan gewachsen sind; die ersteren sind viel unvollkommener als die letzteren, aber da sie das Resultat einer langen, wenn auch unwissenschaftlichen Erfahrung sind, so enthalten sie eine Masse von Material, das bei der Bildung des systematischen Corpus von geschriebenem Gesetz sehr nützlich werden kann. In ähnlicher Weise ist die bestehende Gruppirung von Gegenständen unter einem gemeinsamen Namen, wenn sie sich auch nur auf eine grobe und allgemeine Aehnlichkeit gründet, ein Beweis, erstens dass die Aehnlichkeit augenfällig und daher bedeutend ist, zweitens dass es eine Aehnlichkeit ist, die während einer langen Reihe von Jahren und Jahrhunderten vielen Menschen aufgefallen ist. Sogar wenn ein Name durch eine Reihe von successiven[184] Uebertragungen zuletzt auf Gegenstände angewendet wird, welche diese grobe Aehnlichkeit nicht mehr mit einander gemein haben, so finden wir doch bei jedem Schritte in der Reihe eine Aehnlichkeit; und diese Uebergänge in der Bedeutung der Wörter sind oft ein Anzeichen eines wirklichen Zusammenhangs der durch sie bezeichneten Dinge, welcher sonst leicht der Beobachtung der Denker entgehen könnte, wenigstens derjenigen, welche wegen des Gebrauchs einer verschiedenen Sprache, oder einer Verschiedenheit in ihren gewohnten Ideenassociationen ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise einer andern Seite der Dinge zugewendet haben. Die Geschichte der Philosophie ist reich an Beispielen von solchen Versehen; sie wurden begangen, weil die verborgene Kette, welche die anscheinend unvereinbaren Bedeutungen irgend eines zweideutigen Wortes mit einander verknüpfte, nicht wahrgenommen wurde.36

Wenn die Untersuchung über die Definition des Namens eines realen Gegenstandes in etwas mehr besteht als in einer blossen Vergleichung von Autoritäten, so nehmen wir stillschweigend an, dass für den Namen eine mit dem Umstand verträgliche Bedeutung gefunden werden muss, wonach er immer noch wo möglich alle, jedenfalls aber den grössern oder wichtigern Theil der Dinge, von denen er gewöhnlich ausgesagt wird, fortbezeichnet. Die Untersuchung über die Definition ist daher eine Untersuchung der Aehnlichkeiten[185] und Verschiedenheiten zwischen diesen Dingen. Ist eine Aehnlichkeit vorhanden, welche durch alle hindurchgeht, und wenn nicht, durch welchen Theil derselben können wir eine solche allgemeine Aehnlichkeit verfolgen, und endlich, welches sind die gemeinsamen Attribute, deren Besitz ihnen allen oder einem Theil von ihnen den Charakter von Aehnlichkeit verleiht, der zu ihrer Classification miteinander geführt hat? Dies sind die zu entscheidenden Fragen. Wenn diese gemeinsamen Attribute bestimmt und einzeln angegeben worden sind, so erlangt der, den sich gleichenden Gegenständen gemeinsame Name eine deutliche Mitbezeichnung anstatt einer unbestimmten, und wird durch den Besitz dieser deutlichen Mitbezeichnung einer Definition fähig.

Wenn der Philosoph einem Gemeinnamen eine deutliche Mitbezeichnung giebt, so wird er solche Attribute zu wählen suchen, die, während sie allen gewöhnlich mit dem Namen bezeichneten Dingen gemein, auch an und für sich von grösserer Wichtigkeit sind, sei es direct, sei es der Anzahl, der Sichtbarkeit oder des interessanten Charakters der Folgen wegen, zu denen sie führen. Er wird soviel wie möglich solche differentiae wählen, welche zu der grössten Anzahl von interessanten propria führen. Denn diese mehr als die dunklen und verborgenen Eigenschaften, von denen sie oft abhängig sind, geben einer Reihe von Gegenständen jenen allgemeinen Charakter, der die Gruppen bestimmt, in welche sie zerfallen. Aber zu der verborgenen Uebereinstimmung zu gelangen, von welcher diese sichtliche und oberflächliche Uebereinstimmung abhängt, ist oft eines der schwierigsten wissenschaftlichen Probleme; und so wie es zu den schwierigsten gehört, gehört es mit seltener Ausnahme auch immer zu den wichtigsten. Und da von dem Resultat dieser Untersuchung bezüglich der Ursachen von den Eigenschaften einer Classe von Dingen gelegentlich die Frage abhängig ist, was die Bedeutung eines Wortes sein soll, so sind einige der tiefsten und schätzbarsten Untersuchungen, welche uns die Philosophie darbietet, unter der Maske von Untersuchungen über die Definition eines Namens eingeführt worden.[186]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 160-187.
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