Vierundzwanzigster Abschnitt.
Die vier Wahrheiten.

[155] Frage: Widerlegt sind die vier Verkehrtheiten. Durchdringend (und) durchschauend die vier Wahrheiten (satya) erlangt (man) die vier Früchte der śramaṇas.

Wenn alles ausnahmslos leer, nicht mit Entstehen, auch nicht mit Vergehen ist, so ist nicht der vier edlen Wahrheiten dharma. (XXIV. 1.)

Weil die vier Wahrheiten nicht sind, sind das Sehen des Leides und das Abschneiden der Vereinigung, die Verwirklichung der Zerstörung und das Beschreiten des Pfades, solche Dinge sind ausnahmslos nicht. (XXIV. 2.)

Weil diese Sache nicht ist, sind eben nicht die vier Früchte1; weil die vier Früchte nicht sind, sind auch nicht die das Ziel Erreichenden. (XXIV. 3.)

Wenn nicht die acht Guten-und-Weisen sind, dann ist nicht die Kostbarkeit der Gemeinde (saṅgharatna); weil die vier Wahrheiten nicht sind, ist auch nicht die Kostbarkeit der Lehre (dharmaratna). (XXIV. 4.)

Weil die Kostbarkeit der Lehre nicht ist, ist auch nicht die Kostbarkeit des Buddha (buddha-ratna); so widerlegt der das Leere Lehrende eben die drei Kostbarkeiten. (XXIV. 5.)

Wenn alles Weltliche ausnahmslos leer (und) nicht vorhanden ist, dann würde nicht Entstehen sein, nicht würde Vergehen sein. Weil Entstehen nicht ist (und) Vergehen nicht ist, sind nicht die vier edlen Wahrheiten. Weshalb? Durch die Wahrheit der Vereinigung entsteht die Wahrheit des Leides. Wahrheit der Vereinigung: das ist Grund, Wahrheit des Leides: das ist Folge. Was des Leides und der Vereinigung Wahrheit vernichtet,[156] heißt Wahrheit der Zerstörung (nirodha-satya). Was die Wahrheit der Zerstörung erreichen kann, heißt Wahrheit des Weges. Wahrheit des Weges (mārga-satya) ist Grund, Wahrheit der Zerstörung (nirodha-satya) ist Frucht. So sind die vier Wahrheiten mit Grund (und) sind mit Folge. Wenn nicht Entstehen und nicht Vergehen ist, dann sind nicht die vier Wahrheiten. Weil die vier Wahrheiten nicht sind, so ist nicht Erkennen (parijñā) des Leides, Aufgeben (prahāṇa) der Vereinigung, Verwirklichung (sākṣātkarman) der Zerstörung, Beschreiten (bhāvanā) des Pfades. Weil Sehen des Leides, Aufgeben der Vereinigung, Verwirklichung der Zerstörung, Begehen des Pfades nicht sind, so sind nicht die vier Früchte der śramaṇas. Weil die vier śramaṇa-Früchte nicht sind, so sind nicht die vier ans Ziel Gelangenden (pratipannaka) und die vier in den Früchten Stehenden (phalastha). Wenn diese acht Guten-(und-)Wei sen nicht sind, dann ist nicht die Kostbarkeit der Gemeinde (saṅgharatna). Ferner, weil die edlen Wahrheiten nicht sind, ist auch die Kostbarkeit der Lehre (dharma-ratna) nicht. Wenn die Kostbarkeit der Lehre (und) die Kostbarkeit der Gemeinde nicht sind, wie ist Buddha? Die Lehre (dharma) erreichen heißt »Buddha«. Wer ist Buddha ohne die Lehre (dharma)? Ihr (aber) lehrt: Die dharmas sind ausnahmslos leer; dann fallen die drei Kostbarkeiten. Ferner:

Leerheit vernichtet Grund und Folge, vernichtet auch Böses (und) Gutes; ferner auch vernichtet (und) zerstört sie völlig alle weltlichen dharmas (Dinge). (XXIV. 6.)

Wenn (man) Leerheit annimmt, dann widerlegt (man) Böses und Gutes, und Vergeltung für Böses (und) Gutes; auch widerlegt (man) die Dinge (dharma) des weltlichen Umgangs (loka-vyavahāra). Weil solche Fehler sind, können die dharmas nicht leer sein.

Antwort:

Ihr könnt nun tatsächlich nicht das Leere (śūnya), des Leeren Verursachung (eig. »Bedingungen«, hetu-pratyaya) und des Leeren Bedeutung kennen. Deshalb sind selbst-entstandene Qualen (kleśa). (XXIV. 7.)

Ihr versteht nicht, wie des Leeren Eigenschaft ist. Durch welche Gründe lehrt ihr »leer«? Auch versteht ihr nicht den[157] Sinn des Leeren. Weil ihr (es) nicht tatsächlich erkennen könnt, entstehen solche Zweifel (und) Schwierigkeiten. Ferner:

Die Buddhas, von zwei Wahrheiten (satya) abhängend, lehren den lebenden Wesen (sattva) die Lehre (dharma); die eine (ist die) Wahrheit des weltlichen Umgangs (loka-vyavahāra), die andere ist Wahrheit des höchsten Sinnes (paramārtha- satya). (XXIV. 8.)

Wenn ein Mensch die zwei Wahrheiten nicht erkennen (und) unterscheiden kann, dann erkennt er nicht in der tiefen Buddha-Lehre die echte und tatsächliche Bedeutung. (XXIV. 9.)

Wahrheit des weltlichen Umgangs (loka-vyavahāra): alle dharmas (Objekte) sind wesens-leer. Aber weil das Weltliche verkehrt ist, entstehen falsche (und) verwirrende dharmas: »In der Welt ist (es) tatsächlich.« Weil die Weisen-(und-)Guten das Wesen der Verkehrtheiten genau kennen, erkennen sie alle dharmas ausnahmslos als leer, ohne Entstehen. Bei den Weisen heißt diese Wahrheit des höchsten Sinnes (paramārtha-satya) »tatsächlich« (so-seiend, tathya). Die Buddhas lehren nun abhängig von diesen zwei Wahrheiten den lebenden Wesen (sattva) die Lehre (dharma). Wenn ein Mensch die zwei Wahrheiten nicht, wie tatsächlich, unterscheiden kann, dann versteht er die äußerst tiefe Buddha-Lehre nicht in ihrer tatsächlichen Bedeutung. Wenn (man) sagt: »Alle dharmas sind ohne Entstehen, das ist Wahrheit des höchsten Sinnes (paramārtha-satya); nicht ist die zweite, die Wahrheit des gewöhnlichen Umgangs (vyavahāra-satya) nötig«, so ist das auch nicht richtig. Weshalb?

Wenn nicht abhängig von der Wahrheit des gewöhnlichen Umgangs (vyavahāra-satya), erreicht man nicht die Wahrheit des höchsten Sinnes (paramārtha-satya); wenn man die Wahrheit des höchsten Sinnes nicht erreicht, dann erreicht man nicht nirvāṇa. (XXIV. 10.)

Der höchste Sinn (paramārtha) ist ausnahmslos vom Reden (und) Lehren abhängig. Reden (und) Lehren, das ist gewöhnliche Ausdrucksweise (vyavahāra). Deshalb, wenn nicht abhängig von der gewöhnlichen Ausdrucksweise (vyavahāra), ist eben der höchste Sinn (paramārtha) nicht zu lehren. Wenn man den höchsten Sinn nicht erreicht, wie erreicht man (und) kommt[158] man zum nirvāṇa? Obwohl deshalb die dharmas ohne Entstehen sind, sind dennoch die zwei Wahrheiten (satya). Ferner:

(Wenn) man nicht richtig das Leere prüfen kann, dann schädigen (die) stumpfen Sinne sich selbst; wie, wenn man nicht gut die Zauberkunst kennt, man nicht gut eine giftige Schlange greift. (XXIV. 11.)

Wenn ein Mensch (mit) stumpfen Sinnen nicht gut die Leerheit versteht, (so) ist beim Leeren Irrtum (eig. »Verlust«), und es entsteht falsche Ansicht. Wie, begierig eine giftige Schlange zu ergreifen, man sie nicht gut ergreifen kann, im Gegenteil man dadurch beschädigt wird. Auch wie ein Zauberer etwas zu bewirken wünscht und (es) nicht gut erreichen kann, dann sich im Gegenteil selbst beschädigt. (Wenn) der Stumpfsinnige die Leerheit prüft, (ist es) dann auch so. Ferner:

Der Erhabene kennt diese Lehre (dharma), überaus tief, verborgen (und) geheimnisvoll. Nicht wird (sie) von Stumpfsinnigen erreicht; deshalb will er (sie ihnen) nicht lehren. (XXIV. 12.)

Der Erhabene (bhagavān), da der dharma (Lehre) überaus tief, geheimnisvoll (und) unergründlich ist und nicht durch stumpfe Sinne verstanden wird, will (ihn) deshalb nicht lehren. Ferner:

Ihr sagt, ich hafte an Leer(heit) und ich bringe Fehler hervor. Der Fehler, den ihr jetzt lehrt, ist eben nicht in Leer(heit). (XXIV. 13.)

Ihr sagt: Weil ich an Leer(heit) hafte, ist ein Fehler aus mir entstanden. Von mir wird Wesensleerheit (svabhāva-śūñyatā) gelehrt; das Leere auch [ferner]2 ist leer; nicht sind solche Fehler. Ferner:

Weil der Sinn des Leeren (sc. verstanden) ist, können alle dharmas erreicht werden; wenn der Sinn des Leeren nicht (verstanden) ist, dann wird alles nicht erreicht. (XXIV. 14.)

Weil mit dem Sinne der Leerheit, werden alle weltlichen (laukika) und überweltlichen (lokottara) dharmas ausnahmslos völlig erreicht (als) zusammenstimmend. Wenn nicht mit Leerheit,[159] dann wird alles ausnahmslos nicht zusammenstimmend erreicht. Ferner:

Ihr seid jetzt selbst mit Fehler, aber damit (dieser Fehler) auf mich abgewendet wird, (tut ihr), wie ein Mensch, ein Pferd reitend, selbst vergißt, was er reitet. (XXIV. 15.)

Ihr, während ihr im dharma seid (?), habt den Fehler: nicht könnt ihr ihn selbst verstehen, aber im Leeren seht ihr Fehler. Wie ein Mensch, der ein Pferd reitet, vergißt, was er reitet. Weshalb?

Wenn ihr die dharmas (Objekte) als wahrhaftig seiend mit An-sich-Sein (svabhāva) seht, dann seht ihr die dharmas ohne Grund (hetu), auch ohne Bedingungen (pratyaya). (XXIV. 16.)

Ihr lehrt: Die dharmas sind mit wahrhaftigem Sein. Wenn so, dann seht ihr die dharmas ohne Grund (hetu) (und) ohne Bedingungen (pratyaya). Weshalb? Wenn dharmas absolut wahrhaftig An-sich-Sein haben, dann würden sie nicht entstehen, nicht vergehen. Wie gehen so die dharmas aus Ursachen (und) Bedingungen hervor? Wenn die dharmas aus Ursachen (und) Bedingungen entstehen, dann sind sie nicht an sich. Deshalb haben absolut wahre dharmas An-sich-Sein, dann sind sie ohne Ursachen (und) Bedingungen. Wenn man sagt: »Die dharmas, wahrhaftig seiend, verharren in An-sich-Sein«, so ist das nicht richtig. Weshalb?

Dann widersprichst (du) dem Grund (und) der Folge (hetu-phala), dem Tun (karman), dem Täter und der Handlung (kriyā); auch vernichtest (du) ferner aller Dinge Entstehen (und) Vergehen. (XXIV. 17.)

Die dharmas (Objekte) sind wahrhaftig seiend: dann ist nicht Grund, Folge u.dgl. Dinge. Wie der śloka lehrt:

Alles Entstehen durch Bedingungen (pratītya- samut-pāda) lehre ich: das ist nicht-seiend. Auch heißt es: es ist eine fiktive Bezeichnung. Auch ist es der Sinn des mittleren Weges (madhyamā-pratipad). (XXIV. 18.)

Es ist niemals ein dharma, der nicht durch Bedingungen entstanden wäre. Deshalb sind alle dharmas nicht ohne Leeres. (XXIV. 19.)[160]

Das bedingte Entstehen (pratītya-samutpāda) lehre ich eben als leer. Weshalb? Sind die Bedingungen (pratyaya) alle vollständig vereinigt, (so) entstehen die Dinge. Weil diese Dinge abhängig von den Bedingungen sind, sind sie nicht an sich (svabhāvataḥ). Weil sie nicht an sich selbst sind, sind sie leer. »Leer« auch ferner ist leer; nur um die lebenden Wesen (sattva) zu führen und zu leiten, lehrt (er) es durch fiktive (d.i. konventionelle) Bezeichnung. Weil ohne die zwei Grenzen (koṭi) des Seins (und) Nichtseins, heißt es »mittlerer Weg« (madhyamā pratipad). Weil diese dharmas ohne An-sich-Sein sind, kann man nicht sagen: »Sie sind«. Weil (sie) auch nicht leer sind(?), kann man nicht sagen: »Sie sind nicht.« Wenn die dharmas An-sich-Seins-Eigenschaft haben, (kann man) nicht (sagen): »Sie sind abhängig von (vielen) Bedingungen.« Wenn nicht abhängig von (vielen) Bedingungen, dann sind keine dharmas (Objekte). Deshalb gibt es keine nicht-leeren dharmas. Was ihr oben lehrt: »Leere dharmas sind fehlerhaft«, dieser Fehler befindet sich jetzt andererseits bei euch. Weshalb?

Wenn alles nicht-leer (ist), dann ist nicht Entstehen (und) Vergehen, so ist dann nicht der vier edlen Wahrheiten dharma. (XXIV. 20.)

Wenn alle dharmas jeder einzeln mit an An-sich-Sein (und) nicht leer sind, dann sind sie nicht mit Entstehen (und) Vergehen. Weil nicht mit Entstehen (und) Vergehen, ist nicht der vier edlen Wahrheiten Sein (dharma). Weshalb?

(Wenn) Leid nicht durch Bedingungen entstanden, wie wird Leid sein? Nicht-ewig, das ist die Bedeutung des Leides, Wahrhaftig-Seiendes ist nicht nicht-ewig (XXIV. 21.)

Weil Leid nicht durch Bedingungen entstanden ist, ist eben nicht Leid. Weshalb? Das sūtra lehrt: »Unewig, das ist die Bedeutung des Leides.« Wenn Leid wahrhaftig seiend ist, wie ist es nicht-ewig? Weil es sein eigenes Wesen (svabhāva) nicht aufgibt. Ferner:

Wenn Leid wahrhaftig An-sich-Sein hat, weshalb ist es durch Vereinigung (samudaya) entstanden? Deshalb ist nicht Vereinigung, weil es der Bedeutung der Leerheit widerspricht. (XXIV. 22.)

Wenn Leid wahrhaftig An-sich-Sein hat, würde es nicht[161] nochmals entstehen, weil es vorher schon ist. Wenn so, dann ist nicht die Wahrheit der Vereinigung (samudaya-satya), weil der Leerheit widersprechend. Ferner:

Wenn Leid wahrhaftig seiend ist, dann würde es nicht mit Vergehen (nirodha) sein. Weil ihr an wahrhaftigem Sein haftet, widersprecht ihr der Wahrheit des Vergehens. (XXIV. 23.)

Wenn das Leid wahrhaftig seiend ist, dann würde es nicht vergehen. Weshalb? Weil eben das An-sich-Sein nicht vergänglich ist.3 Ferner:

Wenn das Leid wahrhaftig An-sich-Sein (svabhāva) hat, dann ist nicht Begehen des Weges (mārga-bhāvanā). Wenn der Pfad zu begehen und zu pflegen ist, dann ist er nicht mit An-sich-Sein (svabhāva). (XXIV. 24.)

Wenn die dharmas wahrhaftig seiend sind, dann ist nicht Begehen des Weges. Weshalb? Wenn die dharmas tatsächlich sind, dann sind sie ewig. (Wenn) ewig, dann nicht zu vermehren (und) zu steigern. Wenn der Weg zu begehen ist, dann ist er nicht an sich selbst (svabhāvataḥ). Ferner:

Wenn die Wahrheit des Leides nicht ist, und die Wahrheiten der Vereinigung und des Vergehens nicht sind, was erreicht schließlich der Weg, der das Leid vernichtet? (XXIV. 25.)

Wenn die dharmas vorher wahrhaftig seiend sind mit An-sich-Sein (svabhāva), dann sind nicht die Wahrheiten des Leides, der Vereinigung und des Vergehens. (Wenn) jetzt der Weg des Vergehens, des Leides schließlich erreicht (wird): welches ist der Ort des Vergehens des Leides (duḥkha-nirodha)? Ferner:

Wenn das Leid wahrhaftig an sich ist, in der Vergangenheit nicht gesehen, wie wird es jetzt gesehen, weil dessen An-sich-Sein nicht verschieden ist? (XXIV. 26.)

Wenn vorher, zur Zeit gewöhnlicher Menschen, man nicht des Leides An-sich-Sein sehen kann, so würde man es jetzt auch nicht sehen. Weshalb? Weil man das An-sich-Sein nicht tatsächlich sieht. Ferner:

[162] Wie das Sehen des Leides nicht richtig ist, so sind auch die Vernichtung der Vereinigung und die Verwirklichung der Zerstörung, das Begehen des Pfades und die vier Wahrheiten – diese auch ausnahmslos sind nicht richtig. (XXIV. 27.)

Wie die Wahrheit des Leides in ihrem An-sich-Sein vorher nicht zu sehen ist4, und (man) sie auch später nicht sehen würde, so auch würde nicht Vernichtung der Vereinigung, Verwirklichung der Zerstörung und Betreten des Pfades sein. Weshalb? Dieses An-sich-Sein der Entstehung (samudaya), (wenn) vergangen, wird nicht vernichtet; jetzt auch würde es nicht vernichtet, weil An-sich-Sein nicht zu vernichten ist. Zerstörung (nirodha), (wenn) vergangen, wird nicht verwirklicht, jetzt auch würde sie nicht verwirklicht, da (sie) in der vergangenen Zeit nicht verwirklicht (wurde). Der Pfad ist in der Vergangenheit nicht betreten, jetzt auch würde er nicht betreten, weil er in der Vergangenheit nicht betreten wird. Deshalb würden die vier edlen Wahrheiten, Sehen, Aufhören (prahāṇa), Verwirklichen (sākṣāt-karman), Begehen (bhāvanā) ausnahmslos nicht sein, weil vierfaches Bewirken nicht ist. Die vier Folgen (eig. »Früchte«, phala) des Pfades sind auch nicht. Weshalb?

Das An-sich-Sein der vier Pfadesfrüchte (mārga- phala) ist in der Vergangenheit nicht zu erreichen. Wenn der dharmas (Objekte) Wesen (svabhāva) wahrhaftig seiend (ist), wie sind sie jetzt zu erreichen? (XXIV. 28.)

Wenn die dharmas (Objekte) mit Selbstsein sind, die vier śramana-Früchte, in der Vergangenheit noch nicht erreicht, wie sind sie jetzt zu erreichen? Wenn zu erreichen, dann ist das An-sich-Sein (svabhāva) nicht wahrhaftig seiend. Ferner:

Wenn die vier Früchte nicht sind, dann sind nicht die das Ziel Erreichenden (pratipannaka) erreicht; weil die acht Weisen nicht sind, so ist nicht die Gemeinde (saṇgha). (XXIV. 29.)

Weil die vier śramaṇa-Früchte nicht sind, so ist nicht das Erreichen der Früchte (und) der die Früchte zum Ziel Habenden.[163] Weil die acht Weisen (und) Guten nicht sind, so ist nicht die Kostbarkeit der Gemeinde. Aber das sūtra lehrt: »Acht Gute- (und-)Weise (puruṣa-pudgala) heißen ›die Gemeinde‹.« Ferner:

Weil die vier edlen Wahrheiten nicht sind, ist auch nicht die Kostbarkeit der Lehre (dharma- ratna). (Wenn) nicht die Kostbarkeit der Lehre (und) die Kostbarkeit der Gemeinde ist, wie ist die Kostbarkeit des Buddha? (XXIV. 30.)

Durch Ausüben der vier edlen Wahrheiten erreicht man den Zustand (dharma) des nirvāṇa. Wenn die vier Wahrheiten nicht sind, dann ist nicht die Kostbarkeit der Lehre (dharma-ratna). Wenn die zwei Kostbarkeiten nicht sind, wie wird die Kostbarkeit des Buddha sein? (Wenn) ihr durch solche Gründe die dharmas (Objekte) als wahrhaftig seiend lehrt, dann vernichtet ihr die drei Kostbarkeiten.

Frage: Obwohl ihr die dharmas (Objekte) widerlegt, selbst dann wird die unübertreffliche vollendete Einsicht (anuttarā samyak-sambodhi) sein. Wegen dieses Weges heißt er Buddha.

Antwort:

Ihr lehrt also: nicht abhängig von bodhi (Erleuchtung) ist buddha (der Erleuchtete), auch ferner nicht abhängig von buddha ist bodhi. (XXIV. 31.)

Ihr lehrt: die dharmas (Objekte) sind an sich (svabhāvataḥ); alsdann würde nicht abhängig von bodhi der buddha sein. Von buddha abhängig ist bodhi5; weil diese zwei Wesen (svabhāva.) ewig wahrhaftig seiend sind. Ferner:

Obwohl ihr ferner euch eifrig anstrengend um den Weg der Einsicht (bodhi-mārga) bemüht, wenn vorher nicht des buddha An-sich-Sein (svabhāva) ist, würde er nicht erreichen, buddha zu werden. (XXIV. 32.)

Weil (er) vorher nicht mit An-sich-Sein (svabhāva) ist. Wie Eisen nicht mit An-sich-Sein des Goldes ist; obwohl weiterhin verschiedentlich geschmiedet (und) geschmolzen, wird es nicht später Gold. Ferner:

Wenn die dharmas (Objekte) nicht leer (sind), gibt es kein Böses- und Gutestun. Was tut man Nicht-Leeres,[164] weil dieses (doch) in seinem An- sich-Sein (svabhāva) wahr (bestimmt) ist? (XXIV. 33.)

Wenn die dharmas (Objekte) nicht leer, dann tut der Mensch niemals Böses (und) Gutes. Weshalb? Weil Böses (und) Gutes in seinem An-sich-Sein vorher schon ist.6 Auch weil nicht Tun (und) Tuender ist. Ferner:

Du bringst nicht bei Bösem (und) Gutem (Frucht-) Vergeltung hervor; dann sind eben ohne Böses (und) Gutes (Frucht-)Vergeltungen. (XXIV. 34.)

Bei den Bedingungen des Bösen (und) Guten seid ihr ausnahmslos ohne Vergeltung. Dann würde eben ohne Bedingung durch Böses (und) Gutes die Vergeltung sein. Weshalb? Weil Vergeltung nicht aus Grund hervorgehend erreicht wird.

Frage: Ohne Böses (und) Gutes kann nicht der Tugend (und) Sünde Vergeltung sein. Nur durch Böses (und) Gutes ist Vergeltung von Tugend (und) Sünde.

Antwort:

Wenn (man) sagt: »Durch Böses (und) Gutes entsteht Vergeltung«, (dann) ist Frucht durch Böses (und) Gutes entstanden: wie sagt man »nicht leer«? (XXIV. 35.)

Wenn ohne Böses (und) Gutes nicht die Folge (Frucht) von Tugend (und) Sünde ist, wie sagt (man): »Frucht (Folge) ist nicht leer«? Wenn so, dann ist ohne [Tun und]7 Tuenden nicht Gutes (und) Böses. Früher lehrt(et) ihr: »Die dharmas (Objekte) sind nicht leer.« Diese Sache ist nicht richtig. Ferner:

Ihr widersprecht allen dharmas (Objekten), den Ursachen und Bedingungen (hetu-pratyaya), der Leerheit; dann widersprecht ihr der weltlichen Umgangsweise (loka-vyavahāra) und allen übrigen dharmas, die es gibt. (XXIV. 36.)

Wenn ihr den Bedingungen (und) dem höchsten Sinne der Leerheit widersprecht, dann widersprecht ihr allen Objekten (dharma) des weltlichen Umgangs. Weshalb?

Wenn du die Leerheit bestreitest, dann wäre nicht Getanes, ohne Tun wäre doch Tun, nicht tuend würde (er) Täter heißen. (XXIV. 37.)[165]

Wenn (man) die Leerheit bestreitet, dann sind alle Folgen ausnahmslos ohne Tun, ohne Grund. Ohne Tun aber (wäre) Tun, und alle Tuenden wären nicht mit (dem), was sie tun. Und ohne Tuenden wäre dann Tat (karma), wäre Vergeltung, wäre Annehmer (upādātṛ). Nur ist diese Sache ausnahmslos nicht richtig. Deshalb sollte man das Leere nicht bestreiten. Ferner:

Wenn absolut wahrhaftig der Welt verschiedene Eigenschaften (lakṣaṇa) wären, dann (würde sie) nicht entstehen, nicht vergehen, immer ewig, nicht zerstört. (XXIV. 38.)

Wenn die dharmas (Objekte) wahrhaftiges An-sich-Sein haben, dann würden der Welt verschiedene lakṣaṇas, (d.h.) deva (Götter), manuṣya (Menschen), Tiere (tiryag-yoni): alle Dinge ausnahmslos nicht entstehen (und) nicht vergehen, immer verharrend (und) nicht zerstört. Weshalb? Weil tatsächliches Sein nicht zu verwandeln ist. Aber, (wie) offenbar gesehen, sind alle Dinge jedes veränderlich vereigenschaftet – (mit) Entstehen, Vergehen, Verändern. Deshalb würden sie nicht wahrhaftiges Sein haben. Ferner:

Wenn Leeres nicht ist, würde Noch-nicht-Erreichtes nicht erreicht, auch würden die Qualen (kleśa) nicht vernichtet, auch wäre nicht Vergänglichkeit des Leides. (XXIV. 39.)

Wenn leere dharmas (Objekte) nicht sind, dann würden eben Weltliches (laukika) (und) Überweltliches (lokottara), wie Verdienst (und) Tugend, (die) noch nicht erreicht (sind), ausnahmslos nicht erreicht werden. Auch wäre nicht Vernichtung der Qualen (kleśa), dann wäre auch nicht Vergänglichkeit des Leides. Weshalb? Weil wahrhaftig seiend.

Deshalb wird im sūtra gelehrt: Wenn man die Abhängigkeit sieht, dann heißt es: (er) kann Buddha sehen, und des Leides Entstehung, Vergehen und den Pfad sehen. (XXIV. 40.)

Wenn (ein) Mensch alle dharmas (Objekte) durch Bedingungen (pratyaya) entstehen sieht, so kann dieser Mensch des Buddha dharma-kāya (Körper der Lehre) sehen, Verstand (und) Einsicht vermehren, (und) kann die vier edlen Wahrheiten[166] sehen: das Leid, (dessen) Entstehung, Vergehen, (und den) Pfad. (Ist) Sehen der vier edlen Wahrheiten, (so) erreicht er die vier Früchte (und) vernichtet des Leides Qualen (kleśa). Deshalb sollte man die Leerheit nicht bestreiten. Wenn (man) die Leerheit bestreitet, dann bestreitet man das abhängige Entstehen (pratītya-samutpāda); bestreitet man das abhängige Entstehen, so bestreitet man die drei Kostbarkeiten (ratna); wenn man die drei Kostbarkeiten bestreitet, so bestreitet man sich selbst.

1

TE.: »Pfadesfrüchte«.

2

Zusatz von TE.

3

KE.: »nicht verloren wird«.

4

TE.: »nicht gesehen wird«.

5

Nach TE. KE.: »Durch den Pfad des Buddha ist bodhi«.

6

TE.: »vorher schon wahrhaftig ist«.

7

Nach TE. zu tilgen.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 155-167.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.

358 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon