Elftes Kapitel
Folgerungen aus dem Wesen der Bewegung

[61] Es staunen vielleicht Manche über diese bisher unerhörte Sätze, deren Wahrheit die Wissenschaft des Nichtwissens nachgewiesen hat. Wir wissen nun, daß das Universum dreieinig und daß es nicht ein Universum gibt, das nicht eine Einheit ist aus Möglichkeit, Wirklichkeit und vereinigender Bewegung, so wie daß kein Wesen absolut, ohne die andern bestehen kann, weßhalb nothwendig Alles in den verschiedensten Gradunterschieden besteht, so daß im ganzen Universum nicht zwei Dinge einander vollkommen gleich sind. Es ist daher, wenn man die Verschiedenheit der Bewegung der Weltkörper erwägt, unmöglich, daß etwas die Weltmaschine sei, oder daß diese sichtbare Erde oder Luft, Feuer[61] oder sonst irgend Etwas das feste und unbewegliche (Welt-) Centrum bilde. Denn man kommt in der Bewegung auf kein schlechthin Kleinstes, wie z.B. ein fixes Centrum, weil das Kleinste nothwendig mit dem Größten coincidirt. Es würde also das Centrum der Welt mit ihrer Peripherie coincidiren. Die Welt hat daher keine Peripherie; hätte sie Centrum und Peripherie, so hätte sie ihren Anfang und Ende in sich selbst, die Welt wäre in Bezug auf ein Anderes begrenzt, außer der Welt wäre ein Anderes und ein Raum, – Sätze, die alle der Wahrheit entbehren. Da es somit unmöglich ist, daß die Welt in ein körperliches Centrum und eine bestimmte Peripherie eingeschlossen sei, so erkennen wir die Welt nicht, deren Centrum und Peripherie Gott ist. Und wiewohl diese Welt nicht unendlich ist, so kann sie doch auch nicht als endlich gedacht werden, da sie keine Grenzen hat, in welche sie eingeschlossen ist. Es kann somit auch die Erde, die das Centrum nicht sein kann, nicht ohne alle Bewegung sein, (terra igitur, quae centrum esse nequit, motu omni carere non potest); denn daß sie sich bewegen müssen, ist auch in dem Sinne zu fassen, daß sie sich noch unendlich weniger bewegen könnte (nam eam moveri taliter etiam necesse est, quod per infinitum minus moveri posset). Wie die Erde nicht das Centrum der Welt ist, so ist es auch nicht die Sphäre der Fixsterne oder ein Anderer Umkreis derselben, wiewohl die Erde, im Verhältniß zu dem Himmel betrachtet, mehr dem Centrum, der Himmel mehr der Peripherie ähnlich zu sein scheint. Die Erde ist also nicht das Centrum, auch nicht für die erste oder irgend eine andere Sphäre; auch das Erscheinen der sechs Himmelszeichen über dem Horizonte berechtigt nicht zu dem Schlusse, die Erde sei im Centrum der achten Sphäre. Denn auch wenn diese von ihrem Centrum entfernt wäre und sich in der Nähe einer durch die Pole gehenden Achse befände, so daß sie auf der einen Seite gegen den einen Pol erhoben, auf der andern gegen den andern Pol gesenkt wäre, würde Denjenigen, die so weit von den Polen entfernt stehen, als der Horizont sich ausdehnt, nur die Mitte der Sphäre sichtbar sein, was für sich klar ist. Es ist auch das Centrum der Welt nicht mehr innerhalb, als außerhalb der Erde. Ja, weder die Erde, noch irgend eine Sphäre (Himmelskörper) hat ein Centrum. Denn da das Centrum der von der Peripherie gleichweit entfernte Punkt ist und es keinen vollkommen wahren Kreis oder Kugel gibt, die keine größere Vollkommenheit zuließe, so gibt es offenbar kein Centrum, das nicht viel wahrer und präciser sein könnte. Eine präcise gleichweite Entfernung ist außer Gott unmöglich, weil er allein die absolute Gleichheit ist. Gott also, der das Centrum der Welt ist, ist auch das Centrum der Erde und aller Himmelskörper und von Allem, was in der Welt ist; er ist zugleich[62] die unendliche Peripherie von Allem. Ferner: am Himmel sind keine unbeweglichen und fixen Pole, wiewohl auch der Himmel der Fixsterne in Folge der Bewegung Kreise von stufenweise verschiedener Größe, kleiner als die Meridiane oder als die Aequinoctiale (das Gleiche gilt von den dazwischen liegenden Kreisen) zu beschreiben scheint. Allein es muß sich jeder Theil des Himmels bewegen, wiewohl ungleich, im Verhältniß zu den Kreisen, welche die Sterne in ihrer Bewegung beschreiben. Wie einige Sterne einen größten, so scheinen andere Sterne einen kleinsten Kreis zu beschreiben; es gibt aber keinen Stern, der keinen Kreis beschriebe. Gibt es in einem Himmelskörper (in sphaera) keinen fixen Pol, so gibt es auch keine Mitte, die gleichweit von den Polen entfernt wäre. Es gibt daher in der achten Sphäre keinen Stern, der durch seine Umdrehung einen größten Kreis beschreibt, weil derselbe gleichweit von den Polen, die es nicht gibt, entfernt sein müßte. Folglich gibt es auch keinen, der einen kleinsten Kreis beschreibt. Die Pollen der Himmelskörper coincidiren daher mit dem Centrum, so daß Centrum und Pol nichts Anderes ist, als – Gott. Und da wir die Bewegung nur im Verhältnisse zu etwas Unbeweglichem, zum Pole oder Mittelpunkt, wahrzunehmen im Stande sind und jene bei dem Messen der Bewegungen voraussetzen, so finden wir, daß wir nur in Muthmaßungen uns bewegen und in allen Stücken irre gehen; wir wundern uns, wenn wir nach den Regeln der Alten Sterne in ihrer Stellung nicht übereinstimmend finden, weil wir annehmen, daß die Alten über Centrum, Pole und Messung richtige Begriffe gehabt haben.

Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß die Erde sich bewege. Da wir aus Erfahrung wissen, daß sich die Elemente durch die Bewegung eines Kometen, der Luft und des Feuers bewegen, so wie, daß der Mond sich weniger von Ost nach West bewege als der Mercur, die Venus oder die Sonne und so stufenweise, so bewegt sich die Erde noch weniger, als alle andern (Sterne), jedoch ist sie nicht ein Stern, der um Centrum oder Pol den kleinsten Kreis beschreibt, so wie nach dem eben Gesagten die achte Sphäre oder irgend eine andere keinen größten beschreibt. Beachte daher wohl: wie sich die Sterne zu den angenommenen (conjecturales) Polen der achten Sphäre verhalten, so sind Erde, Mond und Planeten Sterne, die sich am Pole in verschiedenen Abständen bewegen, so daß wir da den Pol suchen, wo man bisher das Centrum annahm (conjecturando polum esse, ubi creditur centrum). Wenn daher gleich die Erde ein Stern ist, der sich in größerer Nähe von dem Centralpole befindet, so bewegt sie sich doch und beschreibt nicht, wie gezeigt ist, einen kleinsten Kreis. Ja, weder Sonne, noch Mond oder Erde, oder irgend ein Himmelskörper kann, wenn es uns gleich[63] anders scheint, eine wahre kreisförmige Bewegung beschreiben, weil sie sich nicht um etwas Festes bewegen. Es gibt auch keinen wahren Kreis, der nicht vollkommener sein könnte, und zu einer Zeit sich ganz genau wie zu einer andern bewegt oder einen ganz gleichen Kreis beschreibt, wenn wir dies gleich nicht wahrnehmen. Willst du daher über die Bewegung des Universums eine andere Ansicht, als die bisher übliche, gewinnen, so mußt du Centrum und Pole zusammenfassen (necesse est ut centrum cum polis complices) und dabei so gut, als es angeht, die Einbildungskraft zu Hülfe nehmen. Denn wenn Einer auf der Erde und unter dem Nordpole, ein Anderer im Nordpole stünde, so würde der auf der Erde Stehende ebenso glauben, der Pol sei im Zenith, wie der im Pole Stehende glauben würde, das Centrum sei im Zenith. Wie die Gegenfüßler gleich uns den Himmel über sich haben, so würde den auf beiden Polen Stehenden die Erde im Zenith zu fein scheinen, und wo immer Einer steht, glaubt er, er sei im Centrum. Fasse also jene entgegengesetzten Vorstellungen zusammen, so daß das Centrum Zenith ist und umgekehrt, dann wird dein Verstand, dem nur die Wissenschaft des Nichtwissens gute Dienste leistet, einsehen, daß die Welt, ihre Bewegung und Gestalt nicht erkannt werden können, denn sie wird dir vorkommen wie ein Rad im Rade oder eine Kugel in der Kugel, die, wie gesagt, nirgends Centrum und Umkreis hat.

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 61-64.
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