255.
An Malwida von Meysenbug

[1322] Turin, den 18. Oktober 1888


Verehrte Freundin, das sind keine Dinge, worüber ich Widerspruch zulasse. Ich bin, in Fragen der décadence, die höchste Instanz, die es jetzt auf Erden gibt: diese jetzigen Menschen mit ihrer jammervollen Instinkt-Entartung, sollten sich glücklich schätzen, jemanden zu haben, der ihnen in dunkleren Fällen reinen Wein einschenkt. Daß Wagner es verstanden hat, von sich den Glauben zu erwecken (– wie[1322] Sie es mit verehrungswürdiger Unschuld ausdrücken), der »letzte Ausdruck der schöpferischen Natur«, gleichsam ihr »Schlußwort« zu sein, dazu bedarf es in der Tat des Genies, aber eines Genies der Lüge ... Ich selber habe die Ehre, etwas Umgekehrtes zu sein – ein Genie der Wahrheit – –

Friedrich Nietzsche

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1322-1323.
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Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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