101

[108] Voltaire. – Überall, wo es einen Hof gab, hat er das Gesetz des Gut-Sprechens und damit auch das Gesetz des Stils für alle Schreibenden gegeben. Die höfische Sprache ist aber die Sprache des Höflings, der kein Fach hat und der sich selbst in Gesprächen über wissenschaftliche Dinge alle bequemen technischen Ausdrücke verbietet, weil sie nach dem Fache schmecken; deshalb ist der technische Ausdruck und alles, was den Spezialisten verrät, in den Ländern einer höfischen Kultur ein Flecken des Stils. Man ist jetzt, wo alle Höfe Karikaturen von sonst und jetzt geworden sind, erstaunt, selbst Voltaire in diesem Punkt unsäglich spröde und peinlich zu finden (zum Beispiel in seinem Urteil über solche Stilisten wie Fontenelle und Montesquieu), – wir sind eben alle vom höfischen Geschmack emanzipiert, während Voltaire dessen Vollender war!

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 108.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die fröhliche Wissenschaft
Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
Die fröhliche Wissenschaft
Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
Die fröhliche Wissenschaft - La gaya scienza