91

[628] So kalt, so eisig, daß man sich an ihm die Finger verbrennt! Jede Hand erschrickt, die ihn anfaßt! – Und gerade darum halten manche ihn für glühend.


92

Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert? –


93

In der Leutseligkeit ist nichts von Menschenhaß, aber eben darum allzuviel von Menschenverachtung.


94

Reife des Mannes: das heißt den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel.


95

Sich seiner Unmoralität schämen: das ist eine Stufe auf der Treppe, an deren Ende man sich auch seiner Moralität schämt.


96

Man soll vom Leben scheiden wie Odysseus von Nausikaa schied – mehr segnend als verliebt.


97

Wie? Ein großer Mann? Ich sehe immer nun den Schauspieler seines eignen Ideals.


98

Wenn man sein Gewissen dressiert, so küßt es uns zugleich, indem es beißt.


99

[629] Der Enttäuschte spricht. – »Ich horchte auf Widerhall, und ich hörte nur Lob –«


100

Vor uns selbst stellen wir uns alle einfältiger, als wir sind: wir ruhen uns so von unsern Mitmenschen aus.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 628-630.
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Jenseits von Gut und Böse: Vorspiel einer Philosophie der Zukunft
Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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