Greisenalter

[579] Greisenalter (Senectus), beim weiblichen Geschlecht Matronenalter (Anilitas) genannt, ist der Abschnitt des Lebens, mit welchem die Zeugungskraft erlischt u. die Periode der Abnahme od. des Welkens eintritt. Wegen des ganz allmälig stattfindenden Überganges von dem Mannesalter zum G., von der Kraft des Mannes zur Gebrechlichkeit des Greises, läßt sich der Anfang dieser Periode nicht genau bestimmen u. ist je nach der Individualität verschieden. Bei Männern beginnt das G. zwischen dem 50. u. 60., bei Frauen zwischen dem 40. u. 50. Jahre, doch unterscheidet man ein erstes od. früheres u. ein zweites od. höheres G. (Senectus decrepita); letzteres liegt hinter dem 70. Lebensjahre u. ist durch Altersschwäche (im höchsten Grade Marasmus) körperlich wie geistig (Kindischwerden) charakterisirt. Die körperlichen u. geistigen Kräfte schwinden, weil die verschiedenen [579] Organe ihren Dienst zu versagen beginnen. Diese Rückbildung (Involution) der Organe geschieht allmälig u. bald beginnt sie in diesem, bald in jenem System u. pflanzt sich nach u. nach auf die übrigen fort, ohne daß aber eine Regel für die Folge dieser Involution sich aufstellen ließe. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß diejenigen Organe, welche sich im Kinde zuerst entwickelten, im Alter auch zuletzt schwinden (also die vegetativen Organe) u. umgekehrt, die später sich entwickelnden zuerst sich rückbilden (Geschlechts-, Sinnes- u. Geistesorgane). Durch Sinken der Bildungsthätigkeit, Trägheit des Stoffwechsels werden folgende Alterserscheinungen hervorgerufen: Abmagerung (Schwinden der Muskeln u. der Knochen, vorzüglich aber des Fettes), Erschlaffung, Faltigwerden, Abschilferung u. schmutziggelbliche Färbung der Haut, Ergrauen u. Ausfallen der Haare, Einsinken der Augen, Trübung des Hornhautrandes (Greisenbogen), Alterskreis, Schrumpfen der Augenlider, Einfallen der Wangen u. Schläfe, Verlust der Zähne (Greisenmund) mit Verkürzung des Gesichtes. In dem allgemeinen Welken schwindet auch das Hirn, daher Vermehrung des Hirnwassers (Abnahme der Denkfähigkeit der geistigen Thätigkeiten überhaupt), sowie überhaupt alle Nerven (Sinnesorgane lassen nach), Herz u. Blutgefäße verlieren an Elasticität, die Schleimhaut der Verdauungsorgane verdickt sich, deren Muskelhaut erschlafft. Diese Alterserscheinungen werden in den mittleren Lebensjahren Krankheiten genannt, u. deshalb bezeichnet man sie im G. auch wohl als Involutionskrankheiten; die nächste Ursache liegt in der Abnahme der Qualität u. Quantität des Blutes u. des Blutumlaufes, bedingt aber wieder durch Abnutzung der Vegetationsorgane. Mancherlei wirkliche Krankheitszustände gehen mit diesem allgemeinen Schwund einher, wie Katarrhe der Lunge (Husten), des Magens (Appetitlosigkeit), des Darms (Durchfall), Schlagfluß (durch Zerreißung der starren Blutgefäße im Gehirn), Harnvergiftung des Blutes (durch Harnbeschwerden), Greisenbrand der Fußzehen (durch Verstopfung der verknöcherten Pulsader des Beines). Gleichwohl zeigen sich die Erscheinungen eines vorrückenden Alters, unter ungünstigen äußeren Einwirkungen (Sorge, Kummer, Krankheiten, Ausschweifungen), bei ursprünglich nicht ganz robustem Körper, oft schon früher; auch spricht man von jungen Greisen, die schon in den besten Jahren altern. Der bei weitem kleinere Theil Menschenreicht überhaupt ein hohes Alter. Angeborene Schwächlichkeit u. zu viele ungünstige, oft nicht einmal abwendbare Einwirkungen der Lebensart u. äußerer Verhältnisse, ansteckende u. zufällige Krankheiten etc. kürzen das Leben so ab, daß höchstens nur etwa 1/4 zum G. gelangt, d.i. 60 Jahre alt wird, kaum, 1/20 aber bis zu 80 Jahren kommt, von wo an das Leben so schnell sinkt, daß kaum 1/100 bis zu 86 u. kaum. 1/1000, zu etwa 95 Jahren gelangt; wogegen es allerdings bei ursprünglich guter, von gefunden Eltern herstammender Körperbeschaffenheit u. schon früh beginnender, den Mittelweg zwischen Verzärtelung u. allzu strenger Abhärtung haltender Erziehung u. naturgemäßer Lebensart allerdings bedeutend verlängert werden kann. Die Lebensregeln des G-s, wo alles Geschlechtliche zurücktritt, sind für Mann u. Frau dieselben. Im Allgemeinen ist jede gewaltsame Änderung der gewohnten Lebensweise zu meiden, zumal Entziehung gewohnter Reize; alles gilt nur der Erhaltung der Kräfte u. deren ökonomischer Benutzung; Spirituosa mäßig u. mit der gehörigen Menge passender Nahrungsmittel (Vinum lac senum, Wein ist Milch für Greise), nahrhafte, aber leicht verdauliche Kost, Vermeidung reichlicher Abendmahlzeiten, Mittagsschläfchen, warme Kleidung, warme Bäder, mäßige geistige Beschäftigung.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 579-580.
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