Gotthardtunnel

[361] Gotthardtunnel. Der zweigleisige, 14.998 m lange Scheiteltunnel der Gotthardbahn (Schweiz) unterfährt in nahezu gerader Richtung von Norden nach Süden den Gotthardstock, verbindet das Reuß- mit dem Tessintal, beginnt unmittelbar hinter der Station Göschenen (1109 m ü. M.) und endet vor der Station Airolo (1145∙82 m ü. M.), die nahezu senkrecht zur geraden Tunnelachse liegt, daher das Tunnelende auf 145 m Länge im Bogen mit 300 m Halbmesser angeordnet wurde.

Der mehrfach geänderte Längsschnitt mit den Steigungs- und den geologischen Verhältnissen ist aus Abb. 295 zu ersehen. Das Gestein war zumeist fest, in wenigen Fällen drückend. Bedeutenden Druck äußerte das Gebirge in den 100 und 200 m langen Strecken, 2800[361] und 7500 vom Nordeingange und 4600 m vom Südeingange entfernt. Das Gebirge bestand in den Strecken auf der Nordseite aus stark lettig zersetztem Gneis, teilweise blähend, so daß Zimmerung und Mauerung unter großem Druck stand und wiederholte Umbauten erforderlich waren; erst die 3. Herstellung des Mauerwerkes mit 1∙5 m starken Granitquadern leistete genügenden Widerstand.

Der Wasserzufluß betrug in der Nordhälfte des Tunnels 50 l/Sek., in der Südhälfte 230 l/Sek. Der größte Zufluß von 348 l/Sek. fand bei 2092 m vom Südmunde aus statt, wodurch die Arbeiten wesentlich erschwert wurden.

Die Gesteinstemperatur in der Mitte des Tunnels bei 1700 m Gebirgsüberlagerung und – 6° C mittlerer Außentemperatur betrug 31° C. Durch Sprenggase, Beleuchtung und durch die menschliche Tätigkeit wurde die Temperatur im Tunnel noch nennenswert erhöht, was wesentliche Arbeitserschwernisse verursachte. Der zweigleisige Tunnelquerschnitt von 8 m Breite und 6 m Höhe hat 41 m2 Lichtfläche. Der Ausbruch wurde mit einem 6–7 m2 großen Firststollen begonnen, dem die seitlichen Erweiterungen (7–8 m2), der Sohlschlitz (11–12 m2) und schließlich die Strosse mit dem Kanäle (30–32 m2) folgten. Die Ausmauerung geschah nach der belgischen Bauweise, d.i. Herstellung des Gewölbes (0∙4–0∙7 m stark) nach Vollendung der seitlichen Erweiterung und Unterfangung durch die Widerlager nach dem Vollausbruche. Sohlgewölbe kam nur in den genannten Druckstrecken zur Anwendung. Der Kanal mit 0∙4–1∙0 m Weite wurde zumeist an den Widerlagern, ausnahmsweise bei Verwendung eines Sohlgewölbes in der Tunnelachse angeordnet.

Nischen sind im Abstände von 100 m erstellt; einige sind für die Unterbringung der Wärter und Signalstationen im Abstände von 1 km, zu größeren Kammern (3 m tief und 3 m breit) erweitert.

Im festen Gebirge wurde der Ausbruch des Firststollens und der Erweiterungen zeitweise auch des Sohlschlitzes mit Bohrmaschinen Ferroux und Mac Kean-Seguin (Preßluft von 3–5 Atm.) bewerkstelligt Der mittlere tägliche Stollenfortschritt auf die gesamte Bauzeit (7 Jahre 5 Monate) verteilt, betrug 5∙5 m; hierbei wurde 5% der Bauzeit von Hand gebohrt.

Der größte Stollenfortschritt wurde im August 1878 mit 278 m, d. s. 8∙96 m durchschnittlich täglich, erzielt.

Als Sprengmittel ist Dynamit (70%iges Nitroglyzerin), später stellenweise auch Sprenggelatine (90%iges Nitroglyzerin) verwendet worden.[362]

Die Förderung erfolgte auf einer 1∙0 m Spurbahn; in den oberen Tunnelteilen mit Menschen und Pferden, in den unteren zumeist mit Luftlokomotiven.

Die Verbindung der oberen mit den unteren Förderbahnen geschah durch Rampengleise (30 Neigung), die von Zeit zu Zeit nach Maßgabe des Fortgangs der Arbeiten in der Strosse vorgeschoben wurden. Zeitweise waren Schuttrichter für den abzuführenden Ausbruch und hydraulische Aufzüge für die in den oberen Tunnelräumen benötigten Baustoffe (Zimmerung und Mauerung) im Betrieb.

Der Firststollenbetrieb hat sich im G. nicht als zweckmäßig erwiesen, da hierbei Wasserabführung, Förderung und besonders die Vermehrung von Angriffstellen für den Vollausbruch (Sohlschlitz und Strosse) erschwert, ja fast undurchführbar waren.

Die Lüftung durch die von den Tunneleingängen aufgestellten Saugventilatoren wurde bald aufgegeben, so daß nur die von den Bohrmaschinen gebrauchte Luft für die Lüftung zur Verfügung stand, was nicht ausreichte, auch dann nicht, wenn die für die Bohrmaschinen bestimmte Preßluft zeitweise den Tunnelbaustellen unmittelbar zugeführt wurde, was großen Spannungsabfall zur Folge hatte.

Die Arbeiten wurden einerseits durch ungenügende Lüftung zeitweise recht erschwert, anderseits konnte den Bohrmaschinen vor Ort des Firststollens die erforderliche Preßluft nicht mehr mit ausreichend hoher Spannung zugeführt werden.

Die vor den Tunneleingängen aufgestellten Luftpressen verschiedener Bauart wurden durch Turbinen angetrieben. Die hierzu erforderlichen Wasserkräfte lieferten auf der Nordseite die Reuß (mindestens 1500 P. S.), auf der Südseite Tessin und Tremola (mindestens 1000 P. S.).

Für den Bohrmaschinenbetrieb wurde die Luft bis auf 6–7 Atm., für den Lokomotivbetrieb auf 12 Atm. gepreßt. Die langen, häufig undichten Leitungen von teilweise unzureichendem Querschnitt und der genannte Luftverbrauch für die Tunnellüftung bedingten größere Druckverluste, so daß die Pressung der den Bohrmaschinen zugeführten Luft nicht selten bis auf 3 und 2 Atm. gesunken ist.

Die Bestimmung der Tunnelachse geschah trigonometrisch. Auf der Andermatter Ebene (1440 m ü. M.) wurde an eine 1450 m lange Basis angeschlossen. Die jährlich einmal vorgenommene Hauptprüfung der Richtigkeit der Tunnelachse erfolgte von den vor den Tunneleingängen errichteten Observatorien mittels der dort aufgestellten Durchgangsinstrumente durch Anvisieren der die Tunnelrichtung angebenden Marken auf den Berghöhen und Übertragung der Richtung in den Tunnel (bei Nacht), dann Verlängerung der Richtung mittels kleiner Absteckinstrumente bei mehrfacher Umstellung. Der Durchschlag des Firststollens erfolgte am 29. Februar 1880 nach einer Bauzeit von 7 Jahren und 5 Monaten im Abstände von 7795 m vom Nordeingange des verlängerten Tunnels, wobei die Abweichung in der Richtung mit 33 cm, in der Höhe mit 5 cm und eine um 7∙6 m kürzere Tunnellänge gemessen wurde.

Der Bau des Tunnels war mit Vertrag vom 7. August 1872 dem Unternehmer L. Favre aus Genf mit 8jähriger Bauzeit (1872–80) gegen Bezahlung von 2800 Fr. f.d. m Ausbruch und 800 bis 2470 Fr. f.d. m Ausmauerung, deren Abmessungen von der Bauleitung der Gotthardbahngesellschaft von Fall zu Fall bestimmt wurden, übertragen. Dem Hauptvertrage folgten im Laufe der Bauzeit 5 Nachtragsverträge.

Die vertragsmäßig mit dem 1. Oktober 1880 festgesetzte Tunnelvollendung erfolgte Ende Dezember 1881, daher mit 11/4 Jahren Verspätung.

Die Gesamtkosten des Tunnelbaues mit den Gleisen und sonstigen Einrichtungen haben sich auf etwas über 60 Mill. Fr. belaufen, d. s. rund 4000 Fr. f.d. m = 3200 M. f.d. m. Von der Betriebseröffnung des Tunnels bis zum Jahre 1897 reichte die natürliche Lüftung des Tunnels aus. Als in diesem Jahre zwischen Göschenen und Airolo 10 Schnellzüge, 8 Personenzüge, 16 regelmäßige und 27 fakultative Güterzüge, daher zusammen täglich 61 Züge durch den Tunnel verkehrten und die Bahnerhaltungsarbeiten durch den Rauch wesentlich erschwert wurden, mußte künstliche Lüftung in Aussicht genommen werden. Nach eingehenden Studien entschloß man sich, die Lüftung nach der bewährten Bauart Saccardo auszuführen, wofür die Anlage im Jahre 1899 auf der Nordseite in Göschenen, zunächst provisorisch erstellt und in Betrieb gesetzt wurde.


Seit dem Jahre 1902 befindet sich die endgültige Lüftungsanlage mit der Reußwasserkraft (800 PS.) mit 90–120 Umdrehungen des Ventilators in der Minute im Betrieb, wobei mit Unterstützung des Nord-Südzuges eine Geschwindigkeit von 2∙6–3∙5 m/Sek. am Nordmunde und 2∙2–30 m/Sek. am Südmunde erreicht wird, was nur bei starkem entgegengesetzten natürlichen Luftzuge nicht völlig genügt.

Der elektrische Betrieb auf der Gotthardbahn also auch durch den großen Tunnel, ist in Aussicht genommen; die fertigen Entwürfe hierzu liegen vor.

Die Signaleinrichtungen im Tunnel sind:

1. Die Kilometerlaternen, auf denen die Nummern gut sichtbar angebracht sind.

2. Glockensignale und Telephon in den im Abstände von 1 km angeordneten Tunnelkammern;[363] 3. an den beiden Tunneleingängen die elektrischen Lichtsignale (Vor- und Einfahrtssignale);

Die Überwachung des T. geschieht in 24 Stunden durch 4malige zweimännige Begehung durch besondere Tunnelwärter.

Die Zugzahl in 24 Stunden beträgt nach dem Winterfahrplan 1913/14 30 Expreß- und Schnellzüge, wovon 10 fakultativ, 9 Personenzüge, 24 regelmäßige und 23 fakultative Güterzüge, zusammen 86 Züge.


Die Fahrt durch den Tunnel, also von Göschenen nach Airolo, dauert 17–23 Minuten.

Die Fahrkosten für diese Fahrt betragen in der 1., 2. und 3. Klasse 2∙70 Fr., 1∙90 Fr. und 1∙35 Fr.

Literatur: Gelpke, Bestimmung der St. Gotthardtunnelachse, Bern 1871. – Koppe, Bestimmung der Achse des G., Zürich 1875. – Stapff, Beobachtungen über die Gesteins-, Wasser- und Wärmeverhältnisse des G., 1872–1875. – Stapff, Geologisches Profil in der Achse des großen Tunnels, Bern 1880. – Dolezalek, Bohrmaschinenarbeit im G., Hilfsmittel für die Richtungsangabe im G., Der Firststollenbetrieb im G, Lufttransmission im G., Durchschlag und Richtungsbestimmung im G., Der Ausbau des G. in der Hann. Ztschr. Jge. 1878, 1880 und 1882. Conseil fédéral. Rapports mensuels et trimestriels sur la construction au chemin de fer du St. Gothard 1871–1882.

Dolezalek.

Abb. 295. Längsschnitt des Gotthardtunnels.
Abb. 295. Längsschnitt des Gotthardtunnels.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 361-364.
Lizenz:
Faksimiles:
361 | 362 | 363 | 364
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon