Milchwagen

[272] Milchwagen (milk car; wagon à lait; vagone pel trasporte di latte), gedeckte Güterwagen mit besonderen Einrichtungen zur Beförderung von Milch.

Die Kühlung der Milch während der Fahrt ist auf den festländischen Bahnen wegen der kurzen Beförderungsdauer (s. Milchbeförderung) von geringer Bedeutung, weshalb auf diesen Bahnen eigentliche Kühlwagen (s d.) für Milch nur vereinzelt in Anwendung kommen.

M. werden (s.d.) mit durchbrochenen Seiten- und Stirnwänden gebaut, wobei eine lebhafte Lüftung und Kühlung des Innenraums lediglich durch die während der Fahrt durchströmende Luft stattfindet.

An den Wänden im Innern der Wagen sind zum Aufstellen der Gefäße Legestellen eingebaut.

Als zweckentsprechende Gefäße für die Versendung von Milch werden Kannen aus verzinntem Eisenblech mit weitem Hals und gut schließbaren Deckeln, mit Tragbügeln, Bleiverschluß und Arben für Vorhängschlösser verwendet.

Die Kannen haben meist eine zylindrische Form und sind mit verzinnten Eisenreifen verstärkt.

Zur Verladung der Milch in M. empfiehlt es sich, gleich große Kannen, u.zw. solche von etwa 20 l Inhalt zu verwenden, die verhältnismäßig leicht zu handhaben sind und daher auch beim Ein- und Ausladen seltener beschädigt werden.

Zur nachhaltigen Kühlung der Milch während des Sommers werden auch Kannen mit Eiskästchen benutzt. Die Deckel solcher Kannen sind mit einer sackartigen, zylindrischen Verlängerung versehen, die in den Innenraum der Kanne reicht und mit Eisstückchen angefüllt wird. Der Eiszylinder ist oben mit einem Deckel verschlossen.


Die bei den österreichischen Staatsbahnen in Verwendung stehende Normaltype ist dem Wesen nach wie ein gedeckter Güterwagen, jedoch mit doppelter Dachkonstruktion und durchbrochener Seitenwandverschalung erbaut.

Der Wagen hat eine lichte Länge von 7∙65 m, eine lichte Breite von 2∙64 m, einen Radstand von 5∙0 m, ein Eigengewicht von 10∙23 t, ein Ladegewicht von 15 t. An den Stirnseiten sind die durchbrochenen Verschalungen mittels Türen zu verschließen, um zur Winterszeit den Luftzug vermindern zu können.

Außerdem sind bei den österreichischen Staatsbahnen M. nach Abb. 312 in Erprobung, bei denen der Innenraum in 3 Abteile geteilt ist; jedes Abteil besitzt eigene Schubtüren an der Wagenseitenwand, um die Be- und Entladung des Wagens beschleunigen zu können.

Die Einteilung des Wagens gestattet die Verladung einer größeren Zahl von Milchkannen.

Bei den preußischen Staatsbahnen sind 2achsige Wagen mit und ohne Bremse, mit einem Ladegewicht von 12.500 kg und einem Radstand von 4∙0 m in Verwendung.

Das Untergestell ist aus Walzeisen hergestellt und die lichten Kastenabmessungen sind: Länge 7000, Breite 2600 und die Höhe, an der Seitenwand gemessen, 1910 mm. Die Fußboden-, Dach- und Seitenwände sind doppelt ausgeführt und die Zwischenräume mit Kokosfaser und Stuhlrohrwolle ausgefüllt.

Das Dach ist außen mit Segelleinwand gedeckt. In der Mitte jeder Seitenwand ist eine Doppeltüre eingebaut, die luftdicht abschließt und mit Riegelverschluß abgeschlossen ist.

Die Lüftung erfolgt durch 8 Luftfänger im Fußboden und 12 Luftsauger im Dach.

Für die Aufstellung der Milchkannen sind Gerüste mit 3 Lattenböden eingebaut.

Im Fußboden sind auch Abflußöffnungen für das Auswaschwasser vorgesehen.

Außerdem werden im Essener Bezirk gedeckte Güterwagen verwendet, die aufklappbare Lagebretter besitzen.[272]

Der deutsche Güterwagenausschuß hat beschlossen, M. nicht mehr zu beschaffen.

In Dänemark sind Kühlwagen ohne Lüftung im Betrieb. Die M. sind 2achsig, mit einem Radstand von 3∙66 und lichten Kastenabmessungen von 6250 × 2380 × 1920 mm erbaut. Die Konstruktionsstärke der Seitenwände und des Fußbodens beträgt 110 mm, jene des Daches 50 mm.

Die 2 Eisbehälter, aus galvanisierten Blechstreifen hergestellt, sind an den Stirnwänden angeordnet und vom Dach aus zu füllen. Unterhalb der Behälter sind Blechbehälter für das Schmelzwasser angebracht.

In Norwegen sind 2achsige Kastenwagen mit doppelter Seitenwand, Fußboden und Dachkonstruktion, mit einem Radstand von 3∙66 m in Verwendung. An den Stirnwänden sind Eisbehälter angebracht.

In der kalten Jahreszeit wird ein Koksofen in der Mitte des Wagens aufgestellt.

In den Seitenwänden befinden sich jalousieartige Ventilationen.

Der Fußboden ist mit Holzzement belegt.

In Schweden sind die M. in Anbetracht des billigen Kühlmittels – Natureis – als Kühlwagen ausgestaltet und nach dem Frigatorsystem in amerikanischer Bauart ausgeführt.

Außerdem wird Milch nach dem Verfahren des Ingenieurs Casse in Kopenhagen in Milcheisblöcken, deren Haltbarkeit sich auf 6 Wochen und länger erstrecken soll, versendet.

In England wird Milch zumeist aus Dänemark, den Niederlanden und Rußland in eigens für diese Zwecke ausgerüsteten Dampfern (mit Kühlvorrichtungen) eingeführt und in den in den Häfen angelegten Kühlanlagen bevorrätigt. Für die Versendung zu Lande sind nur normale Güterwagen und vorgekühlte Wagen – diese werden nach der Verladung bis auf – 10° gekühlt und geschlossen – in Verwendung.

Die Hauptbauart ist 32 Fuß (9∙76 m) lang, besitzt 8 t Tragfähigkeit, Lüftungsöffnungen in den Seitenwänden und Zinkblechverschalung über dem Fußboden in Höhe von 3 Fuß (0∙91 m).

Die Wagen gehören sämtlich den Verfrachtern; die Kosten der Kühlung sind gewöhnlich den Frachtkosten zugerechnet.

In Rußland wird Milch und Butter aus Sibirien in besonderen M., die im Sommer künstlich gekühlt und im Winter geheizt werden können, befördert.

Für die sibirischen Linien kommen hauptsächlich 2 Bauarten in Betracht.

Bei der einen besteht der M. aus 2 Teilen, einem kleineren für den Begleiter und für die Unterbringung des Ofens und einem größeren für die Aufnahme der zu befördernden Produkte. Die 2 Teile sind voneinander vollkommen getrennt und ist der erstere mit der Plattform verbunden.

Die Wärmerohrleitung des Ofens ist unterhalb des Daches der Länge nach gelegen (mit Öffnungen versehen), hingegen wird die abgekühlte Luft unterhalb des Ofens abgeführt.

Für die Kühlung des Wagens sind 2 Eisbehälter vorgesehen, in die, um größeren Effekt zu erzielen, ein gekrümmtes Rohr eingebaut ist; dieses ist oben und unten mit dem Frachtenraum verbunden.

Die Außenluft wird durch 4 in den Ecken befindliche Luftschächte eingeführt.

Betreffs der zweiten Bauart s. Art. Kühlwagen, S. 9.

In Nordamerika kommen für die Beförderung von Milch auf kurze Strecken vornehmlich gewöhnliche Güterwagen zur Verwendung, da die vorbehandelte Milch – in Kannen oder Flaschen gefüllt – in großen Kühlhallen auf 1∙6° gehalten wird und zur Versendung in eigene Holzkasten verpackt wird. Über die Flaschen wird Eis gelegt.

Auf den Hauptstrecken sind eigene Milchzüge eingelegt.

Für größere Entfernungen sind Kühlwagen (s.d.) in Verwendung.

v. Garlik.

Abb. 312. Milchwagen der österreichischen Staatsbahnen.
Abb. 312. Milchwagen der österreichischen Staatsbahnen.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 272-273.
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