Reichseisenbahnamt

[189] Reichseisenbahnamt, durch das deutsche Reichsgesetz vom 27. Juni 1873 eingesetzte, dem Reichskanzler unterstellte Zentralbehörde mit dem Sitz in Berlin zur Ausübung der dem Reich durch die Reichsverfassung und andere Gesetze vorbehaltenen Aufsichtsrechte über das gesamte Eisenbahnwesen – Reichs-, Staats- und Privateisenbahnen – in Deutschland. An der Spitze des R. steht der Vorsitzende (Präsident), der nebst den Räten vom Kaiser ernannt wird. Der Präsident vertritt im deutschen Reichstag als Vertreter des Reichskanzlers die Betriebsführung der deutschen Eisenbahnen innerhalb der Zuständigkeit des Reiches, die im Bundesrat zur Beschlußfassung kommenden Eisenbahnangelegenheiten werden im R. vorbereitet. Das R. hat

a) das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen,

b) für die Ausführung der Bestimmungen der Reichsverfassung sowie der sonst auf das Eisenbahnwesen bezüglichen Bestimmungen der Reichsgesetze und Verordnungen – EBBO., Bestimmungen über die Befähigung von Eisenbahn-Betriebs- und -Polizeibeamten, Signalordnung, Verkehrsordnung, Militäreisenbahnordnung – Sorge zu tragen,

c) auf Abstellung hervorgetretener Mängel und Mißstände hinzuwirken.

Es ist berechtigt, über alle Einrichtungen und Maßnahmen von den Eisenbahnverwaltungen Auskunft zu fordern oder durch Kommissäre sich zu unterrichten und hiernach das Erforderliche zu veranlassen. Bei der Durchführung der Verfügungen stehen dem R. den Privateisenbahnen gegenüber dieselben Befugnisse zu, die jeder Bundesstaat den staatlichen Eisenbahnaufsichtsbehörden beigelegt hat, während die Staatseisenbahnverwaltungen nötigenfalls zur Erfüllung der ihnen obliegenden Verpflichtungen im verfassungsmäßigen Wege angehalten werden können und im gleichen Fall bei den Reichseisenbahnen der Reichskanzler die Verfügung zum Vollzug bringen würde.

Die Eisenbahnverwaltungen haben dem R. regelmäßige Vorlagen in bestimmten Angelegenheiten zu machen, z.B. über Inbetriebnahme neuer Bahnstrecken, Bahnhöfe und Hauptgleise, über Fahrplanänderungen, Tariferhöhungen und Verkehrsbeschränkungen, über Betriebsunfälle, Betriebsergebnisse u.s.w. Im R. werden außer der Statistik der in Betrieb befindlichen Eisenbahnen Deutschlands mehrfache laufende Nachweise geführt und veröffentlicht.

Mit Ausnahme der Bestimmungen, die sich auf die Landesverteidigung beziehen, nimmt Bayern mit seinen Eisenbahnen eine Sonderstellung ein, die natürlich auch die Befugnisse des R. gegenüber den bayerischen Eisenbahnen einschränkt.

Von besonderer Bedeutung sind die Aufgaben und Befugnisse des R. bezüglich der militärischen Leistungen der Eisenbahnen. Es bildet für das notwendige Zusammenwirken der Zentralbehörden der Heeresleitung mit den Zentralbehörden der Eisenbahnverwaltung als Organ des Reichskanzlers die Zentralstelle des Eisenbahnwesens. Die Aufsichtstätigkeit des R. ist wirksam in Friedens- und Kriegszeiten bei der Verbreitung und Ausführung der den Eisenbahnen obliegenden Aufgaben für die Landesverteidigung. Durch Vermittlung des R. übt die Reichsmilitärverwaltung ihren Einfluß bei dem Entwurf und Bau neuer und dem Ausbau bestehender Eisenbahnen aus, wie überhaupt das R. fortlaufend über die militärische Ausrüstung der Eisenbahnen, über die Vorarbeiten der Militärfahrpläne, über die Verwendung des Eisenbahnpersonals zu Feldeisenbahnformationen und über seine Zurückstellung vom Waffendienst unterrichtet ist.[189]

Im Kriegsfall sind die Eisenbahnverwaltungen bei Erfüllung der Verpflichtungen, die ihnen das Kriegsleistungsgesetz auferlegt, mit ihren in Friedensbetrieb bleibenden Bahnstrecken der Aufsicht des R. unterstellt, während hinsichtlich der im Kriegsbetrieb befindlichen Bahnstrecken die Militäreisenbahnbehörden zuständig sind. Der Chef des Feldeisenbahnwesens hat bei der Leitung des Eisenbahndienstes für Kriegszwecke in den Angelegenheiten nicht ausschließlich militärischer Art im Einvernehmen mit dem R. vorzugehen, sofern Gefahr im Verzug ist, gemäß nachträglicher Benachrichtigung. Beschwerden von Eisenbahnverwaltungen gegen Militärbehörden und umgekehrt von Militärbehörden gegen Eisenbahnverwaltungen werden zwischen dem Generalin pekteur des Etappen- und Eisenbahnwesens und dem R. zur Prüfung und Erledigung gebracht.

Das R. kann auch als richterliche Spruchbehörde zusammentreten. Es hätte dies zu geschehen, wenn gegen eine von ihm verfügte Maßregel Gegenvorstellung auf Grund der Behauptung erhoben würde, daß die Maßregel gesetzlich nicht begründet sei. Für einen solchen Fall ist das Verfahren durch das vom Bundesrat erlassene Regulativ zur Ordnung des Geschäftsgangs bei dem durch Richter verstärkten R. vom 13. März 1876 geregelt.

Literatur: Jungermann, Die Errichtung des Reichseisenbahnamts. Gesetz vom 27. Juni 1873. Berlin 1874. – Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung. Berlin 1912, S. 8 ff.

Hoff.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 8. Berlin, Wien 1917, S. 189-190.
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