Lotter, Melchior

[644] Lotter, M. Melchior Lotter (Lotther) stammte aus Aue im sächsischen Voigtland. 1498 erhielt er das Leipziger Bürgerrecht, er hat aber vermutlich schon vorher, seit 1491 in der berühmten Leipziger Offizin von Konrad (Kunz) Kachelofen, dessen Schwiegersohn er später wurde und dessen Handlung er übernahm, gearbeitet.

Kachelofen, von Hause vermutlich Kaufmann, war aus Wartberg gebürtig, Leipziger Bürger seit 1476 und während des 15. Jahrhunderts Leipzigs bedeutendster und erster seßhafter Buchdrucker. Sein erster datierter Druck stammt aus dem Jahre 1485; seine Tätigkeit ist bis zum Jahre 1516 nachweisbar, obwohl er den größten Teil seiner Handlung bereits 1500 an seinen Schwiegersohn abgetreten hatte. Kachelofen druckte namentlich theologische und liturgische Bücher, einzelne mathematische und medizinische Schriften, daneben auch Lehr- und Unterrichtsliteratur. Seine beiden hervorragendsten Druckwerke sind ein aus dem Jahre 1489 stammendes kaufmännisches Rechenbuch von Joh. Widmann »Behende vnd hübsche Rechnung auf allen kauffmannschaft«, welches zum erstenmal im deutschen Buchdruck nicht allein die arabischen Ziffern verwendet, sondern auch[644] im Druck überhaupt die bekannten Rechenzeichen für plus und minus (+ und -) gebraucht – und ein 1495 gedrucktes Meißner Missale.

M. Lotter, der übrigens neben seinem Druckgeschäft zugleich Weinschank und Gastwirtschaft betrieb, übernahm um 1500 das Geschäft seines Schwiegervaters. Einen Namen machte er sich zunächst durch die Herstellung einer großen Anzahl von Missalen, Breviarien und Psalterien, deren Typen und Holzschnitt-Initialen zu dem Besten gehören, was der Missaledruck überhaupt hervorgebracht hat. Wegen der Schönheit seiner Ausstattung erhielt Lotter bis in die zwanziger Jahre unter anderen alle Druckaufträge, die das Bistum Meißen zu vergeben hatte, ebenso druckte er 1513 das Breviarium des Erzbischofs Ernst von Halle, 1517 ein Missale für die Diözöse Brandenburg, 1518 ein Havelsberger Breviarium und 1527 ein Psalterium für das neue Stift Halle.

Großartig aber vor allem war Lotters eigene Verlagstätigkeit. Außer zahlreichen philosophischen und theologischen, auch einzelnen juristischen und mathematischen Schriften, einer umfänglichen Unterrichts- und Erziehungsliteratur, Grammatiken, Poetiken, Wörterbüchern, Briefstellern, waren es namentlich die Texte der griechischen und römischen Autoren, für deren Herausgabe Lotter Sorge trug. Lateinische Übersetzungen der Ilias und Odyssee, der aristotelischen Schriften, auch einzelner Schriften von Plutarch und Lucian, Ausgaben plautinischer Komödien, des Terenz, Virgil, Horaz, Persius, zahlreicher Schriften Ciceros, Ausgaben des Seneca, das Valerius Maximus, von Tacitus Germania gingen nach und nach aus seinen Pressen und seinem Verlage hervor, viele davon wiederholt in neuen Auflagen. Von Leipziger Gelehrten war namentlich Herm. Tulich als Herausgeber und Korrektor für Lotter tätig. In der Verdrängung der eckigen gothischen Schrift und Einführung der echt lateinischen Buchstaben ging er 1511 zuerst vor.

Einen offenen Laden besaß Lotter in Leipzig unterm Rathause. Zum auswärtigen Vertriebe seiner Verlagserzeugnisse hatte er ständige Buchführer engagiert: Achatius Glov und Urban Port. Nachweislich war Lotter auch der Kommissionär Ulrichs von Hutten, ebenso gehörte Thomas Münzer zu seinen Kunden. Auch mit Papier und Pergament handelte Lotter; z.B. bezog der Leipziger Rat von 1514-30 einen beträchtlichen Teil seines gesamten Bedarfes an Schreibpapier von ihm.

Seit dem Jahre 1518 hatte Lotter wiederholt kleinere Druckaufträge von Luther in Wittenberg erhalten. Bald darauf, vermutlich 1519 errichtete Lotter eine Druckerei in Wittenberg, welcher seine beiden Söhne Melchior und Michael Lotter vorstanden. Zunächst war es der erstere, der die Offizin leitete, ihn begleitete von Leipzig[645] aus der schon erwähnte Korrektor Tulich, der bald darauf eine Wittenberger Professur erhielt. Der erste nachweisbare Druck Lotters in Wittenberg, eine akademische Festrede Melanchthons auf den Tag des heiligen Paulus, stammt vom Februar 1520 und trägt die Unterschrift Melchior Lotters des Jüngeren, der den größten Teil aller Lutherschen Schriften aus dem Anfang der zwanziger Jahre druckte. So wurde Lotter auch Luthers erster Bibeldrucker. Im Frühjahr 1522 begann er mit der Drucklegung der Uebersetzung des Neuen Testaments »Das newe Testament, Deutzsch, Vittenberg« und vollendete sie am 22. 9. 1522. Trotz der Höhe der Auflage von 5000 Exemplaren und des hohen Preises, 11/2 Gulden, etwa 25 Mk. nach heutigem Gelde, war die erste Ausgabe schon innerhalb dreier Monate vergriffen. Die übrigen Bibelteile wurden nach und nach gedruckt, und ehe das Bibelbuch vollständig war, hatten einzelne Teile schon für sich mehrere Auflagen erlebt. Plötzlich trat in Lotters Bibeldruck ein Stillstand ein; einer der Söhne Lotters hatte sich eines »Vergehens« – welches ist nicht bekannt – schuldig gemacht und war dadurch in Ungnade beim Kurfürsten gefallen. Vom Jahre 1525 ab ist von Melchior Lotter, Vater und Sohn in Wittenberg keine Spur mehr zu finden. Jedenfalls kehrten sie nach Leipzig zurück und suchten dort die halb und halb abgerissenen Fäden des Muttergeschäftes wieder anzuknüpfen. Michael Lotter aber blieb bis 1528 in Wittenberg und wurde neben Hans Luft auch gelegentlich wieder von Luther beschäftigt. 1529 kehrte auch er Wittenberg den Rücken, ging nach Magdeburg und errichtete hier eine Druckoffizin, die bis zu seinem Tode, 1554, bestanden hat.

Die Tätigkeit des Lotterschen Druckerei in Leipzig läßt sich noch bis Ende der dreißiger Jahre nachweisen, aber sie war im Vergleich zu früher eine sehr unbedeutende. Er mag sich mehr seinem Gastwirtsbetriebe zugewandt haben. 1539 wurde Melchior Lotter (Vater) als erster Leipziger Buchdrucker und Buchhändler in den Rat der Stadt gewählt. 1542 soll Lotter gestorben sein, von seinem Sohne ist seit 1525 nichts mehr nachzuweisen.

Quellen: G. Wustmann, Luthers Bibeldrucker, Leipzig 1878; vergl. auch Kapp, Buchhandel; Goetze, die hochdeutschen Drucker der Reformationszeit, Straßburg 1905.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 4. Berlin/Eberswalde 1907, S. 644-646.
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