Vandenhoeck & Ruprecht

[969] Vandenhoeck & Ruprecht. Abraham Vandenhoeck betrieb seit dem Jahre 1720 in seiner Heimat Holland, darauf in London den Buchhandel und erscheint dann als Inhaber einer angesehenen Buchdruckerei in Hamburg. Der Gründer und erste Kurator der Ernst-Augusts-Universität, Gerlach von Münchhausen, berief den unternehmungslustigen Mann als Drucker und Buchhändler nach Göttingen, und im Jahre 1735 siedelte Vandenhoeck, mit manchen Privilegien ausgestattet, auf einem ihm an der Mündung der Weser von der Regierung bereit gehaltenen Schiff dorthin über. Die Hoffnungen, mit welchen Vandenhoeck den neuen Boden betrat, erfüllten sich nicht. Als er 1750 starb, ließ er seine Witwe Anna, eine geborene Engländerin (mit Vatersnamen Perry), in dürftigen Verhältnissen zurück. Diese, eine sehr energische Frau, übernahm das Geschäft und brachte es mit Hilfe ihres Buchhalters und spätern Teilhabers Carl Friedrich Günther Ruprecht aus Schleusingen i. Thür. in wenigen Jahrzehnten zu hoher Blüte. In dankbarer Anerkennung der ihr geleisteten Dienste setzte die kinderlose Frau Ruprecht zu ihrem Universalerben ein, belastet allerdings mit Legaten (namentlich zugunsten der Professorenwitwenkasse und der reformierten Kirche), welche im Verhältnis zu dem ererbten Vermögen sehr hoch waren, so daß der Erbe, als Anna Vandenhoeck 1787 starb, keinen leichten Stand hatte. Die Firma lautete, da der Name Vandenhoecks nach Vorschrift der Witwe in ihr erhalten bleiben sollte, nunmehr Vandenhoeck & Ruprecht. Damals vermehrte Ruprecht den Verlag um glänzende Namen. So nennen wir u. a. Joh. Beckmanns technologische, kameralistische und sonstige Schriften C. Fr. Eichhorns Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, Schriften der Philosophen Bouterwek und Herbart, des Mathematikers Kästner, des vielseitigen Meiners, der Historiker Gatterer, Heeren, Pütter, Schlözer und Spittler (Heerens Werke erschienen 1821-30 in einer Gesamtausgabe von 15 Bdn.), des Orientalisten J. D. Michaelis,[969] des Pädagogen H. J. Pestalozzi u. a. Ein großartiges Unternehmen war die rühmlichst bekannte und geschätzte, in 11 Hauptabteilungen erschienene »Geschichte der Künste und Wissenschaften« (gegen 80 Bände im Preise von zirka 400 M.), als deren Mitarbeiter zu nennen sind Ch. F. Ammon, G. W. Meyer und Stäudlin (Geschichte der Theologie), Bouterwek (Schöne Wissenschaften), Buhle (Philosophie), J. G. Eichhorn (Kultur und Literatur des neuern Europa), Fiorillo (Malerei), J. C. Fischer (Naturlehre), J. F. Gmelin (Chemie), Heeren (Griechische und Römische Literatur), Hoyer (Kriegskunst), Kästner (Mathematik), Poppe (Technologie), Wachler (Historische Wissenschaften).

Ende der achtziger Jahre gab Ruprecht die Druckerei auf, da, wie er sagte, das Mitleid mit arbeitslosen Setzern ihn zu oft veranlaßt habe, Bücher in Verlag zu nehmen, die er sonst abgelehnt haben würde, und beschränkte sich auf Sortiment und Verlag. Er starb 1817 im 87. Lebensjahre, nachdem ihm seit 1812 sein 1791 geborener Sohn Carl August Adolf Ruprecht und sein Schwiegersohn Justus Friedrich Danckwerts (gest. 1842) zur Seite getreten waren.

In dieser Periode wurde der Verlag vermehrt um die Schriften der Juristen A. Bauer, J. F. L. Göschen, H. A. Zachariae, des Mineralogen Hausmann, des Philologen K. Fr. Hermann, des Theologen Planck, H. A. W. Meyer etc. Auch der große Mathematiker Gauß ist vertreten.

Manche jetzt weitverbreitete Schulbücher, wie z.B. die griechischen Lehrbücher von Rost u.a., bahnten eine neue Richtung des Verlages an, die noch manchen glücklichen Treffer zutage förderte.

Sortiment und Verlag gelangten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beträchtlicher Ausdehnung, ersterem ermöglichte namentlich das wichtige Privileg der Portofreiheit für ein- und ausgehende Postsendungen eine sich weithin erstreckende Tätigkeit. Die Preßpolizei erschwerte allerdings namentlich in der Zeit nach dem Verfassungsbruch den Vertrieb sehr, und ein besonders schwerer Schlag traf die Firma, als im Jahre 1839 ohne jede Entschädigung, nur weil die politische Stellung Ruprechts und seines Teilhabers Danckwerts in Hannover nicht gefiel, die verbriefte Portofreiheit durch Verordnung aufgehoben wurde. Aber auch das wurde dank der Geschäftstüchtigkeit der beiden Besitzer überwunden.

Nach dem Tode Danckwerts', 1844, ging das Geschäft wieder in den Alleinbesitz der Familie Ruprecht über. Im Jahre 1848 trat Carl Joh. Friedrich Wilh. Ruprecht, der älteste Sohn Adolfs, welcher 1861 als rüstiger, arbeitsfroher Siebziger infolge[970] einer mißglückten Operation starb, als Teilhaber in die Firma ein. Er wurde noch wie seine Vorhänger durch allerhöchste Kabinettsordre zum Universitätsbuchhändler ernannt, unter die Zahl der Universitätsverwandten aufgenommen und eidlich verpflichtet. Der dritte Ruprecht erwarb sich ein besonderes Verdienst durch die Herausgabe von wissenschaftlich geordneten Fachbibliographien, welche zu großer Verbreitung in der wissenschaftlichen Welt des In- und Auslandes gelangten und zum Teil erst nach 50jährigen Bestande den veränderten Verhältnissen zum Opfer fielen. Im Jahre 1874 gab er nach schwerer Krankheit das Sortimentsgeschäft auf und verkaufte es an G. Haessel, von dem es 1879 an Georg Calvör aus Herford überging, der es unter der Firma Akademische Buchhandlung selbständig weiterführte. Ruprecht starb am 4. Januar 1898, nachdem er genau 50 Jahre als selbständiger Buchhändler rastlos tätig gewesen war. Am 1. Januar 1888 hatte er die vierte Generation, seine Söhne Dr. Wilhelm Ruprecht und Gustav Ruprecht, welche seit dem Anfange der achtziger Jahre bereits ihm zur Seite gestanden hatten, als Teilhaber in das Geschäft aufgenommen.

Mit dem Verlag der Firma Vandenhoeck & Ruprecht wurden im Laufe der Jahre der Verlag der Firmen Vict. Bossiegel (1797), J. C. D. Schneider (1828), J. F. Röwer (1838), Georg Kübler und (1884) Robert Peppmüller, sämtlich in Göttingen, vereinigt.

In den letzten Jahren erwarb die Firma aus fremden Verlagen: Bürkner's Geschichte der kirchlichen Kunst (Paul Waetzel in Freiburg), die theologische Abteilung des Verlages von Rich. Wöpke in Leipzig und die Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung (C. Bertelsmann in Gütersloh), welche mit den Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen verschmolzen worden ist.

Nicht weniger als 130 Seiten in Großoktav umfaßt der Verlagskatalog der Firma, deren neuere Verlagstätigkeit sich vorzugsweise der Theologie zugewandt hat. Auf diesem Gebiet seien erwähnt: Harnack, Frenssen, Freybe, Baumgarten, Beyschlag, Budde, Gunkel, Haupt, Spitta, Köster, von Kügelgen, Ritschl, Frommel, Naumann u.v.a. An Zeitschriften erscheinen neuerdings: Religion und Geisteskultur, herausgegeben von Steinmann; Monatsblätter für den evangelischen Religionsunterricht, herausgegeben von Spanuth, und außerdem die bekannte »Praktisch theolog. Handbibliothek«.[971]

Der Verlag umfaßt daneben auch Philologie (Bechtel, Fick, Prellwitz, Velten etc.) – Geschichte (Carlyle Bibliotheca historica, Müller, Roethe, Rindfleisch usw.) – ferner Pädagogik, Philosophie, Rechtswissenschaft, Volks- und Sozialwissenschaft, Medizin und Naturwissenschaften. Seit 1797 wurde von allen Besitzern des Geschäfts aus Liebhaberei die Bibliographie gepflegt. Lange vor Heinsius und Kayser gab Ruprecht I. einen in 4 Bänden erschienenen Universal-Katalog heraus. Ruprecht II. bearbeitete wohl durch zwanzig Jahre bis 1843 einen Halbjahrskatalog, nach Art des Hinrichs'schen, der, für das eigene Geschäft in erster Linie bestimmt, auch von den hauptsächlichsten hannover'schen Buchhandlungen damaliger Zeit in Partien bezogen und verbreitet wurde. Ruprecht III. gab einen theologischen und chemischen Gesamtkatalog heraus und war der erste, der durch die Schaffung fachwissenschaftlicher periodischer Weltkataloge mit systematischer Anordnung (1847) eine neue Bahn auf dem Gebiete der Bibliographie einschlug, wie schon oben erwähnt wurde.

Quellen: Verlagskataloge 1802, 1831, 1847, 1871, 1900/1907.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 6. Berlin/Eberswalde 1908, S. 969-972.
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