Max Weber

Der Berliner Professoren-Aufruf[155] 1

Aus akademischen Kreisen schreibt man uns:

Der im Zweiten Morgenblatt vom 27. Juli abgedruckte Aufruf einiger Berliner Professoren kann nur durch Versehen in die Öffentlichkeit gelangt sein. Er war ein Entwurf und zur Unterzeichnung versendet, stieß jedoch auf so scharfen Widerspruch, daß seine Veröffentlichung – wie zuverlässig verlautet – aufgegeben war. Die Bedenken richteten sich gegen den gewiß nicht beabsichtigten, tatsächlich aber durch manche Wendungen ermöglichten falschen Schein, als bestehe in Deutschland irgendwo nicht die vollste Entschlossenheit, durchzuhalten bis zu einem solchen Frieden, wie wir ihn im Interesse unserer Ehre und Sicherung brauchen. Der Aufruf konnte aus diesem Grunde sehr leicht – sicher entgegen dieser Absicht seiner Verfasser – ähnlich schädlich für die nationalen Interessen Deutschlands wirken, wie dies ganz unzweifelhaft jene Quertreibereien einer kleinen Klique getan haben, welche die Stellung des Reichskanzlers, dem sie zum Teil[155] aus rein innerpolitischen Gründen gram ist, ohne die geringste Rücksicht auf die Interessen des Vaterlandes dadurch zu erschüttern sucht, daß sie ihm öffentlich »Schwäche« vorwirft2. Die Nation ist dieses Treibens überdrüssig. Nächst der militärischen Führung genießt der gegenwärtige Reichskanzler bis in den letzten Schützengraben um deswillen Kredit, weil jedermann weiß, daß dieser Krieg nicht um abenteuerlicher Ziele willen geführt wird, sondern nur, weil und nur solange er für unsere Existenz notwendig ist. Diesen Kredit genießt keiner seiner Gegner. Unsere Soldaten im Felde haben ein Recht darauf, daß diesem Umstand endlich Rechnung getragen werde.[156]


Fußnoten

1

Frankfurter Zeitung vom 28. Juli 1916. –

Die Frankfurter Zeitung vom 27. Juli 1916 hatte einen Aufruf der Berliner Universitätsprofessoren OTTO v. GIERKE, WILHELM KAHL, EDUARD MEYER, DIETRICH SCHÄFER, REINHOLD SEEBERG, ADOLPH WAGNER und ULRICH v. WILAMOWITZ-MÖLLENDORF unter der Überschrift veröffentlicht: »Der Wille zum Sieg. Ein Aufruf Berliner Universitätsprofessoren.« Darin wurde u.a. gesagt, daß »die Erkenntnis der Notwendigkeit weiteren Ausharrens und Kämpfens nicht mehr herrschende Stimmung des Tages« sei, daß »die Erwartung eines nahen Friedens weite Kreise« bewege und daß das deutsche Volk »von jeher, seit Jahrhunderten, ein Friedensvolk« gewesen sei. Das Ringen gehe deutscherseits allein um einen ehrlichen Frieden. Dieser aber müsse für die Zukunft gesichert werden. Das sei nicht ohne Mehrung der deutschen Macht, ohne Ausdehnung des deutschen Herrschaftsbereichs zu erlangen, und es bedürfe für diese Sicherung auch »realer Garantien«. Dazu aber müsse man »durchhalten und siegen«. Demgemäß wird der »Wille zum entscheidenden Sieg« betont, vor dem »die Zweifel an der Notwendigkeit weiteren Kämpfens und Siegens«, die das »Volk beschleichen und schwach zu machen drohen«, dahinschwinden sollen. (D.H.)


2 Dr. THEOBALD v. BETHMANN HOLLWEG wurde als Nachfolger Graf POSADOWSKYS am 22. Juni 1907 Staatssekretär des Reichsamts des Innern sowie zugleich allgemeiner Stellvertreter des Reichskanzlers und war als Nachfolger des Fürsten BÜLOW Reichskanzler vom 14. Juli 1909 bis zum 13. Juli 1917. (D.H.)


Quelle:
Max Weber: Gesammelte politische Schriften. Hrsg. von Johannes Winckelmann. Tübingen 51988, S. 157.
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