Cammermusik

[189] Cammermusik.

Der verschiedene Gebrauch, den man von der Musik macht, erfodert auch besondre Bestimmungen gewisser Regeln. Die Kirchenmusik muß natürlicher Weise einen andern Charakter haben, als die, welche für die Schaubühne gemacht ist, und diese muß sich wieder von der Cammermusik unterscheiden. Man kann diese so betrachten, als wenn sie blos zur Uebung für Kenner, und zugleich zur Ergetzung für einige Liebhaber aufgeführt werde. Beyde Gesichtspunkten erfodern für die zur Cammermusik gesetzten Tonstüke, ein ihnen eigenes Gepräge, von welchem Kunstverständige bisweilen unter dem Namen des Cammerstils sprechen.

Da die Cammermusik für Kenner und Liebhaber ist, so können die Stüke gelehrter und künstlicher gesetzt seyn, als die zum öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, wo alles mehr einfach und cantabel seyn muß, damit jederman es fasse. Auch wird in der Kirche und auf der Schaubühne manches überhört, und der Setzer hat nicht allemal nöthig, jeden einzeln Ton, auch in den Nebenstimmen so genau abzumessen; hingegen in der Cammermusik muß, da wegen der geringen Besetzung und wegen der wenigen Stimmen, jedes einzele fühlbar wird, alles weit genauer überlegt werden. Ueberhaupt also wird in der öffentlichen Musik, wo man allemal einen bestimmten Zwek hat, mehr darauf zu sehen seyn, daß der Ausdruk auf die einfacheste und sicherste Weise erhalten werde, und in der Cammermusik wird man sich des äusserst reinen Satzes, eines feinern Ausdruks und künstlicherer Wendungen bedienen müssen. Dieses widerspricht einigermaaßen der allgemeinen Maxime, daß man in Kirchensachen ungemein scharf und genau im Satz seyn müsse, und hingegen in so genannten galanten Sachen, wozu man die Musik des Theaters, und auch die Concerte rechnet, es nicht so genau nehmen dürfe.

Weil die Cammermusik nicht so durchdringend seyn darf, als die Kirchenmusik, so werden die Instrumente dazu auch insgemein etwas weniger hochgestimmt; daher wird der Cammerton von dem Chorton unterschieden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 189.
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