Kragstein

[605] Kragstein. (Baukunst)

Ein zum Tragen dienendes Glied in der Baukunst, das auch von deutschen Baumeistern ofte mit dem französischen Namen Console genennt wird. Der Gebrauch der Kragsteine hat einen doppelten Ursprung. Entweder werden sie gebraucht um wesentliche Theile eines Gebäudes, dergleichen weit ausladende Gesimse sind, zu unterstützen, oder nur einzeln, zur Zierath oder Bequämlichkeit an eine Wand zusetzende Dinge zu tragen.

Von der ersten Art trift man bisweilen die großen Kragsteine, an jonischen oder corinthischen Friesen an, die den Kranz des Gebälks tragen. In eben dieser Absicht setzet man sie auch unter die Fensterbänke,[605] oder unter die Gesimse, die von oben den Fenstern zur Bedekung dienen. Wenn ihre Ausladung grösser ist, als die Höhe, so bekommen sie im Französischen den Namen Corbeaux.

In diesen Fällen sind sie als verziehrte Köpfe der herausstehenden Balken anzusehen, so wie die triglyphen am dorischen Fries. Sie werden so bearbeitet, daß sie oben, wo die Last darauf liegt breit und zum Tragen geschikt, unten aber gegen die Wand zu, schmal auslaufen. Sollen sie recht zierlich seyn, so lasse man die obere Bauchung gegen die Wand in eine Volute auslaufen, und so wird auch die Aushölung von unten in eine kleine Volute gedräht. Ausserdem aber wird in ganz reichen Gebäuden, noch Blumen- und Laubwerk daran geschnitzt. Man setzet sie auch inwendig in prächtigen Zimmern an Dekengesimse, die nach Art eines Gebälks gemacht sind, und verguldet sie alsdenn zu mehrerer Pracht.

Wo sie zum andern Gebrauch an glatte Wände gesetzt werden, um Uhren, Gefäße, oder Brustbilder zu tragen, da giebt man ihnen insgemein eine unten zugespitzte Form; das übrige ihrer Zeichnung, Form und Verziehrung überläßt man dem Geschmak oder Eigensinn der Bildhauer, die bey Zeichnung der Consolen auf tausenderley Art ausschweiffen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 605-606.
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