Atlas

[80] Atlas (Gr. M.),

1) Sohn des Titanen Iapetus und der Clymene (Tochter des Oceanus und der Tethys), Bruder des Prometheus und Epimetheus, theilte die Empörung der Titanen gegen die Götter, und diese legten ihm zur Strafe die ganze Last des Himmels auf. - Die Fabellehre weist ihm am Ende der Welt, d.h. am nordwestlichsten Ende von Africa, seinen Sitz an; diess war für die Alten ein unerforschtes Gebiet; über die Meerenge von Gibraltar, die Säulen des Hercules, hinaus wagten sich in dem Zeitalter, worin die griechischen Mythen entstanden sind, nur phönicische Schiffer, und diese verbreiteten die allerwunderlichsten und schrecklichsten Erzählungen über das Land, damit Niemand es wagen möge, ihnen zu folgen und ihre vortheilhaften Handelsunternehmungen zu theilen. Dort stand nun ein gewaltiger Berg, der höchste der bekannten Erde, daher sich denn sehr leicht die Idee, er stütze den Himmel, an diese Beobachtung knüpfte. Seine Kinder sind die Hyaden, die Plejaden oder Atlantiden, und viele Einzelne, wie Calypso, Hyas, Hesperus etc. Die Fabel macht[80] Diodor zur Historie, indem er sagt: - »Nach Hyperions Tode theilten die Söhne des Uranus das Reich unter sich, die angesehensten waren Cronus und A. Dieser A. erhielt die Länder am Oceanus und nannte die Bewohner Atlanteer, auch dem höchsten Gebirge desselben gab er den Namen Atlas. Er hatte mehrere Söhne, unter denen einer, Hesperus, sich durch Frömmigkeit, Leutseligkeit und Gerechtigkeit auszeichnete; dieser verschwand einmal plötzlich, von einem heftigen Sturme fortgeführt, als er den Gipfel des A. bestieg, um die Sterne zu beobachten. Das Volk, den Verlust des Edeln bedauernd, erwies ihm göttliche Ehre, und nannte den hellsten Stern am Himmel nach seinem Namen. A. hatte auch sieben Töchter, welche, nach ihrem Vater, zusammen Atlantiden hiessen.« Sie vermählten sich mit den erhabensten Heroen und Göttern, und wurden die Stamm-Mütter von einem grossen Theile des Menschengeschlechtes. Maja, die älteste, gebar dem Jupiter den Mercur. Eben so wurden die Söhne der andern Atlantiden entweder als Stammväter von Völkern oder als Erbauer von Städten berühmt, daher galten auch bei den Griechen, wie bei einigen auswärtigen Völkern, die meisten Heroen der Urzeit für Abkömmlinge von den Atlantiden. Nach ihrem Tode würdigte man sie göttlicher Ehre und versetzte sie an den Himmel unter dem Gesammtnamen der Plejaden. - Dieser von Diodor historisirte Mythus wurde von den Alten viel weiter ausgeführt, und namentlich mit den beiden grossen Helden Hercules und Perseus in Verbindung gebracht. In der Nähe des A. nämlich waren die Gärten der Hesperiden, der Töchter oder Enkelinnen des A. Hercules war beauftragt, die goldenen Aepfel aus den Gärten dieser Götterjungfrauen zu holen ( Hercules). Anders jedoch, als in der Mythe von Hercules die Sache erzählt wird, lautet auch hier der Bericht Diodors. »Die Töchter des Atlas waren äusserst schon, von ihnen hatte der ägyptische König Busiris gehört, er trug Seeräubern die Entführung derselben auf. Der Befehl ward vollzogen, und die Seeräuber hatten die Jungfrauen, wie sie eben in einem Garten spielten, entführt, sich schnell mit ihnen auf die Schiffe geflüchtet, und waren davon gesegelt. Hercules kam auf dem Rückwege aus Aegypten an die Ausführung seines Auftrages (die Aepfel der Hesperiden zu holen), und traf die Jungfrauen, von den Seeräubern bewacht, am Ufer bei einer Mahlzeit. Sie erzählten ihm ihr Schicksal; Hercules tödtete die Räuber alle und brachte dem A. seine Töchter zurück. Zum Danke für den Dienst gab ihm A. nicht nur, was er zu der ihm aufgetragenen Arbeit nöthig hatte, sondern theilte ihm auch seine Kenntnisse von den Gestirnen mit.« - Unglückbringend war für A. seine Zusammenkunft mit Perseus. Dieser Letztere kam auf dem Rückwege von den Gorgonen zu Atlas, und bat um gastliche Aufnahme; sie ward ihm verweigert, ein Verbrechen, das in jenen gastlichen Zeiten eines der ärgsten genannt wurde, und wofür Perseus dem greisen Riesen das Medusenhaupt hinhielt, so dass er augenblicklich versteinert wurde.

2) A., Sohn der Oceanide Thia, Bruder des Candulus. Beide waren unter dem Namen Cercopen als betrügliche Schälke bekannt; sie unterliessen auch am Hercules selbst ihre Spitzbübereien nicht, wofür er sie gebunden der Omphale brachte.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 80-81.
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