Wodan

[452] Wodan (German. M.). Diess ist jetzt die bekannteste Form des Namens des höchsten Gottes des deutschen Heidenthums, der aber ursprünglich Wuotan hiess. Deutsche Alterthumsforscher setzen diesen Namen in Verbindung mit dem Zeitwort waten, und nehmen als Urbedeutung den Begriff des raschen Vorwärtsstrebens an, woraus sich allmälig die Vorstellung einer geistig wie körperlich Alle durchdringenden Kraft eines allmächtigen Gottes entwickelt habe. Unmittelbar daran knüpfen sie aber das Hauptwort Wuth, welches ursprünglich nur eine heftige stürmische Bewegung, erst später ungemässigte und bösartige Leidenschaft bezeichnet habe. Auf diese Art ist schon von vornherein auch das wüthende Heer mit W. verknüpft. Ueber die näheren Bestimmungen des Begriffes und der Verehrungsweise W.s haben wir, da das deutsche Heidenthum ausgetilgt wurde, ehe es Zeit gewinnen konnte, schriftliche Denkmale zu hinterlassen, nur sehr kärgliche Spuren, aus welchen sich nur ergibt, dass W. die alldurchdringende, schaffende und bildende Kraft war, die den Menschen und allen Dingen Gestalt wie Schönheit verleiht, von der sowohl die Dichtkunst ausgeht, als auch die Lenkung des Krieges und Sieges, von der aber auch die Fruchtbarkeit des Feldes, ja alle höchsten Güter und Gaben abhangen. Somit erkennen wir an W., wie an Zeus und Jupiter, dass alle Heiden darauf ausgingen, einen obersten Gott anzuerkennen, der schon die Eigenschaften aller übrigen in sich trägt, so dass diese nur als seine Ausflüsse und Verjüngungen zu betrachten sind. Die Römer verglichen ihn mit ihrem Mercur, was freilich zunächst überrascht, da Mercur jugendlich und dem Jupiter untergeordnet, W. aber väterlich herrschend gedacht wird, aber dadurch bewiesen ist, dass der vierte Tag der Woche, den die Römer Mercurs-Tag nannten, noch jetzt im Englischen Wednesday (W.-Tag) heisst. Die Aehnlichkeit zwischen W. und Mercur wurde also ohne Zweifel in der geistigen Natur beider Götter gefunden. Als dem Kriegsgotte, gelobten dem W. die zur Schlacht ziehenden Deutschen, ihm nach der Schlacht alle Gefangenen zu opfern, welches nicht selten auf die grausamste Art durch Verstümmelung und langsames Dahinmorden geschah. Dass W. Eins ist mit dem nordischen Odin, erhellt schon aus der Namensähnlichkeit; es zeigt sich aber noch besonders darin, dass W., wie Odin, die im Kampfe gefallenen Helden in seine Gesellschaft und Wohnung aufnimmt. Das Sternbild des grossen Bären hiess bei den alten Deutschen W.s-Wagen, die Milchstrasse W.s-Strasse. In Niedersachsen pflegte man noch spät bei der Kornernte einen Büschel Getreide für W.s Pferd stehen zu lassen. - Noch jetzt sind viele Oertlichkeiten in ganz Deutschland zu finden, deren Namen an W. erinnern; man denke nur an den Odenwald und an Godesberg bei Bonn.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 452.
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