Wuethendes Heer

[452] Wuethendes Heer (German. M.). Die durch ganz Deutschland verbreitete Sage von einem nächtlichen Geisterzug, der mit furchtbarem Getöse, besonders Jagdlärm, durch die Lüfte fährt, und aus männlichen und weiblichen[452] Gestalten, auch Kindern, sammt Rossen und Hunden, besteht, ist uralt und hängt mit dem deutschen Heidenthum auf's Engste zusammen, wie denn gleich der Name w. H., süddeutsch Muotes-Heer, ursprünglich nichts anderes besagt, als Wodans-Heer. ( Wodan) Die eigentliche Grundlage der Sache liegt also in den Erinnerungen der Deutschen an ihren vorchristlichen höchsten Gott, der unter anderen Aeusserungen seiner Alles durchdringenden Kraft auch der himmlische Schlachtenlenker war, und desshalb sehr natürlich auch als Führer himmlischer Heerschaaren erschien, wozu sich als nächstliegende Thätigkeit die Jagd, die zweite Hauptbeschäftigung der alten Helden, gesellte. Natürlich verlor der alte Gott durch die Einwirkungen des Christenthums sein zutrauliches Wesen, und ging in den Begriff einer finsteren schreckenden Gewalt über. Den Menschen und ihrem Dienste gleichsam abgestorben, irrte und schwebte er in den Lüften, teuflisch und gespenstig, und so wurden denn auch alle ungetauften Kinder in seinen Heeres- oder Jagdzug versetzt. Unglaublich beinahe wäre es, wenn es nicht durch die zahlreichsten Beispiele bewiesen wäre, mit welcher Zähigkeit der Volksglaube an dieser uralten Vorstellung gehangen, und unter dem manchfaltigsten Wechsel der an die Spitze des Zuges gestellten Personen die wesentlichen Grundzüge des ältesten Bildes festgehalten hat. Während der gemeine Mann am Namen Wodans festhielt, stellten Gebildetere theils den Teufel als Führer des w. H. auf, theils bezogen sie »den wilden Jäger« auf die bestimmte, halbhistorische Person eines gewissen Jägermeisters. Diess geschah indessen nur in Nord-, und höchstens noch in Mitteldeutschland; in Süddeutschland kennt man nur den namenlosen wilden Jäger mit dem Muotes-Heer, aber gerade im letztern Namen ist ja der Name Wodans erhalten. Die angeblich historische Person des wilden Jägers aber wird auf die verschiedenste Weise benannt, am verbreitetsten indessen scheint die Erzählung vom Jägermeister Hackelnberg zu sein, von welcher auch Fouqué im Zauberring Gebrauch macht. Grimm jedoch findet auch in diesem Namen, dessen Urform ihm Hackelberend ist, nur einen Beinamen Wodans, den Mantelträger. Indessen sagt die niedersächsische Sage: Hans von Hackelnberg war Oberjäger des Herzogs von Braunschweig, und ein gewaltiger Waidmann; er soll 1521 gestorben sein. Drei Stunden von Goslar, im Garten eines Wirthshauses, genannt der Klapperkrug, liegt sein Grabstein. Eines Nachts in schwerem Traume däuchte ihm, er kämpfe mit einem furchtbaren Eber und unterliege ihm zuletzt. Wirklich traf er am Tage darauf ein solches Thier und erlegte es nach hartem Kampf. In der Siegesfreude stiess er mit dem Fusse nach dem todten Eber und rief: »Hau' nun, wenn du kannst!« Er hatte aber so heftig gestossen, dass des Ebers scharfer Zahn durch den Stiefel drang und ihm den Fuss verletzte. An dieser Wunde musste er sterben. Auf dem Todtenbette wollte er nichts vom Himmel wissen, und auf des Predigers Ermahnungen versetzte er: »Unserm Herrgott möge der Himmel bleiben, wenn nur mir meine Jagd bleibt;« worauf der Prediger sprach: »Nun so jage bis zum jüngsten Tag!« was nun bis heute in Erfüllung geht. - Wie schon gesagt, sind an verschiedenen Orten eine grosse Menge verschiedener anderer Personen an die Spitze des w. H. gestellt worden, und zwar sind diese theils rein göttlicher Art, wie Frau Holda. Frau Perchta, Frau Gaude, theils Helden der reinen Sage, Dietrich von Bern, der getreue Eckhardt, König Artus, theils geschichtlich bekannte Könige, Karl d. G., sogar Karl V., und die Könige Waldmar und Christian II. von Dänemark; endlich ein gewisser Junker von Rodenstein, von welchem nichts Weiteres bekannt ist.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 452-453.
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