Wüthende Heer

[766] Wüthende Heer (das), die wilde Jagd, der wilde Jäger, Wütis-Heer, sind Benennungen eines vermeintlichen Nachtspukes, vor welchem es dem abergläubigen gemeinen Manne noch heutigen Tags in manchen Gegenden von Thüringen, Hessen und am Harze graut. Die Sage schildert ihn als einen Troß gespenstischer Hirsche und andern Wildes, hinter welchem der wilde Jäger mit einer bellenden Meute unter Peitschenknall und Jagdruf mit einer Menge gespenstischer Reiter herjagt, alle mit feurigen Augen u. dergl., denen zuletzt [766] der Tod auf einem Pferdegerippe langsam folge. Dem Zuge voran soll als Warner der treue Eckhard (s.d.) gehen. Dazu nennt die Sage einen Grafen Hackelberg, welcher als unersättlicher Jäger und grausamer, gottloser Herr seiner Unterthanen, nachdem er an einem heiligen Festtage auf einer seiner wilden Jagdzüge den Hals gebrochen, verurtheilt sei, mit seinen Gesellen auf die beschriebene Weise von Zeit zu Zeit ruhelos durch die Lüfte zu ziehen, was besonders dann geschehen soll, wenn ein Krieg bevorsteht. Eine in letzter Beziehung ähnliche Sage ist die an die Burgen Schnellert und Rodenstein im Odenwalde geknüpfte, indem bei nahem Kriege der sogenannten Rodensteiner oder der Lindenschmidt als wilder Jäger vom Rodenstein nach der gegenüberliegenden, 1/4 St. entfernten Burg Schnellert ziehen und daselbst bis zum Frieden verweilen soll, was aber auch umgekehrt erzählt wird. Noch im Laufe unsers Jahrh. haben Leute geglaubt, diesen Auszug des Rodensteiners zu beobachten, und über frühere Fälle sind mehrmals gerichtliche Vernehmungen angeblicher Augenzeugen erfolgt. Der Lindenschmidt wird für einen auf Burg Schnellert gestorbenen Ritter von Hohenstein ausgegeben, der in seiner Rauf- und Fehdelust einst seine hochschwangere Frau, die ihn bat, daheim zu bleiben, roh von sich stieß und von ihr ging. Sie kam darauf mit einem todten Knaben nieder und starb im Wochenbett, erschien aber ihrem am Schnellert auf seine Feinde lauernden Gatten und verwünschte ihn, daß er ewig als Spuk umherziehen und der Gegend bevorstehenden Krieg verkünden müsse. Bald darauf ward er tödtlich verwundet auf die Burg gebracht, wo er starb. Der Aberglaube vom wilden Jäger rührt aus sehr alter Zeit her, die Erscheinungen aber, welche von Furchtsamen hin und wieder bis in die neueste Zeit dafür gehalten wurden, sind keine andern, als die, welche bei nächtlichen Stürmen und Gewittern, in großen Waldungen und gebirgigen Gegenden durch aufgescheuchte Nachtvögel, flüchtiges Wild, das Heulen des Windes und Krachen der Bäume überall vorkommen. Man hat aber auch den Namen von dem den Sieg verleihenden Gott Wodan der alten Germanen hergeleitet, und in Norddeutschland wird noch der wilde Jäger »der Wode« geheißen und man jagt für das wüthende Heer: »der Wode zieht« in Schweden aber heißt es »Odin's Jagd«.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 766-767.
Lizenz:
Faksimiles:
766 | 767
Kategorien: