Anhalten

[312] Anhalten, verb. irreg. (S. Halten,) welches auf gedoppelte Art üblich ist.

I. Als ein Activum, und da bedeutet es,

1. Eine Sache an die Seitenfläche der andern halten. Ein Bret an das andere anhalten. Das Lineal fest an die Tafel anhalten. Im Markscheiden bedeutet daher anhalten figürlich so viel, als den Anfang mit dem Vermessen machen, weil die Schnur an denjenigen Ort, wo sich diese Vermessung anfängt, im eigentlichsten Verstande angehalten wird.

2. An etwas halten, d.i. es fest halten, besonders um dessen Bewegung zu unterbrechen oder zu hindern. 1) Eigentlich. Die Zügel anhalten.


Wenn Chloe bey mir ruht, dann halt die Zügel an,

Kleist.


Die Pferde anhalten, vermittelst der Zügel. Die Pferde im Laufe anhalten. In weiterer Bedeutung auch, den Wagen anhalten. Ein Schiff anhalten, dessen Lauf unterbrechen. 2) Figürlich (a) Zusammen ziehen, in welcher Bedeutung die Ärzte gewisse stark wirkende Arzeneyen anhaltende Arzeneyen zu nennen pflegen, adstringentia. (b) Die freye oder willkürliche Bewegung einer Person oder Sache unterbrechen. Einen flüchtigen Missethäter anhalten, ihn in Verhaft nehmen. Man hat ihn auf der Flucht angehalten. Er ist in seinem eigenen Hause angehalten, in Verhaft genommen worden. So auch Güter, Waaren anhalten, in Beschlag nehmen. (c) Den freyen Willen eines andern durch fortgesetzte dringende Bewegungsgründe zu etwas bestimmen. Einen zu etwas anhalten. Einen zum Fleiße, zur Arbeit, zu allem Guten anhalten. Er ist zu lauter nützlichen Beschäftigungen angehalten worden. Halten sie ja meine Tochter zum Gebethe an, Gell. Man hat die Unterthanen angehalten, die Wege auszubessern.

II. Als ein Neutrum, welches mit dem Hülfsworte haben verbunden wird, an etwas halten, d.i. an dessen Seitenfläche befestiget seyn.[312]

1. In der eigentlichen Bedeutung, als ein Reciprocum, angreifen und fest halten, vornehmlich um seinen eigenen Fall zu vermeiden. Sich an etwas anhalten. Halte dich fest an mich an, damit du nicht fallest. Er hat sich an einen Baum angehalten.

2. Figürlich, in einer Bewegung oder Handlung fortfahren; ingleichen, ununterbrochen fortdauern. Die Kälte hält noch immer an. Der Regen hat die ganze Nacht angehalten. Sein Fleiß hält noch immer an. Das Fieber, die Krankheit hielt drey Wochen an. Ein anhaltender Fleiß. Ein anhaltender Regen. Eine anhaltende Krankheit. Anhalten mit Bitten, mit Arbeiten. Anhalten am Gebethe, wie Luther übersetzt, für mit dem Gebethe anhalten, oder noch besser, anhalten mit Bethen, ist im Hochdeutschen ungewöhnlich. Anhalten mit Weinen, mit Flehen, mit Ermahnen u.s.f. Auf gleiche Art kommt in dem Lateine der mittlern Zeiten attenere für perseverare vor.

3. Um etwas anhalten, mit Beyfügung der Bewegungsgründe darum bitten. Bey Hofe um ein Amt, um Erhöhung der Besoldung, um Beförderung, um ein Privilegium anhalten. Um eine Person anhalten, sie zur Gattinn verlangen.


Verreis und halt um Wilhelminen

Für mich bey ihren Ältern an,

Gell.


4. Stille halten, welche Bedeutung zu der zweyten Bedeutung des Activi gehöret. An einem Orte anhalten, mit dem Fuhrwerke daselbst stille halten. Bey einem auf der Reise anhalten, aussteigen. Ingleichen, in figürlicher Bedeutung, mit etwas anhalten. Mit der Arbeit anhalten, inne halten, aufhören. Diese Bedeutung kommt indessen wenig vor, vermuthlich um die Zweydeutigkeit, mit der vorher gehenden Bedeutung des Fortsetzens zu vermeiden.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 312-313.
Lizenz:
Faksimiles:
312 | 313
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika