Be-

[770] Be-, das verkürzte Vorwort bey, welches im Hochdeutschen allein den Verbis, und den von ihnen abgeleiteten Nennwörtern eigen ist, welchen es als eine untrennbare Partikel vorgesetzet wird. Was

I. Den Gebrauch und die Bedeutung dieser Partikel betrifft, so wird sie so wohl schon vorhandenen Verbis vorgesetzet, als auch Nennwörtern, um aus den letztern Verba zu bilden.

1. Die schon vorhandenen Verba sind entweder Activa oder Neutra.

1) In den Activis hat diese Partikel, (a) zuweilen die eigentliche Bedeutung des Vorwortes bey; wie in begleiten, welches ehedem beleiten lautete, gleichsam beyleiten; beschließen, in der Oberdeutschen Bedeutung, sich verschließen, gleichsam beyschließen; sich begeben, so wohl von dem Begeben an einen Ort, sich bey, d.i. an denselben geben, als auch von dem Begeben einer Sache, sich derselben begeben, gleichsam sich bey Seite derselben geben; begraben, d.i. beygraben, bey Seite graben; berufen, gleichsam herbey rufen, u.s.f. Doch in dieser Bedeutung ist bey in seiner vollständigen Gestalt üblicher. (b) Häufiger druckt sie den Gegenstand der Handlung, doch mit verschiedenen Nebenbegriffen aus, und zwar am häufigsten den Nebenbegriff der Anfüllung, oder der Ausdehnung der Handlung über den ganzen Gegenstand; wie aus den Verbis bedecken, einen Platz bebauen, einen Bogen Papier bedrucken, beschreiben, bemahlen, beschmieren, einen Acker besäen, bepflanzen, mit Tapeten behängen, mit Salz bestreuen, einen Ort belagern, gleichsam umlagern, mit Erde beschütten u.s.f. erhellet. (c) In vielen Fällen weiset sie auf den[770] Gegenstand, an welchem die Handlung geschiehet, und bedeutet alsdann, daß selbige an demselben nur hin und wieder, oder ein wenig vorgenommen wird; welcher Begriff in den Verbis berühren, anrühren, beschaben, d.i. hin und wieder etwas abschaben, berupfen, beschneiden, befeuchten, benetzen, besprengen, u.s.f. Statt findet. Oft aber druckt sie (d) auch im Gegentheile eine Intension, oder einen hohen, stärkern Grad der Handlung aus, wie in bedrücken, bedrängen, beängstigen, befestigen, beschimpfen, bewaffnen, bezwingen u.s.f.

2) In den Neutris, oder Intransitivis, dienet be, (a) zuweilen, die Bedeutung des einfachen Verbi zu verstärken, so daß das zusammen gesetzte ein Intransitivum bleibt; z.B. bestehen bleiben, für stehen bleiben, beruhen lassen, für ruhen lassen, bedürfen, beharren, bedünken, u.s.f. Noch häufiger aber, (b) macht es aus Neutris Activa, oder aus Intransitivis Transitiva, indem es den Zustand, den jene ausdrucken, auf einen Gegenstand überträgt, und den Zustand dadurch zu einer Handlung macht. Die Verba dieser Art sind sehr häufig; z.B. beantworten, auf etwas antworten, bearbeiten, an etwas arbeiten, bebluten, an oder auf etwas bluten, bebrüten, über etwas brüten, bedenken, so fern es über etwas nachdenken bedeutet, bedrohen, die Drohung an jemanden richten, begehren, nach etwas gehren, d.i. verlangen, beweinen, über etwas weinen, belachen, beseufzen, beherrschen, bewohnen, u.s.f. Zuweilen schleichen sich allerley Nebenbegriffe mit ein, am häufigsten aber der Anfüllung oder Verbreitung der Handlung, über den ganzen Gegenstand; wie in betrinken, beleuchten, bewachsen, belecken u.s.f. oder der öftern Wiederholung; einen Weg befahren, ein Meer besegeln, beschiffen, den Puls begreifen, befühlen, betasten, beriechen, besehen; zumahl wenn durch die öftere Wiederholung der Gegenstand eine Art von Vollkommenheit erhält, wie in bereiten, bereden, die Grenzen begehen, einen Baum behauen, ein Bret behobeln u.s.f. Oft auch der Intension oder der innern Stärke der Handlung, wohin besonders die Reciproca sich bedanken, sich beeifern, sich befinden, sich befleißigen, sich begatten, sich begnügen, sich behelfen, sich bekehren, sich besprechen u.s.f. gehören; denn der Form nach sind alle Reciproca wahre Activa, ob sie gleich der Bedeutung nach Intransitiva sind. In einigen, ob gleich wenigen Fällen, hat be, noch die eigentliche Bedeutung des Vorwortes bey; wie in beschlafen, für schwängern, wovon noch das Hauptwort Beyschlaf in der vollständigen Gestalt üblich ist, beschmausen, gleichsam bey einem schmausen, und vielleicht noch einigen andern.

2. Eben so oft aber hilft diese Partikel auch Verba aus Nennwörtern bilden, und alsdann druckt sie gleichfalls die Übertragung oder Mittheilung derjenigen Sache, welche das Nennwort bezeichnet, an einen andern Gegenstand aus. Dahin gehören von Substantiven die Verba beädern, bebändern, beblümen, bedeichen, beamten, bedrücken, bedachen, beflügeln, begütern, behaaren, beherbergen u.s.f. mit Adern, Bändern, Blumen u.s.f. versehen. Ingleichen von Adverbien, befesten oder befestigen, befeuchten, befreyen, begütigen, bekräftigen, bereichen oder bereichern, besänften oder besänftigen, beschleunigen, beseligen u.s.f. fest, feucht, frey, gütig u.s.f. machen.

3. Endlich muß noch eines Gebrauches dieser Partikel Erwähnung geschehen, obgleich derselbe nur in der niedrigen Sprechart Statt findet, wo man, wenn man eine Sache ahnden oder bestrafen will, den Nahmen derselben vermittelst dieser Partikel in ein Verbum verwandelt. Z.B. Es ist der Herr von Liebreich, du weißt nicht was du thust; worauf Jobst antwortet:[771] Ich will dich und ihn beliebreichen, Weiße. Sie behauptet, sie sey die Frau Junkern. Aber ich will sie bejunkern, daß sie an mich denken soll, ebend. Doch, wie gesagt, dieser Gebrauch gehöret nur in die niedrigen Sprecharten.

II. Was die Conjugation und Wortfügung der mit be zusammen gesetzten Zeitwörter betrifft, so gehöret diese Partikel zu den untrennbaren, welche ihr Verbum nie verlassen. Das ordentliche Merkmahl der vergangenen Zeit, die Sylbe ge, fällt also bey diesen Verbis völlig weg, und man sagt nicht begesehen, begewandert, begebauet, sondern besehen, bewandert, bebauet. Es bekommt in der Rede niemahls den Accent; obgleich die mit bey zusammen gesetzten Verba denselben fast allezeit haben. Da diese Partikel in allen den Fällen, wo sie nicht bloß das Zeichen einer Intension ist, eine Richtung auf einen gewissen Gegenstand oder die Übertragung einer Sache auf denselben bedeutet, so wird sie auch alle Mahl, einige wenige Fälle ausgenommen, mit der vierten Endung der Sache verbunden. Eine Wand bemahlen, den Puls begreifen, den Degen bebändern. Eben so wurde ehedem auch das Vorwort bey, wenn es eine Bewegung nach einem Gegenstande bedeutete, mit dem Accusativ verbunden. S. Bey.

Anm. Es könnte bey dieser Partikel und den mit ihr zusammen gesetzten Verbis noch sehr vieles angemerket werden. Um aber diesen Artikel nicht zu lang zu machen, soll nur folgendes berühret werden. 1) Daß dieses be, wirklich das Vorwort bey ist, erhellet aus der ältesten Schreibart beyder, welche bey den Franken und Alemannen bi oder pi ist. Das ey in dem Vorworte gehöret den neuern Alemannen zu. Ehedem schrieb man auch in manchen Wörtern be-, wo man jetzt bey gebraucht. Henisch hat beseits für beyseit, und beruft sich auf 2 Kön. 5, 24, und 1 Chron. 14, 9, wo aber unsere heutigen Ausgaben beyseit haben. S. Bey. 2) In manchen Wörtern ist es neuern Ursprunges, und viele Verba sind in den gemeinen Mundarten in ihrer einfachen Gestalt üblich, wofür die Hochdeutschen das Compositum mit be haben; z.B. gehren für begehren, schädigen für beschädigen, festen für befestigen, deuten für bedeuten, fördern für befördern. Dagegen pflegen die Oberdeutschen diese Partikel manchen Verbis auch ohne Noth vorzusetzen; wie in belassen für lassen, benöthigen für nöthigen, behindern für hindern. 3) Be, ge und ver, werden oft mit einander verwechselt. So sagt Opitz besegnen für gesegnen, und im Oberdeutschen ist behörig für gehörig, beschehen für geschehen, besammeln für versammeln u.s.f. üblich. 4) Die Oberdeutschen haben an dieser Partikel einen solchen Geschmack gefunden, daß sie oft ganze Redensarten vermittelst derselben in thätige Verba verwandeln, welches ihr beabsichten, bewetteifern, beargwohnen, beanfragen, bewerkthätigen, beaugenscheinigen, beerbtheilen, begenehmigen u.s.f. beweisen. Da diese Verba eigentlich aus ganzen Redensarten verstümmelt sind, so beleidigen sie so wohl die Klarheit, als den guten Geschmack. 5) In manchen Wörtern ist dieses be mit dem folgenden Worte so zusammen geschmolzen, daß nichts als das bloße b übrig geblieben ist. S. die Wörter Barmherzig, Beicht, Bange, Brücke, Bleiben u.s.f. 6) Von allen oben angeführten Bedeutungen lassen sich jetzt nur noch folgende zu Bildung neuer Wörter vermittelst dieser Vorsylbe anwenden. (a) Die Erstreckung einer Handlung über den ganzen Gegenstand zu bezeichnen, einen Acker bepflügen, Can. (b) Activa aus Neutris zu bilden, beekeln, Hall. beeisen, Canitz. (c) Verba aus Substantiven und Adverbien zu bilden, beblätterte Zweige, begras'te Hügel, schwarz beharnischt, Gesn. Doch ist auch hier Behutsamkeit und Geschmack nothwendig indem das be wegen seiner Kürze und vielfachen Bedeutung leicht Dunkelheit verursachen kann.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 770-773.
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