Besinnen

[912] Besinnen, verb. reg. recipr. Imperf. ich besann mich; Partic. besonnen. 1) Sich erinnern. Ich besinne mich nicht, daß ich es gesehen hätte. Ich besinne mich, es dir versprochen zu haben. Ingleichen mit dem Vorworte auf. Ich kann mich nicht darauf besinnen. Ich werde mich wohl noch darauf besinnen.


Besinnst du dich denn nicht auf unsre Mariane?

Günth.


[912] Im Oberdeutschen wird dieses Wort sehr häufig mit der zweyten Endung der Sache gebraucht. Sich seiner Jugend besinnen. Besinne dich der vorigen Jahre.


Als Vater Zevs –

Sich glücklich einer List besann,

Wiel.


Allein im Hochdeutschen ist dafür erinnern oder entsinnen doch immer üblicher. 2) Mühe anwenden, sich einer Sache zu erinnern, sich bemühen, einen dunkeln Gedanken von etwas Vergangenen klar zu machen. Ich besinne mich hin und her. Ich habe mich schon lange darauf besonnen. 3) Überlegen, im gemeinen Leben und absolute. Ich will mich besinnen. Du besinnst dich immer gar zu lange. Im Oberdeutschen sagt man sinnst dich immer gar zu lange. Im Oberdeutschen sagt man auch mit der vierten Endung der Sache. Ich habe es mir nicht recht besonnen. Besinne es dir wohl. 4) Sich nach vorhergegangener Überlegung entschließen, in einigen Fällen. Haben sie sich besonnen? entschlossen. Sich eines bessern besinnen, einen bessern Entschluß fassen. Vielleicht besinnt sie sich anders. Er wird sich wohl noch eines andern (d.i. bessern) besinnen. 5) Zu seinen Sinnen, d.i. in den Zustand deutlicher Begriffe, wieder zurück kehren. Besinnen sie sich doch, sagt man zu einem, der in einer heftigen Leidenschaft, im Schlafe, in einem starken Rausche u.s.f. ist. Und als er sich besinnte, (besann,) Apostlg. 12, 12, als er zu sich selber kam. Er kann sich nicht besinnen, nicht wieder zu sich selbst kommen. Daher die Besinnung, besonders in der letzten Bedeutung, welche von Besonnenheit noch verschieden ist; die Besinnungskraft, das Vermögen sich zu besinnen, oder dunkele Vorstellungen klar und deutlich zu machen, welches dem neuern Besonnenheit billig vorzuziehen ist. S. dasselbe.

Anm. Dieses Wort ist von Sinn und sinnen, welches ehedem alle Wirkungen der Seele ausdruckte. Im Hochdeutschen ungewöhnliche Bedeutungen von besinnen sind, (a) über etwas nachdenken. Indem aber Petrus sich besinnt über dem Gesichte, Apostelg. 10, 19. (b) Erwägen, im Oberdeutschen. Sich das Unglück besinnen. (c) Ersinnen.


So fer ich noch ains khan besynnen,

Theuerd. Kap. 70.


(d) Das Mittelwort besonnen, oder besinnt, ist im Oberdeutschen auch für behutsam, verständig üblich; S. Besonnenheit und Unbesonnen. Besinnen gehet in einigen Oberdeutschen Gegenden auch regulär, welches auch Luther in den oben angeführten Stellen nachgeahmet hat. Die Niedersachsen gebrauchen für besinnen, besonders in der ersten Bedeutung, versinnen, welches nicht so veraltet ist, als Frisch behauptet. Übrigens hatte man hiervon ehedem auch das Factitivum besinnigen, zum Besinnen, Verstehen, Erkennen bringen, wovon Frisch ein Beyspiel aus Menkens Script. Saxon. anführet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 912-913.
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