Besitzen

[914] Besitzen, verb. irreg. act. S. Sitzen. 1) * Oft und viel auf einem Orte sitzen, so lange als nöthig ist, auf demselben sitzen. In dieser im Hochdeutschen veralteten Bedeutung sagt man noch im gemeinen Leben, die Eyer sind besessen, wenn das Huhn so lange über selbigen gesessen hat, daß die Küchlein angefangen, sich in denselben zu erzeugen. 2) Figürlich, eine Sache allein in seiner Gewalt haben. Ein Haus, einen Garten, ein Gut besitzen. Viele Güter besitzen. Er besitzt es mit Recht. Ein Land besitzen. Er besitzt dich nicht, er hat dich nur. Dahin gehöret auch die theologische Bedeutung des Mittelwortes, vom Teufel besessen seyn, oder nur schlechthin besessen seyn, dem Leibe nach in dessen unmittelbaren Gewalt seyn, und das Hauptwort, ein Besessener, der von dem Teufel besessen ist. Ingleichen in weiterer Bedeutung von dem Geitze, von dem Hochmuthe, von dem Neide besessen seyn, diesen Lastern die Herrschaft über sich lassen. Die Anschläge, die mein Herz besessen haben, Hiob 17, 11, ist im Hochdeutschen nicht nachzuahmen; so wenig als die Klage Jacobs von Warte:


Swie si hat mit sorgen mich besessen.


3) In weiterer Bedeutung für haben, mit etwas versehen seyn. Schönheit, Tugend, Verstand, ein edles Herz besitzen. Der Geitzige hat nichts von dem, was er besitzt, Dusch; d.i. er genießt nichts von dem, was er in seiner Gewalt hat. Wie wenig Tugend muß der Mann besitzen, der sein Vaterland bloß um sich liebt! ebend.

Daher die Besitzung, besonders, 1) in der theologischen Bedeutung der Besitzung von dem Teufel; in dem ersten Falle der zweyten Bedeutung ist Besitz üblicher. 2) Ein Grundstück, welches man besitzet, in welcher Bedeutung auch der Plural üblich ist. Die Besitzungen der Engländer in Amerika.

Anm. Besitzen, bey dem Übersetzer Isidors chisitzan, bey dem Ottfried bisizzen, bey dem Notker besizzen, im Nieders. besitten, bedeutete ehedem auch sein Testament machen, und Besitzung das Testament. Wenigstens heißt es in einem 1477 in Oberdeutschland gedruckten Vocabelbuche: Testamentare, den letzten Willen besitzen, testamentum, Besizung; wo es aber für aufsetzen zu stehen scheinet. Auch bey den Schwäbischen Dichtern kommt besitzen, für einnehmen oder besetzen vor. Das Mittelwort besessen, wird in Oberdeutschland, und beseten, in Niedersachsen auch für ansässig gebraucht. In diesem Verstande heißt es auch Sir. 37, 14, ein Tagelöhner, der nirgends ist besessen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 914.
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