Brief, der

[1192] Der Brief, des -es, plur. die -e, Diminutivum das Briefchen, Oberdeutsch das Brieflein, des -s, plur. ut nom. sing. 1) Eine jede schriftliche Urkunde, in welcher Bedeutung dieses Wort aber größten Theils veraltet ist, und nur noch in einigen Zusammensetzungen, und gemeinen Redensarten vorkommt. Einem Brief und Siegel über etwas geben, eine rechtskräftige Urkunde. Ein eiserner Brief, S. Anstandsbrief und Eisern. So auch in den[1192] Zusammensetzungen, Ablaßbrief, Adelsbrief, Bestallungsbrief, Frachtbrief, Freyheitsbrief, Kaufbrief, Lehnbrief, Lehrbrief, Pachtbrief, u.s.f. wo dieses Wort noch die allgemeine Bedeutung einer Urkunde hat. Unter den Kaufleuten kommt dieses Wort in der Bedeutung eines Wechselbriefes noch häufig vor; S. dieses Wort. Holländische Briefe (Wechselbriefe) kaufen. Daher, der Briefsinhaber, der Inhaber oder Besitzer eines Wechselbriefes. Einem hinter die Briefe kommen, oder dessen Briefe finden, im gemeinen Leben, figürlich, seine Geheimnisse ausforschen, hinter seine Heimlichkeiten kommen. Hierher gehöret auch die Bedeutung einer obrigkeitlichen Verordnung, eines Befehles, welche in der Deutschen Bibel mehrmahls vorkommt. Antiochus sandte Briefe gen Jerusalem – darin er geboth u.s.f. 1 Macc. 1, 46.

2) In engerer, und jetzt noch üblicher Bedeutung, ein kurzer schriftlicher Vortrag an einen Abwesenden. Einen Brief schreiben. Einen Brief an jemanden schreiben. Einen Brief bekommen, auffangen, unterschlagen, zumachen, zusiegeln, überbringen, erbrechen u.s.f. Briefe mit jemanden wechseln. Einen Brief stellen, eine in der guten Sprechart veraltete Redensart, für abfassen, aufsetzen; S. Briefsteller. Daher, der Hochzeitsbrief, Trauerbrief, Bettelbrief, Brandbrief u.s.f. Im gemeinen Leben gebraucht man, nach dem Muster des Lateinischen Litterae, oft den Plural Briefe anstatt des Singulars. Ich habe Briefe bekommen, ich muß Briefe schreiben, wenn man gleich nur einen Brief bekommen oder zu schreiben hat.

3) Ein Brief Nadeln, oder Stecknadeln, ein zusammen gelegtes Blatt Papier, worin die Steck- und Haarnadeln gesteckt, und so im Einzelnen verkauft werden. Ein Brief Stecknadeln hat gemeiniglich zehen Reihen, deren jede zehen bis dreyßig Nadeln in sich fasset. Diese Benennung erhält noch den alten Gebrauch, da man nicht nur eine jede Schrift, sondern oft ein jedes zusammen gelegtes Papier, ja sogar die Spielkarten Briefe nannte, wie unter dem gemeinen Volke noch jetzt geschiehet.

Anm. Brief, im Oberdeutschen Priaf, Briaf, bey dem Ottfried Briaf, im Nieders. Breef, im Dän. Brev, im Schwed. Bref, im Isländ. Brief, im Engl. Brief, und Franz. Bref, ist aus dem Lat. Breve und Brevis, und bedeutet eigentlich eine jede kurze Schrift. S. des du Fresne Glossar. Zu des Kero Zeiten scheinet dieses Wort im Oberdeutschen noch nicht bekannt gewesen zu seyn, weil er einen Brief noch ein Puah nennet, so gern er sonst auch Deutsche Wörter aus dem Lateinischen bildet. Zu Ottfrieds Zeiten kommt es schon häufig vor, der auch briefan für anschreiben, aufschreiben gebraucht. S. Verbriefen. Prieuarra ist bey dem Notker ein Schriftgelehrter. S. auch das Schreiben, und Sendschreiben.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1192-1193.
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