Erkennen

[1906] Erkênnen, verb. irreg. act. (S. Kennen,) welches die Bedeutungen der Lateinischen Zeitwörter cognoscere und agnoscere in sich vereiniget, und auch nach denselben gebildet zu seyn scheinet. 1) * Durch die Sinne empfinden, wahrnehmen, in welcher jetzt ungewöhnlichen Bedeutung es einige Mahl in der Deutschen Bibel vorkommt. Mein Herr, du erkennest, daß ich zarte Kinder habe, 1 Mos. 33, 13; für, du siehest. Daß das Volk nicht erkannte das Tönen mit Freude vor dem Geschrey, Esr. 3, 13; für, hörete. Ein groß Volk, die Kinder Enak, die du erkannt hast, 5 Mos. 9, 2; für, gesehen, erfahren hast. Ich habe gesehen das Elend meines Volks, – und hab ihr Geschrey gehöret, – ich hab ihr Leid erkannt, 3 Mos. 3, 7. 2) Sich eine Sache vorstellen, wir mögen sie uns nun klar oder dunkel, deutlich oder undeutlich vorstellen; in welcher weitesten Bedeutung es bey den neuern Philosophen sehr häufig ist. Eine Sache dunkel, klar, deutlich erkennen. Eine nur dunkel erkannte Wahrheit. Einem etwas zu erkennen geben, eine Vorstellung davon in ihm erwecken, es geschehe durch Worte oder auf andere Art. Die Heiden erkannten Gott auf eine sehr verworrene Art. In dem gemeinen Sprachgebrauche, auch in den Wissenschaften, gebraucht man es am häufigsten, 3) in engerer Bedeutung, eine klare Vorstellung von einem Dinge bekommen, so daß man es von andern Dingen unterscheiden kann, und zwar so wohl vermittelst der Sinne, als auch vermittelst des Verstandes. Siehest du nicht den Baum dort? – Er ist mir zu weit, ich kann ihn nicht erkennen. Die Schrift ist mir zu klein, ich kann sie nicht erkennen. Gott aus seinen Werken erkennen. Sich selbst erkennen lernen. Einer erkannten Wahrheit widerstreben. Gott erkennet alle Dinge, in dem höchsten Verstande. Auf daß sie es sehen, und nicht erkennen, und – hören und doch nicht verstehen, Marc. 4, 12. Mit den Augen werdet ihrs sehen und nicht erkennen, Apostelg. 28, 26. Das Merkmahl der klaren Vorstellung bekommt die Vorwörter an und aus. Ich erkenne den Baum an seinen Ästen. Daran sollt ihr den Willen Gottes erkennen, 1 Joh. 4, 2. Warum erkennest du das? Ehedem gebrauchte man statt dessen auch das Vorwort bey. Der Feind wird erkannt bey seiner Rede, Sprichw. 26, 24. Wobey soll ich das erkennen? Luc. 1, 18. Welcher Gebrauch aber im Hochdeutschen veraltet ist. 4) In noch engerer Bedeutung, eine klare Vorstellung bekommen, daß ein Ding eben dasselbe sey, welches man vorher schon gekannt hat. Ich erkannte meinen Freund von weiten. Saul erkannte die Stimme Davids, 1 Sam. 26, 17. Sich jemanden zu erkennen geben, ihm Merkmahle an die Hand geben, woran er uns erkennen kann. Joseph gab sich seinen Brüdern zu erkennen. Das Merkmahl bekommt auch hier das Vorwort an. Ich erkannte ihn sogleich an seiner Stimme, an seinem Gange, an seiner Kleidung. 5) Prüfen, untersuchen und erkennen; welche Bedeutung doch wenig mehr vorkommt. Er ist kommen, – daß er erkennete deinen Ausgang und Eingang, und erführe alles, was du thust, 2 Sam. 3, 25.[1906] Vertraue keinem Freunde, du habest ihn denn erkannt in der Noth, Sir. 6, 7. 6) Mit Überzeugung erkennen, von einer Sache überzeuget werden, wissen; doch größten Theils nur in der Deutschen Bibel und biblischen Schreibart. Bis er erkannte, ob der Herr zu seiner Reise Gnade gegeben hätte, 1 Mos. 24, 21. Heute erkennen wir, daß der Herr unter uns ist, Jos. 22, 31. Da erkannte Manoah, daß es ein Engel des Herren war, Richt. 13, 21. 7) Mit einem Urtheile erkennen, mit dem Vorworte für. Ich erkenne dich für einen ehrlichen Mann. Ich erkenne dich für meinen besten Freund. Ich erkenne ihn für einen gelehrten tugendhaften Mann. Ingleichen, erkennen und annehmen. Jemanden für sein Kind erkennen. Ich will dich nicht mehr für meinen Sohn erkennen. Einen Contract für gültig, eine Unterschrift für die seinige erkennen. Ich erkenne deinen Schmerz für meinen.


Der kein Gesetz erkennt, als das er selbst gemacht,

Gell.


8) Mit Einfluß auf den Willen erkennen, eine Sache lebendig erkennen. Erkenne doch dein Glück, erkenne es und mache dir dasselbe zu Nutze. Sein Unrecht, seine Sünden erkennen, erkennen und bereuen. Ich habe Unrecht gethan, ich erkenne es wohl. Besonders von Wohlthaten, empfinden, daß man Dank dafür schuldig sey. Ich erkenne deine Höflichkeit. Etwas mit Dank erkennen. Die Wohlthaten werden nicht erkannt. Er ist nicht werth, daß man ihm diene, denn er erkennet es nicht. Wir haben ihm viele Wohlthaten erwiesen, allein er hat sie nicht erkannt. S. Erkenntlich und Erkenntlichkeit. 9) Ein Urtheil fällen. Ich erkenne es für recht, für unrecht, für billig, für unbillig. Besonders von einem gerichtlichen Urtheile, in der Sprache der Gerichtshöfe. Ich will darüber erkennen lassen; im gemeinen Leben, ich wills erkennen lassen. In einer Sache erkennen. Auf die Ehescheidung, auf die Bezahlung erkennen, in dem gerichtlichen Urtheile auf die Ehescheidung, auf die Bezahlung dringen. S. Aberkennen, Zuerkennen. 10) Beyschlafen, sich mit einer Person fleischlich vermischen; eine Bedeutung, welche nur noch allein in der Deutschen Bibel, von beyden Geschlechtern vorkommt. Adam erkannte sein Weib Heva, und sie ward schwanger u.s.f. 1 Mos. 4, 1. Führe sie (die Männer) heraus zu uns, daß wir sie erkennen, Kap. 19, 5. Ich habe zwo Töchter, die haben noch keinen Mann erkannt, V. 8. Man könnte in Versuchung gerathen, erkennen in dieser Bedeutung von dem alten kennan, zeugen, Griech. γενναω, Lat. geno, genui, herzuleiten; wenn nicht glaublicher wäre, daß es eine bloße buchstäbliche Übersetzung des mittlern Lateinischen cognoscere ist, welches in eben dieser Bedeutung nicht bloß in der Bulgata, sondern schon bey dem Lampridius und andern vorkommt.

Anm. In den meisten der jetzt angeführten Bedeutungen lautet dieses Wort, bey dem Kero erchennan, bey dem Isidor archennan, bey dem Ottfried yrkennan und irkennan. Kero gebraucht es auch für hersagen, herlesen. In der Deutschen Bibel stehet es mehrmahls für das einfache kennen. Ich erkenne die meinen, und bin bekannt den meinen, Joh. 10, 14. Kein Prophet wie Mose, den der Herr erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht, 5 Mos. 34. Dagegen gebrauchen die alten und mittlern Deutschen das einfache kennen sehr häufig für unser erkennen, welche Bedeutung auch noch das Engl. to ken und das Schwed. kaenna hat. S. auch Bekennen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1906-1907.
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