Fühlen

[342] Fühlen, verb. reg. act. welches in einer doppelten Hauptbedeutung üblich ist.

I. Vermittelst des Gefühles sich bewußt zu werden suchen, durch Berührung mit den Nervenwärzchen in der Haut der Finger sich vorzustellen suchen. Einem Kranken den Puls fühlen, oder einem Kranken an den Puls fühlen. Fühlet mich und sehet, denn ein Geist u.s.f. Luc. 24, 39. Götzen, deren Finger an den Händen nicht fühlen können, Weish. 15, 15. Im Bergbaue fühlet man das Gestein, wenn man es mit dem Handfäustel beklopfet, um zu erfahren, ob es locker oder fest ist. Einem auf den Zahn fühlen, im gemeinen Leben, ihn auszuforschen suchen, ingleichen, ihn auf die Probe stellen. Er wird doch nicht verdrießlich geworden seyn, daß ich ihn (ihm) ein wenig auf den Zahn fühlte? Less.

II. Sich vermittelst des Gefühles bewußt seyn. 1. Eigentlich, sich vermittelst der Berührung der in den Spitzen der Finger vertheilten Nervenwärzchen vorstellen. Fühlen sie den Knoten? Ich fühle nichts. Fühle, wie mir bey seinem Nahmen das Herz schlägt. Ich fühle mein Herz schlagen. Mit dem bloßen Infinitive, wie sehen, hören, u.s.f. 2. In weiterer Bedeutung, sich vermittelst der über den ganzen Leib verbreiteten Nervenwärzchen bewußt seyn. Hitze, Kälte, Schmerzen fühlen. Linderung fühlen. Er fühlet nichts mehr. Cleanth will nicht betrunken seyn, aber doch so lange den Geschmack des Weins fühlen, als ihn der Gaumen fühlen kann, Gell. Wer nicht hören will, muß fühlen. Es war kein Fühlen mehr bey dem Knaben, 2 Kön. 4, 31. Götter, die weder hören noch fühlen, Dan. 5, 23. In noch engerm Verstande, lebhaft fühlen. Er fühlet die Schläge nicht. S. Gefühl. 3. Figürlich. 1) Von der innern Empfindung, so daß fühlen einen lebhaftern Grad bezeichnet als empfinden. Vergnügen, den Reitz der Liebe, einen innern Trieb zu etwas fühlen u.s.f. Ich fühlte deine feuervollen Blicke, Raml. Ein Fehler des Herzens erhalte nie Nachsicht und Vergebung, bis man die Kinder nicht das Häßliche desselben hat fühlen lassen, Gell. Wir fühlen uns beruhigt, und mit einem stillen Beyfalle des Herzens belohnt, wenn wir anderer Glück befördert haben, Sonnenf. Die schönsten Aussichten verbreiteten sich und er fühlte ihre Schönheit nicht, Geßn. 2) Sich fühlen, gewisse Eigenschaften, Schwachheiten, Vorzüge an sich fühlen oder empfinden. Wenn sich der Kranke fühlt, wenn er Schmerzen fühlt, wenn er fühlt, daß er krank ist. Du brichst mit Fleiß ab, weil du dich fühlst, Gell. weil du deine Schwachheit fühlst. Ein Mann, der sich in seinem Fache fühlt, der lebhaft überzeugt ist, daß er sich in seinem Fache befinde.


Ein Mädchen das sich fühlt, wird selten schlafen können,

Rost.


Was du mit Zittern glaubst, und bald aus Stolz verschmähst,

Und bald, wenn du dich fühlst, vom Himmel trotzig flehst,

Less.


Anm. Dieses Zeitwort lautet bey dem Ottfried, der es schon für empfinden gebraucht, fualen, im Nieders. fölen, im Angels. felan, gefelan, im Holländ. voelen, gevoelen, im Dän. fole, im Engl. to feel. Es bedeutet eigentlich, leicht mit der Hand berühren, welche Bedeutung auch das alte Schwed. pela,[342] das Holländ. pellen, das Angels. pullian, hat. Das Lat. vola, die flache Hand, scheinet damit verwandt zu seyn. S. auch Wollen. In dem 1523 zu Basel gedruckten Neuen Testamente Luthers wird fühlen als ein unbekanntes Wort durch empfinden erkläret.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 342-343.
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