Genug

[569] Genug, adj. et adv. welches in doppelter Gestalt üblich ist.

1) Als ein eigentliches Adverbium oder Umstandswort, diejenige Beschaffenheit einer Sache oder Handlung zu bezeichnen, da sie zu einem Bedürfnisse, zu einer Kraft, oder zu einer Absicht hinreichend ist, zunächst wohl von der Menge, dann aber auch von einer jeden Beschaffenheit. Ich habe genug gegessen, genug geschlafen, genug gearbeitet, genug gegangen, genug gesehen u.s.f. so viel als ich bedurfte, als nöthig war. Sie haben genug zu essen, zu trinken, zu thun, zu arbeiten. Das ist nicht genug. Er wird doch einmahl genug bekommen. Der Geitzige bekommt nie genug. Bald ist es genug. Ich habe genug mit mir selbst zu thun. Eine einzige feyerliche Züchtigung würde bey dem Anfange genug gewesen seyn, hinlänglich, Gell. Ich habe genug erfahren. Der natürliche Trieb der geselligen Eigenschaft, den man nie genug ausbilden kann. Es wäre an Einer genug. Für mich ist es genug; oder mit der dritten Endung, mir ist es genug. Laß dir das genug seyn, laß dich daran begnügen, sey damit zufrieden. Sich genug essen, schlafen u.s.f. im Oberdeutschen, so viel als man verlangte. Sich selbst genug seyn, so viel Kräfte haben, als man zu Erreichung einer Absicht bedarf, oder doch so viel zu haben glauben. Viele glauben, daß sie sich selbst zur Tugend genug sind. Der Weise ist sich selbst genug, ist mit seinem Zustande zufrieden.


Wer das thut, was er soll, der thut sich selbst genug,

Weiße,


der empfindet die angenehme Überzeugung, daß er seine Pflicht erfüllet habe. Einem genug thun, ihm das leisten, wozu man ihm verpflichtet ist. Dem Gesetze genug thun, es wirklich erfüllen, entweder durch Gehorsam, oder durch Erduldung der Strafe; Nieders. vulldoon. Dem Kläger genug thun. S. Genugthuung. Ingleichen eines Verlangen, eines Willen erfüllen. Pilatus gedachte dem Volke genug zu thun, Marc. 15, 15.

Zuweilen hat es den Begriff der Menge oder eines ziemlich hohen Grades bey sich, in welchem Falle es auch hinter dem Zeitworte stehen kann. Sie habens ja getrieben genug; und ihr habt euch ja gesperret genug, Weiße.[569]

Sehr oft wird es auch andern Nebenwörtern nachgesetzet, eben diesen Begriff der Hinlänglichkeit auszudrucken. Es ist breit, tief, groß, weit genug. Er ist alt genug dazu. Du wirst noch früh genug kommen. Für ihn ist sie artig genug. Er ist mir oder für mich nicht klug genug. Es ist süß genug. Es ist übrig genug, im gemeinen Leben, es ist überflüssig, mehr als hinreichend.

Wo es zuweilen, besonders in der vertraulichen Sprechart, den Nebenbegriff der Vielheit, oder eines ziemlich hohen Grades der durch das andere Nebenwort ausgedruckten Beschaffenheit hat. Ich habe ihn oft genug gesehen, schon sehr oft. Ich habe sie oft genug mit der Ruthe aus dem Bette gehohlet, Weiße. Ich habe es theuer genug bezahlen müssen. Schlimm genug, daß man den Neid an so vielen Menschen gewahr werden muß! Es ist leider gewiß genug!

Oft aber auch den Nebenbegriff der Mittelmäßigkeit, für ziemlich. Die Witterung war uns noch günstig genug. Nun, nun, sie mag artig genug seyn, Weiße. Gut genug, wenn man das recht gute dagegen stellt, ist nicht viel mehr als ziemlich schlecht, Less.

2) Als ein unabänderliches Adjectiv, welches Hauptwörtern beygesellet wird, eben diese Hinlänglichkeit zu bezeichnen, da es denn am liebsten hinter dem Hauptworte stehet. Er gibt den Müden Kraft, und Stärke genug den Unvermögenden, Es. 40, 29. So wird der Herr euch Regen genug geben, Zachar. 10, 1. Ich habe Zeit genug dazu. Ist eine gute Erziehung nicht Erbtheil genug? Gell. Ich bin nicht Kenner genug, um davon urtheilen zu können. Ein Liebhaber, den du verstießest, weil er nicht Weltmensch genug war, Dusch. Wenn ich artiger bin, alsdann ist es Zeit genug, Gell. In einigen Fällen auch vor dem Hauptworte. Ich bin nicht genug Kenner, um darüber urtheilen zu können. Er hat freylich selber genug Vermögen, Gell. Genug Mahl, im gemeinen Leben, besser oft genug.

Zuweilen, besonders im Oberdeutschen, wird es auch mit der zweyten Endung des Hauptwortes verbunden. Brots genug, Ps. 132, 15. Zorns genug, Esth. 1, 18. Wassers genug, Ezech. 31, 5. Unglücks genug, 4 Esr. 12, 43. Das ist doch wohl Einwurfs gegen meine Deutung genug? Less. Verdienen sie wohl, daß ich noch Freunds genug bin, mit ihnen ohne Verstellung zu reden? ebend.

Ist er nicht Freunds genug, mir ungefragt zu sagen? ebend. Oft hat es in der vertraulichen Sprechart auch hier den Nebenbegriff der Menge oder eines ziemlich hohen Grades. Es gibt überall armer Leute, oder arme Leute genug. Es ist Glück genug für ihn, wenn er noch so davon kommt.

Ehedem wurde es in dieser Gestalt eines Beywortes ordentlich abgeändert. Mit reinidon genuagen, mit genugsamer Reinigkeit, Ottfr. Genuege leute, Leute genug, Stryk. S. Genugsam.

Anm. Dieses Wort lautet bey dem Ottfried ginuag, ginuht, nug, bey dem Notker genuoge, im Schwabensp. genuk, bey dem Ulphilas ganoh, im Angels. genog, genoch, im Nieders. noog, im Dän. nok, im Schwed. nog, im Engl. enough, im Lettischen gannu. Das ge ist die bloße hauchende Verlängerung. Genung für genug ist ein bloßer Mißbrauch nieselnder Mundarten, welche vor den Hauchlauten so gern ein n vorher schleichen lassen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 569-570.
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